Pension Management
20. März 2012

Risiko: Langlebigkeit – Teil 3

Zeitgemäßes Risikomanagement

Pensionseinrichtungen sind naturgemäß mit einer Reihe von ­Verbindlichkeitsrisiken konfrontiert. Dazu gehört neben Zins- und ­Inflationsrisiken insbesondere das Langlebigkeitsrisiko.­Branchen­kennern ­zufolge summiert sich allein das weltweite ­Vorsorge­vermögen, das dem Langlebigkeitsrisiko unterliegt, auf etwa 17 ­Billionen US-­Dollar. Vor dem Hintergrund der längeren ­Lebensdauer nehmen die ­Verbindlichkeiten mitunter kräftig zu. Wird die ­Lebens­erwartung zum Beispiel um zwölf Monate unterschätzt, ­können sich die ­Verpflichtungen um bis zu fünf Prozent erhöhen, wie ­Versicherungsmathematiker der Swiss Re aufzeigen. Am Beispiel ­einer Pensionskasse mit einem Kapitalstock von einer ­Milliarde ­Euro müssten so zusätzlich 50 Millionen Euro aufgebracht werden. Vor dem ­Hintergrund der zunehmenden Lebenserwartung rät ­Secquaero-­Experte Grützner den Altersvorsorgeeinrichtungen, den spezifischen Bestand der Bezugsberechtigten genau zu betrachten und sich zu ­fragen, ob bei der Kalkulation der Risiken die passenden Sterbetafeln zugrunde gelegt werden. „Gerade in der beruflichen ­Vorsorge können sich die versicherten Kollektive sehr stark ­unterscheiden“, lautet seine Einschätzung. Das Problem: Die Tafeln werden meistens auf der Grundlage größerer Kollektive entwickelt, mangels Alternative ­mitunter auf Basis der Gesamtbevölkerung. Teil des ­individuellen ­Risikomanagements müsse es aber sein, die ­spezifischen Wesensmerkmale der eigenen Leistungsempfänger zu identifizieren, etwa die Alterszusammensetzung, ihre regionale ­Verteilung, die Rentenhöhe und insbesondere die Geschlechter­verteilung. Hier könnten sich gravierende Abweichungen von der ­Zusammensetzung der Gesamtbevölkerung und verschiedene ­Risikofaktoren ergeben.

Im Jahr 2009 fand das Beratungshaus Bfinance heraus, dass die Risiken, die mit Longevity einhergehen, „systematisch unterschätzt“ werden. Diese Einschätzung vertreten auch die Versicherungs­mathematiker der Swiss Re. Der ­weltweit größte Rück­versicherungskonzern gibt in der Fachliteratur zu bedenken, dass Rückstellungen für das „Langlebigkeitsphänomen“ in der ­Vergangenheit viel zu tief angesetzt worden seien. Das gelte selbst für ­Großbritannien, wo der Zugang zu relevanten Daten ver­gleichsweise einfach sei, wie die Eidgenossen hervorheben. Ein anschauliches ­Beispiel, welche Ausmaße die zunehmende Lebenserwartung ­angenommen hat, findet sich in der Studie „Fifty Years of United Kingdom National Population Projections“, die 2007 veröffentlicht wurde. So wurde 1977 die Lebenserwartung eines männlichen Briten des Geburtenjahrgangs 2010 auf 71 Jahre geschätzt. 2000 wurde die Schätzung auf über 77 Jahre korrigiert. Für Altersvorsorge­einrichtungen, die Berufsgruppen mit besonders hoher ­Lebens­erwartung lebenslange Rentenleistungen in bestimmter Höhe ­zusagen und außerdem die Hinterbliebenen in die Absicherung ­einbeziehen, wie das beispielsweise in der Ärzteversorgung der Fall ist, stellt sich zunehmend die Frage nach der Begrenzung und dem Transfer des Langlebigkeitsrisikos.

_Wachsender Risikoappetit

Lebensversicherungsunternehmen kommt bei der Absicherung biometrischer Risiken eine herausragende Bedeutung zu. ­Insbesondere Rückversicherer gelten als die natürlichen Träger des Langlebigkeits­risikos, da sie in der Lage sind, ihre Angebotspalette zu diversifizieren und dadurch Risiken auszugleichen. Für sie kann die Übernahme von Langlebigkeitsrisiken durchaus attraktiv sein, da diese Langlebigkeits­risiken negativ korreliert zu Sterblichkeits­risiken sind und ihre Beimischung zu einer ­besseren Diversifizierung des Portfolios beitragen. Ein gut ­diversifizierter, weltweit agierender Rückversicherer verfügt deshalbüber eine Mischung aus Sterblichkeits-, Langlebigkeits- und weiteren nicht korrelierten Versicherungsrisiken. Dank dieser Diversifizierung ist er in der Lage, insbesondere Langlebigkeitsrisiken zu übernehmen und Altersvorsorgeeinrichtungen dabei zu unterstützen, die steigende Nachfrage nach Rentenversicherungen zu bewältigen.

