Sicher bei Wind und Wetter
Wissenschaftler, Umweltschützer und der Papst höchstpersönlich fordern den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen. Immer mehr institutionelle Investoren folgen dieser Forderung und kehren Kohleinvestments den Rücken zu. Der Klimawandel wandelt die Portfolios.
Der Klimawandel ist kein neues Phänomen. Die ersten wissenschaftlichen Erkenntnisse zum menschengemachten Treibhauseffekt stammen aus dem 20. Jahrhundert. In den 1960er Jahren gab es auf internationaler Ebene erste Gespräche zu diesem Thema, und spätestens seit den 1980er Jahren herrscht wissenschaftsbasierter Konsens. Doch nicht nur Wissenschaftler und Umweltschützer fordern einen Verzicht auf fossile Brennstoffe, um den fortschreitenden Klimawandel aufzuhalten. Selbst der Papst brachte sich in die Diskussion ein und rief in seiner Enzyklika „Laudato si“ im Frühjahr dieses Jahres zu „einer mutigen kulturellen Revolution“ auf – wenn die Politik nicht über armselige Reden hinauskomme. Inwiefern die päpstlichen Worte zu Taten führten, lässt sich schwer sagen. Sagen lässt sich jedoch: Immer mehr Investoren hinterfragen den Einfluss, den die sich ändernden meteorologischen Gesetzmäßigkeiten auf ihre Portfoliorendite haben könnten. Der Blick richtet sich insbesondere auf Unternehmen aus dem Öl-, Kohle- und Gassektor, die auf hohen Kohlenstoffreserven sitzen. Zwischen 60 und 80 Prozent dieser Reserven sind laut eines Berichts des britischen Thinktanks „Carbon Tracker“ technisch „unburnable“, will die Welt die globale Erderwärmung auf maximal zwei Grad Celsius begrenzen. Dass der politische Wille dazu besteht, bekräftigten die G7-Staaten auf ihrem Gipfel im Juni dieses Jahres.
Ob dieses Bekenntnis der sieben mächtigsten Politiker der Welt nur „armseliges Reden“ ist, wie der Papst fürchtet, wird sich im Dezember auf der Klimakonferenz in Paris zeigen. Sollten sie es ernst meinen, werden die fossilen Energieträger auf den Bilanzen der Unternehmen aus dem Öl-, Kohle- und Gassektor zu „gestrandeten“ Assets. Derzeit machen diese über zehn Prozent des weltweiten Aktienmarkts aus. Die an der Universität von Oxford angesiedelte Smith School of Enterprise and Environment schätzt, dass sich die Desinvestitionen aus Öl- und Gasunternehmen zwischen 240 und 600 Milliarden US-Dollar bewegen könnten.
Im Moment ist der Anteil institutioneller Investoren, die eine Dekarbonisierung ihres Portfolios vornehmen, überschaubar. Es werden aber immer mehr. Dies zeigt unter anderem der große Zuspruch für die Divest-Invest-Bewegung, die als Investorennetzwerk 2011 an einigen US-Universitäten ins Leben gerufen wurde und sich für den Verzicht auf fossile Brennstoffe stark macht. Innerhalb eines Jahres stieg die Zahl ihrer Anhänger aus dem institutionellen Bereich von 181 auf 430 Institutionen. Das Vermögen, das sich hinter der Divest-Invest-Initiative verbirgt, umfasst inzwischen rund 2,6 Billionen US-Dollar, wobei etwas mehr als die Hälfte auf Pensionsfonds entfällt. Unter den Anhängern des Investorennetzwerkes finden sich namhafte Adressen, wie die beiden kalifornischen Pensionsfonds Calpers und Calstrs, die schwedische AP2, die dänische PKA Pension und die KLP. Die norwegische Pensionskasse beschloss im November 2014, sich von allen Unternehmen zu trennen, die 50 Prozent und mehr ihres Gewinns mit kohlebasierten Aktivitäten erzielen. Zum Zeitpunkt der Bekanntmachung waren davon Aktien und Bonds im Wert von rund 60 Millionen US-Dollar betroffen. Im Mai 2015 zog dann der Staatsfonds von Norwegen nach. Der Finanzausschuss des Parlaments in Oslo beschloss einstimmig, dass sich der norwegische Staatsfonds aus allen Unternehmen zurückzieht, bei denen Kohle mehr als 30 Prozent des Geschäfts ausmacht. Für den Fonds bedeute diese Vorgaben, dass er sich von 50 bis 75 Unternehmen mit einem Wert von