Strategien
27. Januar 2025

Wie ein Altersversorger mit doppelter Materialität umgeht

Während sich die Umsetzung der europäischen CSR-Richtlinie in deutsches Recht verzögert, kündigt die EU an, die Berichtspflichten straffen zu wollen. Derweil zeigt das Beispiel des BVV, wie Altersversorger sorgsam mit Nachhaltigkeit und den neuen Reporting-Standards umgehen.

Schon vor ihrem Inkrafttreten im Januar 2023 wurde über die Nachhaltigkeitsberichtspflichten der Corporate Sustainability ­Reporting Directive, CSRD, kontrovers diskutiert. Vielfach ist die Kritik zu vernehmen, die Vorgaben seien zu umfangreich und überforderten die Unternehmen. Das hat nun auch die jüngst ­wiedergewählte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dazu veranlasst, auf höchster (EU)-Ebene eine Straffung der ­Berichtspflichten vornehmen zu wollen. Wie Haufe.de berichtete, hatte von der Leyen bereits vor ihrer Wiederwahl nach einem ­Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs mit der EU-Kommission­ in Budapest Anfang November davon gesprochen, dass bestehende und künftige Nachhaltigkeitsberichtspflichten in einer Omnibus-Verordnung zusammengefasst werden sollen. Konkret geht es um bestehende Berichtspflichten nach der CSRD, der Transparenz- oder Offenlegungsverordnung (Sustainable Finance Disclosure ­Regulation, SFDR,) und der Taxonomie-Verordnung ­sowie der EU-Lieferkettenrichtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence ­Directive, CSDDD) Die „Budapester Erklärung“ des ­Europäischen Rates forderte, dass der Vereinfachungsprozess für einen „klaren, einfachen und intelligenten Regelungsrahmen für Unternehmen sorgt“ und den Verwaltungs-, Regulierungs- und Meldeaufwand, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, „drastisch ­verringert“.

Derweil hat Deutschland, ebenso wie viele andere EU-Staaten die Umsetzung in nationales Recht verschleppt. Das Gesetz ist noch nicht verabschiedet und die Frist zur Umsetzung ist am 6. Juli 2024 abgelaufen. Die EU-Kommission hat aus diesem Grund am 26. September ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Wann das Umsetzungsgesetz kommt, ist ­angesichts des Bruchs der Ampel-Koalition höchst ungewiss. ­Unterdessen ­erhoffen sich institutionelle Investoren insbesondere durch die ­CSRD mehr Transparenz über die ESG-Daten von Portfolio­unternehmen, ­andererseits sind zum Beispiel meist Versicherer als Finanzunter­nehmen jedoch auch selbst von den Regeln betroffen und müssen diese ­umsetzen. Für das Berichtsjahr 2024 gelten die neuen Nachhaltigkeits­berichtspflichten zunächst nur für die Großunternehmen, die auch bisher schon Nachhaltigkeits­berichte veröffentlicht haben. Ab dem Berichtsjahr 2025, über das 2026 berichtet wird, sollen auch alle ­anderen Großunternehmen in die Berichtspflicht einbezogen ­werden. Für kapitalmarktorientierte kleinere und mittlere ­Unternehmen (KMU) gilt das Berichtsjahr 2026 als Startjahr, ­ebenso für kleine und nicht-komplexe Kreditinstitute ­sowie firmeneigene Versicherungsunternehmen. Kapitalmarktorientierte KMU haben jedoch zunächst eine Opt-out-Möglichkeit und werden spätestens ab dem 1. Januar 2028 in die CSRD-Berichtspflicht ­einbezogen. Ab 2028 werden zudem bestimmte Nicht-EU-­Unternehmen von der CSRD erfasst. Durch die Richtlinie werden Schätzungen zufolge in Zukunft rund 49.000 Unternehmen ­berichten müssen, darunter auch viele Mittelständler.

Neben der Richtlinie als solche hat die EU die sogenannten ­European Sustainability Reporting Standards (ESRS) angenommen, die die Berichtspflichten nach der CSRD konkretisieren. Die ­insgesamt zwölf ESRS sehen vor, dass betroffene Unternehmen ­eine ­Wesentlichkeitsanalyse durchführen, die einerseits die finanziellen Auswirkungen von Umweltfaktoren, beispielsweise des ­Klimawandels, auf das berichtspflichtige Unternehmen analysiert. ­Andererseits nimmt die umgekehrte Perspektive auch die positiven und negativen Auswirkungen des Unternehmens auf Menschen und Umwelt, wie zum Beispiel auf das Klima, in den Blick. ­Während die ­finanzielle Wesentlichkeit auch als Outside-In-­Perspektive bezeichnet wird, gilt die Inside-Out-Perspektive, die nach den Auswirkungen des Unternehmens auf ESG-Faktoren fragt, auch als Impact-Perspektive.