Markt­beobachter gehen im Übrigen davon aus, dass der Transfer von ­Langlebigkeitsrisiken an Rückversicherer durch das geplante ­Aufsichtsregime Solvency II an Bedeutung gewinnt. Zumal ­Rück­versicherern nachgesagt wird, über eine beträchtliche Kapazität zu verfügen, Lebensrisiken zu akkumulieren. Wie die Swiss Re ­betont, entsteht durch Solvency II ein wachsender Bedarf zur Entwicklung anspruchsvoller Risikomodelle, in denen die künftige Langlebigkeit berücksichtigt wird. Rückversicherung und andere Risiko­­transfer­mechanismen werden nach Angaben der Eidgenossen im Rahmen der neuen Gesetzgebung anerkannt und der aktive Umgang mit ­Langlebigkeitsrisiken entsprechend gefördert. Gleichwohl sind die ­Kapazitäten der Rückversicherer langfristig gesehen doch eher limitiert und ­angesichts der weltweit anwachsenden Risiken ­unzureichend, wie von Seiten ­spezialisierter Consultants zu hören ist. Denn immer mehr ­Altersvorsorgeeinrichtungen mit Longevity-­Risiken ­werden sich der möglichen Belastungen ­bewusst und suchen nach passenden Hedging-­Möglichkeiten.

Die Versicherungsindustrie nahm ihrerseits die Finanzkrise und die Verwerfungen an den Kapitalmärkten zum Anlass, Langlebigkeitsrisiken stärker zu hinterfragen, als das in früheren Jahren der Fall war. Insbesondere die mit den Pensionsverpflichtungen verbundenen ­Risiken werden inzwischen genauso professionell betrachtet, wie das bei Assets der Fall ist, heißt es von Seiten spezialisierter ­Unternehmensberater. Darüber hinaus sorgt das Niedrigzinsumfeld für zunehmenden Handlungsbedarf, wie Dr. Guido Grützner ­beobachtet hat: „Die Barwerte sind im Moment auch eine Ursache des Problems, weil wir sehr niedrige Zinsen haben. Man sieht in vielen Bereichen, dass sich viele Versorgungswerke aus Zinsmargen ­finanziert haben, die jetzt wegfallen. Weil weniger Polster da ist, ­rücken auch die Langlebigkeitsrisiken dort mehr auf den ­Radarschirm“. Das Problem liege konkret in der Frage der Bewertung. Wer eine marktkonsistente Bewertung wähle, die insbesondere nach ­internationalen Rechnungslegungsgrundsätzen wie IFRS typisch ist, würde Zinsströme mit dem risikofreien Zins abdiskontieren, was zu einer Erhöhung der Reserven auf der Aktivseite führe. Auf der Passivseite der Bilanz nehmen die Pensionsverpflichtungen aufgrund der sinkenden Diskontierungsrate allerdings ebenfalls zu. Das kann bei marktwertorientierten Bilanzen zu erheblichen Veränderungen ­führen. Angesichts der rückläufigen Zinsen sinken die Erträge, aus denen man mögliche Renten zahlen kann. „Das Langlebigkeitsrisiko ist eigentlich unabhängig vom Zinsrisiko“, so Grützner, „aber im ­Unternehmenskontext mit Bilanzierungsfragen spielt es dann doch eine Rolle.“ Zudem sei Langlebigkeit ein systematisches Risiko, das nicht durch zufällige Einzelereignisse hervorgerufen werde. ­Lebensversicherern sind daher bei der Risikominderung über Größe und Diversifikationsgrad ihrer Portfolios Grenzen gesetzt. Rück­versicherer haben sich dagegen seit jeher mit der Thematik ­beschäftigt und mit Hilfe von Swapgeschäften Lösungsansätze aufgezeigt. 

_Wohin mit dem Risiko?

Aus Sicht der Unternehmen, die ihren zukünftigen Pensionären Leistungszusagen gegeben haben, bestehen mehrere Möglichkeiten der Risikobegrenzung. Für die risikoarme Gestaltung des Leistungsplans kann das Langlebigkeitsrisiko beispielsweise an den ­Versorgungsberechtigten übertragen werden, indem befristete statt ­lebenslange Renten vereinbart werden. Eine weitere Möglichkeit des Risikotransfers besteht darin, dass ein Versicherer – nach Abschluss eines Rückdeckungsvertrages – die Risiken übernimmt, die mit einer Versorgungszusage einhergehen. Dieser Vorgang führt allerdings beim Versorgungsträger, beispielsweise einem mittelständischen ­Unternehmen, zu einem sofortigen und meist schwer zu verkraftenden Liquiditätsabfluss. Während die im Rahmen einer Direktzusage ­angesammelten Pensionsrückstellungen typischerweise langfristig für operative Zwecke im Unternehmen genutzt werden können, ­stehen sie nach einer solchen Transaktion nicht mehr für ­Investitionen zur Verfügung. Eine dritte Möglichkeit, die zuvor schon kurz ­angerissen wurde, ist die Übertragung von Langlebigkeitsrisiken auf den Kapitalmarkt. Investoren gehen von einer niedrigen Korrelation zwischen Langlebigkeitsrisiken und den Risiken der typischen Asset-Klassen aus und sind deshalb bereitwillige Abnehmer. Für Unter­nehmen besteht damit die Möglichkeit, Risiken ohne sofortigen ­Mittelabfluss zu ­übertragen. Klingt nach einer klassischen Win-win-Situation, die ­weiter unten näher beleuchtet wird.

