Jahreskonferenz
9. September 2022

Von ESG-Vorreitern und von Thukydides

Zum Ende der Jahreskonferenz drehten sich die Themen im großen Ballsaal des Waldorf Astoria wieder um Nachhaltigkeit. Eine Session am Nachmittag widmete sich der Perspektive von ESG-Vorreitern. In seiner fulminanten Abschlusskeynote zeichnete Professor Dr. Sebastian Heilmann von der Universität Trier dann ein neues weltpolitisches Koordinatensystem – und zeigte, wie China und die USA ihre „Technosphären“ auseinanderziehen.

Erneuerbare Energien, Impacts, Alternatives und Biodiversität – das Thema Nachhaltigkeit zog sich wie ein roter Faden durch die portfolio institutionell Jahreskonferenz. Dementsprechend klar positionierte sich zum Beispiel auch Anna-Lena Budde, stellvertretende Geschäftsführerin bei der NKVK (Norddeutsche Kirchliche Versorgungskasse), auf dem Nachhaltigkeitspanel zu der Frage, ob Investments in China und Russland aus der ESG-Perspektive noch in Frage kommen sollten beziehungsweise können. Anna-Lena Budde beschrieb hier ihren Ansatz, der „gar keine Berührungspunkte mit dem Thema Russland und Ukraine“ auf Länderebene habe. Das Thema sei zum einen infolge der Risikobetrachtung herausgefallen. Zum anderen habe man bei Corporates auch geschaut, „inwiefern es Verflechtungen der jeweiligen Unternehmen mit Staaten gibt, die wir ausgeschlossen haben und wie stark der staatliche Einfluss hier ist“. Das betreffe vor allem Investitionen in China und Russland. „Diese Herangehensweise ist weiterhin schwer messbar“, sagte sie. Damit riss die Kapitalanlegerin ein Thema an, welches die anschließende Abschlusskeynote von Professor Dr. Sebastian Heilmann von der Universität Trier dominieren sollte: die immer offener ausgetragene geopolitische und wirtschaftliche Rivalität zwischen den USA und China, welches auf eine „neototalitäre Entwicklung“ zulaufe, so Heilmann.

Zunächst ging es auf dem Nachhaltigkeitspanel aber um Fragen der täglichen Umsetzung von ESG, wie zum Beispiel um die, wie stark Ausschlüsse das Investmentuniversum einschränken, und wie hoch der Tracking Error von ESG-Fonds gegenüber ihren oft konventionellen Benchmarks denn sein darf. Moderator Dr. Peter König, Managing Partner bei Delta Management Consulting, fungierte in dieser Runde der „Afficionados“ – also der nachhaltigkeitsbegeisterten Investorinnen und der auf dem Podium vertretenen Asset Manager PGIM und NN Investment Partners – teilweise als selbsterklärter „Advocatus Diaboli“. Er hinterfragte, inwiefern durch den Fokus auf Nachhaltigkeit Renditeziele eingebüßt werden.

Anna-Lena Budde, die für die NKVK deren Vermögenswerte von gut zwei Milliarden Euro verwaltet und erklärtermaßen eine Duration von circa 35 Jahren auf der Passivseite für ihre Anlagestrategie berücksichtigen darf, sprach sich hier für langfristiges, zukunftsfähiges Investieren aus: „Bei dem Blick auf unsere Passivseite interessiert mich doch nicht ein Quartalsbericht, der Blick auf ein Jahr, sondern ich brauche eine Idee dafür, welche Anlagen zukunftsfähig sind und bei denen das Rendite-Risiko-Profil stimmt. Wo wird ein Investment in den nächsten Jahren stehen? Es wird zukünftig interessieren, was wir erreicht haben, um die Welt ein bisschen besser zu machen, und nicht, ob ich 0,2 Prozent mehr oder weniger im Portfolio erwirtschaftet habe. Wir haben an der Stelle eine ganz klare Verantwortung.“

 

Anna-Lena Budde von der NKVK erläuterte ihr Vorgehen bei Ausschlüssen von Staaten wie Russland und China.

