Strategien
27. Februar 2019

Unwucht in der ESG-Welt

Der Klimawandel dominiert die Umweltdebatte in der Gesellschaft. Die Politik konzentriert sich immer mehr auf die Reduzierung des CO₂-Ausstoßes. Doch wo bleiben die sozialen ­Faktoren von ESG – ­also die Ethik im Portfolio? Unter Investoren, Experten und Asset Managern herrscht (noch) eine große Kakophonie.

Auch der Asset Manager DJE setzt stark auf den Dialog mit den ­einzelnen Unternehmen über ESG-Themen. Zum Jahreswechsel hat man zudem sämtliche Fonds auf grundsätzliche Ausschlusskriterien im Rahmen einer übergreifenden Nachhaltigkeitsstrategie umgestellt. „Generell legen wir einen Schwerpunkt auf das E bei ESG, also ­Environment. Denn das ist der treibende Faktor für mehr Nachhaltigkeit“, sagt Florian Bohnet, Head of Research & Portfoliomanagement und Fondsmanager bei DJE. „Wir treffen jährlich im Schnitt mehr als 800 Unternehmen. Bei mehr als 50 Prozent unserer Unternehmens­meetings sind sogar die Vorstände dabei. Das ist die ideale Möglichkeit,­ neben finanziellen Aspekten, vermehrt auch Nachhaltigkeitsaspekte zu thematisieren.“

Die sozialen Dimensionen von Nachhaltigkeit, die die Agenturen­ bei den Unternehmen bewerten, beziehen sich konkret auf Menschen- und Arbeitsrechte, die Gesundheitsversorgung und den Arbeitsschutz in großen Unternehmen. Die Fragestellung erstreckt sich auch auf die Ebene der Zulieferer und Lieferanten. Unterteilt werden die drei Dimensionen von ESG bei Imug Rating und Vigeo Eiris in verschiedene­ Oberkriterien. „Wir untersuchen in der ESG-Bewertung über 300 Nachhaltigkeits-Indikatoren in 38 Oberkriterien. Zwar sind die ­Oberkriterien mit Sozialbezug mit etwa 50 Prozent quantitativ ­häufiger vertreten, durch unsere ausgewogene Bewertungsmethodik werden aber die Bereiche Ökologie und Governance gleichermaßen stark ­gewichtet.“ erläutert Michael Zahn, Head of Client Relations bei Imug Rating, die Systematik. Je nach Unternehmen würden jeweils 20 bis 25 Oberkriterien aktiviert und dann unterschiedlich stark gewichtet, auch das wiederum abhängig von Wesentlichkeit und Branche.

Um negative Auswirkungen der Geschäftsaktivitäten zu erfassen und in das Rating zu integrieren, orientieren sich die Agenturen an ­international anerkannten Standards, wie dem UN Global Compact, den ILO-Kernarbeitsnormen oder den Sustainable Development Goals der UN. Im UN Global Compact sind zehn Prinzipien festgelegt, die ­Unternehmen in Bezug auf Menschen-, Arbeitsrechte und im ­Umgang mit natürlichen Ressourcen einhalten sollen. „Bricht ­beispielsweise ein Unternehmen mit diesen Prinzipien, würde das über tagesaktuelle Kontroversrecherchen erfasst und kann je nach Schweregrad das Rating sofort beeinflussen“, so Zahn.

Kontroversen werden in den Reports der Nachhaltigkeitsagentur ­festgehalten und führen zu Abwertungen, die beibehalten würden, so lange die Missstände weiter bestehen, weiß Kristina Rüter, Head of Methodology bei der Agentur ISS-Oekom. „Im Fall des Minenbetreibers Vale war das Rating in zentralen Bereichen wie Human Rights, Health & Safety und Mining & Ore Processing infolge eines vergleichbar­ tragischen Dammbruchs an der brasilianischen ­Samarco-Mine vor nur drei Jahren noch abgewertet, da das Unternehmen seither keine überzeugenden Gegenmaßnahmen hatte ­vorweisen können.“ So deutete die Bewertung von Vale auch schon vor dem ­erneuten Unfall auf fortdauernde Risiken hin. „Das aktuelle Unglück bestätigt die Einschätzung, dass das Unternehmen die massiven und wachsenden Risiken, die der Betrieb der riesigen und teilweise sehr alten Aufbereitungsschlamm-Rückhaltebecken mit sich bringt, ­weiterhin nicht beherrscht“, so Rüter.