umgerechnet vier bis fünf Milliarden Euro trennen muss. Dieser Schritt ist umso erstaunlicher, führt man sich vor Augen, dass die Norweger ihren Reichtum der Ölförderung verdanken. Ebenfalls im Mai meldete sich der französische Versicherungskonzern Axa zu Wort: „Als langfristig agierender institutioneller Investor liegt es in unserer Verantwortung, Kohlenstoff als ein Risiko zu berücksichtigen und die globale Energiewende zu begleiten. Das Verbrennen von Kohle zur Energiegewinnung ist heute eindeutig eines der größten Hindernisse, das uns vom Erreichen des Zwei-Grad-Ziels abhält.“ Und so hat Axa für ihr intern gemanagtes Vermögen beschlossen, sämtliche Beteiligungen an Unternehmen aus dem Kohlesektor abzustoßen. Die geplanten Desinvestitionen umfassen rund 500 Millionen Euro. Die Versicherung ist im Übrigen einer der 430 Institutionen, die sich der Divest-Invest-Bewegung angeschlossenen haben. Auch in Deutschland ist die Divest-Invest-Bewegung bereits angekommen. Zu den Anhängern gehören neun deutsche Adressen, darunter die RS Group, Wermuth Asset Management und die Wermuth-Familienstiftung.
Vier Szenarien für die Zukunft
Trotz der vollmundigen Ankündigung einiger Großanleger steht die Branche beim Thema „Dekarbonisierung“ noch am Anfang. Viele Investoren sind zu diesem Schritt noch nicht bereit. Ein Beispiel ist der Canada Pension Plan. Anfang Oktober gab der Pensionsfonds bekannt, über ein neues Joint Venture für 900 Millionen Dollar Öl- und Gas-Assets im US-Bundesstaat Colorado zu kaufen. „Allgemein gesprochen kann man sagen: Die meisten Investoren berücksichtigen die Risiken des Klimawandels nicht in ihren Entscheidungsprozessen“, hat auch Aled Jones, Head of Responsible Investment bei Mercer, beobachtet. Und weiter: „Wir haben jüngst eine Studie veröffentlicht, die darauf abzielt, die Investoren über die großen Veränderungen zu unterrichten, die auf sie zukommen, und wie wichtig es ist, die Risiken fürs Portfolio nicht nur zu verstehen und zu mindern, sondern auch die Opportunitäten zu nutzen. Wir haben einen szenariobasierten Ansatz angewendet, der von einer globalen Durchschnittserwärmung von zwei, drei und vier Grad Celsius bis 2050 ausgeht. Wir mussten so vorgehen, weil es kein Standardinvestmentmodell dafür gibt.“
Die Mercer-Studie „Investing in a time of climate change“ hat vier Bereiche identifiziert, in denen sich der Klimawandel auswirkt: Ressourcenverfügbarkeit (inklusive Dürren und Überschwemmungen), Katastrophen (extreme Wetterereignisse), technologischer Fortschritt und Politik. Auf Ebene der Industriesektoren untermauert die Analyse das Argument der „gestrandeten“ Assets. Die Prognose: Die Kohlebranche wird am härtesten getroffen. In den nächsten 35 Jahren wird der jährliche Return im Schnitt um 74 Prozent sinken – der größte Einbruch werde bereits in der nächsten Dekade erfolgen. Im Gegensatz dazu dürften die Renditen der Erneuerbaren Energien bis 2050 zwischen sechs und 54 Prozent nach oben gehen. Über die nächsten zehn Jahre sieht Mercer einen Anstieg zwischen vier und 97 Prozent, abhängig vom zugrundeliegenden Klimaszenario. Nicht alle Asset-Klassen sind jedoch so eindeutig einzustufen. Das Schicksal von Emerging-Market-Aktien, Infrastruktur, Immobilien, Wald und Agrikultur könnte in beide Richtungen ausschlagen. Im Zwei-Grad-Szenario würden sie profitieren; im Vier-Grad-Szenario würden sie ihren Glanz verlieren. Der Grund sind chronische Wettermuster. Auch die künftige Regulierung dürfte ein zweischneidiges Schwert sein. So würden Steuern auf Kohle, Subventionen für Ökostrom und direkte Emissionsobergrenzen die karbonintensiven Branchen verteuern. Es bleiben aber auch einige Fragezeichen, zum Beispiel im Hinblick auf den Einfluss von Subventionskürzungen für die Solarbranche in den USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien.
