Pensionskassen in Gefahr
Pensionskassen schlagen Alarm: Die Europäische Union prüft, ob Solvency II auch für sie gelten soll. Sollte es dazu kommen, droht den vielen firmengebundenen Einrichtungen das Aus.
Pensionskassen schlagen Alarm: Die Europäische Union prüft, ob Solvency II auch für sie gelten soll. Sollte das neue Regelwerk auf die Kassen angewandt werden, droht den vielen firmengebundenen Einrichtungen das Aus. Ein Verlust für die Vorsorgenden, bieten doch Pensionskassen oft günstigere Konditionen als Versicherer.
Die Verantwortlichen bei europäischen Pensionskassen, die von Unternehmen getragen werden, müssen in diesen Tagen das Gefühl haben, sie seien im falschen Film. Obwohl das Regelwerk Solvency II eigentlich für die europäische Assekuranz konzipiert wurde, prüft die Europäische Kommission nun, ob das Regime auch auf die Kassen anwendbar ist. Im April erhielt die neue europäische Versicherungs- und Pensionsaufsicht Eiopa einen Brief vom Kabinett des französischen EU-Binnenmarktkommissars, Michel Barnier, der für die Solvency-II-Thematik zuständig ist. Der Inhalt: Die Eiopa möge bitte bis Ende 2011 auf die Frage antworten, welche Aspekte des Regelwerks für Pensionskassen anwendbar sind. Aus der Antwort will die Kommission konkrete Vorschläge für einen Gesetzentwurf in Form des sogenannten Weißbuchs ableiten.
Dabei wurde ein fundamentaler Unterschied zwischen Versicherern und firmengebundenen Pensionskassen völlig ausgeblendet. Obwohl Versicherungen auch Betriebsrenten anbieten, übertragen sie die Risiken – also eine niedrige Rente oder gar keine – auf den Arbeitnehmer. Es ist also verständlich, dass die Kommission mit einem risikobasierten Regelwerk wie Solvency II die Betriebsrenten von Versicherungen sicherer machen will. Bei den Pensionskassen bleiben die Risiken allerdings bei den Unternehmen, was eine Anwendung von Solvency II per se ausschließt. Denn: Wenn bei der Betriebsrente etwas schiefgeht, haftet der Arbeitgeber. Im schlimmsten Fall kann der Arbeitnehmer ihn verklagen. Auch im Falle der Insolvenz einer Kasse haften in Deutschland die Unternehmen. Arbeitnehmer genießen also bereits ein hohes Niveau an Sicherheit bei ihren Betriebsrenten. Abgesehen davon, dass die Kassen sich von Solvency II nicht betroffen fühlen, geben sie in diesen Tagen eine klare Warnung: Sollte das Regelwerk für sie gelten, würde dies das Aus für arbeitgebergetragene Pensionspläne bedeuten. Thomas Mann, EU-Parlamentarier und Vizepräsident im Ausschuss für Beschäftigung und Soziales, hat ausgerechnet, dass die Eigenkapitalanforderungen für risikoreichere Anlagen unter Solvency II die Kosten der Unternehmen um bis zu 40 Prozent erhöhen könnten. Diesen Aufwand können (und wollen) viele, besonders mittelständische Unternehmen, nicht betreiben.
Dieses Szenario kann die Kommission nicht wollen, da Pensionspläne von Arbeitgebern in der Regel erheblich kostengünstiger sind als das Angebot von Versicherungen. Versicherungen wiederum können die anfallenden Mehrkosten an die Versicherten weitergeben oder sich gegebenenfalls neues Kapital an der Börse oder von ihren Mitgliedern besorgen. Wenn die Frage nach Solvency II für europäische Pensionskassen sich eigentlich nicht stellt, warum stellt sie die Kommission trotzdem? EU-Vertreter nennen dafür im Wesentlichen drei Gründe: die Finanzkrise, das lückenhafte Wissen über die betriebliche Altersversorgung (bAV) auf EU-Ebene sowie die Person des Binnenmarktkommissars Michel Barnier selbst.
Nach der Finanzkrise, bei der die Regierungen Europas die Banken mit Milliarden von Euro an Steuergeldern retten mussten, zog die EU den Schluss, dass die Finanzwelt besser beaufsichtigt werden muss, damit sich derartige Krisen nicht wiederholen. Dazu gehörte eben das Pensionsthema, und die Kommission war der Ansicht, Solvency II könnte hier nützlich sein. Der Parlamentarier Thomas Mann erklärt: „Im Grünbuch (ein Diskussionspapier, Anmerkung der Redaktion) behauptet die Kommission, dass private Pensionskassen im Krisenjahr 2008 über 20 Prozent an Wert verloren hätten. Sie sagt, einige von ihnen seien nicht in der Lage gewesen, ihren Verpflichtungen nachzukommen.“ Allerdings lieferte die Kommission für die Behauptungen keine Beweise. Darüber hinaus haben viele Pensionskassen seit der Finanzkrise ihre Verluste wieder wettgemacht. Andere Kassen, besonders die in Deutschland, blieben wegen ihrer anleihenlastigen Portfolios von dem Aktienmarktcrash 2008 verschont.
