Zehn Jahre NKI, zehn Fragen an Rolf Häßler
Berater sieht Nachhaltigkeit im Mainstream verankert, die Regulatorik jedoch kritisch. „Leider haben die praxisfernen Vorgaben viel Vertrauen in den nachhaltigen Kapitalmarkt zerstört.“
Am 14. Januar 2025 feiert das NKI – Institut für nachhaltige Kapitalanlagen seinen zehnten Geburtstag. Eine Dekade klingt nicht viel (immerhin ist portfolio institutionell bereits 23 Jahre alt). Der Jubilar ist jedoch einige Monate älter als die PRI und das Pariser Klimaabkommen. Vor allem aber kann der geschäftsführende Gesellschafter Rolf Häßler auf bewegte Zeiten zurückblicken.
1. Herr Häßler, wie anno 2015 sorgt sich der Markt heute noch, ob eine nachhaltige Kapitalanlage Rendite kostet – und dies mit Blick auf die Performance von Öl- und Gasunternehmen seit 2022 nicht zu Unrecht … Hat sich denn nur die Regulatorik weiterentwickelt?
Die Diskussion, ob man auf Rendite verzichten oder mehr Risiko in Kauf nehmen muss, hat viele Anleger in den ersten Jahren des NKI beschäftigt – und tut es in der Tat auch heute noch. Dabei haben zahlreiche statistische Analysen und empirische Studien den Mythos vom Renditeverzicht zwischenzeitlich widerlegt. Natürlich gibt es auch mal Jahre, in denen konventionelle Anlagen besser laufen als nachhaltige, zuletzt beispielsweise aufgrund der Sonderkonjunkturen bei fossilen Unternehmen und Rüstungskonzernen. Wir haben in den vergangenen zehn Jahren aber auch schon ganz andere Entwicklungen gesehen. Grundsätzlich sollte man das Urteil über eine Kapitalanlage nicht auf Jahresbasis fällen – weder bei der nachhaltigen noch bei der konventionellen Kapitalanlage.
Der zweite Mythos, mit dem wir es in den Anfangsjahren zu tun hatten, war der, dass nachhaltige Kapitalanlagen eine Nische seien. Das stimmte schon damals nicht und heute noch weniger, wenn man sieht, dass rund 85 Prozent der institutionellen Anleger in Deutschland bei ihrer Kapitalanlage ESG-Kriterien berücksichtigen. Man ist heute als Anleger also in der Nische, wenn man nicht nachhaltig investiert.
2. Was waren in der vergangenen Dekade die großen Entwicklungen?
Über die erste Phase der Entwicklungen – das Aufräumen mit den bestehenden Mythen – haben wir schon kurz gesprochen. Eine zweite Phase begann meines Erachtens mit der Veröffentlichung des EU-Aktionsplans zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums im Jahr 2018. Mit ihm wurde den Investoren eine neue Rolle zugewiesen – die des Finanzierers der Investitionen zur Erreichung der Pariser Klimaziele.
Und um deren Kapital in nachhaltige Investitionen umzulenken, hat die EU-Kommission eine ganze Reihe von regulatorischen Vorhaben umgesetzt, die dem nachhaltigen Kapitalmarkt ordentlich Rückenwind gegeben und ihn in den Mainstream befördert haben. Dazu zählen insbesondere die EU-Taxonomie nachhaltiger wirtschaftlicher Tätigkeiten, die definiert, was eine nachhaltige Investition ist, die Offenlegungsverordnung und die Nachhaltigkeitspräferenzabfrage. Auch die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) kann hierzu gezählt werden, dient sie doch dazu, Investoren mit den Informationen zu versorgen, die sie benötigen, um Nachhaltigkeitsleistungen und -risiken von Unternehmen als Emittenten von Aktien und Anleihen umfassend zu verstehen.
Aus meiner Sicht ist es zudem sehr positiv, dass wir uns in dieser Phase endlich auch mit der nachhaltigkeitsbezogenen Wirkung der nachhaltigen Kapitalanlage beschäftigt haben, nachdem wir deren Erfolg vorher ausschließlich auf Basis von Rendite und Risiko bewertet haben – was ja einigermaßen kurios ist, wenn man bedenkt, wieviel Aufwand wir investieren, um nachhaltige Emittenten für die Portfolios zu identifizieren.