 

Trotz der Nachhaltigkeitsausrichtung ist der Fixed-Income-Anteil naturgemäß hoch im Portfolio der Altersvorsorge-Anlegerinnen. Bei den Hannoverschen Kassen beläuft er sich sogar auf fast 90 Prozent. Hinzu kommen Immobilien, Beteiligungen, und Erneuerbare Energien sowie grundschuldbesicherte Darlehen. Jana Desirée Wunderlich, Leiterin Kapitalanlagen der Hannoverschen Kassen, führte aus, wie das hausinterne ESG-Rating-System über alle Asset-Klassen hinweg funktioniert: „Es ist egal, ob es eine Unternehmensanleihe, eine Staatsanleihe oder ein grundschuldbesichertes Darlehen ist – am Ende landen alle in der Systematik von eins bis vier.“ Wobei eins gleichbedeutend mit dem Vorreiter sei und vier bedeutet: „nicht nachhaltig“.

 

Jana Desirée Wunderlich von den Hannoverschen Kassen nutzt auch Positivkriterien für die ESG-Bewertung ihrer Assets.

 

Das Portfolio sei demnach zu 100 Prozent nach Nachhaltigkeitskriterien bewertet. 73 Prozent erfüllen die Nachhaltigkeitskriterien vollumfänglich, darin enthalten ist ein relativ geringer Anteil an Vorreitern (5,7 Prozent). Etwa 25 Prozent der Assets liegen im neutralen Bereich. Ein Restbestand von 1,3 Prozent des Portfolios wird als nicht nachhaltig eingestuft. „Diese Anlagen veräußern wir, wenn es wirtschaftlich sinnvoll ist. So haben wir zum Beispiel Frankreich noch im Portfolio, obwohl wir es aufgrund des Besitzes von Atomwaffen ausgeschlossen haben. Bisher war es jedoch für uns nicht wirtschaftlich, französische Staatsanleihen zu verkaufen“, erläuterte Wunderlich.

Als Nachhaltigkeitsvorreiter definieren sich auch die beiden Asset Manager auf dem Panel: Beide, NN Investment Partners und PGIM, haben sich früh selbst zur ESG-Integration committet. Nicht alle Asset-Klassen ließen sich hier gleich gut vereinnahmen – bei Private Debt habe der Prozess der ESG-Integration länger gedauert, so Wolfgang Sussbauer, Head of Germany & Austria von PGIM Fixed Income: „Wir haben die PRI 2015 unterzeichnet, aber bei Private Debt hat der Anpassungsprozess länger gedauert; hier war einfach die Datenqualität nicht gegeben und die Mittelstandsfirmen, in die man investiert, hätten die ESG-Kriterien nicht erfüllen können.“ Mittlerweile habe man aber auch bei der Immobilienanlage eine „echte ESG-Integration“ erreicht.

Diskussion um Greenwashing und Preisblasen

Auch auf das Thema Greenwashing ging Moderator König ein. Inka Schulte, Senior Sales Director Institutionals bei NN Investment Partners, der seit jüngstem zu Goldman Sachs Asset Management gehört, grenzte sich hier ab. Sie machte an einem einfachen Beispiel deutlich, wie man durch Ausschlüsse zwar sein Durchschnitts-Rating hinsichtlich ESG verbessern kann – dies aber längst nichts mit einer ehrlichen Nachhaltigkeitsbewertung zu tun habe: „Das ist Augenwischerei! Wenn ich einfach ein paar Versorger in meinem Portfolio weglasse, habe ich plötzlich einen viel besseren CO₂-Footprint. Dadurch mag mein Portfolio im Durchschnitt einen besseren ESG-Score aufweisen, aber für das Nachhaltigkeitsprofil des Investments ist in Wirklichkeit nicht viel erreicht worden.“ Um sich für einen Fonds nach Artikel 8 der Offenlegungsverordnung zu qualifizieren, reiche das nicht aus. Wenn man sich dagegen ansehe, was ein Artikel-8-Fonds können soll, nämlich zur Förderung von nachhaltigen Investments dienen, dann müsse man sich die Unternehmen im Detail ansehen. „Bei uns ist deshalb die Analyse der Risikokriterien E, S und G integraler Bestandteil der Fundamentalanalyse, und zwar für jeden Titel. Daneben betrachten wir auch, wofür das Unternehmen steht“, so Schulte. „Gibt es da womöglich Kontroversen, oder stimmt die generelle Ausrichtung der Firma nicht? Ein nachhaltigeres Portfolio lässt sich nur durch die genaue Analyse der Einzeltitel erreichen.“