_Große bAV-Wissenslücke im EU-Parlament
Thomas Mann sieht bei den Pensionskassen keinen Handlungsbedarf: „Die Kommission will ein Problem bekämpfen, das in den reifen bAV-Ländern nicht existiert.“ Dieser „Kampf gegen die Windmühlen“ schaffe jedoch Probleme, so der CDU-Abgeordnete. „Die erfolgreichen bAV-Systeme, etwa in Deutschland, Luxemburg, Österreich und Finnland, sollen plötzlich auf verschärfte Grundlagen gestellt werden, die zu hohen Kostensteigerungen führen würden und damit die freiwilligen Systeme ernsthaft gefährdeten“, sagt Mann. Zwar versteht der hessische Politiker den Wunsch der Kommission, nach relativ vielen Firmeninsolvenzen in Osteuropa, Betriebsrenten im Allgemeinen besser abzusichern. Doch übersehe die Kommission, dass in diesen Ländern die Zahl der Arbeitnehmer mit einer Betriebsrente besonders niedrig ist. Zudem werden diese Renten in Osteuropa zumeist von Versicherungen getragen. Und für die gilt künftig bekanntlich Solvency II.
Trotz der Problematik hat das Parlament die Prüfung von Solvency II für Pensionskassen im Februar mit großer Mehrheit gebilligt. Warum? Die Erklärung dafür ist bedenklich: Laut Mann ist das Pensionsthema für einige Mitgliedsstaaten viel zu komplex und für andere mit keiner ausgeprägten bAV eher belanglos. Ria Oomen-Ruijten, Manns niederländische Kollegin im Ausschuss für Beschäftigung und Soziales, gibt ihm recht und fügt hinzu, dass sie oft im Parlament den Unterschied zwischen einem beitragsorientierten Plan (DC) und einem leistungsorientierten Plan (DB) erklären müsse. Wenn also schlecht informierte EU-Parlamentarier vernähmen, dass Solvency II Betriebsrenten sicherer macht, stimmten sie dafür, auch wenn dies so nicht richtig sei. Der dritte Grund für die Prüfung hängt laut EU-Vertretern mit der Person Michel Barnier zusammen.
Wie andere Kommissare auch will er sich in Brüssel für die Interessen seines Heimatlandes stark machen. Dazu gehört eben der Wunsch der französischen Versicherer, dass Solvency II auch für firmengebundene Pensionskassen gilt. Zwar gibt es in Frankreich kaum solche Einrichtungen, aber dies ist nach Meinung der Solvency-II-Gegner nicht die zwingende Erklärung für die Haltung von Versicherungen wie der Axa. Vielmehr hätten diese Unternehmen es gerne, dass die Konkurrenz um das bAV-Geschäft seitens der Kassen verschwindet. Auch in Deutschland sind große Einrichtungen, wie die Höchster Pensionskasse (Chemie), der BVV (Finanzdienstleister) und die Hamburger Pensionskasse (Nahrung und Einzelhandel), wegen ihrer niedrigen Kosten für die Assekuranz ein Dorn im Auge. Oomen-Ruijten räumt ein, dass der Kampf gegen Solvency II für Pensionskassen nicht einfacher wird, wenn die Einrichtungen nun auch im Ausland mit Versicherungen um das bAV-Geschäft ringen.
Jedenfalls hat Barnier kurz nach seinem Amtsantritt im Februar 2010 die Überprüfung schnell vorangetrieben. Chris Verhaegen, langjährige Generalsekretärin der europäischen Pensionskassenlobby EFRP, sagt, sie habe bei einem Kommissionsvorhaben noch nie so ein hohes Tempo gesehen und verweist auf den Auftrag an die Eiopa. Sie vermutet, dass dies mit der sehr engen Frist für die Einführung von Solvency II zu tun hat. Nach Wunsch der Kommission soll das komplizierte Regelwerk ab Januar 2013 gelten, aber einige Versicherer, auch deutsche, plädieren für mehr Zeit. „Mir fehlt bei diesem Thema der europäische Geist. Denn die Interessen nur einer Industrie, nämlich der Assekuranz, werden stark berücksichtigt. Dafür kommen die Interessen der Pensionskassen, die gegen Solvency II sind, zu kurz“, so die Generalsekretärin.