Schritt für Schritt
Der Aufbau eines wetterfesten Portfolios ist anspruchsvoll. „Der erste Schritt für institutionelle Investoren ist, jetzt Maßnahmen zu ergreifen und den Klimawandel nicht zu ignorieren. Denn die Auswirkung in der Zukunft wird signifikant sein“, erklärt Nick Anderson, Fondsmanager des 700 Millionen Dollar schweren Global Care Growth Funds von Henderson Global Investors. „Sie sollten sich das Gesamtportfolio hinsichtlich der Karbonemissionen anschauen, nicht nur mit Blick auf die Risiken, die sich vermindern lassen, sondern auch auf Opportunitäten, die sich bei Unternehmen bieten, die bei der Lösung dieser Aufgaben helfen“, fügt er hinzu. Der nächste Schritt sei, sich die verschiedenen Optionen, wie Solar- und Wind-Infrastrukturprojekte, Wald-Assets oder diversifizierte Immobilienfonds, anzuschauen. Eine Möglichkeit seien auch Green Bonds, die derzeit aber nur 0,2 Prozent des Fixed-Income-Marktes ausmachen. Die bevorzugte und einfachste Variante sind Aktien. In den vergangenen 18 Monaten wurden etliche Low-Carbon-Indizes lanciert – sowohl von MSCI als auch Blackrock und State Street Global Advisors. „Eines der größten Probleme im Kampf gegen den Klimawandel ist, dass Fondsmanager einen kurzfristigen Horizont haben, während der Klimawandel ein langfristiges, systemisches Problem ist“, erläutert Emily Chew aus dem ESG-Research-Team von MSCI. „Sie möchten einen angemessenen Rahmen und können sich oftmals nicht weit weg von ihrer Benchmark bewegen. Unsere globalen Low-Carbon-Leader-Indizes filtern die wesentlichen, karbonemittierenden Unternehmen und großen Eigentümer von Karbonreserven heraus und nehmen dann eine Neugewichtung und Optimierung vor. Im Ergebnis haben wir den Carbon Footprint um 50 Prozent reduziert – mit einem niedrigen Tracking Error von 50 Basispunkten“, führt sie aus.
