Investoren überdenken das Schwellenländer-Konzept
Anleihen der Schwellenländer waren in den vergangenen Jahren eine der letzten Renditequellen an den globalen Rentenmärkten. Nach einem verlustreichen Auftaktquartal herrscht Katerstimmung – und der Drang, die Emerging Markets neu zu gruppieren.
In der Hochphase der Post-Zins-Ära herrschte reger Flugbetrieb. Auf ihrer Suche nach Rendite bereisten abenteuerlustige Großanleger von Deutschland aus die ganze Welt und dabei vor allem jene Länder, in denen es noch Zinsen gab. Das waren insbesondere die Schwellenländer. Mitbringsel von den Reisen in diese Staaten, denen Beobachter hohes Nachhol- und Wachstumspotential attestieren, waren neben Aktien häufig auch Staats- und Unternehmensanleihen in Hart- oder Lokalwährungen.
Inzwischen herrscht Katerstimmung. Grund dafür ist die neue Flugroute der US-amerikanischen Notenbank, die höhere Zinsen anpeilt. Es lohnt sich also wieder, US Treasuries zu ordern, statt Anleihen aus zum Beispiel lateinamerikanischer Provenienz – wenn man keine an die Inflation gekoppelten Verpflichtungen hat. Für fünfjährige US-amerikanische Staatsanleihen gibt es aktuell schon wieder 2,8 Prozent Rendite, bei zehnjährigen US Treasuries noch etwas mehr.
Bei der Reallokation ist zu beachten, dass die Anlagerisiken in Industrienationen überschaubarer sind, was man von vielen Emerging Markets (EM) nicht behaupten kann. Man denke nur an Argentinien. Dem krisengeplagten Land mit seiner langen Geschichte an Zahlungsausfällen gelang 2017 das Kunststück, eine hundertjährige Anleihe auf den Markt zu bringen mit einem Kupon von 7,125 Prozent. Das Interesse von Geldgebern an dem ultralangen Rentenpapier war enorm, die Emission mehrfach überzeichnet. Nur drei Jahre später schlitterte Argentinien aber wieder in die Krise und konnte fällige Zahlungen nicht leisten.
Schwellenländeranleihen mit hohen Verlusten
Zuletzt lief es auch für alle anderen Inhaber von Anleihen der Schwellenländer nicht gut. Seit Jahresbeginn kam es zu schweren Kursverlusten bei EM-Bonds. Schon bevor Russland Ende Februar in die Ukraine einmarschiert ist, standen Schwellenländeranleihen unter erheblichem Druck, berichtet Lazard Asset Management. Russlands Invasion in der Ukraine sorgte anschließend für einen der schlimmsten Verluste in der jüngeren Geschichte von Schwellenländeranleihen.
Erschwerend hinzu kommt, dass es keine allgemein gültige Definition des Begriffs „Schwellenland“ gibt, wie das Kompetenzzentrum für Emerging Markets & Mittel- und Osteuropa an der Wirtschaftsuniversität Wien erklärt. Um der Uneindeutigkeit noch eins draufzusetzen, gibt es auf der englischsprachigen Wikipedia-Seite eine interessante Übersicht. Sie listet auf, welche Analystengruppen Länder als „emerging economies“ einstufen. Und es zeigt sich, dass die Analysten nur bei sehr wenigen Staaten, Brasilien zum Beispiel, einer Meinung sind.
Schwellenländer sind äußerst unterschiedlich
Wie soll man vor diesem Hintergrund vernünftig Vermögen verwalten? „Die Schwellenländer an sich sind eine sehr heterogene Zusammenstellung von äußerst unterschiedlichen Ländern und Regionen“, sagt Stefan Friesenecker, Anlagespezialist beim Beratungsunternehmen WTW, mit Blick auf Lokalwährungsanleihen. „Wir haben eine ganze Reihe an verschiedenen Währungen, die sich mitunter in gänzlich unterschiedlichen geldpolitischen Zyklen befinden.“ Das seien wichtige Treiber, die man beachten müsse, wenn man in Anleihen investiert. „Insofern ist diese Länderauswahl sehr komplex. Daher macht es bei aktiv gemanagten Mandaten Sinn, spezialisierte Manager einzusetzen“, so Friesenecker, der in Deutschland für WTW als Fiduciary Manager die Kapitalanlagen diverser VAG-regulierter und nichtregulierter Investoren betreut.
Vor dem Hintergrund von Zahlungsausfällen, mageren Renditen und komplizierter Länderauswahl fragen sich nun viele, wie es mit den Schwellenländern im Portfolio weitergehen soll. Dabei geht es auch um die Frage, wie sinnvoll es überhaupt ist, Länder aus Lateinamerika, Afrika, Asien und Ost-Europa in einen Topf zu werfen. Für David Hunt ist die Sache klar: In einem CNN-Fernsehinterview Mitte April thematisierte der Vorstandschef der Investmentgesellschaft PGIM – dahinter steht der US-amerikanische Versicherungs- und Finanzriese Prudential Financial – das Problem der Schwellenländer-Investoren. Im Gespräch mit Moderator Richard Quest sagte Hunt: „Glauben wir wirklich noch an die Emerging-Markets-Indizes? Wir gehen dazu über, die Indizes aufzusplitten“, kündigte der Investor an.