_Barnier will keine Beschädigung der Kassen
Obwohl Karel van Hulle, der Solvency-II-Experte bei der Kommission, Ende März auf einer bAV-Veranstaltung in Berlin erklärt hatte, dass EU-Mitglieder wie Frankreich die Prüfung forcieren, gab Barniers Chefberaterin im Gespräch mit portfolio eine banalere Erklärung. „Im Rahmen der EU-Pensionsfonds-Richtlinie (von 2003, Anm. d. Red.) war es immer geplant, zu prüfen, inwieweit die künftigen Solvency-II-Regelungen auch für die Einrichtungen gelten sollten“, sagt Paulina Dejmek, Mitglied des Kabinetts des EU-Binnenmarktkommissars. Dejmek unterstreicht zudem, dass die Kommission mit der Überprüfung überhaupt nicht beabsichtige, Firmenpensionskassen zu beschädigen. „Wir kennen sehr wohl den Unterschied zwischen diesen Einrichtungen und Versicherungen“, sagt sie. Eiopa sei nun gefragt worden, zu prüfen, welche Aspekte für die Kassen gelten sollten, ergänzt sie mit dem Hinweis, dass der Ausgang offen sei.
Bevor die Eiopa sich bei der Solvency-II-Debatte einschaltete, schien eine reine Übertragung des Regelwerks auf europäische Pensionskassen durchaus möglich. Folglich hatten einige in Deutschland bereits damit begonnen, ihre ohnehin sehr bondlastigen Portfolios noch defensiver zu machen, entweder durch eine weitere Reduzierung der Aktienquote zugunsten Anleihen oder den Zukauf von Immobilien. BVV-Vorstand Helmut Aden warnte auf der Veranstaltung mit Karel van Hulle Ende März, dass der Eigenkapitalbedarf der Kassen unter Solvency II enorm steigen würde. Laut Aden bräuchten sie so viel Geld, um unwahrscheinliche Szenarien wie eine dauerhafte Niedrigzinsphase oder einen Aktienschock und einen Immobilienschock von 40 beziehungsweise 25 Prozent durchzustehen. Solche Anforderungen würden in der Tat das Aus vieler Kassen bedeuten. Mitte Juni stellte aber der neue Eiopa-Präsident, Gabriel Bernardino, klar, dass es so weit nicht kommen werde. Auf einem Pressedinner in Frankfurt sagte er: „Mit Solvency II kann man nicht einfach Copy-Paste machen. Das macht keinen Sinn, denn firmengebundene Pensionskassen sind anders als Versicherungen.“ Stattdessen kann sich Bernardino vorstellen, dass Teile von Solvency II, vor allem die qualitativen Anforderungen, für die Kassen künftig gelten. Beispielsweise sind umfangreichere Rechnungslegungs- und Berichtspflichten, wie Jahresabschlüsse, Geschäftsberichte oder zusätzliche Informationen an die Versicherten und Aufsichtsbehörden, vorgesehen.
_Die Solvency-II-Debatte dauert an
Bernardinos Äußerungen wurden von europäischen Pensionskassen sicherlich mit großer Erleichterung aufgenommen. Falls sie der Meinung der Eiopa – sprich: dem Experten für dieses Thema – entsprächen, wäre es höchst unwahrscheinlich, dass die Kommission eine reine Übertragung des Regelwerks vorschlägt. Die niederländische EU-Abgeordnete Oomen-Ruijten weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass Barnier selbst inzwischen die reine Übertragung nicht anstrebe. Als Beweis nennt sie eine Rede vor niederländischen Pensionskassen, in der Barnier sagte: „Ich teile die Meinung, dass Solvency II dafür konzipiert wurde, Versicherungen besser zu beaufsichtigen und dass das Regelwerk sich nicht ganz für die Besonderheiten der Pensionskassen eignet.“
Trotzdem ist der Solvency-II-Krieg zwischen den Versicherungen und den Pensionskassen noch lange nicht vorbei. Erstens liegen die Ergebnisse der Prüfung nicht vor, und keiner weiß, was das Weißbuch zu diesem Thema wirklich beinhalten wird. Danach muss der entsprechende Gesetzentwurf der Kommission vom EU-Parlament verabschiedet werden. Und dort gibt es (bisher) viel Sympathie für die volle Anwendung von Solvency II auf Pensionskassen. Letztlich muss der Entwurf durch den EU-Rat, wo ein Land wie Deutschland oder die Niederlande die volle Anwendung nicht mehr mit einer Stimme blockieren könnte. Stattdessen müsste das Land eine Mehrheit der 27 EU-Mitglieder organisieren. Klaus Stiefermann, Geschäftsführer der deutschen Pensionskassenlobby Aba, sagt dazu: „Wir gehen davon aus, dass wenigstens die qualitativen Anforderungen von Solvency II für uns gelten werden.“
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