Pensionsfonds
16. Juni 2014

Zögerliche Expansion nach Übersee

Weil die Brasilieros sehr früh in Rente gehen können, droht dem staatlichen Pensionssystem der Kollaps. Zwar befinden sich die ­Pensionsfonds auf einem Wachstumspfad, doch ihr Homebias steht ihnen bei der Entfaltung im Weg.

Sie sind jung und ambitioniert. Das Durchschnittsalter der rund 195 Millionen Brasilianer liegt knapp über 30 Jahren – volkswirtschaftlich gesehen ein außerordentlich attraktiver Wert. Die Deutschen kommen im Vergleich dazu im Schnitt auf 45,7 Lenze. Laut dem ­brasilianischen Institute of Geography and Statistics sind 68 Prozent der Bevölkerung im Alter zwischen 15 und 64 Jahren. Auf jeden ­Rentner kommen stolze drei Arbeitnehmer. Nach Angaben der ­brasilianischen Vereinigung der geschlossenen Pensionsfonds (­Abrapp) sind die ­Umstände überaus positiv und spülen erhebliche Mittel in das landeseigene Pensionssystem. Typisch für ein ­Schwellenland ist aber auch die große Kluft ­zwischen Arm und Reich. Ungefähr 40 Millionen Brasilianer verdienen ­weniger als zwei US-Dollar am Tag, ein Umstand, der sich bei den Betroffenen langfristig auch in einer ­mageren Rente niederschlägt. Die Nation weist zudem eine ­starke Differenzierung der Vermögensverteilung auf. Laut der ­Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) besitzen drei Prozent der Bevölkerung mehr als 200.000 US-Dollar, während die Hälfte der Bevölkerung an der Armutsgrenze lebt. Ein weiterer Aspekt, der bezeichnend für Brasilien ist: Im sogenannten ­Regime Geral de ­Previdência Social, dem staatlichen Pensionstopf für Angestellte, liegt das Renteneintrittsalter für Männer nur offiziell bei 65 und für ­Frauen bei 60 Jahren. In der Praxis werden die Werte ­deutlich unterschritten.

Das Heimatland von Fußballgott Pelé bietet auch den Hinterbliebenen generöse Zahlungen, wie das ebenso bemerkenswerte wie ­bedenkliche Rechenbeispiel des Magazins „Economist“ zeigt: ­Hauptfigur ist ein 73-jähriger, pensionierter Staatsanwalt. Er bezieht eine überdurchschnittliche Pension und lebt mit Ehefrau Nummer zwei (30 Jahre alt) zusammen. Nach dem Tod des Staatsdieners im ­Alter von voraussichtlich 85 Jahren bezieht seine Gefährtin lebenslang ­nahezu dessen gesamte Pension, deren Niveau Jahr für Jahr ­mindestens in Höhe der Inflationsrate (zuletzt um sechs Prozent per annum) erhöht wird. Die Pensionszahlungen aus dem ursprüng­lichen Vertrag enden erst mit dem Tod der Witwe im Alter von voraussichtlich 80 Jahren. Zwar wird nicht jeder Staatsdiener im Greisen­alter mit einer um Jahrzehnte Jüngeren anbandeln. Doch zeigt das Beispiel die ­Brisanz. Brasilien gibt drei Prozent seiner Wirtschaftsleistung an Pensionsleistungen für Hinterbliebene aus. Bei reichen OECD-­Nationen liegt der Vergleichswert unter einem Prozent.

Neben der staatlichen Altersvorsorge gibt seit den 1960er Jahren auch private Pensionspläne. Hier können sich die Brasileiros eine ­kapitalbasierte Zusatzversorgung verschaffen, die sowohl über offene als auch geschlossene Pensionsfonds konzipiert ist. Neben Leistungszusagen werden in zunehmendem Maße auch Beitragszusagen und Hybridpläne angeboten, wobei sich die Ausgestaltung am jeweiligen Sponsor orientiert: Gewerkschaften beispielsweise können ausschließlich Beitragszusagen anbieten. Gleichwohl können die ­Brasilianer im weltweiten Vergleich der Rentensysteme nicht mit­halten.

