Asset Manager
10. Juli 2013

Unterschwelliges aus den Schwellenländern

Wachstum und hohe Ausschüttungen: Bei Schwellenländeraktien wird das Wunschbild der Investoren Realität. Aller­dings bestehen einige Besonderheiten. Im Interview Mitte Mai spricht der Emerging-Markets-Experte Mark ­Mobius nicht nur über die Chancen, sondern auch über das russische Rechtssystem und chinesische Gehirnwäschen.

Deutsche Investoren öffnen sich gegenüber Emerging-Market-Aktien, auch wegen der ­Dividenden. Bedenken bezüglich der Liqui­dität bestehen aber nach wie vor. Wie empfehlenswert sind Investments in diesen Tagen?
Am besten investiert man dann, wenn man Geld hat. Zurzeit sind die Emerging Markets nicht besonders hoch bewertet. Im Durchschnitt liegen das KGV bei zehn und die Dividendenrenditen bei drei Prozent. In den Frontier-Märkten liegt die Dividendenrendite bei 4,5 Prozent. Seit Jahresanfang hinken die Schwellenländer auch hinterher.
Das Problem ist, dass viele Investoren ­erwarten, dass die Emerging Markets kontinuierlich steigen. Wer Yields sucht, findet aber in den Schwellenländern viele Möglichkeiten und kann auch derzeit kaufen.

Den Kursrückgang müssen die Investoren aber bilanzieren.
Das ist das Problem. Andauernde Marktwertbilanzierungen machen insbesondere für Pensionsfonds keinen Sinn. Pensionsfonds haben eigentlich einen langfristigen Anlagehorizont. Leider nehmen sie diesen nicht ein.
Was wir aber erkannt haben: ­Bullenmärkte haben einen sehr langen Atem. Bärenmärkte dauern dagegen nur kurz an. Man muss also investiert sein und kann bei passenden Gelegenheiten nachkaufen.
Die Ausschüttungen bleiben aber auch, wenn die Unternehmenspreise fallen. Tatsächlich werden die absoluten Ausschüttungen steigen.

Wie ist es denn um Quellensteuern bei Schwellenländerdividenden bestellt? Sind Rückforderungen möglich?
In den meisten Schwellenländern kommt es nicht mehr zu Steuereinbehaltungen. Wenn doch, kann man manchmal diese ­Steuern zurückfordern. Normalerweise ist dies aber nicht möglich, weil es wegen der Vielzahl unserer Investoren zu kompliziert wäre. Zum Beispiel verbleiben in Indien 18 Prozent der Dividende beim Staat.

Stimmt Ihr Dauer-Mantra wirklich immer noch, dass die Emerging Markets der „place to be“ sind? Mit Blick auf die Politik gibt es viele neue Unwägbarkeiten.
Erstens: Wir sprechen hier immer von Emerging Markets und nicht von einem Markt. Die Streuung über verschiedene Märkte reduziert das Risiko deutlich. Außerdem gibt es Tausende von investierbaren ­Unternehmen. Ein Portfolio mit allen Schwellenländern ergibt eine geringere Volatilität, als sie der deutsche Markt allein aufweist.
Zweitens: Politische Risiken gibt es überall. Hierin unterscheiden sich die Emerging Markets nicht von den etablierten Märkten. Mit politischen Risiken verbindet man bei Schwellenländern die Konfiszierung von ­Assets und Devisenkontrollen. Im Augenblick machen wir uns in dieser Hinsicht nur bei zwei Ländern Sorgen: Argentinien und Venezuela. Wir können uns aber auch mit ADRs (American Depository Receipts) und anderen US-Unternehmen behelfen.

Uns würde da noch Russland einfallen.
Man kann problemlos Geld aus Russland rein- und rausbringen. Außerdem haben wir es nie erlebt, dass die Regierung Assets konfiszierte.

Yukos wurde aber vom Staat zerschlagen. Der damalige CEO und Großaktionär Chodorkowski sitzt in Haft. Amnesty International hält die Verurteilung für politisch motiviert.
Wir waren in Yukos nicht investiert. Aktien­auswahl ist genauso wichtig wie Diversifikation. Yukos war auch ein sehr untypischer Fall. Ich bezweifle, dass es in abseh­barer Zeit wieder einen vergleichbaren Fall geben könnte.
Ich habe mit Chodorkowski gesprochen. Er machte einen sehr netten und sympathischen Eindruck. Mir kamen aber Bedenken, dass er es mit seiner Strategie, die konträr zu den Geschäftsgewohnheiten in Russland war, übertrieb.     

Wenn Chodorkowski entlassen wird, wird es für möglich gehalten, dass er seine politischen Ambitionen wieder aufnimmt und sogar ­Putins Nachfolger werden könnte.
Das bezweifle ich.

Dass er entlassen wird oder dass er in die ­Politik geht?
Beides.

Wird sich Russland denn nie zum Positiven entwickeln?
Ich spüre, dass Russland liberaler wird. Die Geschwindigkeit der Liberalisierung ­bestimmt aber Russland und ist nicht sehr hoch. Aber sie haben erkannt, dass eine ­solche Entwicklung der richtige Weg ist, um die Menschen und die Unternehmen zu ­halten und zu ermutigen. Aus dem Entschluss Putins, Staatsunternehmen zu ­privatisieren, lässt sich einiges ablesen.

