Rentenreform treibt Franzosen in die Résistance
Trotz monatelanger, heftiger Proteste von Demonstranten und Gewerkschaften wird in Frankreich wohl eine Reform des Rentensystems in Kraft treten, die das Renteneintrittsalter ab September 2023 schrittweise von 62 auf 64 Jahre anhebt. Präsident Macron hat das Gesetz am Votum des Parlaments vorbei durchgedrückt. Doch noch gibt es eine Hintertür für die Gegner der Reform. Derweil zeigen OECD-Daten, dass die Franzosen mehr fürs Alter sparen als die Deutschen.
Viele Franzosen haben in den vergangenen Monaten lauthals protestiert gegen die Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron. Genützt hat es nicht viel. Von 62 auf 64 Jahre soll das Renteneintrittsalter in Frankreich steigen und das schrittweise ab September. Keine große Sache, mag sich der deutschen Rentenbeitragszahler denken, das mit der Erhöhung der Regelaltersgrenze bei der gesetzlichen Rente hatten wir hier doch schon längst.
Mancher mag es auch als ungerecht empfinden, dass im Nachbarland nach wie vor kürzer gearbeitet wird als hierzulande, wo die schrittweise Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre für einen Renteneintritt ohne Abschläge schon vor Jahren durchgesetzt wurde – und das weitgehend ohne den vergleichsweise breiten Protest, Streiks und Demonstrationen sowie ohne brennende Mülltonnen auf den Straßen. Andere beneiden möglicherweise aber auch die Protestlust der mal wieder so unbeugsamen Französinnen und Franzosen.
Die geplante Rentenreform ist eng an die Präsidentschaft von Emmanuel Macron geknüpft. In seinem Wahlprogramm hatte Macron noch für einen Altersgrenze von 65 Jahren plädiert, diese dann als Kompromissvorschlag aber mit Rücksicht auf die Gewerkschaften auf 64 Jahre abgesenkt. In der Pandemie wurde das Legislativprojekt aufgeschoben, im September vergangenen Jahres hatte das französische Staatsoberhaupt dann erklärt, er wolle die Reform nun umsetzen und 2023 wirksam werden lassen.
Nach verschiedensten Diskussionen in einem eigens dafür gegründeten Debattierforum und im Parlament wurde die Reform von Premierministerin Élisabeth Borne am Votum der Parlamentarier vorbei unter Berufung auf Artikel 49, Absatz 3 der Verfassung durchgesetzt. Zuvor hatte der Senat der Reform zugestimmt. Allerdings fürchtete die Regierung um die wackelnde Zustimmung in der Nationalversammlung (Assemblée Nationale), dem französischen Unterhaus. Der umstrittene Rückgriff auf Artikel 49.3 sorgte für zusätzlichen Missmut in der Bevölkerung. Nach übereinstimmenden Medienberichten von Anfang Mai, die sich auf Umfragen in der französischen Bevölkerung beziehen, lehnen zwei Drittel der Bürger die Reform ab und eine Mehrheit unterstützt die Streiks und Demonstrationen der Gewerkschaften.
Monatelang wurde debattiert, monatelang hat man demonstriert. Nun gilt die französische Rentenreform weitgehend als gesetzt. Denn nach dem Rückgriff der Regierung auf Artikel 49.3 sind nacheinander zwei Anträge der Opposition auf eine Rücknahme der Reform vor dem französischen Verfassungsrat gescheitert. Damit gilt ein von einigen Oppositionsparteien gewünschtes Referendum, eine Volksabstimmung der französischen Bürger über die Reform, als gescheitert und der Umsetzung der Gesetzesvorlage steht damit fast nichts mehr im Wege.
Bonität Frankreichs angekratzt
Doch eine Hintertür halten sich Opposition und Gewerkschaften wohl noch offen: Am 8. Juni soll ein weiterer Antrag einer kleinen Gruppe von Abgeordneten aus dem Unterhaus debattiert werden, der das Renteneintrittsalter zum Thema hat. Für den 6. Juni planen die Gewerkschaften im Vorfeld erneute öffentliche Proteste in Form eines landesweiten Aktionstags – sie wollen so den Druck auf die Regierung und ihren Präsidenten aufrechterhalten.
Ebenso wächst auch der Druck auf den französischen Staat, nachdem die Rating-Agentur Fitch die Bonität Frankreichs Ende April von AA auf AA- herabgestuft hat. Wenn auch der Ausblick stabil blieb, klingt das wie ein Misstrauensvotum gegen den Erfolg von Macrons geplanten Strukturreformen im Renten- und auch im System der Arbeitslosenversicherung. Insbesondere die hohe Staatsverschuldung macht Sorgen: Im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung des Landes beträgt sie derzeit 111,6 Prozent und liegt bei knapp drei Billionen Euro – eine so hohe absolute Schuldenlast hat kein anderes Land in Europa. Durch die Herabstufung sind nun auch die Zinskosten für Frankreich gestiegen.
Für volle Rente 43 Jahre einzahlen
Derweil zuhauf über das Wie und den politischen Prozess berichtet wird, liest und hört man neben der Diskussion über die geplante Erhöhung des Renteneintrittsalters wenig zu den weiteren Inhalten der Reform. So ist allgemein bekannt, dass das Renteneintrittsalter für eine abschlagsfreie Rente ab September 2023 schrittweise von 62 auf 64 Jahre erhöht werden soll, hierfür gilt ein Zeitfenster bis 2030. Zugleich sollen auch die Beitragsjahre, die nötig sind, um eine Rente ohne Abschläge zu erhalten, von 42 auf 43 Jahre angehoben werde. Für Menschen, die seit frühesten Jahren einzahlen oder körperlich schwere Arbeit verrichten, soll es hierbei Ausnahmen geben. Zudem soll die monatliche Mindestrente von 980 Euro auf 1.200 Euro angehoben werden.