Auch die Frage nach Preisblasen am Markt für ESG-Titel wurde im Panel diskutiert, wobei sich daran auch gleich die Frage anschloss, was ein ESG-Titel überhaupt ist. Die Zugehörigkeit von Tesla zum ESG-Universum wurde jedenfalls seitens Jana Desirée Wunderlich von den Hannoverschen Kassen stark bezweifelt. Womit wir bei den USA angelangt wären. Und diese steuern, glaubte man den anschließenden Ausführungen von Prof Dr. Sebastian Heilmann von der Universität Trier, auf einen neuen, sich vor allem im Technologiebereich zeigenden, „Kalten Krieg“ mit China zu. In einem fulminanten Vortrag legte der Inhaber des Lehrstuhls für Politik und Wirtschaft Chinas an der Universität Trier – und einer der profiliertesten Chinaforscher Europas – dar, wie China sich mit seinem Industriepolitikprogramm „Made in China 2025“ von ausländischen Technologien und Märkten abzukoppeln sucht. Die Chinesen hätten vor allem aus der Finanzkrise von 2008 den Schluss gezogen, dass die westlichen Demokratien nicht als Vorbild im Systemwettbewerb taugen. „Die chinesische Story ist: Wir bauen den Sozialismus chinesischer Prägung für das 21. Jahrhundert!“ Bis zur Finanzkrise sei die chinesische Führung noch davon ausgegangen, dass der Westen weiß, wie Zukunft geht. „Wenn in den USA das Kapitol von Trump-Anhängern gestürmt wird, dann ist das für China ein klares Zeichen für eine Verfassungskrise und man folgert: Das kommt wieder“, erläuterte Heilmann. Er ist zudem Gründungsdirektor des Berliner Think Tank Mercator Institute for China Studies, welches im März 2021 von der chinesischen Regierung mit Sanktionen belegt wurde. In seinem Vortrag widmete sich Heilmann eminent wichtigen Fragen der institutionellen Kapitalanlage bezüglich China-Assets: Rechtssicherheit, Eigentumsrechte, dem Zugang von westlichen Investoren zu Low Correlation Assets und den Risiken, die mit Investments in China für diese Investoren verbunden sind. Dabei ging es zunächst um geopolitische Sicherheitsinteressen der beiden Antagonisten und ein international stark verschobenes Koordinatensystem.

 

China-Experte Prof. Dr. Heilmann sieht die Welt in der Thukydides-Falle. Assets müssten auf ihre geopolitischen Risiken hin überprüft werden.

 

Der Hegemonialkonflikt mit den USA – das sei der eigentliche Ursprung der Spannungen der EU, Japans und Australiens mit China. Und an der Stelle bringt Heilmann in seinem Vortrag den antiken griechischen Geschichtsschreiber Thukydides aus dem fünften und vierten Jahrhundert vor Christus in Spiel. Dieser analysierte einst den Überholvorgang Athens gegenüber Sparta. Er kam zu dem Ergebnis: „Wenn eine Führungsmacht abgelöst werden soll durch eine emporkommende Macht, gibt es unausweichlich Krieg! Denn die Führungsmacht wird es nie erdulden, ihre Position aufzugeben. Und die emporkommende Macht wird es nie erdulden, kleingehalten zu werden von der alten Führungsmacht.“ Dieses Konzept werde in der Forschung auch als Thukydides-Falle bezeichnet. Heilmann betonte die Aktualität dieses Konzepts in der Gegenwart. „Es muss nicht unbedingt auf einen Krieg hinauslaufen, aber der strukturelle Konflikt zwischen China und den USA ist unvermeidlich!“ Das implizite Leitbild Chinas sei – „und das wird auch uns treffen, insbesondere die deutscheIndustrie, die Exporteure, die Lieferketten – eine möglichst autarke Festung China.“ Hier gehe es nicht um eine pauschale Abschottung, sondern um die Neuordnung der Außenbeziehungen im nationalen Interesse Chinas und in langfristiger Perspektive. „Das alles dient der Reduktion von Verwundbarkeiten, von Abhängigkeiten – das ist das Ziel.“

