Pensionskassen
16. März 2016

Was vom Tage übrig blieb

Die von der Politik hervorgerufene Geldschwemme bedroht das Schweizer Alters­vorsorgesystem. Dieses bietet dem deutschen Markt ­einen bitteren Vorgeschmack darauf, was passiert, wenn Niedrigzins auf steigende Lebens­erwartung, unstete Kapitalmärkte und unangemessene Regulierung trifft.

Schweizer Wintersportorte darben. Aufgrund der Frankenstärke bleiben viele europäische Gäste weg. Um wenigstens die einheim­ischen Skifreunde bei der Stange zu halten, holte sich der Schweizer­ Tourismusverband für die aktuelle Winterkampagne prominente ­Unterstützung. Hier zeigen sich Wintersportstars, wie Dario Cologna, und der zweite Mensch auf dem Mond, Buzz Aldrin,­ „verliebt in die Schweiz“ – so der Titel der Kampagne. Billig war diese nicht. Zwischen 100.000 und 500.000 Franken sollen pro Spot geflossen sein.

Solche Werbespots mögen im Tourismus funktionieren – obwohl auch das erst noch zu beweisen ist. Für die Pensionskassen der Alpenrepublik, die ebenfalls ein schweres Jahr hinter sich haben, ist dies  keine Option, wenngleich auch sie Werbung in eigener Sache­ gut vertragen könnten. Adressat wären nicht die heimischen Skifahrer und Snowboarder, sondern der Gesetzgeber, der ihnen trotz ­ohnehin schwierigen Kapitalmarktumfelds und der steigenden Lebens­erwartung ihrer Mitglieder Knüppel zwischen die Beine wirft. Ein ­Beispiel: Der Mindestumwandlungssatz in der obligatorischen beruflichen Vorsorge. Dieser gibt den Prozentsatz des angesparten Vermögens einer Pensionskasse an, der Rentnern pro Jahr ausbezahlt wird. Die derzeit festgesetzten 6,8 Prozent sind für die meisten Pensionskassen zu viel. Zur Entlastung nehmen sie Quersubventionen mittels des Satzes für überobligatorische Leistungen vor – also zulasten der aktiven Versicherten. Dieser Satz, den Pensions­kassen selbst festlegen dürfen, driftet immer deutlicher von den 6,8 Prozent ab. Das bestätigt auch die SLI-Benchmarking-Studie 2015, für die Willis ­Towers Watson die Vorsorgepläne von 27 der 30 Gesellschaften im Schweizer­ Leitindex (SLI) untersucht hat. Demnach sank der durchschnittliche Umwandlungssatz bei Pensionierung im Alter von 65 Jahren auf 6,05 Prozent, nachdem es 2013 noch 6,32 Prozent waren. Gern nehmen die Pensionskassen die Umverteilung von aktiven ­Versicherten zu Rentnern nicht vor. Im Gegenteil, wie eine Ende ­November 2015 veröffentlichte Studie der Zürcher Hochschule für ­angewandte Wissenschaft (ZHAW) zeigt. So fordert die Mehrheit der 35  Pensionskassen, die hierfür befragt wurden, eindringlich, die ­Reform „Altersvorsorge­ 2020“ erfolgreich umzusetzen. Darin vorgesehen ist auch eine Absenkung des Umwandlungssatzes für obligatorische Alters­guthaben von 6,8 auf 6,0 Prozent. Verbunden damit ­wäre im Übrigen ein Zinsversprechen von rund 3,5 Prozent, wie die Beratungshäuser Aon Schweiz und Libera anhand der technischen Grundlagen BVG 2015 berechnet haben. Basis dafür waren Daten der Jahre 2010 bis 2014 von 15 großen, autonomen Pensionskassen.

