Versorgungswerke
24. Juli 2019

Unternehmertum im Versorgungswerk

Je mickriger die Zinsen, desto dünner erscheint der Faden, an dem das Damoklesschwert über den Altersvorsorgeeinrichtungen schwebt. Doch die zur Verfügung stehenden Mittel stärker unternehmerisch zu veranlagen hilft, die Anlageziele zu erreichen. Wer auf diesem Weg schon recht weit gekommen ist, ist das Versorgungswerk der Zahnärztekammer Berlin. Einen Einblick in die Anlagestrategie gab Direktor Ralf Wohltmann auf dem Investment-Forum 2019 der Deutschen Apotheker- und Ärztebank.

„Nullzins forever“: So lautete – kurz, aber nicht schmerzlos – das ­Szenario beziehungsweise die Warnung, die Dr. Frank Engels an die Teilnehmer der Kapitalmarktkonferenz der DZ Bank sandte. „Und das wird dramatische Folgen haben“, so der Leiter Portfoliomanagement der Union Investment Privatfonds GmbH. Implikationen ­ergeben sich nicht zuletzt für die Versicherungswirtschaft in ihrer ­jetzigen Form und die kapitalgedeckte Altersvorsorge. Engels rief auf der Konferenz darum dazu auf, „nach Berlin und Brüssel zu gehen, um die Regulierung zu verändern“. Frank Engels: „Wir müssen politisches Lobbying betreiben, damit uns die Politik mehr Freiräume gibt, Vermögen wieder vermögensbildend anlegen zu können.“

Jede Altersvorsorgeeinrichtung hat aber auch selbst Möglichkeiten, sich in Eigenregie regulatorische Freiräume zu schaffen. Dies ist nicht zuletzt im Sinne der Anspruchsberechtigten, erfordert aber auch das Verfolgen eigener Ideen in der Kapitalanlage. „Wir haben eine andere Risikosicht. Unsere Denke basiert diesbezüglich nicht nur auf den Quoten des Versicherungsaufsichtsgesetzes“, sagte Ralf Wohltmann, Direktor des Versorgungswerks der Zahnärztekammer Berlin, auf dem gut besuchten Apo-Investment-Forum der Deutschen Apotheker- und Ärztebank. Die konsequente Umsetzung der Denke führte zu ­einer Vielzahl an Beteiligungen. „Wir wissen, dass wir anders agieren als viele andere berufsständische Versorgungswerke oder Pensionskassen. Und wir halten diesen Weg langfristig für richtig und systemstabilisierend“, schreibt das Zahnärzte-Versorgungswerk im ­Geschäftsbericht 2017 zur nun deutlich unternehmerisch geprägten Allokation. Vergleichbar scheint die Berliner Altersvorsorgeeinrichtung allenfalls mit der RAG-Stiftung, die ebenfalls einige Direkt­beteiligungen eingegangen ist.

Gestartet ist das etwa 1,7 Milliarden Euro schwere Versorgungswerk, dem sich auch die Zahnärzte Brandenburgs und Bremens ange­schlossen haben, wie auch andere Altersvorsorgeeinrichtungen und Versicherungen im Beteiligungsbereich mit Dachfonds von Golding und der Partners Group. Wohltmann: „Das hat die Diversifikation, aber auch die Kosten erhöht.“ Die Initialzündung, näher an die Assets zu gehen beziehungsweise unternehmerischer zu agieren, ging vor drei, vier Jahren mit der Anregung des Apo-Bank-Vorstandes Ulrich Sommer einher, dass die Versorgungswerke auch eigene Asset ­Manager gründen sollten.

Zahnärzte sind Unternehmer – und bohren tief

Dieser Allokationsweg führte das Versorgungswerk bis nach Kalifornien. Gemeinsam mit Oaktree recyceln die Zahnärzte nun in Los ­Angeles über ihre Beteiligung an dem Recycling-Unternehmen R-Planet-Earth Pet-Flaschen. Für ein solches Engagement braucht es ein gutes Netzwerk – und viel Arbeit. „Diese Anlage haben wir fünf Jahre lang mitentwickelt und das benötigte viel Due Diligence“, berichtete Ralf Wohltmann. Seit Ende 2018 ist die Anlage produktiv. Recycling ist ­zudem auch zweifellos sehr nachhaltig. Grundsätzlich, so betont Wohltmann, steht für das Versorgungswerk aber das Risiko-Rendite-Verhältnis im Vordergrund. Weitere Beteiligungen, die man nicht in jedem Versorgungswerk findet, betreffen beispielsweise den Ferienhotel-Entwickler 12.18., die Unternehmensfinanzierungs-Plattform Kapilendo inklusive der Vergabe von Seed Money zur Vorfinanzierung, den Immobilienmakler Engel & Völkers, den Overlay-Manager 7-Orca, die Fintech-Brutzelle Finleap oder eine landbasierte Garnelenzucht. Zudem werden an Unternehmen direkt Darlehen vergeben.