Derweil bereiten sich viele Unternehmen intensiv auf die umfassenden Nachhaltigkeits-Reporting-Pflichten nach der CSRD vor. Pensionsanleger betrifft die Richtlinie zwar mehrheitlich nicht, ­jedoch gibt es auch solche, die sich verpflichtet haben, sie freiwillig umzusetzen, wie beispielsweise der BVV.

CSRD im BVV-Verbund

Der BVV-Verbund mit seinen drei Versorgungsträgern, der ­Pensionskasse, der Unterstützungskasse und dem Pensionsfonds, wendet die überarbeitete CSR-Richtlinie im Rahmen seiner Nachhaltigkeitsstrategie an – allerdings zum größten Teil freiwillig, wie Christian Wolf, Leiter der Abteilung Risikomanagement/Qualitätsmanagement bei BVV, erläutert: „Nach der CSRD wäre unsere Tochter­gesellschaft ‚BVV Pension Management GmbH‘, die als Dienstleister für die Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge im BVV-Verbund fungiert, in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft berichtspflichtig“, informiert Wolf. Die Berichtspflicht greift hier ab dem 1. Januar 2026 für das Berichtsjahr 2025. „Da ­jedoch beispielsweise die Kapitalanlagen unter dem Dach der ­Pensionskasse ‚BVV Versicherungsverein des Bankgewerbes a.G.‘ den größeren Teil der Assets im BVV-Verbund ausmachen, haben wir uns, unabhängig von der Berichtspflicht, entschlossen, die ­CSRD im gesamten BVV-Verbund umzusetzen“, erklärt Wolf.

Der BVV-Verbund verfolgt eine dezidierte Nachhaltigkeits­strategie seit dem Jahr 2020. „Mit Nachhaltigkeit in der Kapitalan­lage ­befassen wir uns aber schon etwas intensiver seit den Vorgaben durch die EbAV-II-Richtlinie im Jahr 2017“, so Wolf. In Folge des Bafin-Merkblatts zu Nachhaltigkeitsrisiken aus dem Dezember 2019 habe das Thema zu einer ersten Risikoinventur unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsfaktoren im Haus geführt und ­damit weiter an Fahrt aufgenommen. Nachhaltigkeitskoordinatorin Silke Mann führt dazu aus: „Wir ­haben ein unternehmensweites, offenes Team aus ­derzeit 15 Köpfen installiert, welches neben den jeweiligen operativen Aufgaben im Unternehmen das Thema ­Nachhaltigkeit in seinen verschiedenen Facetten bearbeitet und als Multiplikator hierfür fungiert.“ Für die Kapitalanlage werden die Nachhaltigkeits­aktivitäten unter dem Begriff ESG subsummiert. „Hier verfolgen wir einen integrierten Ansatz“, so Wolf. Integriert bedeute an dieser Stelle, dass es kein reines ESG-Spezialistenteam gibt. „Mitarbeiter aus den Bereichen Portfolio- und Risikomana­gement integrieren ESG-Aspekte in ihren operativen Aufgaben­feldern. Natürlich gibt es Mitarbeitende, die sich intensiver mit den Anforderungen befassen als andere – insbesondere in der Weiterentwicklung. Darüber hinaus tagt monatlich unser ESG-Komitee aus den beiden Abteilungen und dem Finanzvorstand“, erläutert Wolf. Das Ziel, sich freiwillig einer Transparenz zu unterwerfen, werde ­künftig durch die Berichte nach der CSRD erfüllt, so Wolf. Der BVV habe zudem auch die Rolle in der Branche, die ­Banken als Mitgliedsunternehmen in puncto ESG zu unterstützen und diesen bei Bedarf ESG-Daten zuzuliefern. „Auch das ist ein weiterer Grund für unsere Umsetzung der CSRD-Anforderungen“, so Wolf.