Wenig anfangen kann ich allerdings mit dem Begriff des Impact Investing, der ja unterstellt, dass es eine besondere Kategorie von nachhaltigen Kapitalanlagen gibt, die eine nachhaltigkeitsbezogene Wirkung haben. Dies legt im Umkehrschluss nahe, dass dies für andere nachhaltige Kapitalanlagen nicht gilt. Das halte ich für falsch, da wir sehr gut belegen können, dass beispielsweise die Nutzung von Dialogstrategien oder Best-in-Ansätzen die Unternehmen zu verstärkten Anstrengungen für nachhaltigkeitsbezogene Ziele motiviert. Eine bessere Wirkung kann ich mir kaum vorstellen.
3. Und negativ betrachtet? Gerade kleineren Anlegern fällt hier das Thema ESG-Reporting ein.
In der Tat begann mit den vielfältigen Problemen bei der Umsetzung der regulatorischen Vorgaben in den vergangenen beiden Jahren eine dritte Phase, die ein Stück weit durch Resignation und Reaktanz gekennzeichnet ist. Viele, gerade kleinere und mittelgroße Unternehmen sind mit der weitreichenden CSRD-Berichterstattung genauso überfordert, wie die Vermögensberater mit der Offenlegungsverordnung und Anleger mit der Präferenzabfrage.
Grundsätzlich ist es gut und richtig, dass die EU-Kommission bei ihren verschiedenen Vorhaben erst einmal auf eine Verbesserung der Transparenz gesetzt hat. Dahinter steckt ja ein positives Menschenbild, das darauf aufbaut, dass gut informierte Investoren auch gute Anlageentscheidungen treffen. Das funktioniert aber nur, wenn die bereitgestellten Informationen in Art und Umfang den Informationsbedarfen der Zielgruppen entsprechen. Und ob beispielsweise ein Investor wirklich hunderte von Datenpunkte benötigt, wie in der CSRD definiert, um die ESG-bezogenen Chancen und Risiken eines Unternehmens bewerten zu können, möchte ich bezweifeln. Auch über die Frage, ob kleine und mittelständische Unternehmen zehntausende Euros in eine äußerst komplexe Wesentlichkeitsanalyse investieren müssen, um die für sie relevanten Nachhaltigkeitsaspekte zu identifizieren, lässt sich meines Erachtens streiten. Am Ende wäre dieses Geld in eine neue energieeffiziente Maschine vielleicht besser investiert.
Leider haben die praxisfernen Vorgaben viel Vertrauen in den nachhaltigen Kapitalmarkt zerstört, und gerade die Diskussion um Greenwashing bei Finanzprodukten hat ihren Ursprung auch in einer falschen Interpretation dieser Vorgaben. Diese Unschärfen in der Regulatorik haben einige Korrekturen erforderlich gemacht, die Anleger an der Qualität nachhaltiger Anlageprodukte zweifeln lässt, beispielsweise die Umklassifizierung von Artikel-9- in vermeintlich weniger nachhaltige Artikel-8-Fonds.
Hier ist es gut, dass die ESMA nun inhaltliche Vorgaben für Fonds definiert hat, die in ihrem Namen Begriffe wie Umwelt oder Nachhaltigkeit verwenden. Dies schafft gerade für Privatanleger mehr Sicherheit, auch wenn die Vorgaben für meinen Geschmack wieder zu kompliziert sind.
Insgesamt ist es vor diesem Hintergrund konsequent, dass viele der genannten Maßnahmen aktuell auf dem Prüfstand stehen und grundlegend überarbeitet werden. Wichtig ist, dass man sich die Zeit nimmt, die verschiedenen Vorgaben realitätsnah zu gestalten und sinnvoll miteinander zu verzahnen. Dabei kann es nicht schaden, die Adressaten der Regelungen umfassend nach ihren Informationsbedarfen und -gewohnheiten zu fragen. Das ist mein Wunsch für 2025!
4. Ist es nicht schizophren, dass der Regulator sich zurückziehen soll, andererseits der Staat für die Energiewende einen Transformationsfonds anschieben soll?
Insgesamt halte ich es für einen klugen Schachzug, den Finanzmarkt in die Erreichung der Pariser Klimaziele und der Nachhaltigkeitsziele der UN Agenda 2030 einzubeziehen. Durch die Verankerung von ESG-Kriterien in der Kapitalanlage – und mit der 7. Novelle der Mindestanforderungen an das Risikomanagement übrigens auch in der Kreditvergabe – bringt man Unternehmen wie bereits angesprochen dazu, diese Ziele konsequenter in den Blick zu nehmen.
