Politische Börsen haben lange Beine
Politische Börsen haben kurze Beine. Dieses Vorurteil hält sich hartnäckig unter den Teilnehmern am Kapitalmarkt. Doch dieses Mal ist es anders. Der Einfluss politischer Entscheidungen ist heute so groß wie selten zuvor. Diesen Eindruck vermittelte am 5. April 2017 die Jahreskonferenz von portfolio institutionell.
Treffpunkt Behrenstraße 37 in Berlin-Mitte: Von dort sind es nur wenige Minuten bis zum Brandenburger Tor, zur Botschaft der Russischen Föderation und zum Reichstagsufer. Bis 1945 residierte unter der Adresse die Dresdner Bank. Sie hatte dort ihren Hauptsitz. 72 Jahre später kamen in der ehemaligen Schalterhalle institutionelle Investoren aus der ganzen Bundesrepublik zusammen, um anlässlich der Jahreskonferenz von portfolio institutionell den Status quo der institutionellen Kapitalanlage zu erörtern und dabei auch einen Blick in deren Zukunft zu werfen.
Den Auftakt der Jahreskonferenz bildete die Keynote von Friedrich Merz. Der frühere Vorsitzende der CDU-/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag und heutige Aufsichtsratsvorsitzende von Blackrock Deutschland sprach vor voll besetzten Reihen über die Konjunktur und die Kapitalmärkte im Superwahljahr 2017. Ohne der ausführlichen Berichterstattung in der Mai-Ausgabe von portfolio institutionell vorgreifen zu wollen, nur so viel vorab: Friedrich Merz hat sich in seiner 45-minütigen Rede als glühender Verfechter der Europäischen Union präsentiert. „Sie sind in einem außergewöhnlich spannenden Jahr nach Berlin gekommen“, sagte er zu Beginn seiner Keynote an das Publikum gerichtet. Wie zum Beleg für diese Feststellung wies Merz auf eine Debatte der elf Kandidaten um das Amt des Staatspräsidenten der Republik Frankreich hin, bei der just am Vorabend ungewohnt offen über einen möglichen Austritt Frankreichs aus der Eurozone („Frexit“) debattiert wurde.
Das Brisante: Fünf der elf Kandidaten haben sich gegen den Verbleib Frankreichs in der Europäischen Union ausgesprochen. „Nehmen wir mal an, es käme bis zur Wahl am 23. April 2017 zu einer Einigung der beiden zerstrittenen, äußerst linken Kandidaten. Das würde dazu führen, dass nur einer der beiden zur Wahl antritt. Dann könnte es in der Stichwahl am 7. Mai zu einer Abstimmung zwischen der extremen Rechten und der extremen Linken kommen“, warnte Merz.
Beide Seiten haben sich gegen den Verbleib Frankreichs in der Europäischen Union ausgesprochen. Für Investoren, und hier schließt sich der Kreis, heißt das, sie müssen sich mehr denn je mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass der Euro in seiner heutigen Form vielleicht nicht überleben wird. „Ich will den Teufel nicht an die Wand malen“, versicherte Merz. Aber daran zeige sich, führte er fort, „welchen Herausforderungen Europa gegenübersteht.“ Und auch die US-Präsidentschaftswahlen hätten Auswirkungen auf Europa, betonte er.
Ein hoch interessanter Schritt vor dem Hintergrund der Finanzkrisen der vergangenen Dekade ist die angestrebte Deregulierung der Finanzmärkte und die potenzielle regulatorische Lockerungen für die US-Banken. Das betonte auch Friedrich Merz: „Es gibt in den USA Überlegungen, größere Teile der Kapitalmarktregulierung zurückzunehmen. Unter anderem ist der Dodd Frank Act auf der Tagesordnung. Das betrifft eine mögliche Lockerung der Regulierung, die nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers initiiert wurde.“
Merz wies mit Blick auf die darbende Bankenlandschaft in Europa darauf hin, dass die US-Kreditinstitute besser aus der Krise herausgekommen seien, als sie hereingegangen sind – ein zentraler Aspekt, der nach dem Vortrag von Friedrich Merz in der hochkarätig besetzten Diskussionsrunde „Globalisierungskontroverse in der deutschen Kapitalanlagepraxis 2017“ erörtert wurde.