Die CSRD führt das Konzept der sogenannten doppelten Wesentlichkeit neu in die Nachhaltigkeitsberichterstattung ein. Demnach müssen die Unternehmen eine Wesentlichkeitsanalyse durchführen und einerseits ermitteln, welche finanziellen Auswirkungen ESG-Faktoren auf das Unternehmen haben (Outside-In-Analyse), andererseits, welche (positiven und negativen) Auswirkungen das Unternehmen auf die Faktoren Umwelt, Soziales und Governance hat (Inside-Out-Analyse oder Impact-Perspektive). „Bei der Wesentlichkeitsanalyse sind wir schon weit fortgeschritten. Wir sind die European Sustainability Reporting Standards (ESRS) mit ihren ­vielen Datenpunkten durchgegangen. Im Augenblick führen wir die letzten Schritte der Fit-Gap-Analyse durch und schauen, wo wir noch Lücken ­haben“, erklärt Silke Mann. Und Charlotte Becker, ­Kapitalanlagen-Controllerin und betraut mit ESG-Fragen der Kapitalanlagen, ­berichtet: „Wir haben Prozesse, zum Teil auch neu, ­etabliert, die auf bestimmte Themen einzahlen, die durch die ESRS adressiert ­werden. Insbesondere beim Thema Klimawandel sind wir hier schon vergleichsweise weit fortgeschritten. Unser Ziel ist es, neben Scope-1- und Scope-2- auch Scope-3-Daten zu erfassen. Hierzu arbeiten wir in diesem Bereich seit 2020 mit dem Climate-Tech-Unternehmen ‚right based on science‘ zusammen, welches uns die ­Daten für die ESRS E1 liefert, also für die Standards zum Thema Klimawandel.“ Anleger sollten sich neben den Klimafragen detailliert alle ESG-Faktoren anschauen, rät Christian Wolf. ­„Welcher Faktor hat den größten Einfluss auf ein Unternehmen? Vorgänge wie die Signa-Pleite zeigen: Der Governance-Faktor darf nicht ­vernachlässigt werden!“, so Wolf. Zudem seien Governance-­Themen für ­alle Branchen ­anzuwenden, während das Umwelt­thema insbesondere für die emissionsintensiven Branchen einen ganz anderen Stellenwert ­habe, resümiert Charlotte Becker.

Der BVV hält auch einen beachtlichen Anteil an alternativen Anlagen. Das mache die Berichterstattung zu ESG herausfordernd, weiß ­Risikomanagement-Chef Christian Wolf. Privatmarktanlagen ­passten zwar gut zu Altersversorgern, aufgrund von deren ­lang­fristigen ­Verpflichtungen. Jedoch seien vergleichbare ESG-Daten nur schwer zusammen­zustellen. „Hier gibt es im Moment nur ­eine schlechte Datengrundlage und die Herausforderungen sind für diese Art von Assets ­deutlich größer, um die nötigen Daten zu ­sammeln und zu aggregieren, da ESG-Daten hier meist nicht ­standardisiert vorliegen“, so Wolf. „Hinzu kommt, dass die meist international diversifizierten Portfolien von der CSRD über­wiegend nicht adressiert werden.“

Dass die Ankündigungen aus der „Budapester Erklärung“ und die Omnibus-Verordnung der Kommission letztlich zu deutlichen ­Erleichterungen bei den Reportingpflichten führen werden, ist nach Einschätzung von Christian Wolf nur schwer vorstellbar. „Dass das Framework rund um die CSRD und die Transparenz­verordnung um 25 Prozent reduziert wird, sehe ich eher nicht kommen. Denn die regulatorische Agenda von EU-Kommission und Aufsichten geht ja ­vielmehr dahin, dass die Anforderungen an die Berichtspflichten immer weiter ausgedehnt werden.“ Wichtig ist aus seiner Sicht: „Industrieunternehmen müssen mehr und ­verlässliche ­Daten ­liefern, damit Finanzmarktteilnehmer die Daten ­direkt verwenden können und nicht schätzen müssen. Es kann nicht Aufgabe des Investors sein, zu überprüfen, wie die KPIs in ­einem hochgradig diversifizierten Portfolio im Einzelnen ­gerechnet werden“, sagt Christian Wolf. Auch müsse man der ­Regulierung Zeit geben, um zu wirken. „Viele Datenprovider arbeiten heute noch mit Schätzungen, und man wird nicht in den ersten ein bis drei Jahren große ­Effekte sehen.“ Wohl aber rechnet Christian Wolf mit mittelfristig deutlichen Verbesserungen bei der ­Datenqualität: „In einem Zeitrahmen von etwa fünf Jahren werden sich die Veränderungen deutlich zeigen und wir werden alle gemeinsam davon profitieren“, glaubt er. Erst eine solide Datenbasis ermögliche auch eine zielgerichtete Steuerung, so Wolf von BVV.