Der seit inzwischen zehn Jahren von der Allianz publizierte ­Pension ­Sustainability Index (PSI), der verschiedene Eigenschaften landesspezifischer Pensions­strukturen vergleichbar macht, hat sich in diesem Jahr erstmals auch mit Brasilien beschäftigt. Das Ergebnis ist niederschmetternd. In der Untersuchung, erschienen im April 2014, werden die Pensionssysteme von Thailand, Brasilien und Japan als besonders schwach und am wenigsten nachhaltig eingestuft. Die Gründe sind heterogen, wie Dr. Renate Finke, Autorin der Studie, ­erläutert: „Ein gutes Ranking in unserem Index ist keinesfalls ­gleichbedeutend mit generösen Pensionsleistungen in einem Land, aber es zeigt, dass ein Pensionssystem in der Lage ist, mit den ­spezifischen demografischen Herausforderungen zurechtzukommen.“ Im Hinblick auf den Austragungsort der diesjährigen ­Fußball-WM stellen die Spezialisten um Dr. Renate Finke fest, dass die Bevölkerung sehr schnell altert und das Pensionssystem Arbeitnehmern zahlreiche Möglichkeiten bietet, relativ früh in Rente zu ­gehen. So liegt das effektive Renteneintrittsalter, und das ist der Dreh- und ­Angelpunkt der Allianz-Kritik, substanziell niedriger, als es das ­offizielle Renteneintrittsalter suggeriert. So können sich Männer nach 35 Beitragsjahren aufs Altenteil setzen, für Frauen ist dieser Schritt bereits nach 30 Beitragsjahren möglich. Brasilianerinnen, die ab dem 20. Lebensjahr in die Kasse einzahlen, erhalten demnach bereits mit 50 Lebensjahren die staatliche Rente ohne finanzielle Einbußen. Und die Landsleute lassen sich an dieser Stelle nicht zweimal bitten: ­Männer gehen im Durchschnitt mit 54 in Rente, Frauen bereits im 52. Lebensjahr.

Rentner noch fit für Samba
Das niedrige Renteneintrittsalter ist aber nur eines von vielen­ ­Problemen, die der brasilianischen Staatskasse vermehrt zu schaffen machen. Laut der im Januar 2014 veröffentlichten Global Pension ­Assets Studie vom Beratungshaus Towers Watson zählt Brasilien zwar zu den 13 weltweit bedeutendsten Pensionsmärkten. Towers Watson schätzt das aggregierte Volumen der Pension Assets dieser Nationen per Ende 2013 auf rund 32 Billionen US-Dollar. Davon entfallen aber nur 284 Milliarden US-Dollar auf Brasilien. In Relation zur ­Wirtschaftsleistung des Landes (13 Prozent) und im Vergleich mit ­solide ausfinanzierten Pensionsystemen ist das ein außerordentlich niedriger Wert. Besonders üppig ausgestattete Rentensysteme, wie das in Australien (105 Prozent) oder den Niederlanden (170 Prozent), haben deutlich mehr Pensionsvermögen angehäuft. Bei der Analyse untersuchte Towers Watson aber ausschließlich die Pension Assets, die in „­geschlossenen Vehikeln“ angehäuft wurden. Das erklärt auch, ­weshalb das Informationsportal „Latin Markets“ das Gesamtvolumen des Pensionsmarktes mit 500 Milliarden US-Dollar deutlich größer einschätzt. Grundsätzlich muss man Brasilien zugutehalten, dass es seine Pension Assets (in US-Dollar) in den vergangenen zehn Jahren um 13,1 Prozent per annum und damit äußerst dynamisch gesteigert hat. Nur Australien, das umgerechnet inzwischen über 1,5 Billionen US-Dollar für künftige Rentner beiseitegelegt hat, gelang im gleichen Zeitraum mit 14 Prozent ein noch stärkeres Plus. Für kurzfristige Renditebetrachtungen in US-Dollar muss man sich zudem vor Augen führen, dass der brasilianische Real im vergangenen Jahr mit minus 12,8 Prozent zu jenen Währungen zählte, die gegenüber dem Greenback besonders stark abgewertet haben. Demnach sind Wachstumszahlen in US-Dollar mit Vorsicht zu genießen. In der Towers-Watson-Untersuchung unter den 13 Top-Märkten nimmt der brasilianische Pensionsmarkt inzwischen ein relatives ­Gewicht von 0,9 Prozent ein. Das sind immerhin 0,4 Prozentpunkte mehr als noch vor einer ­Dekade.

