Portfolio-Interdependenzen werden sichtbar
Der Name ist Programm: Dr. Jochen Papenbrock taufte sein Unternehmen auf den Namen „Firamis“, eine Kurzform für financial risk and asset managment in intelligent systems. Die Besonderheiten von intelligenten Systemen diskutiert er im Interview.
Herr Dr. Papenbrock, Sie haben sich 2012 mit dem Fintech Firamis auf Technologien für Asset Management und Anlageberatung spezialisiert. Mit welchem Zweck, mit welcher Zielsetzung?
Wir erarbeiten für Asset- und Wealth-Management-Gesellschaften Lösungen im Bereich Digital Asset & Wealth Management. Die sogenannte Graph Theory und das Machine Learning gelten als Zukunftsansätze im Asset Management. Graph-basiertes Machine Learning ist unser Steckenpferd. Wir haben uns auf ein Machine Learning konzentriert, das mit dem Graphen, also den Vernetzungsmustern von Assets in Zusammenhang steht.
Ist das schon künstliche Intelligenz?
Wir sind ein reines B2B-Startup und unterstützen unsere Kunden dabei, ihren Investmentprozess unter Einbezug von Machine-Learning-Techniken sukzessive zu verändern. Wir haben Asset Manager und Banken als Partner und setzen unsere Technologie bei Finanzproblemen ein. Das betrifft etwa den Bereich Risikomanagement, die Portfoliokonstruktion, das Rebalancing und auch die Frühwarnung. Ich spreche lieber von Machine Learning statt von künstlicher Intelligenz (KI), denn es gibt heute noch keine echte KI oder „Super-Intelligenz“.
Was machen Sie beim Kunden ganz konkret?
Die Idee besteht darin, bereits vorhandene Daten wie Kurszeitreihen heranzuziehen, um die Vernetzungsmuster in einem Portfolio besser zu verstehen. Diese Vernetzungen bieten eine tiefere Sicht auf das Zusammenwirken der Positionen in einem Portfolio, denn dort sind oft starke Abhängigkeiten zwischen den Assets zu beobachten. Über das Asset-Netzwerk kann ich eine altbewährte und sehr effektive Technik besser zu nutzen: die Diversifikation. Dafür haben wir ein eigenes KI-System aufgebaut, das weltweit einzigartig ist und dem Kunden entsprechende Signale liefert, mit denen er die Analyseergebnisse direkt umsetzen kann.
Wie funktioniert das genau?
Alle ökonomischen Aktivitäten und die Daten, die daraus resultieren, entstehen an sozioökonomischen Märkten wie dem Aktienmarkt. Wir haben es hier mit einem komplexen System zu tun. Und das kann man gut mit Hilfe von Netzwerken analysieren. Und aus meiner Erfahrung heraus weiß ich, dass die Vernetzung der Assets untereinander aufgrund der Globalisierung und der Informationsverarbeitung zunimmt. Insofern nutzen wir die „Maschine“, um aus den Daten mehr über die Vernetzungsstrukturen zu lernen und Handlungssignale abzuleiten. Auf diese Weise kann man ein Portfolio besser austarieren, weil man Abhängigkeiten besser kennt.
Was machen Sie für Banken?
Vom Ansatz her etwas Ähnliches, aber mit anderen Daten und Signalen. Hier versuchen wir mehr Erkenntnisse über die Abhängigkeiten der Unternehmenskreditnehmer zu erlangen. Die Unternehmen sind miteinander vernetzt, das sieht man beispielsweise an der Supply Chain.
Aus Daten, wie etwa Transaktionen zwischen den Unternehmen, können Sie die Aktivität und Verlinkungen sehen. Als Kundenbetreuer kennt man zwar seine Kreditkunden. Aber vielleicht nicht ad hoc und in Realtime. Sie können auch weitere Daten von außen hinzunehmen, um mehrschichtige Netzwerke zu erhalten.
Angenommen, man hat als Unternehmen die Netzwerkstruktur bereits vorliegen, dann können Sie ähnliche Zusammenhänge immer wieder finden, hier können Sie zum Beispiel Betrugsringe im gesamten Kreditportfolio aufdecken. Sie können bestimmte Strukturen extrahieren und in ihrem gesamten Portfolio prüfen, ob es so etwas vielleicht ein weiteres Mal gibt. Wir sprechen hier von der systematischen vernetzten Analyse. Machine Learning kann helfen, versteckte Netzwerkstrukturen zu finden und freizulegen.
Und wie bauen Sie dann ein diversifiziertes Anlage-Portfolio auf?
Sie können sich an Markowitz orientieren. Er war der erste, der Risiken und Diversifikation in einem konsistenten, wissenschaftlich fundierten und integrierten Framework betrachtet hat. Dahinter verbirgt sich allerdings lineare Finanzmathematik aus den 1960er Jahren, die ja heute auch Kernstück von vielen Robo Advisors ist. Es ist gewissermaßen eine alte Technologie in einem neuen Mantel. Der Ansatz ignoriert aber die starke Vernetzung der Assets, denn die Welt ist leider nicht linear, sondern eher komplex mit exponentiellen Effekten.
Oder Sie nehmen die Zeitreihen der Assets und suchen darin eine Netzwerk-Abhängigkeitsstruktur. Diese Muster nutzen Sie beim Aggregieren zu einem Portfolio. Man kann sagen, dass die Technik der Diversifikation dadurch neu erfunden und an die echte Welt angepasst wird, indem man datenbasiert an die Sache herangeht.
