Wem die Minute schlägt
Die miserable Work-Life-Balance von Investmentbankern ist Legende – und vielleicht auch bald Geschichte.
„Wenn früh am Morgen die Werksirene dröhnt, und die Stechuhr beim Stechen lustvoll stöhnt“, intoniert Friedel Geratsch von Geier Sturzflug seit den 80er Jahren seine Hommage an die Steigerung des Bruttosozialprodukts. Eine solche Hommage an dieses wichtige Wirtschaftsbarometer hätte auch von den Finanzjongleuren kommen können.
Anders als Geier Sturzflug würde jedoch kein Finanzakrobat eine Stechuhr lustvoll stöhnen lassen, selbst wenn er sich noch so windet. Wie auch? In der Finanzwelt kennt man so etwas nicht. Hier ist vielmehr ein Wetteifern darum angesagt, wer am längsten im Büro sitzt. Die miserable Work-Life-Balance ist Legende – vor allem bei Junior-Bankern in den Hochburgen London und New York. Selbst unter Praktikanten grassiert diese Manie. Um dieser zumindest bei den potenziellen Junior-Bankern von Morgen Einhalt zu gebieten, führte Goldman Sachs im vergangenen Jahr den 17-Stunden-Tag ein. Den Praktikanten für die Sommermonate riet die Bank, um Mitternacht nach Hause zu gehen und nicht vor sieben Uhr morgens zurück ins Büro zu kommen, berichtete damals Reuters.
In der Schweiz, in der Gemütlichkeit großgeschrieben wird, versucht die Bankenwelt ebenfalls der Workaholic-Kultur den Kampf anzusagen. Der Grund: Nachwuchssorgen. Der Ruf von Bankern war ohnehin schon einmal besser, aber dann auch noch der hohe Arbeitsdruck und die langen Arbeitszeiten? Das ist für Junior-Banker nicht mehr sonderlich attraktiv. Andrea Orcel, Präsident der UBS Investmentbank und Bildmotiv dieses Schwarzen Schwans, hat dieses Problem erkannt und verschenkt Freizeit, wie Reuters kürzlich berichtete. Orcels Vorbild sei Kopenhagen. Dort sei ab fünf Uhr nachmittags kein Banker mehr im Büro. Eltern holen ihre Kinder von der Schule oder dem Hort ab und arbeiten später noch von zu Hause.
Ganz so weit wie die Dänen will Orcel dann aber doch nicht gehen: Zwei Stunden Auszeit pro Arbeitswoche gewährt er seinen Mitarbeitern. Die Initiative läuft unter dem Namen „take two“ und gilt laut Finews für 6.000 UBS-Investmentbanker. Das klingt schön, ist aber letztlich doch nur ein Nullsummenspiel. Denn zieht ein Banker seine zwei Stunden Freizeit ein, wird er das nächste Mal zwei Stunden hergeben müssen, berichtet Reuters. Nun gut: zumindest mehr Flexibilität haben die UBS-Banker gewonnen.
Bei einer anderen, weniger großen Schweizer Bankadresse ist das Thema Arbeitszeit ebenfalls in den Fokus gerückt. Bei der Berner Bank Valiant kehrt die Arbeitszeiterfassung für „Kader“ zurück, wie das Internetportal „Inside Paradeplatz“ kürzlich berichtete. Prokurist, Vizedirektor und Direktor: Sie alle können neuerdings jede Minute kompensieren, die sie länger als die vorgeschriebenen 8,2 Stunden pro Tag im Büro sitzen. Doch auch das hat seinen Preis! Eine Woche weniger Urlaub im Jahr: fünf statt sechs Wochen. Wer dabei am Ende gewinnt, wird sich noch zeigen.
Ganz von allein ist die Berner Bank nicht auf diesen Trichter gekommen. Sie setzt lediglich als eine der ersten den Beschluss des Bundesrates vom Herbst 2015 um, wie Inside Paradeplatz weiter ausführt. Dieser hatte per Gesetz das alte System mit Ein- und Ausstempeln wieder eingeführt. In der Schweizer Bankenwelt stöhnt die Stechuhr also mancherorts wieder lustvoll.
In diesem Sinne wünscht die Redaktion von portfolio ein geruhsames Wochenende und verabschiedet sich in eine dreiwöchige Sommerpause.
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