Zweistellige Renditen mit Govys
Die Themen, mit denen sich brasilianische Pensionsfonds in ­diesen Tagen auseinandersetzen, sind denen westeuropäischer ­Investoren ganz ähnlich, wie Mitte Mai beim Pension Fund Forum 2014 deutlich wurde. Hauptgesprächspunkte waren Fiduciary ­Management, alternative Investments und illiquide Anlagestrategien. Daneben beschäftigten sich die Teilnehmer mit der Problematik ­anziehender Renditen. Dabei haben brasilianische Investoren noch vor drei Jahren wie auf einer Insel der Glückseligen gelebt: Bis dahin lag die Rendite für brasilianische Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit noch jenseits von zwölf Prozent, bevor sie für einige ­Quartale auf knapp neun ­Prozent sank.

Diese Situation ist auch einer der Gründe, weshalb sich die ­Kapitalsammelstellen mit einheimischen Investments bis dato mehr als zufrieden gaben. Laut einer Statistik aus dem Jahr 2011 waren von den insgesamt 80,3 Milliarden US-Dollar in Aktien ­investierten ­Pensionsgeldern spärliche 13 Millionen US-Dollar in aus­ländischen Dividendentiteln angelegt. Ähnliches Bild auch bei Fixed Income: Von den 143,3 Milliarden US-Dollar schweren Anleihebeständen ­entfielen kaum mehr als ein Prozent auf Emittenten aus dem ­Ausland. Die Gründe dafür sind vielfältig. Laut Cedrick Reynolds, Executive ­Director bei JP Morgan, liegt der Rechnungszins brasilianischer ­Pensionsfonds bei etwa sechs Prozent. In der Vergangenheit war es für die ­Kapitalsammelstellen ein Leichtes, mit lokalen Government Bonds Renditen zu erzielen, die diesen Zielwert ohne weiteres übertroffen haben. Inzwischen gehen die Schwergewichte aber sukzessive dazu über, ihre Portfolien global zu streuen. Auf diese Weise sollen landesspezifische Risiken inflationärer und politischer Natur ein Stück weit reduziert werden. Dabei helfen könnten nach Einschätzung von JP ­Morgan Pilotprogramme, mit denen man sich im Laufe der Zeit die ­notwendige Erfahrung aneignen kann. Cedrick Reynolds empfiehlt den Pensionsplänen strukturierte Produkte als ein ideales Mittel, um in globalen Märkten Fuß zu fassen. Was das regulatorische Korsett der Pensionspläne betrifft, müssen deren strukturierte ­Offshore-Investment-Vehikel strikte Vorgaben erfüllen, die neben der Administration und dem Reporting insbesondere die ­Governance, die Compliance und das Risikomanagement betreffen.

Nachhaltigkeit spielt bei den großen Kapitalsammelstellen des Landes eine herausragende Rolle. Das zeigt sich schon allein daran, dass Brasilien weltweit die erste Nation ist, in dem die Signatoren der von der UN geförderten PRI-Initiative ein regionales Netzwerk ins ­Leben gerufen haben. Die Gründung erfolgte im November 2008. ­Inzwischen gehören 71 Signatoren dem Netzwerk an, darunter 17 ­Asset Owner. Die institutionellen Anleger repräsentieren mehr als 60 Prozent der ­Assets under Management der insgesamt 216 ­brasilianischen Pensionsfonds. Das übergeordnete südamerikanische Netzwerk der UN PRI ist nach Ansicht der beteiligten Unternehmen in einer einzigartigen Position, um gleichgesinnte Investoren zu ­versammeln und von dieser Warte aus verantwortungsvolle Kapital­anlage zu einem allgemeinen Trend zu machen. Eine der ­Arbeitsgruppen des brasilianischen PRI-Netzwerkes widmet sich dem Thema „Engagement“ gegenüber den einheimischen Unternehmen. Die Arbeit dieser Gruppe genießt allein schon deshalb große ­Aufmerksamkeit unter den Nachhaltigkeitsverfechtern, weil die ­Pensionseinrichtungen verpflichtet sind, das Gros ihrer Gelder in ­lokalen Unternehmen zu investieren.