Laurent Trottier, Global Head of Index Management und Smart Beta bei Amundi, unterstützt einen zweigleisigen Ansatz: „Wir glauben, dass institutionelle Anleger die treuhänderische Pflicht haben, ihre Gewinne zu maximieren. Sie sollten deshalb das Risiko des Klimawandels einpreisen, genauso wie sie es mit Zinsrisiken und anderen messbaren Risiken tun. Allerdings denken wir nicht, dass Desinvestitionen von Sektoren eine gute Strategie sind. Es wird den Renditen der Investoren schaden.“ Zudem ermutige es Unternehmen nicht dazu, sich zu bessern. Ungeachtet dessen ist auch Amundi auf den Zug „Dekarbonisierung“ aufgesprungen. Im Mai dieses Jahres wurden zwei Indexfonds und ein Exchange Traded Fund gestartet, die jeweils das Ziel haben, mindestens 50 Prozent der Karbonemissionen zu reduzieren und den Tracking Error relativ gesehen zu minimieren. Andere Marktakteure, wie WHEB Asset Management, verfolgen thematische Ansätze. Sie investieren in den Klimawandel über ein Prisma aus Ressourceneffizienz, sauberer Technologie, Umweltdienstleistungen, nachhaltigem Fußabdruck und Wassermanagement. Dies wird durch den Kauf global gelisteter Unternehmen in die Tat umgesetzt. Das Spektrum reicht von LED-Leuchten bis hin zu Abfallrecycling und Entsalzungstechnologien. Hermes Investment Management fokussiert sich wiederum auf Aktien von Transportunternehmen mit geringem Karbonausstoß, wie den Eurostar, und Ökostromunternehmen. Zudem besteht ein Exposure zu Yieldcos. „Wie die Mercer-Studie zeigt, wird es in den verschiedenen Szenarien Gewinner und Verlierer geben“, so Bruce Duguid von Hermes. „Im Aktienbereich gibt es Unternehmen, wie karbonintensive Versorgungsunternehmen und Zulieferer der Automobilhersteller, die beim Shift in eine Low-Carbon-Wirtschaft verlieren, während klimaresistente Immobilien und bestimmte Arten von Infrastruktur, wie die Eisenbahn oder Windparks, profitieren“, fügt er hinzu. Bei Infrastrukturinvestments in Schwellenländern hat Duguid bei vielen Investoren eine gewisse Nervosität beobachtet: „Der Grund ist das politische Risiko rückwirkender Gesetzesänderungen, die die erwartete Rendite über die Lebensdauer des Assets unterminieren könnte.“ Ein weiterer Vorbehalt gegenüber Schwellenländern ist, dass sie anfälliger für extreme Wetterereignisse sind als die entwickelten Länder. Weniger Vorbehalte bestehen hingegen bei Real Assets, wie Wald und Immobilien. Diese Anlageklassen erfahren eine große Zustimmung seitens institutioneller Investoren. Ein Beispiel ist der LCW Trust, den Columbia Threadneedle, der Entwickler Stanhope und das Beratungshaus Carbon Trust 2010 gemeinsam lanciert haben. Der Trust hat bisher bereits 190 Millionen Dollar eingesammelt. „Das Ziel ist es, geeignete Gebäude zu identifizieren und diese in moderne, effiziente Arbeitsplätze zu verwandeln“, erklärt Don Jordison, Managing Director bei Columbia Threadneedle. „Wir rüsten nach und setzen Carbon-Re-Engineering ein, indem wir bereits vorhandene Materialien, wie Dämmungen und LED-Beleuchtung, benutzen. Das ist ökonomischer und hält diese beim Marktpreis“, so Jordison. Seine Theorie ist: Aufgrund des Ungleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage werden Low-Carbon-Immobilien nicht nur durch eine stärkere risikoadjustierte Rendite profitieren, sondern auch durch eine bessere Sicherheit und Qualität der Erträge, ein größeres Potenzial zu Kapitalgewinnen, kürzere Leerstandszeiten und den Zugang zu vermieteten Entwicklungen.
Letztendlich bleibt festzuhalten: Institutionellen Anleger werden eine Weile brauchen, bis sie das Risiko des Klimawandels in ihre Portfolios integriert haben. Doch der Aufwand lohnt sich. Wer jetzt nicht reagiert, wird die Auswirkung signifikant zu spüren bekommen.
Von Kerstin Bendix und Lynn Stronging Dodds
portfolio institutionell, Ausgabe 10/2015
Autoren: Kerstin Bendix In Verbindung stehende Artikel:
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