Rating-Agenturen: Interessenkonflikte sind systemimmanent
Torsten Hinrichs, CEO von Scope Ratings und zuvor Deutschland-Chef bei Standard & Poor´s, beantwortet im Interview mit portfolio institutionell unter anderem die Frage, warum es neben den Bonitätsnoten der drei großen US-Rating-Agenturen noch einer Zweitmeinung bedarf.
Rating-Agenturen konnten sich in der Asienkrise 1997, beim Enron-Skandal 2001 und in der Finanzkrise nicht gerade mit Ruhm bekleckern. Zu den nach der Finanzkrise erhobenen Standardvorwürfen und Forderungen zählen der Interessenskonflikt, dass der Emittent für sein Rating bezahlt und dieser zudem beraten werde, dass Kontrolle und Regulierung fehle, dass die Bonitätswächter für ihre Noten haften sollen und es eine große europäische Rating-Agentur brauche.
Herr Hinrichs, lässt sich der Interessenskonflikt nur dadurch lösen, dass der Investor bezahlt?
Interessenkonflikte sind systemimmanent. Dies gilt auch, wenn der Investor oder der Staat bezahlen würde. Schließlich wünscht sich ein Investor ebenfalls ein möglichst gutes, vor allem aber ein stabiles Rating, um Eigenkapital und Risikobudget zu sparen.
Warum? Der Investor hat eine Masse an Emittenten zur Auswahl, und eine Rating-Verschlechterung im Zeitverlauf im bestehenden Portfolio würde durch die zurückgehende Duration ausgeglichen und somit nicht mehr Eigenkapital erfordern.
Der Investor sucht aber im Sinne einer hohen Rendite das Rating-Level, das gerade noch seinen Kriterien entspricht und wünscht sich danach keine Rating-Verschlechterung. Sonst müsste er gegebenenfalls mit Abschlägen verkaufen.
Würde ein steuerfinanziertes Modell oder ein Stiftungsmodell den Interessenskonflikt lösen?
Auch ein steuerfinanziertes Rating-System hätte Interessenskonflikte, da der Staat selbst Emittent und Regulierer ist. Für ein Stiftungsmodell mangelt es an einem betuchten Stifter. Die Frage ist für mich nicht, ob es Interessenskonflikte gibt, sondern wie mit diesen umgegangen wird. Zu den Errungenschaften seit der Finanzkrise zählt, dass es nun Regeln gibt, die seit 2012 in der Credit Rating Agency (CRA) Regulation festgehalten sind. Diese verbieten Beratungsmodelle und Verbindungen zwischen den ökonomischen Interessen der Agentur und dem analytischen Prozess. Die Analysten dürfen nicht einmal wissen, was ihr Arbeitgeber mit einem Rating verdient. Dies wird auch intensiv von der europäischen Aufsichtsbehörde Esma überprüft. So stattet beispielsweise die Esma den Rating-Agenturen regelmäßig Besuche ab. Dabei sammelt sie E-Mails zu Ratings ein, um die Inhalte der Kommunikation zwischen den Abteilungen zu überprüfen.
Wie kann eine europäische Aufsichtsbehörde US-Rating-Agenturen auf die Finger schauen?
Für ihr Europageschäft müssen sich auch die drei großen US-Rating-Agenturen S&P, Moody´s und Fitch der CRA-Regulation unterwerfen. Die SEC legt aber vergleichbare Maßstäbe an. Auch global kam es in Folge der Finanzkrise zu einer starken Harmonisierung der Aufsichtsbehörden. Diese orientieren sich übrigens stark an den Vorgaben der europäischen CRA-Regulation.
Können Rating-Agenturen für Fehlurteile haften?
Ja – aber nur, wenn die Agenturen ihre eigenen Prozesse nicht einhalten, ihrer Methodik nicht folgen, vorsätzlich falsch oder grob fahrlässig handeln. Ansonsten kann kein Haftungsgrund bestehen. Ratings sind Projektionen. Diese können per se nicht richtig oder falsch sein. Ein Investor darf sich auch nicht blind auf nur ein Rating verlassen. Er muss sich eine eigene Meinung bilden. Die Agentureinschätzung ist lediglich eine von vielen Meinungen, die einem Investor zur Verfügung stehen.
Warum braucht es zu den Zweitmeinungen der Big Three noch Bonitätseinschätzungen von Scope?
Wir wollen ein europäischer Gegenentwurf zu den US-Agenturen sein. Angelsachsen sind auf den Shareholder Value geeicht. Wir berücksichtigen dagegen auch das langfristigere, risikoärmere Handeln eines Familienunternehmens, bewerten Liquiditätspolster in der Bilanz positiv oder sehen in Pensionsverpflichtungen nicht nur deren Barwert als eine von einem Diskontierungsfaktor abhängige Verpflichtung. Im Übrigen ist das Scope-Rating in vielen Fällen bereits das Zweit- oder Dritt-Rating. In einigen Fällen gehen Emittenten auch schon bereits ausschließlich mit einem Scope-Rating in den Markt.
Dann fallen die Scope-Ratings besser aus?
Der grundlegende Nutzen liegt nicht darin, ein bis zwei Notches besser oder schlechter zu raten. Unsere Bewertung soll auf einer besseren Informationsgrundlage basieren und die Besonderheiten gerade von europäischen Unternehmen möglichst präzise widerspiegeln. Wir wollen Investoren Klarheit verschaffen, auf welche Punkte sie achten müssen und versuchen daher, einen anderen Blickwinkel zu bieten. Neben den wesentlichen europäischen Investoren sehen auch bereits große US-Kapitalsammelstellen wie Calpers oder Tiaa-Cref (Teachers Insurance and Annuity Association – College Retirement Equities Fund, Anm. d. Red.) darin einen Mehrwert. Gewinnt eine europäisch geprägte Herangehensweise noch bei weiteren Investoren an Relevanz, dann wäre auch noch eine weitere politische Forderung erfüllt, das Oligopol der großen drei angelsächsischen Agenturen zu ergänzen.
Für den größten Investor in Europa, die EZB, sind aber nur die drei Amerikaner und Dominion Bond Ratings aus Kanada relevant.
Das bedauern nicht nur wir, sondern auch das Europäische Parlament. Die EZB teilte uns mit, dass unsere kritische Masse und unser Track Record noch nicht ausreichend sind. Das ist ein Henne-Ei-Problem. Aber wir arbeiten daran. Viele Dax-Unternehmen haben uns bereits beauftragt. Wir raten beispielsweise schon Linde, Lufthansa, Merck, BASF, Commerzbank, Metro/Ceconomy, Uniper und Daimler. Weitere Unternehmens-Ratings auch außerhalb Deutschlands werden bald hinzukommen. Und bei strukturierten Finanzierungen sind bereits viele große europäische Banken unsere Kunden.
Das Interview führte Patrick Eisele.
portfolio institutionell 11.09.2017/Patrick Eisele
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