Spitze Zunge statt doppelter Spitze
Anstatt einen abstrakten Kulturwandel einzuleiten, setzt die Deutsche Bank nun auf konkrete Pädagogik.
Unser Mitarbeiter des Jahres ist John Cryan. Denn statt mit einer Doppelspitze wird die Deutsche Bank nun mit der spitzen Zunge von Cryan regiert, der dabei als Musterbeispiel an Ehrlichkeit überzeugt und sich als großer Pädagoge erweist. Dem zollen wir unseren Respekt.
In puncto Ehrlichkeit punktete Cryan mit der Feststellung, dass Banker zu viel verdienen. Manche Angestellte, so der Brite in seiner harten englischen Art in der Börsen-Zeitung, glauben immer noch, sie sollten wie Unternehmer bezahlt werden dafür, dass sie zur Arbeit erscheinen und „mit anderer Leute Geld spielen“. Dabei habe ihre Tätigkeit nur in einem Aspekt etwas Unternehmerisches – nämlich in der Bezahlung.
Ob die Deutsche Bank über alle Zweifel erhaben ist, glaubwürdig über unternehmerisches Tun zu referieren, ist allerdings bei einem Quartalsverlust von sechs Milliarden Euro kritisch zu sehen. Fraglich ist auch, ob es sich bei der Manipulation von Zinssätzen, beim Umsatzsteuerbetrug von CO2-Zertifikaten oder bei Geldwäsche wirklich um unternehmerisches Tun handelt. Wenn für die daraus entstehenden Rechtsstreitigkeiten keine Peanuts, sondern zwölf Milliarden Euro seit 2012 zurückgelegt werden mussten, sollte man es mit dem vielbeschworenen Kulturwandel vielleicht doch mal ernst meinen.
John Cryan gibt aber lieber den strengen Vater und setzt statt der Zielvorgabe „25-Prozent-Eigenkapitalrendite“ auf Führung, Kontrolle und Kommunikation. Um jegliches Theater zu vermeiden, so John Cryan in der FAZ mit Blick auf seine Boni-Banker, dürfe man einem Kind nicht die Süßigkeiten zeigen, bevor klar sei, dass es diese auch wirklich verdient habe. Hinterher wegnehmen sei viel schwerer. Bei seinen Kindern, pardon Mitarbeitern, war ihm bestimmt auch die Zustimmung gewiss, wenn er die Spielsachen, pardon IT-Systeme, als „lausig“ und „antiquiert“ bezeichnet.
„Um gemeinsam eine bessere Deutsche Bank zu schaffen“, so Cryan in einer Botschaft zur Überprüfung des KYC- und Onboarding-Prozesses für Kunden an die lieben Kolleginnen und Kollegen, dürften studierte Erzieher Cryan aber noch einen gewissen Mangel an pädagogischem Feingefühl attestieren. Denn Kinder müssen stark gemacht werden, wissen Erziehungswissenschaftler. Die von Cryan zu Asset- und Wealth-Management erzählte Geschichte passt aber eher zur Pädagogik des 19. Jahrhunderts, also gefühlt etwa in die Zeit, als die Deutsche Bank ihre IT aufstellte. Wie Cryan aus seinen Erinnerungen laut Börsen-Zeitung berichtete, habe man bei seinem ehemaligen Arbeitgeber zwölf Jahre lang analysiert, was mit den Kundengeldern passiert wäre, wenn nach Jahresbeginn niemand mehr zur Arbeit erschienen wäre. Das Ergebnis: In diesem Fall wären die Kunden in der Regel besser gefahren als mit der aktiven Verwaltung ihres Geldes.
Eine solche Story wirkt didaktisch wie ein Holzhammer. Moderne Pädagogik geht anders. Experten raten, ein Kind wenigstens einmal am Tag in den Arm zu nehmen und ihm zu sagen: Ich mag Dich und ich bin froh, dass Du da bist! Vielleicht sollte John Cryan also einfach mal etwas anderes als seinen grauen Anzug mit roter Krawatte tragen, seinen Investmentbanker – der mal wieder erst um drei Uhr morgens mit Kunden aus dem Nachtclub kam und seit fünf Uhr mal wieder an nichts anderes als an eine noch raffiniertere Derivatestruktur und an einen neuen Zweitporsche denkt – emotionale Wärme geben. Cryan sollte seinen Investmentbanker einfach mal in den Arm nehmen, knuddeln oder liebevoll die gegelten Haare streicheln. Schließlich ist es immer wichtig, jemandem das Gefühl zu geben, gemocht und geliebt zu werden – nicht nur an Weihnachten.
In diesem Sinne wünscht Ihnen die Redaktion von portfolio schöne Festtage und einen guten Rutsch ins neue Jahr!
Autoren: portfolio institutionell In Verbindung stehende Artikel:
Schreiben Sie einen Kommentar