Richtlinie mit Verfallsdatum
EbAV sind Finanzdienstleister: Gebetsmühlenartig hat die deutsche bAV-Branche versucht, die EU-Kommission von dieser Überzeugung abzubringen. Vergeblich, wie der Entwurf zur Pensionsfondsrichtlinie zeigt. Zwar ist darin von quantitativen Anforderungen vorerst nichts mehr zu lesen, dennoch hält der Entwurf einiges Ungemach für EbAV bereit. Die Haltbarkeit der Richtlinie ist bereits vor Inkrafttreten begrenzt: auf vier Jahre. Dann droht auch Säule I für EbAV.
Die Menschen werden immer älter, der Anteil der Grauhaarigen steigt. Da zugleich immer weniger Kinder geboren werden, droht eine Rollator-Schieflage. Für künftige Rentnergenerationen wird es mit staatlichen Umlagegeldern allein nicht getan sein – zumindest wenn der Lebensstandard nicht massiv eingeschränkt werden soll. Rund 80 Prozent der deutschen Bürger sind sich dessen bewusst, dennoch ignoriert jeder Vierte das Thema private Altersvorsorge. Dies geht aus dem neuen Altersvorsorgereport der Sparda-Bank Hamburg und der Steinbeis-Hochschule Berlin hervor. Die Studie hält für Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (EbAV) aber auch eine gute Nachricht bereit. Neben der Eigentumsimmobilie wird die betriebliche Altersversorgung als geeignetste Anlagemöglichkeit gesehen. Wie lange das so bleibt, hängt nicht unwesentlich von den regulatorischen Vorstößen aus Europa ab. Von dort kommt derzeit allerdings eher Gegen- als Rückenwind namentlich der geplanten Pensionsfondsrichtlinie, deren Entwurf Ende März veröffentlicht wurde.
In dem Entwurf hat die Europäische Kommission auf quantitative Solvabilitätsvorschriften verzichtet. Dieser Kelch ist an den EbAV vorerst vorübergegangen, was in der bAV-Branche für Erleichterung sorgte. „Es hätte schlimmer kommen können. Einige kritische Punkte aus dem vorangegangenen Call for Advice sind in dem Entwurf nicht mehr enthalten“, erklärt Peter Gramke, Abteilungsdirektor Revision bei den Sozialkassen der Bauwirtschaft (Soka-Bau). Neben den quantitativen Vorschriften zur Eigenkapitalunterlegung gehörte für ihn auch die geplante Einführung einer eigenen Compliance-Funktion zu den belastenden Punkten, auf die in dem Entwurf aber ebenfalls verzichtet wurde. „Unklar war außerdem, ob man unter Umständen, damit ein europaweit einheitliches Reporting durchgeführt werden kann, eine internationale Bilanzierung hätte anwenden müssen. Das sind alles Fragen, die in der zweiten Säule die Kosten hätten nach oben treiben können“, führt Gramke aus. Glücklich ist er – ebenso wie seine EbAV-Kollegen – mit dem Entwurf zur Pensionsfondsrichtlinie dennoch nicht. Die Säule II des Entwurfs enthält nach wie vor Kostentreiber, denen die bAV-Branche besorgt entgegenblickt.
Bafin, hilf!
Unverständnis bereitet die geplante Trennung zwischen Funktionsträgern beim Trägerunternehmen und bei der Pensionseinrichtung. Nach Vorstellung der EU-Kommission dürfen die drei zentralen Funktionen – Innenrevision, Risikomanagement und Versicherungsmathematik – künftig grundsätzlich nicht mehr in Personalunion durchgeführt werden. Genau das ist jedoch bei Einrichtungen, die zu einem Konzernverbund gehören, gängige Praxis. „Die versicherungsmathematische Funktion wird meist von außen wahrgenommen. Aber bei der Innenrevision erfolgt fast durchgehend keine Trennung zwischen dem Trägerunternehmen und der EbAV“, erläutert Alfred Gohdes, Chefaktuar bAV bei Towers Watson Deutschland. Ähnliches gelte für das Risikomanagement. Für Thomas Hagemann, Chefaktuar bei Mercer Deutschland, ist die entscheidende Frage: „Wer trägt das Risiko? Die Antwort lautet: das Trägerunternehmen. Es besteht kein Interessenkonflikt und somit keine Notwendigkeit einer Funktionstrennung.“ In diesem Punkt offenbart sich ein Kernproblem der IORP-II-Richtlinie, laut der selbst unternehmens- und brancheneigene EbAV als Finanzdienstleister zu behandeln sind.