Nach einem erzielten Kompromiss mit den Oppositionsparteien soll die Mindestrente für alle Rentner gelten und nicht, wie ursprünglich geplant, nur für Arbeitnehmer, deren Renteneintritt nach der Reform erfolgt. Die rechtlich früheste Möglichkeit, eine Rente zu beantragten, besteht derzeit in Frankreich mit 60 Jahren für Personen, die vor dem 20. Lebensjahr mit der Erwerbstätigkeit begonnen haben und die die Mindestanzahl an Beitragsjahren erfüllen.
Die Altersrente nach dem Umlagesystem ist in Frankreich in eine Grundrente (règime de base) und ein berufliches Zusatzsystem (rètraite complementaire) unterteilt. Diese beiden Säulen der obligatorischen Rentenversicherung unterscheiden sich nach Berufsgruppen und Branchen, wobei die Grundrente circa 50 Prozent des durchschnittlichen Einkommens ersetzen soll. Durch das berufliche Zusatzsystem sollen Rentner circa 70 Prozent ihres vorherigen Bruttoentgelts und etwa 85 Prozent des Nettoeinkommens zur Verfügung haben.
Die zwei öffentlichen Säulen des Rentensystems werden nach unten abgegrenzt durch ein gezieltes Mindesteinkommen für ältere Menschen. Hinsichtlich der betrieblichen Altersvorsorge existiert ein freiwilliges System mit zwei Komponenten: Einmal mit Perco (Plan d‘épargne retraite collectif) ein System der kapitalgedeckten, betrieblichen Altersvorsorge und mit Perp (Plan d‘épargne retraite populaire) ein steuerlich begünstigtes System der privaten Vorsorge.
Die Erhöhung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre erfolgt schrittweise. Ab dem 1. September 1961 geborene Personen, werden drei Monate länger als nach dem bisherigen Modell arbeiten müssen, um keine Abschläge zu erhalten, ab 1962 geborene sechs Monate länger, ab 1963 geborene neun Monate länger und so weiter. Wer 1973 oder später geboren wurde, wird nach dem Reformgesetz bis 64 arbeiten müssen.
Frankreichs Neurentner sind jung
Nach einer Studie der OECD (Pensions at a Glace 2021) lag das effektive, durchschnittliche Renteneintrittsalter in Frankreich im Jahr 2020 bei 60,4 Jahren für Männer und 60,9 Jahren für Frauen. Damit hat Frankreich ein deutlich niedrigeres, durchschnittliches effektives Renteneintrittsalter als Deutschland: Hierzulande gehen Frauen im Durchschnitt mit 63,2 Jahren in Rente, Männer mit 63,1 Jahren. Der EU-Schnitt liegt bei 64,3 Jahren für Männer und 63,5 Jahren für Frauen.
Die Studie bietet auch einen Blick auf das Vermögen, das in den OECD-Ländern in Altersvorsorgeverträgen liegt: In Frankreich waren das laut der Untersuchung von 2021 ganze 12,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und damit deutlich mehr Vermögen gemessen am BIP als in Deutschland, welches nur auf 8,2 Prozent des BIP kommt. In absoluten Zahlen liegt die Bundesrepublik nur knapp hinter Frankreich: Dort betrug das Vermögen in Altersvorsorgeverträgen etwa 344 Milliarden US-Dollar, während Deutschland auf rund 338,5 Milliarden US-Dollar kommt. Berücksichtigen muss man hier zudem, dass Deutschland mit mehr als 83 Millionen Einwohnern deutlich mehr Erwerbstätige hat als Frankreich.
Interessant ist auch der höhere Anteil von Vermögen in sogenannten staatlichen Rentenreservefonds in OECD-Ländern. Hier kommt Frankreich auf 6,7 Prozent des BIP, die in solchen Reservefonds der öffentlichen Hand liegen. In Deutschland werden bisher durch die öffentliche Hand nur 1,2 Prozent des BIPs auf diese Weise verwaltet. Wenig überraschend ist, dass Aktien in der Asset-Allokation in privaten Altersvorsorgeverträgen im Jahr 2020 sowohl in Deutschland als auch in Frankreich nur eine geringe Rolle spielen. Immerhin ist der Aktienanteil mit über zehn Prozent im Nachbarland etwas höher als hierzulande, wo die Allokation im Schnitt deutlich unter zehn Prozent liegt.
Wenn auch die Franzosen künftig länger für ihre staatliche Renten arbeiten müssen, so scheinen sie dem Durchschnitt nach finanziell besser aufgestellt als deutsche Beitragszahler im gesetzlichen System der Regelaltersrente. In Deutschland lag das gesetzliche Rentenniveau 2021 bei 49,4 Prozent des vorherigen Nettoeinkommens. Es soll auf Dauer auf dem Niveau von 48 Prozent gehalten werden. Derzeit wird auch in Deutschland viel über die Zukunft der Altersvorsorge diskutiert. Nun müssen rasch gute Vorschläge her, das System auch für die Zukunft zu stabilisieren. Eins scheint festzustehen: Allein das Umlagesystem wird es nicht richten.
Autoren: Daniela EnglertSchlagworte: Rentensystem | Weltspiegel
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