Multipolar – und konfliktträchtig

Wohlstandverluste, Wachstumsverluste seien damit verbunden und vor allem ein neues geopolitisches Koordinatensystem, in dem China wie die USA versuchen, ihre technologischen Assets – ihre „Technosphären“ auseinanderzuziehen, so Heilmann. Er datiert die Hochphase der Globalisierung oder auch „Pax Americana“ auf 1991 bis 2021 – also auf die vergangenen 30 Jahre. „Damit haben auch Sie gearbeitet, als institutionelle Anleger“, spannt der Professor den Bogen, „und jetzt sind wir klar eingetreten in ein neues, multipolares Koordinatensystem, das charakterisiert ist durch die Wiederkehr offener Großmacht- und System-Konflikte, angetrieben von militärischen und ökonomischen Sicherheitsbedrohungen, begleitet von technologisch-wirtschaftlichen Entkopplungsschritten.“ Die Systemkonflikte bilden sich entlang der Antagonisten China/Russland einerseits und den USA, der EU, Japan, Kanada, Australien und Großbritannien auf der anderen Seite. Daneben gebe es eine ganze Reihe von Schwellenländern und Mittelmächten, wie zum Beispiel Indien oder Indonesien, die unbedingt vermeiden wollen, sich entweder zu den USA oder zu China bekennen zu müssen. In einem Politbürobeschluss von 2017 habe das Politbüro der KP Chinas klare Vorgaben für die Neugestaltung internationaler Wertschöpfungsketten gemacht. „Damals hieß es: China muss autonome und kontrollierbare Wertschöpfungsketten aufbauen. Unabhängig, vor allem technologisch, von den Amerikanern, aber auch von deren Alliierten.“ Doch auch die USA treiben diesen Entkoppelungsprozess nun „mit einer ganzen Batterie an Regulierung“ voran. Ein wichtiges Beispiel dafür ist die „Bipartisan Innovation Bill“, ein Gesetzesvorhaben, von dem der Ende Juli vom Kongress verabschiedete und im August von US-Präsident Biden unterzeichnete „Chips-Act“ nur eine Komponente ist. „Tatsächlich handelt es sich auch bei diesem „Chips Act“ schon um einen Game Changer, so Heilmann. „Denn alle Firmen, die nun in den USA investieren oder produzieren und zugleich staatliche Subventionen erlangen wollen, müssen ihre China-Geschäfte zumindest in den Spitzentechnologien der Chip-Industrie nun gleichsam „einfrieren“ oder sogar aktiv reduzieren.“

Was heißt das für institutionelle Investoren aus dem Westen? Die kurze Antwort von Professor Heilmann ist: „Sie werden alle Ihre Assets nach und nach prüfen müssen auf ihre spezifischen geopolitischen Risikoprofile.“ Dabei sieht er krasse Unterschiede in der Bewertung von Unternehmen nach diesen geopolitischen Risiken. Während Apple und Tesla hohe Umsätze in China machten, seien die Umsatzanteile von Microsoft und beispielsweise Alphabet vernachlässigbar. Innerhalb der Unternehmen gebe es eine enorme Streuung und eine Diversifizierung dieser Risikoprofile. Um seinen Standpunkt zu verdeutlichen, wählt Heilmann unter anderen ein drastisches Beispiel: Es habe in China fantastische Educational-Tech-Unternehmen und die besten Coding-Einführungskurse der Welt gegeben, die man weltweit hätte vermarkten können. „Dann hat die chinesische Regierung einfach gesagt: Bildung darf nicht kommerziell sein! – und alle diese Unternehmen mussten die lukrativsten Teile ihres Geschäftsmodells aufgeben, mit verheerenden Folgen für den Börsenkurs. So etwas kann und wird auch in Zukunft chinesischen Unternehmen passieren, die der herrschenden Kommunistischen Partei in die Quere kommen. Wir haben tatsächlich keine gesicherten Rechtstitel, wir haben keine Rechtsstaatlichkeit.“ Obwohl das Wort Governance nicht fiel, war klar: Heilmanns Vortrag drehte sich auch im Kern um ESG und die Nachhaltigkeit von Investments.

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