Gemeinsam mit den Gremien

Die große Frage: Wie geht das? Ein Grund ist historischer Natur: Dank der wie eine Frischzellenkur wirkenden Deutschen Einheit genießt das Versorgungswerk eine sehr günstige Beitragszahler-Rentner-­Relation. Etwa 7.300 aktiven Mitgliedern stehen etwa 2.000 Renten­empfänger gegenüber, die Einzahlungen übersteigen die Auszahlungen jährlich um knapp 30 Millionen Euro. Förderlich für den ­unternehmerischen Bewegungsspielraum waren aber auch zwei ­Beschlüsse. Einmal vor einigen Jahren, sich mit Langläufern einzu­decken, und zweitens vor zwei Jahren, alle direkt gehaltenen Immobilien zu verkaufen. Bei der Abwägung zwischen einer jährlichen ­Ausschüttung von fünf Prozent versus einem Verkaufsgewinn von 250 Prozent war letzteres gewichtiger. Wohltmann: „Es ist wichtig, auch einmal eine Verkaufsentscheidung zu treffen.“ Die Immobilienquote, die zuvor an den rechtlich möglichen 25 Prozent gekratzt ­hatte, sank daraufhin auf etwa 17 Prozent. Ein wesentlicher Punkt für den Immobilien-Abverkauf wie auch für alle Investments: „Der Beschluss wurde in gemeinsamer Diskussion mit den Gremien getroffen“, blickt Wohltmann zurück.

Das Commitment der Gremien zur unternehmerischen Ausrichtung des Versorgungswerk ist als interne Voraussetzung praktisch die ­conditio sine qua non für die unternehmerische Ausrichtung des Versorgungswerks. Involviert ist vor allem der sechsköpfige Verwaltungsausschuss als geschäftsführendes Gremium, dem Dr. Ingo Reller­meier vorsitzt und dem auch Dr. Rolf Kisro und Dr. Markus ­Roggensack angehören. Ein kleinerer operativer Ausschuss hat wiederum gegenüber jedem Asset ein Vetorecht. Einstimmig vorgetragene Bedenken ziehen den sofortigen Verkauf nach sich. Gemeinsam agiert man bei verschiedenen Investments aber auch mit anderen Pensionskassen und Versorgungswerken wie beispielsweise dem der Zahnärztekammer Nordrhein und dem der Zahnärztekammer Schleswig-Holstein.

Neben diesen historischen, mentalen und organisatorischen Voraussetzungen hilft regulatorisch betrachtet bezüglich der Quoten der ­Anlageverordnung auch die Öffnungsklausel und die eine oder ­andere Verpackung. Verständnis für die Nutzung dieser Maßnahmen scheint bei den anderen Versorgungswerken gegeben zu sein. In einer Ted-Umfrage auf dem Investment-Forum der Apo-Bank zur Regulierung stimmten 54 Prozent der Aussage zu, dass weniger Regulierung bei der Rendite hilft, und 17 Prozent bejahten die Aussage, dass Regulierung nur kostet.

Die Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungseinrich­tungen, ABV, ist bemüht, die Allokationsmöglichkeiten zu ver­größern. „Wir unterstützen jede Überlegung, den ­Anlagespielraum auszu­bauen“, sagte Dr. Ulrich Krüger auf der Veranstaltung der Apo-Bank. Der ABV-Geschäftsführer sieht vor allem in der Beteiligungsquote von 15 Prozent einen Engpass. Als Übergangslösung auf dem ­„steinigen Weg“ hin zu einer eigenen Anlagever­ordnung für berufsständische Versorgungswerke brachte Krüger in Düsseldorf eine ­Aufhebung der einzelnen Subquoten unterhalb der 35-Prozentigen Risikokapitalquote ins Spiel. Krüger betonte im Hinblick auf einen ­erweiterten Anlagespielraum aber auch die Notwendigkeit eines angemessenen Risikomanagements. Die Nettorenditen von ­etwa sieben ­Prozent in den beiden vergangenen Geschäftsjahren des Versorgungswerks der Berliner Zahnärzte scheinen die Votings zu ­bestätigen. ­Allerdings haben in diesen Jahren auch Sondereffekte positiv zu den guten ­Ergebnissen beigetragen.

Zu erwarten ist, dass die unternehmerische Ausrichtung langfristig den 2018 auf drei Prozent reduzierten Rechnungszins absichert. Da die Zahnärzte auf diesem Weg auch schon recht weit gekommen sind, öffnen sich nun noch weitere Potenziale. „Nun kann man auch verschiedene Dinge kombinieren und gestalten“, so Ralf Wohltmann. Ein Beispiel: Die Recycling-Erfahrungen in Kalifornien hat das Versorgungswerk nun dazu genutzt – mit allerdings kleinerem Geld – in ein Recycling-Unternehmen in Ghana zu investieren. „Das ist nun wirklich Risikokapital. Aber die Partner und das System haben uns überzeugt.“ Mit Recycling in Ghana sind die ­Allokationsmöglichkeiten allerdings noch nicht ausgereizt. Wohltmann: „Wir planen noch ­weitere Themen.“

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