Auch ein Transformationsfonds kann mit den Mitteln privater Anleger gefüllt werden, ein entsprechendes Konzept für einen Nationalen Transformationsfonds hat der Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung im Herbst vergangenen Jahres vorgelegt. Dies schließt aber nicht aus, dass auch der Staat selbst finanzielle Mittel für die Transformation der Wirtschaft bereitstellt, um beispielsweise die Infrastruktur wieder auf Vordermann zu bringen und dabei im besten Fall auch klimabezogene Impulse zu setzen, etwa durch den Ausbau von Bahn und Binnenschifffahrt.
5. Machen es die USA besser? Dort gibt es in verschiedenen Bundesstaaten die Vorgabe, nicht nachhaltig zu investieren. Trotzdem boomt dort der Zubau von Erneuerbaren Energien.
Zur Frage, wie viel Kapital in den USA aktuell in den Klimaschutz und andere nachhaltige Verwendungen fließt, kann ich nichts sagen. Für mich ist aber ganz klar, dass hinter den absurden Verboten, ESG-Kriterien bei der Kapitalanlage zu beachten, keine finanziellen Überlegungen stehen, sondern diese Ausdruck eines Kulturkampfes sind, der auch den Kapitalmarkt erfasst. Es ist doch unbestreitbar, dass beispielsweise der Klimawandel die Werthaltigkeit und Wertentwicklung von Aktien, Immobilien und anderen Investments massiv beeinflussen wird. Wer diese Faktoren bei der Kapitalanlage nicht berücksichtigt, holt sich daher höhere Risiken ins Portfolio. Am Ende leiden darunter beispielsweise die Pensionäre, die ihr Geld für einen sorgenfreien Lebensabend in Pensionsfonds angelegt haben.
6. In Skandinavien und in den Niederlanden scheinen einige Pensionsfonds sehr frustriert über ihre Engagements bei Öl- und Gasunternehmen zu sein. PFZW (255 Milliarden Euro AuM) hat in 2024 310 Öl- und Gasunternehmen aus dem Portfolio gekickt und nur sieben behalten. Die Begründung: „Der intensive Aktionärsdialog der letzten zwei Jahre mit der Öl- und Gasbranche zum Thema Klima hat uns deutlich gemacht, dass die meisten fossilen Unternehmen nicht bereit sind, ihre Geschäftsmodelle an ‚Paris‘ anzupassen.“
Grundsätzlich ist der Dialog zwischen Aktionär und Unternehmen ein sehr wirkungsvoller Weg, Einfluss auf die Unternehmen zu nehmen. Und wenn beispielweise Deka Investment und Union Investment Vorstand und Aufsichtsrat die Entlastung verweigern, wenn diese nicht dafür sorgen, dass ihre Unternehmen ambitionierte Klimaziele verfolgen, dann ist das für das betroffene Unternehmen beziehungsweise die entsprechenden Personen eine ernste Angelegenheit.
Allerdings setzt diese Einflussnahme die Transitionsfähigkeit und -willigkeit der Unternehmen voraus. Erstere betrifft Geschäftsmodelle, die sich nur durch eine komplette Neuausrichtung der Unternehmen verändern lassen. Dies betrifft beispielsweise Tabakunternehmen, die kaum auf die Investorenkritik an ihren gesundheitsschädlichen Produkten reagieren können, ohne ihr Angebot umfassend umzustellen. Es gilt allerdings nicht für die Unternehmen der Öl- und Gasindustrie, wo wir bereits zahlreiche Unternehmen sehen, die auf einem guten Weg zu einem Anbieter regenerativer Energien sind. Leider sorgt aber das globale politische Umfeld dafür, dass der Druck auf diese Unternehmen nachlässt, sich um den Klimaschutz zu kümmern. Und hier muss man nicht nur in die USA schauen. Daher ist es manchen Unternehmen auch egal, was europäische Regierungen oder Investoren fordern. Sie konzentrieren sich auf Märkte mit weniger strengen Vorgaben. Bei Unternehmen mit einer entsprechend eingeschränkten Transformationswilligkeit wird auch der Aktionärsdialog scheitern.