Ist es für die Unternehmensanalyse ein wichtiger Aspekt, ob der Staat in einem Unternehmen beteiligt ist?
Sehr gute Frage! Die Antwort hängt vom jeweiligen Staat ab. In China ist die Corporate Governance sehr gut, und Minderheits­aktionäre werden sehr gut geschützt. In ­Brasilien ist dies nicht der Fall. In Russland hat sich die Situation verbessert. Definitiv ziehen wir es in Russland vor, mit dem Staat zu investieren. Bei Sberbank sind wir und der Staat Kreditgeber. Wenn man fair behandelt wird, ist das ein großer Vorteil, weil ein Bankrott sehr unwahrscheinlich ist.  

Welche Unwägbarkeiten verbinden Sie mit dem arabischen Frühling, Syrien und Nordkorea für Schwellenländerinvestoren? Kann man diese Risiken überhaupt messen?
Wir haben das alles im Auge. Vor kurzem war ich in Südkorea, um die Gefahren eines Krieges mit Nordkorea einschätzen zu ­können. Diese Gefahr ist aber sehr gering. Einfach auch deshalb, weil Nordkorea für ­einen Krieg Unterstützung seitens China bräuchte. China hat daran aber überhaupt kein Interesse. China will nicht wieder einen Krieg mit den USA. Außerdem starb bereits Mao Zedongs Sohn im Koreanischen Krieg. Und Südkorea hat auch keinen Anreiz für ­einen Krieg.
Über diese Dinge muss man sich ein ­Urteil bilden und dann eine Anlageentscheidung treffen. Beispiel Argentinien: Die Frau, die Argentinien führt, schafft ein Chaos. Die Unternehmen in Argentinien sind aber okay. Sie verdienen Geld und zahlen Dividenden. Viele dieser Unternehmen haben auch gar kein Business in Argentinien. Wir fragen uns also, ob die wahrgenommenen Risiken für uns positiv sein können, weil sich für uns Opportunitäten ergeben. Oder auch Nigeria: Nigeria wird als ein sehr risikoreiches Land wahrgenommen. Wir können dort aber aufgrund der Unterbewertungen Opportunitäten finden.

Wie liquide sind eigentlich Investments in ­Nigeria?
Viele, aber nicht alle Schwellenländer weisen eine gute Liquidität auf. In Vietnam benötigten wir zum Beispiel viel Geduld. Wir haben drei Jahre gebraucht, um uns an ­verschiedenen Unternehmen mit fünf bis zehn Prozent zu beteiligen. Die Illiquidität dort erweist sich nun aber als Vorteil, da wir  Anfragen von strategischen Investoren bekommen, ob wir das ganze Paket mit ­einem Aufschlag von 80 Prozent zum Marktpreis verkaufen wollen.   

Kürzlich verließ Jim O’Neill, der Erfinder des Akronyms ‚Bric‘, Goldman Sachs. Ist damit auch der Begriff Geschichte?
Dieses Konzept war sehr gut. Auf diesem Konzept konnten wir einige Fonds auflegen. Es mag sein, dass der Index in jüngerer Zeit underperformt hat, weil das Geld temporär in Small Caps und andere Schwellenländer ging. Aber es gibt in den Bric-Ländern viele Unternehmen, in die man sehr erfolgreich investieren kann.
Wichtig ist: Der Index ist nur ein Aspekt, der andere ist die Titelauswahl. Man muss sich auch vergegenwärtigen, wie sich der ­Index zusammensetzt. Petrobras macht 14 Prozent des brasilianischen Index aus. In Russland kommen Gazprom, Sberbank und Lukoil auf 50 Prozent des MSCI Russia, und in China machen Banken über 20 Prozent des MSCI China aus. Indizes haben also ­einen Fabrikationsfehler.

In der Branche wollen alle die Fonds ­gegen den Index und Peer-Gruppen ver­gleichen. Auch unsere Kunden fragen ­danach. Aber wen interessiert denn das? Ich will mich doch von meinen Peers unterscheiden. Ich will was Nützlicheres tun, als meine Peers zu schlagen und in jedem Zeitraum über dem Index zu liegen.
Wichtiger ist doch, in welchen Sektoren unsere Unternehmen tätig sind, welche ­unserer Unternehmen gut geführt werden, welche eine gute Corporate Governance ­haben! Beispielsweise wollen wir nicht in Unternehmen investieren, die Kinderarbeit praktizieren.