Trotz vehementer Kritik ließ sich die EU-Kommission von dieser Überzeugung bisher nicht abbringen. „Anders als bei Finanzdienstleistern, die ja eine Gewinnerzielungsabsicht mit ihren Kunden haben, verfolgen bei EbAV die Unternehmen und deren Mitarbeiter in fast allen Hinsichten die gleichen Interessen. Hier besteht also kein Principal-Agent-Konflikt. Es ist daher schlichtweg ein falscher Ansatz, Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung wie eine Bank oder eine Versicherungsgesellschaft zu behandeln“, kritisiert Gohdes. Obwohl die Soka-Bau von diesem Punkt des Richtlinienentwurfs nicht betroffen ist, da sie als soziale Einrichtung für die gesamte Bauwirtschaft ohnehin sämtliche Funktionen selbst vorhalten muss, sieht auch Gramke wenig Sinn in einer Funktionstrennung. Er sieht zusätzliche Kosten auf seine Branche zukommen: „Viele EbAV haben nur eine kleine Mannschaft, weil sie vom Träger unterstützt werden. Das ist eine kosteneffiziente Struktur, die den Rentnern und Anwärtern zugutekommt. Durch die Funktionstrennung ist das gefährdet.“
Licht am Ende des Tunnels
Für betroffene Einrichtungen gibt es einen kleinen Hoffnungsschimmer. Kurz vor knapp wurde in den Entwurf eine Ausnahmeregelung aufgenommen. Laut dieser können die nationalen Aufsichtsbehörden Ausnahmen machen. Inwieweit die Bafin von dieser Klausel Gebrauch machen wird, ist derzeit jedoch offen. „Die Bafin ist vernünftig. Ich traue ihr zu, dass sie diesen Grundsatz anwendet, weil sie erkennt, dass der dahinterliegende Gedanke selten zutreffend sein wird“, erwartet der Towers-Watson-Chefaktuar. Besser wäre es, die Ausnahme zur Regel zu machen, um damit von vornherein Vertrauen zu schaffen. Eher skeptisch bezüglich der Ausnahmeregel zeigt sich der Mercer-Chefaktuar: „Die Bafin wird sehr zurückhaltend sein.“
Als zusätzliches Problem könnten sich hierbei die Fit-and-proper-Anforderungen entpuppen. Diese sind für deutsche Einrichtungen zwar kein Neuland, immerhin gelten sie bereits für die Geschäftsleitung und den Aufsichtsrat. In dem Richtlinienentwurf wird dies aber auf die drei Key-Funktionen ausgedehnt. „Schon bei der Einstellung von Schlüsselpersonen ist die entsprechende Kompetenz nachzuweisen. Man kann das nicht mehr aus dem Job heraus entwickeln“, erläutert Soka-Bau-Direktor Gramke. „Wie schwer es letztendlich sein wird, Personal mit den notwendigen Qualifikationen zu finden, lässt sich derzeit nicht abschätzen. Das ist einer der vielen Unsicherheitsaspekte“, fügt er hinzu.