In England kam es in den vergangenen Jahren bereits zu einer Reihe von Longevity Hedges in Form von Swaptransaktionen. Allerdings gilt auch der Markt in England noch als jung und unerfahren. Das Grundkonzept eines Langlebigkeitsswaps stellt sich wie folgt dar: Der Versorgungsträger zahlt dem Anbieter des Swaps feste ­monatliche Prämien auf Basis zuvor vereinbarter Annahmen zur künftigen ­Lebenserwartung (siehe Grafik auf Seite 34). Im Gegenzug zahlt der Anbieter dem Versorgungsträger einen monatlichen ­Betrag, der sich auf Basis der tatsächlich eingetretenen Entwicklung der ­Lebenserwartung bemisst. Die Auszahlungen der Leistungen an den Berechtigten übernimmt weiterhin der Versorgungsträger. In der Praxis werden die Zahlungsströme zwischen den Parteien zunächst miteinander verrechnet, so dass praktisch kaum Kapital fließt. Leben die Versorgungsberechtigten länger als angenommen, wird der ­variable Zahlungsstrom den fixen übersteigen. Der Hedge-Anbieter zahlt also die mit der höheren Lebenserwartung verbundenen Kosten. Leben die Pensionäre kürzer als angenommen, profitiert der Hedge-Anbieter entsprechend. Beim Versorgungsträger sinkt derweil der Wert der mit dem Swap verbundenen Absicherung wie auch die ­Verpflichtung gegenüber den Versorgungsberechtigten.

Wie eine solche Transaktion in der Praxis strukturiert sein kann, zeigt die Hannover Rück, die seit ihrer ersten Langlebigkeits-­Blocktransaktion im Jahr 1998 Pensionsverpflichtungen in ­Höhe von rund fünf Milliarden Euro übernommen hat, in einem ­aktuellen ­Beispiel. Anfang 2012 schloss der Rückversicherungs­konzern eine weitere Blocktransaktion von Langlebigkeitsrisiken ab. Im Rahmen der jüngsten Vereinbarung werden die vom ­Erst­versicherer Legal & General übernommenen Pensions­verpflichtungen für rund 11.500 Mitarbeiter des britischen Industrieunternehmens ­Pilkington ­rückversichert. Laut Hannover Rück handelt es sich um ein Volumen von knapp einer Milliarde Britische Pfund. Die Swaptransaktion ­sichert das Risiko ab, dass die Lebenserwartung der ­Pensionäre höher als erwartet ausfällt und hierdurch längere ­Rentenzahlungen zu ­leisten sind. Getragen werde nur das ­­biometrische Risiko, nicht das Investment- und Inflationsrisiko, erläutert man bei der Hannover Rück. Nach Ansicht von Consultants müsse vor einer ­solchen ­Transaktion unter anderem festgelegt werden, auf welcher ­Basis die ­eingetretene Lebenserwartung zur Bestimmung der variablen ­Zahlung gemessen werden soll. Hier kann der vorhandene Bestand an ­Pensionären herangezogen werden. Diese Herangehensweise ist aber nach Darstellung von Aktuaren mit einem hohen Arbeitsaufwand und Kosten verbunden. Zudem müssten bei Lücken im Datenbestand ­Annahmen getroffen werden. Alternativ kann als Basis eines Swaps auch ein Index herangezogen werden, der beispielsweise aus der Sterblichkeit der Gesamtbevölkerung abgeleitet wurde. Kommt in ­einem solchen Fall ein Hedge zum Einsatz, verbleibt bei einem ­indexbasierten Konzept ein Basisrisiko. Dieses besteht darin, dass sich das Portfolio anders entwickelt als die Gesamtbevölkerung. Als Alternative kommen maßgeschneiderte Indizes in Betracht, die etwa von der Deutschen Börse berechnet werden.Im vierten und letzten Teil erfahren Sie, welchen Stellenwert "Life Bonds" inzwischen für Rückversicherungsunternehmen und Pensionseinrichtungen einnehmen.

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