7. Ist Nachhaltigkeit zu stark auf die Reduktion von CO₂ fokussiert?
Wenn ich hier ganz tief in meiner Uni-Erinnerung wühle – und die ist deutlich mehr als zehn Jahre alt –, habe ich das Konzept der starken Nachhaltigkeit vor Augen, das ja den Klima- und Umweltschutz über die anderen Nachhaltigkeitsfaktoren stellt. Ein wenig erscheint es einem wirklich so, als würde die Politik mit der erkennbaren Fokussierung auf den Klimaschutz diesem Konzept folgen. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass der Schutz des Klimas indirekt positive Auswirkungen auf viele andere Aspekte hat, gerade auch auf soziale Aspekte, da beispielsweise einkommensschwache Menschen von den Folgen des Klimawandels besonders betroffen sind.
Dabei finde ich es gut, dass unter der Überschrift „Just Transition“ mehr über die sozialen Auswirkungen des Klimaschutzes diskutiert wird, beispielsweise auf die Beschäftigten in Industrien, die vor einem umfassenden Wandel stehen. Wir müssen auf diese Aspekte mehr Augenmerk legen, da wir die Menschen in der Transition ansonsten verlieren und sie empfänglich für radikal einfache Parolen machen.
8. Heute wird an dem Mythos gestrickt, dass Waffen nachhaltig sind.
Ich empfinde die Diskussion um die Einstufung von Waffen als ebenso wichtig wie schwierig, da der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hier zu einer Neubewertung führen kann. Am nachhaltigen Kapitalmarkt wird dabei zwischen geächteten beziehungsweise kontroversen und konventionellen Waffen unterschieden. Wir kennen eigentlich keinen nachhaltig ausgerichteten Investor, der geächtete beziehungsweise kontroverse Waffen nicht von der Kapitalanlage ausschließt.
Anders ist dies mit konventionellen Waffen, beispielsweise Kampfflugzeugen, Kampfpanzern oder Schiffen. Hier wird argumentiert, dass Sicherheit vor äußeren Feinden eine Voraussetzung für eine demokratische nachhaltige Entwicklung ist. Wenn Nachhaltigkeitsfonds dieses Thema so interpretieren, kann dies eine Begründung für Investments in konventionelle Rüstungsunternehmen sein, sollte aber meines Erachtens in der Außendarstellung für die Anlegenden klar herausgestellt werden. In Fonds, die einen klaren ethischen Anspruch haben, sind Rüstungsunternehmen dabei nur schwer vorstellbar.
9. Erleben wir in 2025 eine ESG-Demokratisierung? Bekommt jeder Investor die Tools, um seine eigenen Vorstellungen von Nachhaltigkeit umzusetzen? Wäre das aber gut für Umwelt und Gesellschaft?
Diese Form des „mehr Demokratie wagen“ hatten wir schon zum Zeitpunkt der Gründung des NKI – allerdings insbesondere für institutionelle Anleger, die eigene Spezialfonds auflegen können. Sie haben dabei die Möglichkeit, ihre individuellen Ziele und Werte in ESG-Kriterien zu überführen und können so beispielsweise definieren, aus welchen aus ihrer Sicht kontroversen Geschäftsmodellen sie keine Zinsen und Dividenden erhalten wollen.
Die Individualisierung wird aber durch das Datenangebot der ESG-Ratingagenturen begrenzt. Nach wie vor gilt, dass beispielsweise Ausschlusskriterien, für die die Agenturen keine Daten bereitstellen, kaum systematisch umgesetzt werden können. Insofern sorgt das Datenangebot für eine gewisse Harmonisierung der ESG-bezogenen Anforderungen an Emittenten, was wiederum dem Effekt auf Umwelt und Gesellschaft nutzt, da sich mehr Kapital hinter vergleichbaren Anforderungen versammelt.
10. Auch wenn Sie den Begriff nicht schätzen: Welchen Impact hatte das NKI?
Wir versuchen, über verschiedene Wege unseren Beitrag zur Entwicklung des nachhaltigen Kapitalmarktes zu leisten, beispielsweise durch Studien und Weiterbildungsangebote. Die größte Wirkung – ich bleibe bei diesem Begriff – haben wir aber über die Begleitung institutioneller Anleger bei der Entwicklung und Umsetzung von nachhaltigen Anlagerichtlinien. Und hier haben wir in den vergangenen zehn Jahren immerhin rund 270 Milliarden Euro in Richtung Nachhaltigkeit gelenkt. Bis zum nächsten Jubiläum haben wir noch einiges vor – mal sehen, wo wir dann bei dieser Zahl stehen.
Das Interview führte Patrick Eisele.
Autoren: Patrick EiseleSchlagworte: ESG-Berichtspflichten | Nachhaltigkeit/ESG-konformes Investieren
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