Teilnehmer waren Dr. Hans Wilhelm Korfmacher vom Versorgungswerks der Wirtschaftsprüfer und der vereidigten Buchprüfer, Dr. Holger Bahr, Ökonom der Deka-Bank, und Stefan Hofrichter (Head of Global Economics & Strategy, Allianz Global Investors) sowie Graham McDevitt (Global Strategist bei Macquarie Investment Management). Komplettiert wurde die Runde von Ex-US-Botschafter John Kornblum.
Dr. Korfmacher gab während der Diskussionsrunde zu bedenken, dass Deutschland sich ein Auseinanderbrechen der Europäischen Union nicht leisten könne. Mit Blick auf die hauseigenen Kapitalanlagen sagte Korfmacher, dass er das größte Risiko derzeit im Zerfall der Eurozone sehe. „Das kann ich nicht hedgen. Das trifft dann zwar alle, trotzdem mache ich mir Sorgen.“ Seinen Ausführungen zufolge verblassen fundamentale ökonomische Fragestellungen aufgrund der politischen Großwetterlage derzeit geradezu. „Das ist ein Unsicherheitsfaktor, der mich umtreibt“, so Korfmacher.
Stefan Hofrichter pflichtete diesen Worten bei: „Zum ersten Mal seit Jahrzehnten müssen wir die politische Dimension in unsere Überlegungen einbeziehen.“ Doch er redet hierbei nicht von Risiken, sondern Unsicherheiten. Denn man wisse nicht, was passiert. Er warnte davor, dass das „Durchwurschteln“ in Europa nicht länger so weitergehen könne. Dem stimmte Dr. Holger Bahr grundsätzlich zu. Trotzdem erwartet der Ökonom, dass es in Europa in den nächsten drei bis fünf Jahren mit dem Durchwurschteln weitergehen werde, und gewann dem sogar etwas Positives ab. Seiner Einschätzung nach werde es bei den Zinsen sehr langsam nach oben gehen.
Einen bunten Themenstrauß hatte die gebürtige Afrikanerin Dr. Dambisa Moyo mit nach Berlin gebracht. Die Ökonomin, Vordenkerin und Buchautorin („Dead Aid“, „Der Untergang des Westens“) berät Unternehmen und Führungskräfte bei Fragen über Anlageentscheidungen, zur Kapitalallokation und im Risikomanagement. In ihrem Vortrag und in einer anschließenden Diskussionsrunde unter der Leitung von Nigel Cresswell (Willis Towers Watson) gab sie anhand hervorragender Detailkenntnis Einblick in die Weltwirtschaft, wobei sie den Schwerpunkt auf die Entwicklung der Schwellenländer legte. Die Diskussionsrunde, zu der auch Klaus Bernshausen von der Evangelischen Ruhegehaltskasse zählte, bildete den Auftakt für einen inhaltlich höchst abwechslungsreichen Nachmittag der Jahreskonferenz. Dieser stand im Zeichen sechs themenspezifischer „Expertensessions“.
Referenten der Asset-Management-Branche erörterten gemeinsam mit institutionellen Investoren brennende Themen wie die mangelnde Liquidität an den Märkten für Unternehmensanleihen. In diesem Fall diskutierte Christoph Hock aus dem Bereich Multi Asset Trading bei Union Investment mit Andreas Siegert (Head of Asset Management bei der Gea Group) und Michael Hepers (Evangelische Bank), ob man die mangelnde Liquidität nicht nur mit Bauchschmerzen hinnehmen müsse, sondern vielmehr als Herausforderung und Chance begreifen könne.
An anderer Stelle, bei der Expertensession über „Disruptive Trends“, kam beispielsweise Professor Stefan Mittnik von der Ludwig-Maximilians-Universität zu Wort. Mittnik verzeichnet mit dem von ihm mitbegründeten Anbieter „Scalable Capital“ derzeit ein enormes Asset-Wachstum beim Einsatz passiver Anlageinstrumente. Mehr darüber und über die weiteren Expertensessions erfahren Sie in der Mai-Ausgabe von portfolio institutionell.
portfolio institutionell 28.04.2017/Tobias Bürger
Autoren: portfolio institutionellSchlagworte: Versicherer
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