In den Slums in Lateinamerika soll es bereits Flachbildfernseher geben. Grund ist nicht nur die gute wirtschaftliche Entwicklung, sondern auch, dass alles auf Kredit und in Raten ­bezahlt wird. Droht eine Kreditblase wie in den USA?
Diese Gefahr besteht, da zu viel Kredit ­gegeben wurde. Allerdings sind die Kredit­geber oftmals staatseigene Banken. Diese werden wahrscheinlich – anders als Privatbanken – non-performing loans auch tolerieren und abschreiben. Die Banco do Brasil ist die größte Bank in Brasilien und gehört mehrheitlich dem Staat. Auch zu berücksichtigen ist, dass die Verschuldung der einzelnen Haushalte in den USA viel höher ist.  
Auch die Ersparnisse sind in den Schwellen­ländern oft höher, als man denkt. In ­Indien verfügen Private über 20.000 Tonnen Gold. Sogar Bettler tragen Goldketten.

Wie groß ist denn die Opposition in China ­gegen die Einheitspartei?
Bei einer Bevölkerung von 1,3 Milliarden wird es immer Menschen geben, die nicht zufrieden sind. Wer aber durch China reist, erkennt, dass die Regierung sich sehr ­bemüht, die Leute zufriedenzustellen.
Insgesamt hat die Kommunistische ­Partei einen guten Job gemacht. In jüngster Zeit ist auch klar erkennbar, dass gegen Korruption vorge­gangen wird.

Hier hört man als Reiseberichte öfters von menschenleeren Städten und autofreien ­Autobahnen. Wird in China völlig am Bedarf vorbei geplant und gebaut?
Ich habe gesehen, wie in China völlig neue Städte fertiggestellt werden. Die ­Wohnungen, Parks und Schulen sind aber leer. Diese Geisterstädte gibt es deshalb, weil ältere Städte überbevölkert sind und die ­Partei erst eine neue Stadt und dann Umsiedlungen plant. Man folgt also dem Konzept, dass erst das Angebot geschaffen wird und dann die Nachfrage kommt.

Vielleicht liegen künftige Probleme auch ­weniger in den Städten als in den unterent­wickelten Dörfern, wo die Menschen nicht am Wirtschaftswachstum partizipieren und sich als Wanderarbeiter verdingen müssen. Auch der große Revolutionsführer Mao ­entstammte einer Bauernfamilie.
Der aktuelle Fünfjahresplan sieht vor, dass ein Teil der Landbevölkerung in die Städte zieht. Die Partei hat realisiert, dass sie die Menschen effizienter in den Städten ­ernähren und ankleiden kann. In den Städten fallen auch Bildung, Kontrolle und ­Gehirnwäschen leichter.  

Ist Ihnen das politische Modell in China nicht zu diktatorisch?
Grundsätzlich bin ich mit dem Modell einverstanden. In Singapur besteht das ­gleiche Modell. Grundsätzlich bin ich mit diesem Modell einverstanden.
Aristoteles sagte, dass die beste Regierungsform eine wohlwollende Diktatur ist. Um ein Land zu entwickeln, funktioniert ­eine solche Diktatur sehr gut. Wer sich aus der Politik raushält, hat auch viele Freiheiten. Im Vergleich zu den Vereinigten Staaten ­fühle ich mich mit Blick auf die dortigen ­Gesetze, Regulierungen und Gerichtspro­zesse in China freier. 

Sind denn derzeit die Peripherieländer der EU nicht die interessanteren Schwellen­länder? Dort hätte man nicht nur Rechts­sicherheit, sondern auch keine Wechselkursrisiken und keine Präsidentin Kirchner.
Vergessen Sie nicht, dass es kürzlich in Zypern zu Enteignungen kam! Ich erinnere mich an kein Schwellenland, das Ersparnisse konfisziert. Das hätte Unruhen gegeben.

­Insgesamt mögen die Rechtssysteme in den Peripherieländern besser sein. Es wird aber befürchtet, dass die dortigen Regierungen Assets indirekt über Steuern konfiszieren. Diese Befürchtungen waren besonders konkret in Ungarn.
Wir haben uns die Peripheriestaaten angeschaut. Einige spanischen Unternehmen setzen ja auch viel in Südamerika um. Aber die Bewertungen, beispielsweise von Telefonica, sind uns immer noch zu hoch. In ­Spanien oder Griechenland sollten die KGVs bei fünf und nicht bei 20 sein.
Was wir sehen, ist, dass unglaublich viel Geld aus den reifen Märkten derzeit in die Frontier-Märkte geht. Grund ist, dass die ­Investoren mit dem Anteil, der nicht in ­Anleihen allokiert werden muss, besonders viel Rendite suchen müssen und darum dorthin gehen, wo sie die größten Chancen, aber auch Risiken vermuten.
In Afrika investieren wir in Nigeria, ­Kenia, Ghana, Malawi, Sierra Leone und ­sogar Simbabwe. Interessant sind dort ­Banken und Konsumgüterhersteller. In Südamerika sind die mittlerweile stabilen Länder Kolumbien und Peru interessant. Dort spielt der Rohstoffsektor eine große Rolle. In etwa fünf Jahren könnte Argentinien interessant werden.

Kaufen, wenn die Kanonen donnern?
John Templeton sagte, dass man kaufen muss, wenn die anderen mutlos verkaufen. Den größten Mut braucht man aber zum ­Verkaufen, wenn alle anderen gierig kaufen. Mit diesen Verkäufen fährt man dann die höchsten Gewinne ein.

portfolio institutionell, Ausgabe 6/2013

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