Nachholbedarf in Sachen Portfoliotheorie
Angeführt wird die Gruppe der PRI-Signatoren vom größten ­Pensionsfonds Lateinamerikas: Previ. Die vor 110 Jahren gegründete Einrichtung aus Rio de Janeiro kümmert sich in erster Linie um die Altersversorgung der Angestellten der größten und ältesten Bank des Landes, der Banco do Brasil. Chief Investment Officer Rene Sanda hat die umgerechnet rund 72,6 Milliarden US-Dollar schweren ­Kapital­anlagen (Stand Juli 2013) von Previ breit gestreut über Unternehmensbeteiligungen, Immo­bilien und Festverzinsliche investiert, um die Zielrendite von fünf Prozent (plus Inflation) zu erwirtschaften. Künftig will er vor allem im Public-Equity-Bereich eine größere Allokation eingehen.

Geplant sind in erster Linie Investitionen an den Aktienmärkten der USA und Europas. Wie Previ im Oktober ankündigte, will man künftig über Fonds­vehikel ausländischer Anbieter Exposure auf­bauen, die bislang für die Investoren von untergeordneter Bedeutung waren. Insofern kommt Previ eine Vorreiterstellung zu, die von den anderen Kapitalsammelstellen ebenso mit großem Interesse verfolgt wird wie von ausländischen ­Asset-Management-Häusern, die das ­große Geschäft wittern. Ihnen gelang es bis dato mehr schlecht als recht, Gelder zu akquirieren. Im Wettbewerb mit den Platzhirschen, etwa der Banco do Brasil oder Itau Unibanco, konnten sie nicht viel ausrichten. Die UBS hat mangels Erfolg 2012 kurzerhand den insti­tutionellen Vertrieb eingestellt.

Dessen ungeachtet setzt Rene Sanda auch auf Private Equity. ­Aktuellen Angaben zufolge sind 1,2 Prozent der Gelder auf 25 in ­Brasilien ansässigen Fonds verteilt. Wie der Kapitalanlageexperte in einem Interview jüngst erläuterte, verfügt Previ zwar längst über ein diversifiziertes Private-Equity-Portfolio mit Schwerpunkten auf den Sektoren Öl und Gas sowie Infrastruktur und Agrar, doch damit will er sich nicht zufrieden geben: „Unsere Strategie besteht heute darin, nach Sektoren zu suchen, die konsistente Erträge abwerfen und ­zugleich komplementär zu unserem Portfolio auf Basis variabler Einkommensquellen sind.“ Gefragt sind demnach Assets mit einer ­niedrigen oder gar negativen Korrelation zu bestehenden Kapital­anlagen. Infrage kommen beispielsweise Investments aus dem ­Bereich Infrastruktur, dem Konsumgüterbereich und dem Gesundheitswesen. ­Mittelfristig will Rene Sanda die Private-Equity-Quote von Previ ver­doppeln. Dabei kommt ihm das Wachstum des heimischen Private-Equity-Sektors entgegen. Durch eine zunehmende Anzahl von ­Anbietern und ein umfangreicheres Produktangebot steigt die Vielfalt bei der Managerauswahl.

Auch was die Investitionen in ausländische Firmen betrifft, nimmt Previ für brasilianische Verhältnisse eine Vorreiterrolle ein. Vor kurzem wurde ein Anlagevehikel ins Leben gerufen, mit dessen Hilfe der Pensionsfonds in großkapitalisierte Firmen in Übersee investieren will. Zur Begründung sagte Rene Sanda: „Es ist überaus wichtig für uns, nun auch Investitionen im Ausland durchzuführen. Hier finden wir Zugang zu einer großen Anzahl von Assets und Anlageprodukten.“ Sein Ziel bestehe darin, die Diversifikation der Kapitalanlagen zu forcieren.

Auch der Pensionsfonds Fundação Cesp hat sich einer diffizilen Anlagestrategie verschrieben. Die Assets in Höhe von rund 9,6 Milliarden US-Dollar entfallen zwar auch hier überwiegend auf Staats­anleihen. Allerdings wird der Bestand von sechseinhalb Milliarden US-Dollar (Govy-Quote 67,4 Prozent) intern verwaltet. Gleiches gilt für den 7,8-prozentigen Corporate-Bonds-Posten. Und auch die ­Immobilieninvestitionen (Quote: 3,1 Prozent) verwaltet Fundação in Eigenregie. Frappierend ist aber, dass die Gelder nicht in entwickelten Märkten investiert werden. Damit liegt der Fonds zwar mit den ­brasilianischen Kollegen auf Augen­höhe, aber aus Sicht der Portfoliotheorie ist das ein echtes Armutszeignis.

Von Tobias Bürger

portfolio institutionell, Ausgabe 5/2014

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