Ist das ökonomisch valide?
Ja, weil man annimmt, dass sich Finanzmärkte wie ein komplexes adaptives System verhalten. Es gibt sozusagen mehrere „Agenten“ beziehungsweise Marktteilnehmer mit ihren Investmentregeln. Und sie reagieren aufeinander, wodurch komplexe Feedback-Schleifen entstehen.
Wir nehmen das als Emergenzen und Netzwerkeffekte wahr. Das ist wie ein selbst-organisierter Ameisenhaufen ohne zentrale Organisationsstruktur: Jede Ameise macht irgendetwas. Daraus ergibt sich aber ein Gebilde: Der Gesamtmarkt. Da sind ganz andere Zusammenhänge und Gleichgewichte am Werk, als sie von der klassischen Ökonomie erklärt werden. Das neue Feld heißt „Complexity Economics“. Ddabei geht es weniger um statische Gleichgewichtsmodelle, sondern um eine evidenzgetriebene, datenbasierte Analyse unter Einsatz moderner Analytics und KI.
Welche Annahme treffen Sie?
Dass Märkte komplexe adaptive Systeme sind. Es gibt keine weiteren restriktiven Annahmen, die den Blick auf die echte Welt trüben könnten. Also analysieren wir die Daten mit Methoden, wie wir sie in der Physik und der Biologie schon lange nutzen – eben die Graph- und Netzwerkanalysen.
Wer hat diese Konzepte aus den Naturwissenschaften auf die Finanzbranche übertragen?
Die Netzwerkanalyse-Geschichte ist nun schon seit etwa 20 Jahren ein Zweig in der Finanzmarktforschung. Professor Rosario Montagna aus Italien hat sich mit Econophysics einen Namen gemacht, also mit der Mischung komplexer Systemanalysen und Ökonomie. Er hat die Netzwerkansätze aus der Physik und der Biologie auf die Finanzmärkte übertragen.
Seitdem ist dort ein Forschungsnetzwerk entstanden mit mehr als 300 aktiven Forschern weltweit. Und es werden immer mehr. Einer davon sind seit über zehn Jahren wir von Firamis. Gerade erfährt der Ansatz aber auch eine rasante Verbreitung in der Praxis.
Wie wird in der Praxis vorgegangen?
Wir haben es mit mehreren Bausteinen oder auch Modulen zu tun. Einerseits, um die Struktur maschinell aus den vorliegenden Daten zu lernen. Dann gibt es Module, die Signale daraus ableiten, ich denke dabei an Investmententscheidungen und die Portfoliokonstruktion. Und auch Module zur Gesamtoptimierung, bei der Sie im klassischen Sinne ein Portfolio aufsetzen und anschließend neue Informationen auf der Grundlage der Vernetztheitsperspektive als Nebenbedingung aufgreifen, um die graph-basierte Diversifikation zu verbessern.
Sie können zwar nichts dagegen unternehmen, wenn zwei Märkte stark miteinander korreliert sind. Aber Sie behalten das Gesamtsystem des Portfolios und dessen Dynamik im Blick. Und das auch über mehrere Asset-Klassen hinweg. Sie versuchen also, das Beste aus den Zeitreiheninformationen herauszuholen.
Der Graph-Ansatz ist einfach eine neue Methode, Risiken zu aggregieren und aus Portfoliosicht zu optimieren. Dann haben wir noch ein Modul, das ich für sehr wichtig erachte: Die Netzwerkzusammenhänge, die die Maschine gelernt hat und das, was sie daraufhin empfiehlt, kann man durch schlaue Algorithmen sichtbar machen. Dank der Visualisierung kann man ein konkretes Portfolio analysieren und dies erklären.
Warum ist das so wichtig?
Ich halte das für einen besonderen Machine-Learning-Ansatz, der sichtbar macht, was im Portfolio passiert. Anderen Ansätzen wird oft eine Art Black-Box-Charakter vorgeworfen: Der Ansatz hat bestimmte Dinge gelernt, aber es mangelt häufig an der Transparenz. Bei unserem Graph-Ansatz ist das anders. Unsere Kunden können das Netzwerk sehen und wie sich das eigene Portfolio darin arrangiert. Und es wird dargestellt, wie die nächsten Schritte aussehen könnten, also was etwa eine weitere Diversifikation in dem Portfolio bringen würde.
Zur Zukunft: Viele Portfoliomanager befürchten, obsolet zu werden.
Sicherlich wird es eine starke Transformation der Branche geben. Der Portfoliomanager oder Berater wird jedoch bleiben, denn die menschliche und persönliche Note ist und bleibt ein Hauptfaktor. Der Manager oder Berater wird jedoch verstärkt intelligente, evidenzbasierte, quantitative KI-Tools einsetzen wie das unsrige. Ich sehe darin eine Chance, ganz neue teil-digitalisierte Geschäftsmodelle zu fahren. Für die Anlagekunden und Investoren sind das goldene Zeiten, denn sie erhalten immer bessere Services. Diejenigen Anbieter, die nun systematisch und intelligent die neuen KI-Methoden nutzen, werden am Ende profitieren, beziehungsweise es wird neue geben, die das gut machen.
Von Tobias Bürger
portfolio institutionell, Ausgabe 06/2017
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