Länder anders gruppieren
Nach dem Interview mit CNN bekräftigte Hunt seine Kritik auch im Gespräch mit unserer Redaktion. Das Konzept, Schwellenländer als eine homogene Anlageklasse zusammenzufassen, ergebe bereits seit vielen Jahren wenig Sinn. Denn dabei würden schließlich unterschiedliche Länder mit einzigartigen wirtschaftlichen Fundamentaldaten und unterschiedlichen Anlagemöglichkeiten zusammengefasst, so Hunt. Und der erhoffte Anlageerfolg sei ausgeblieben.
„Obwohl die Schwellenländer insgesamt die am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt beherbergen, waren die Anleger in den letzten Jahren von den glanzlosen Ergebnissen der Mainstream-Schwellenländer-Indizes und den Investmentansätzen mit geringem Tracking Error vermutlich enttäuscht“, resümiert Hunt und legt einen Lösungsansatz vor: „Dies deutet unserer Meinung nach darauf hin, dass die alte Definition der Schwellenländer aufgegeben und stattdessen spezifische Volkswirtschaften und Ländergruppen betrachtet werden sollten, die mehr Gemeinsamkeiten aufweisen.“
Nach Einschätzung Hunts wollen Investoren nun eigene Indizes erstellen. Als Beispiel dafür nennt er „die Konzentration auf Volkswirtschaften, die von der aktuellen Rohstoffhausse profitieren können. Außerdem spiegeln Mainstream-Indizes, die alle Volkswirtschaften der Schwellenländer zusammenfassen, die grundlegenden Veränderungen im Wachstum der Schwellenländer nur zeitverzögert wider und unterrepräsentieren dynamische, säkular wachsende Unternehmen, so dass sie die zahlreichen Chancen letztlich nicht angemessen erfassen, welche die Schwellenländer zu bieten haben.“ In diesem Zusammenhang plädiert Hunt für „hochaktive Strategien, die zwischen Gewinnern und Verlierern unterscheiden können“.
„Es braucht jetzt eine tiefgründige Analyse“
Auch Thomas Isler vom Research-Spezialisten Independent Credit Viev (I-CV) hat eine klare Meinung, wie man vor dem Hintergrund der Zinswende in den USA aufstrebende Länder sinnvoll gruppiert. „Mit der Aussicht auf eine geldpolitische Straffung und höhere Zinsen sehe ich eine Divergenz bei den Kreditprofilen. Es braucht jetzt eine tiefgründige Analyse“, sagt Isler, der früher bei Swiss Life Asset Management für den Aufbau des Emerging-Markets-Bondportfolio verantwortlich war.
Der Praktiker erklärt, dass man als Anleger die Länder auswählen müsse, die sich in ihrem Kreditprofil verbessern. Gleichwohl sei eine breite Streuung, also ein diversifiziertes und ausgewogenes Portfolio weiterhin unerlässlich. Die Länder und ihre Ökonomien bewegten sich rasant. Sie könnten sich sehr schnell verbessern – aber auch wieder verschlechtern, warnt Isler.
Stefan Friesenecker von WTW plädiert dafür, Emerging-Markets-Investments nach Regionen zu gruppieren. Zur Begründung verweist er auf lokal tätige Asset Manager. „Sie haben die Kompetenz, um die Länderselektion vorzunehmen in Lateinamerika, Asien und Afrika. Wenn man allerdings in diese Granularität hineingeht, hat man im regulatorischen Kontext bei vielen deutschen Investoren besondere Herausforderungen“, betont der Experte mit Blick auf Akteure, denen das Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) im Nacken sitzt. Für VAG-Investoren gilt die Rating-Untergrenze „B-“.
Fonds haben Investment-Grade-Fokus
Demzufolge ist ihr zulässiges Anlageuniversum zwar größer im Vergleich zum Investment-Grade-Bereich, der bei BBB- endet, allerdings brauche es eine klare Begrenzung der Ratings in den Fondsdokumenten, damit die Anlage den Anforderungen der Anlageverordnung und des Kapitalanlagerundschreibens entspricht. Viele regulierte Anleger bevorzugten institutionelle Publikumsfonds gegenüber Spezialfondssegmenten, so Friesenecker, und diese hätten dann oftmals einen Investment-Grade-Fokus.
Die weniger regulierten CTAs wiederum hätten hier deutlich mehr Anlagespielraum. Daher tun sie sich leichter, regionale Mandate bis in den unteren High-Yield-Bereich hinein umzusetzen. „In Deutschland beobachten wir allerdings, dass insbesondere regulierte Anleger das Universum sehr stark eingrenzen“, sagt Friesenecker und verknüpft damit Regulatorik und Anlagepraxis. „Natürlich sind die meisten Staaten nicht CCC geratet, sondern deutlich besser. Aber es besteht doch immer eine gewisse Downgrade-Gefahr, wie man beispielsweise an Argentinien sieht. Insofern muss man bereits bei B sehr defensiv allokieren.“
Das Universum schrumpft also ganz von selbst und mit ihm das Risiko – aber auch die Rendite. Doch jetzt den Rückzug anzutreten, wäre vermutlich die falsche Entscheidung. „Wir befinden uns heute an einem Punkt, an dem der Markt insgesamt sehr skeptisch ist für Schwellenländer. Und das sowohl auf der Anleihen- als auch auf der Aktienseite“, sagt WTW-Experte Friesenecker. „Im aktuell negativen Sentiment ergibt sich vielleicht die Möglichkeit, die eine oder andere Position auszubauen. Allerdings selektiv auf Basis tiefgehender Analysen und in vollem Bewusstsein der diversen und komplexen Risiken.“
Autoren: Tobias BürgerSchlagworte: Emerging Markets / Schwellenländer
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