Ein Zinsversprechen von 3,5 Prozent ist sportlich und für die Mehrheit der Schweizer Pensionskassen eine echte Herausforderung. 2015 wäre eine Rendite von „nur“ 2,75 Prozent nötig gewesen, um die Renten zu finanzieren und die Altersguthaben zu verzinsen, und selbst daran ist die Mehrheit gescheitert und musste ihre Reserven anzapfen. Das schwierige Anlagejahr 2015 hat seine Spuren hinterlassen. Gemäß dem BVG-40-plus-Index von Pictet lag die Rendite der von Schweizer Pensionskassen üblicherweise gehaltenen Anlageklassen 2015 bei einem Prozent. Sogar im Minus landete die Publica – zumindest mit den 32 Milliarden Franken an Anlagevermögen, das für 14 offene Vorsorgeeinrichtungen verwaltet wird. Die Nettorendite ­betrug durchschnittlich minus 2,5 Prozent. Deutlich besser erging es den sieben geschlossenen Vorsorgewerken der Publica, deren Vermögen von rund vier Milliarden Franken separat geführt wird. Sie kamen auf 2,1 Prozent. Zum Verhängnis wurde den offenen Vorsorgeeinrichtungen ihr Engagement in Schwellenländern, das 14 Prozent des ­Vermögens ausmacht. Negativ­ wirkten auch die Investments in Rohstoffe,­ die trotz geopolitischer Unruhen mit minus 21 Prozent zu Buche schlugen. Als beste Anlageklasse erwiesen sich die Schweizer Immobilien mit einer Rendite von 6,3 Prozent. Diese dürften im Wesent­lichen dem besseren Abschneiden der geschlossenen Vorsorgeeinrichtungen zugrunde liegen, die 20 Prozent ihres Vermögens in dieser Asset-Klasse angelegt haben. Bei den offenen Einrichtungen sind es nur sieben Prozent. Ein kleiner Trost mag sein, dass 2015 auch andere Schwergewichte der Schweizer Pensionslandschaft litten. Die Vorsorgeeinrichtung der Angestellten des Kantons Zürich (BVK) erlitt 2015 einen Verlust von minus 0,7 Prozent. Schuld waren auch hier ­Investments in Rohstoffe und Emerging Markets. 

Hypotheken, Darlehen und Hedgefonds
In Anbetracht des schwierigen Anlagejahres 2015 stellt sich die Frage: Wo sehen Schweizer Pensionskassen Handlungsoptionen? Eine­ Antwort darauf liefert die bereits erwähnte Studie der ZHAW. Laut dieser haben alle 35 befragten Pensionskassen – darunter die Publica­ und BVK – nach neuen Anlagealternativen­ gesucht und diese auch gefunden, und zwar im Hypothekengeschäft. Die BVK hat beispielsweise­ bereits Hypotheken in Höhe von 817 Millionen ­Franken vergeben. Satt ist sie aber noch lange nicht. Dieser Bereich soll gezielt ausgebaut werden. Dafür verzichtet die BVK sogar auf Alters­limits und wildert auch außerhalb ihrer Versicherungskundschaft.  

Neben Hypotheken stehen Darlehen an nicht öffentlich-rechtliche Institutionen als Anlagealternative hoch im Kurs, obwohl diese ­gemäß BVV2-Regulierung seit Juli 2014 als alternative Anlagen zu klassifizieren sind. Das gilt auch für Senior Secured Loans, Infrastrukturanlagen­ und Immobilien mit mehr als 50 Prozent Beleihungsquote.­ Kein Wunder also,­ dass die Quote der alternativen Anlagen bei Schweizer ­Pensionskassen zuletzt nach oben geschnellt ist – zum Teil recht markant. Ein ­anschauliches Beispiel ist die Migros-Pensionskasse­, deren Alter­natives-Quote von 3,5 auf 11,2 Prozent stieg. Gewichtet über alle 35 Pensionskassen kommen Alternatives auf 5,1 Prozent. Hedgefonds haben daran mit 1,6 Prozent den größten Anteil, gefolgt von Commodities (1,5 Prozent) und Private Equity (1,1 Prozent). Die Vorlieben für bestimmte Alternatives variieren jedoch stark. Hedgefonds haben bei der BVK seit Oktober 2014 ausgedient. Damals wurde ein klares ­Verbot ausgesprochen. Andere Pensionskassen zeigten sich den ­Studienautoren des ZHAW hingegen als glühende Verfechter von Hedgefonds. Speziell ihnen dürfte der Vorstoß des Bundesamts für Sozialversicherung sauer aufstoßen, alternative Anlagen aufgrund der hohen Kosten stärker zu limitieren. Diese Absicht stößt ­jedoch auch bei allen anderen Einrichtungen auf Ablehnung. Entscheidend ist schließlich die Netto-Performance.