Viel Unsicherheit herrscht auch in Bezug auf die eigene Risikobewertung, die EbAV regelmäßig durchzuführen haben. Die EU-Kommission hat an dieser Stelle auf die quantitativen Anforderungen verzichtet und sich mit spezifizierten Standards zurückgehalten. Dennoch bergen die vagen Vorgaben zur Risikobewertung unkalkulierbare Risiken. Das Problem ist nicht die Vagheit an sich, sondern die delegierten Rechtsakte. „Je nachdem, wie diese Standards von der Eiopa im Weiteren ausgestaltet werden, können daraus erhebliche zusätzliche Anforderungen und Kosten resultieren“, erklärt Gohdes. Er plädiert für den Verzicht auf delegierte Rechtsakte. Ähnlich äußerte sich der Bundesrat in einem Beschlusspapier am 23. Mai: „Delegierte Rechtsakte sollten grundsätzlich auf ein absolutes Minimum beschränkt werden.“ Vielmehr sollte den Mitgliedsstaaten entsprechender Umsetzungsspielraum gewährt werden. In diesem Fall müssten sich die Einrichtungen hierzulande wenig Sorgen machen. „Die deutschen EbAV sind in Sachen Risikomanagement gut aufgestellt. Die Bafin hat mit den MaRisk gut vorgearbeitet, so dass die Anforderungen zum Risikomanagement aus der Pensionsfondsrichtlinie für sie nicht zum Kulturschock werden“, so Hagemann. Sich darauf auszuruhen, wäre jedoch der falsche Weg. Und so macht der Mercer-Aktuar keinen Hehl daraus: „Wir haben in der Vergangenheit schon viel erlebt. Wir dürfen also nicht müde werden, auch weiterhin auf die problematischen Punkte in dem Richtlinienentwurf hinzuweisen.“
Die Kritik an der Säule II darf nicht missverstanden werden. Eine gute Governance und ein wirksames Risikomanagement sind im Sinne aller Beteiligten. Es kommt nach Ansicht von Gohdes allerdings auf die Verhältnismäßigkeit an: „Wenn ich für 100 Euro Risiken habe und 60.000 Euro ausgeben soll, um diese zu kontrollieren, macht das keinen Sinn.“ Dessen ist sich auch die EU-Kommission bewusst und hat eine De-Minimis-Regel eingeführt. Diese besagt, dass Einrichtungen mit weniger als 100 aktiven Mitgliedern von den Vorgaben der Richtlinie ausgenommen werden können, wenn der jeweilige Mitgliedsstaat dies entscheidet. Der Haken: Für Deutschland ist diese Klausel irrelevant, da es hierzulande fast keine so kleinen EbAV gibt. „Das ist ein Zugeständnis an die bAV in Irland, wo es mehr als 1.000 Einrichtungen mit weniger als 100 Mitgliedern gibt“, erläutert Gramke. „Für uns bedeutet diese Klausel eine Verschärfung der Proportionalitätsprinzipien, die wir im Moment haben. Das VAG richtet sich nach der Bilanzsumme, wonach circa ein Drittel der Einrichtungen vom Risikobericht und einer internen Revision befreit sind. Das wären sie in Zukunft nicht mehr“, führt er aus. Unabhängig davon gilt für alle Einrichtungen der Grundsatz der Proportionalität.
Kostenseitig kommt auf die deutschen Einrichtungen aus der zweiten Säule ein Mehraufwand zu. Da der Richtlinienentwurf jedoch keine eigene Compliance-Funktion mehr vorsieht und auf quantitative Solvabilitätsvorschriften – zumindest vorerst – verzichtet, fallen diese kleiner aus, als die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (Aba) ursprünglich erwartet hatte. Die vor einem Jahr vorgelegten Schätzungen gingen für große, mittlere und kleine EbAV von 18, 34 beziehungsweise 22 Millionen Euro an Zusatzkosten aus. Eine Arbeitsgruppe der Deutschen Aktuarvereinigung aktualisiert derzeit diese Schätzungen. Für die zweite Säule wird es zu Verringerungen kommen. Diese stehen allerdings unter der Prämisse, dass durch die rentenbezogene Risikobewertung keine deutlich höheren Anforderungen für deutsche Einrichtungen entstehen. Damit ist es jedoch längst nicht getan. Auch aus den Informationspflichten blüht der deutschen bAV-Branche Ungemach. „Der große Kostentreiber schlummert in der Säule III“, so Gramke. Im Unterschied zur zweiten Säule hat sich an den Schätzungen, die im Juli 2013 vorgelegt wurden, vorläufig noch nichts verändert. Nach wie vor wird für alle deutschen Einrichtungen mit Kosten für die Auskunftspflichten von 94,8 Millionen Euro für die einmalige Einführung und 16,5 Millionen Euro an laufenden Kosten gerechnet. Besonders mittlere und kleine EbAV seien überproportional hart betroffen. Für diese Einrichtungen rechnet die Arbeitsgruppe weiterhin mit einer Steigerung der laufenden Kosten von circa 400 Prozent.