Gut Ding will Weile haben. Sich die Vorgaben der CSRD mit ihrer Wesentlichkeitsanalyse freiwillig zu eigen zu machen, kann sich für solche institutionelle Investoren lohnen, die hierin einen Mehrwert sehen und auf dem Feld der Nachhaltigkeit punkten wollen. „Unternehmen, die ihre Stakeholder mit dem Thema Nachhaltigkeit abholen wollen und große Konzerne bereiten sich ohne ­Ansehen der Umsetzungsfristen jetzt schon intensiv auf die CSRD vor“, sagt Ingo Theusinger, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Noerr. Das sei abhängig von der jeweiligen Geschäftstätigkeit. „Man hat Risiken, wenn man über Nachhaltigkeit berichtet, aber auch Chancen“, ergänzt sein Kollege Felix Ilg, Wirtschaftsprüfer und Senior Associate bei Noerr. Zudem sei für international tätige Firmen das Warten auf die deutsche Gesetzgebung ohnehin nur eingeschränkt relevant, da zum ­Beispiel das Nachbarland Frankreich schon ein Umsetzungsgesetz verabschiedet habe.

Was bleibt den hiesigen Akteuren? Was gilt für Großunternehmen, die ab dem Berichtsjahr 2024 ­berichtspflichtig sind und ihre CSRD-­Berichte eigentlich ab 2025 ­erstellen müssten, wenn Deutschland es nicht schafft, die Richtlinie noch in diesem Kalenderjahr in ­deutsches Recht umzusetzen? „Nach dem EU-Recht muss eine Richtlinie in nationales Recht umgesetzt ­werden, andernfalls ­erfährt sie keine Gültigkeit. Dementsprechend ­erwachsen für ­private Akteure aus einer nicht fristgerecht ­umgesetzten Richtlinie auch keine Pflichten. Vielmehr gelten die derzeit gültigen HGB-Vorschriften über die Nichtfinanzielle ­Berichterstattung“, ­erläutert Theusinger. „Die Pflicht zur Nichtfinanziellen Erklärung regelt ­Paragraf 289 b HGB und was inhaltlich zu berichten ist, ist in Paragraf 289 c HGB ­festgelegt. Diese Berichts­pflichten fallen jedoch ­wesentlich geringer aus als nach der CSRD, und lassen den Unternehmen weitaus ­größeren Spielraum“, ­ergänzt Ilg. Ungemach droht Anwalt Theusinger zufolge durch die Nichtumsetzung der CSRD an ganz anderer Stelle: „Die Prüfung der Nachhaltigkeitsberichterstattung für das Geschäftsjahr 2024 hat für kapitalmarkt­orientierte Unternehmen längst ­begonnen und diese haben dazu bereits ihren Wirtschaftsprüfer beauftragt. Würden diese Leistungen nun durch die ­Verzögerung der ­Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht als sogenannte Nichtprüfungsleistung im Sinne der EU-Abschlussprüferverordnung ­qualifiziert, entstünden erhebliche Unsicherheiten bei den ­Unternehmen, denn der Wirtschaftsprüfer darf grundsätzlich Nichtprüfungsleistungen nur in einem bestimmten Umfang ­erbringen, da sonst ­seine Unabhängigkeit als gefährdet angesehen werden kann. Bei einem Zuviel an Nicht­prüfungsleistungen darf der Prüfer nicht mehr prüfen“, resümiert Theusinger. Hier habe das Institut der Wirtschaftsprüfer mit seinem Rundschreiben vom 14. November für Orientierung gesorgt, indem es die Prüfungsleistungen­ zur ­CSRD für das Geschäftsjahr 2024 in diesen Fällen grundsätzlich als Prüfungs- und nicht als Nichtprüfungsleistung qualifiziert habe. Die Abschlussprüferaufsichtsstelle (APAS) habe sich bisher dazu jedoch noch nicht geäußert. Bei aller rechtlichen Unsicherheit müssen Unternehmen ­vorsorgen und Daten sammeln. Ob ­allerdings die ­Straffungsversuche der Vorschriften durch die EU-Kommission ­schließlich zu einem Weniger-ist-mehr führen ­werden, bleibt ­jedoch äußerst fraglich.

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