Dass Schweizer Pensionskassen nicht kostenbewusst agieren, sollte man ihnen nicht vorwerfen. Immerhin spielen passive Investments eine äußerst große Rolle. Laut der ZHAW-Studie hat gut ein Drittel sogar mehr als 50 Prozent der eigenen Assets under Management passiv investiert. Als Grund nennt beispielsweise die Pensionskasse SBB, die 2015 eine Anlagerendite von 1,5 Prozent erzielte, die ­Effizienz der Märkte. Die Vorsorgeeinrichtung der Schweizer Bundesbahn geht davon aus, dass sich die Märkte weitgehend effizient ­verhalten. Und in effizienten Märkten sei eine nachhaltige Outperformance von aktiven Managern nicht zu beobachten. Daher werde­ ohne spezielle Begründung kostengünstigen passiven Anlagen der Vorzug gegeben. Auch die BVK traut weder sich selbst noch anderen Marktteilnehmern eine überdurchschnittliche Prognosefähigkeit zu und ­investiert in ihren Core-Anlagen grundsätzlich indexnah, sprich ­passiv. Anders sieht es in den Satellitenanlagen aus, in denen aktiv in ineffiziente Märkte, wie Small Caps, Schwellenländer oder alternative Anlagen, investiert wird. „Die Musik spielt in den Satelliten“, erklärte ein Anlage­verantwortlicher, der in der Studie befragt wurde.

Bei diesem Musizieren wird vornehmlich auf externe Asset Manager gebaut. Doch nicht nur hier. Auch in den Core-Anlagen ist externe Expertise gefragt. Laut der ZHAW-Studie werden über 60 Prozent der untersuchten Anlagevermögen extern verwaltet. Zehn Pensionskassen arbeiten mit mehr als 20 verschiedenen externen Asset Managern zusammen. Weitere sechs Einrichtungen kooperieren mit elf bis 20 verschiedenen Managern. Diese hohe Zahl erstaunt. Und sie erstaunt noch mehr, wenn man die Größe der Einrichtungen berücksichtigt. Die Korrelation zwischen Anlagevolumen und Anzahl externer Asset Manager fällt nicht so eindeutig aus, wie man erwarten könnte. Zwar gibt es bei kleinen und mittleren Kassen überproportional viele, die maximal sechs externe Mandate vergeben. Doch vor allem die Zusammenarbeit mit 20 oder mehr Asset Managern ist sowohl bei mittleren als auch großen Pensionskassen weit verbreitet.

Track Record „sowieso manipuliert“
Wenn es an die Auswahl von Managern geht, steht der Track ­Record mit weitem Abstand ganz oben auf der Kriterienliste. Nur eine Pensionskasse – allerdings eine gewichtige, wie die ZHAW-Studienautoren betonen – sprach sich explizit gegen dieses Kriterium aus, weil es „sowieso manipuliert“ sei. Offerten bezüglich Konditionen spielen nur eine untergeordnete Rolle. Einige Befragten sagten: Es bringt nichts, den Mandatsträger in puncto Kosten unter Druck zu setzen. Schließlich geht es um langfristige Geschäftsbeziehungen. Sollten­ einige Vertriebsleute­ nun glauben, sogleich bei Schweizer Pensionskassen durchklingeln zu können und sich für ein Mandat zu positionieren, so sei ihnen gesagt: Das bringt nichts. Bei der Identifizierung neuer Manager ergreift mehrheitlich der interne Anlageverantwortliche die Initiative – nicht umgekehrt. Die Pensionskasse SBB hat beispielsweise eigens dafür einen Fachbereich ­„Managerselektion“ mit drei Mitarbeitern. Auch ein anderer Teilnehmer der ZHAW-Studie fand klare Worte: „Von manchen Asset Managern werden die Erfolgschancen von Eigen­initiativen oder gar Cold Calls total überschätzt.“ Um ein neues Mandat zu gewinnen, sollten Asset Manager lieber ­ihre bestehenden Kunden pflegen, die dann für sie sprechen und die ­Werbetrommel rühren. Denn wie die Studie ebenfalls zeigt: Referenzen anderer Pensionskassen spielen bei der Auswahl von Managern für einen Großteil (44 Prozent) eine wichtige­ Rolle.  

Von Kerstin Bendix

portfolio institutionell, Ausgabe 02/2016

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