Nur einen Tod sterben
Die Kritik entbrennt nicht an der Grundidee eines einheitlichen Rentenanwartschaftsbescheides, der den Begünstigten einer Pensionseinrichtung eine bessere Vergleichbarkeit ermöglichen soll, sondern an dessen umfangreicher Ausgestaltung. „Die detaillierte Darstellung geht an der vielfältigen Wirklichkeit der EbAV-Landschaft sowohl in Deutschland als auch in Europa vorbei“, merkt Gramke an. „Bei der Säule III ist man zu sehr ins Detail gegangen. Die EbAV werden in ein Korsett gezwungen, das nicht passt. Wir haben in Deutschland beispielsweise auch Leistungszusagen, zu denen allein die Begrifflichkeiten nicht passen“, sieht auch Hagemann. Zudem ist die deutsche Altersversorgung in der Regel keine reine Altersrente. „Es gibt auch die Witwen- und Invalidenrente. Dazu steht in dem Entwurf nichts“, erklärt Gohdes, Chefaktuar bei Towers Watson.
Ausgangspunkt des Problems ist abermals die Annahme, dass EbAV Finanzdienstleister sind. In diesem Sinne sollen die Transparenzvorschriften aus der Ogaw-Richtlinie für Investmentfonds auf sie übertragen werden. Nach Vorstellung der EU-Kommission müssen Pensionseinrichtungen ihre Begünstigten auf zwei Seiten über deren Anwartschaften informieren, wobei dieser Bescheid aus sich selbst heraus verständlich sein muss. Nach Ansicht von Gramke ist das nicht machbar. „Wenn wir das System der Subsidiaritätshaftung des Arbeitgebers inklusive aller höchstrichterlichen Rechtsprechung, die dazu gegeben sind, in toto darstellen und die Garantien beschreiben wollen, weiß ich nicht, wie wir allein in diesem Punkt mit zwei Seiten auskommen sollen“, führt er aus. Außerdem würde in seinem speziellen Fall, den Sozialkassen der Bauwirtschaft, die Auflistung aller Unternehmen, für die ein Arbeitnehmer tätig war und die im Laufe des Arbeitslebens dieses Anwärters jemals Beiträge gezahlt haben, an Grenzen stoßen. „Man kann nur einen Tod sterben. Entweder ist man genau, dann sind zwei Seiten nicht ausreichend, oder man erlaubt sich einen sehr großen Überschlag“, so sein Fazit. Im Richtlinienentwurf ist im Übrigen auf sechs Seiten erklärt, wie die auf zwei Din-A-4 Seiten zusammenzufassenden Informationen auszusehen haben. „Die Krönung hierbei ist, dass trotz der detaillierten Vorgaben in dem Richtlinienentwurf noch ein delegierter Rechtsakt folgen soll“, kritisiert Gohdes. Seines Erachtens wären prinzipienorientierte Vorgaben besser.
Noch ist die IORP-II-Richtlinie nicht in Stein gemeißelt. Es besteht die Hoffnung, dass sich Änderungen durchsetzen lassen. „Die Schlacht ist noch nicht verloren. Aber wenn wir nicht alles tun, um die EbAV zu verteidigen, werden wir überrollt“, mahnt Gohdes. Wie weit die bAV-Branche kommt und ob ihre Stimme erhört wird, bleibt abzuwarten. Ein wenig pessimistisch stimmt der Blick auf den Auswahlprozess zur Occupational Pensions Stakeholder Group (OPSG), der Interessengruppe für die bAV bei der Eiopa, im Herbst 2013. Damals musste Bernhard Wiesner, Chef des Bosch Pensionsfonds, aus dem Gremium ausscheiden. Ersetzt wurde er durch Michaela Koller, die pikanterweise Generaldirektorin von Insurance Europe ist. Die Logik dieser Wahl erschließt sich schwerlich, da Versicherungen und EbAV mit Blick auf die Pensionsfondsrichtlinie gegensätzliche Meinungen vertreten. Die Vermutung liegt nahe, dass die Stimme der EbAV in Europa dadurch nicht kraftvoller geworden ist. Selbst die bereits für vier Jahre nach Inkrafttreten der Pensionsfondsrichtlinie angedachte Überarbeitung birgt mehr Gefahren als Hoffnung, da sie explizit die Solvenzregeln, also die erste Säule, ansprechen soll. Welchen Wert eine Richtlinie hat, die vor ihrem Starttermin bereits mit einem Verfallsdatum versehen ist, erschließt sich allerdings nicht. Es wirft die Frage auf: Warum macht man es nicht gleich richtig?
Von Kerstin Bendix
portfolio institutionell, Ausgabe 6/2014
Autoren: Kerstin Bendix In Verbindung stehende Artikel:
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