Die Methodik ist komplex. ISS-Oekom nutzt über 800, überwiegend branchenspezifische Indikatoren, die die Nachhaltigkeits-Performance bewerten. „Diese haben wir auf Basis unseres Nachhaltigkeitsverständnisses und unter Berücksichtigung international anerkannter­ Normen und Standards sowie wissenschaftlicher Erkenntnisse selbst entwickelt und operationalisiert“, sagt Kristina Rüter. Unter den ­branchenübergreifenden Indikatoren, die beispielsweise die Behandlung von Mitarbeitern, Arbeitsrechte, Menschenrechte sowie ­allgemeine Umweltmanagement-Ansätze bewerten, sind 60 Prozent soziale Indikatoren, bei den branchenspezifischen Indikatoren sind dagegen die umweltbezogenen in der Überzahl. Aus diesem großen Pool kämen auf Grundlage einer Wesentlichkeitsanalyse jeweils pro Unternehmen zwischen hundert und 140 Indikatoren zur Anwendung.­ Je nach Branche können hier entweder soziale oder umweltbezogene Indikatoren die Mehrheit stellen. Neben der Anzahl der Indikatoren spiele aber die sektor-spezifische Anwendung und Gewichtung eine ungleich größere Rolle: „Soziale Themen können sehr wesentlich sein und mit hohem Gewicht in die Bewertung einfließen: So etwa Datenschutz bei Internetfirmen, Verantwortung für Patienten in der Gesundheitsbranche, Arbeitssicherheit und Menschenrechte bei der Rohstoff- und Schwerindustrie und Arbeitsstandards für Zulieferer der Textil- und Elektronikhersteller“, erläutert Rüter.

Manche Investoren beurteilen die Erhebungsmethoden der Agenturen­ als nicht eindeutig genug und nicht zielführend: „Ich glaube fest ­daran, dass wir beim Thema Nachhaltigkeit Konstrukte aufbauen, die am Ziel vorbeigehen“, mahnt Dr. Uwe Dyk, Leiter Kapitalanlagen bei der Karl Schlecht Stiftung. „Wir haben uns intensiv mit den ESG-Ratings­ beschäftigt. Als Stiftung födern wir die humanistische ­Charakterbildung von potenziellen und aktiven Führungskräften. Bei der Kapitalanlage ist uns wichtig, dass das Unternehmen langfristig gute Erträge erwirtschaftet, was für uns auch ein Signal für Nachhaltigkeit ist. Wir konzentrieren uns hier auf den Governance-Aspekt.“ Die Stiftung arbeitet zudem mit einigen Ausschlusskritierien, so sind zum Beispiel Rüstungs- und Atomenergiekonzerne tabu, aber auch Banken. „Banken haben wir wegen ihrer Krisenanfälligkeit nicht im Portfolio, ansonsten investieren wir im Aktienbereich in dividendenstarke Unternehmen und Growth-Titel weltweit. Nachhaltiger ­Unternehmenserfolg beruht auf verantwortungsvollem Verhalten den Kunden und Mitarbeitern gegenüber.“ Und außerdem meint Dyk: „Wenn eine Aktiengesellschaft Produkte nach ethischen Kritierien entwickelt, dann helfen wir ihr hingegen nicht damit, indem wir ihre Aktien kaufen, das füllt primär die Kassen der Anleger und dient nicht unbedingt der Unternehmensentwicklung. Anders ist es nur bei der Erstzeichnung oder einer Kapitalerhöhung und eventuell bei ­Anleihen. Das vergessen beim Thema Nachhaltigkeit viele.“

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