Statement
23. November 2020

„Öl als Kraftstoff hat ausgedient“

Interview mit Nader Purschaker, Head of Institutional Sales, BNP Paribas Asset Management

Auch politisch bedingt konzentriert sich Nachhaltigkeit derzeit sehr stark auf „Paris“ und den CO2-Ausstoß. Ist es vorstellbar, dass in absehbarer Zeit Ethik der neue Schwerpunkt sein wird?

Der Schwerpunkt auf Ökologie und Klimawandel hat durchaus seine Berechtigung. Damit er aber nicht übermächtig wird, ­basiert unsere Nachhaltigkeitsstrategie auf insgesamt drei wichtigen Themen: Energiewende, Umwelt und Gleichberechtigung, die „3E“ (Energy Transition, Environment und Equality). Damit verfolgen wir ganz kon­krete Ziele, wie etwa weniger CO2, den Schutz der Wälder, sauberes Trinkwasser – oder auch die Erhöhung des Frauenanteils in den Vorstandsetagen.
Ob Sie es nun nachhaltiges oder ethisches Investment nennen: Es geht noch immer ­darum, Downsides zu vermeiden beziehungsweise Upsides zu schaffen. Und Unternehmen, die sich durch einen hohen Grad an Diversität auszeichnen, sind mit höherer Wahrscheinlichkeit auch überdurchschnittlich profitabel. Das war schon 2018 ­Ergebnis der Studie „Delivering Through Diversity“ von McKinsey. Besonders groß ist dieser Zusammenhang beim Frauenanteil im Topmanagement (Vorstand und zwei bis drei Ebenen darunter). Unternehmen, die hier sehr gut abschneiden, haben eine um 21 Prozent größere Wahrscheinlichkeit, überdurchschnittlich erfolgreich zu sein. Hierzulande ist dieser Effekt besonders deutlich: Bei deutschen Unternehmen mit einem ­hohen Anteil weiblicher Führungskräfte im Topmanagement verdoppelt sich die Wahrscheinlichkeit eines überdurchschnittlichen Geschäftserfolgs sogar. In solchen Firmen liegt also enormes Upside-Potenzial – das wollen wir für unsere Anleger heben.

Was sind die Herausforderungen bei ethischen Investments? Liegen diese zum Beispiel im Konkurrenzverhältnis zur Ökologie?

Konkurrenz belebt das Geschäft, oder nicht? Wir glauben: Nachhaltigkeit ist evolutionär, sie entwickelt sich weiter. Nehmen Sie die 17 SDGs als Beispiel: Es kann ja durchaus sein, dass manche SDGs miteinander konkurrieren. Da muss man Prioritäten setzen. Ist es darum verkehrt, wenn von insgesamt 17 Zielen schon 10, 12, 14 umgesetzt werden können. Nein! Denn man kann neue Ziele setzen: „Three more to go!“

Sehen Sie bei deutschen Kunden den Umsetzungsfokus bei Ausschlüssen, Best-in-Class-Ansätzen, Impact-­Investments oder Engagements? Bestehen hier Unterschiede zu anderen Regionen?

Ja, wir sehen zum Teil gravierende Unterschiede zu anderen Regionen! Um das zu erläutern, zitiere ich hier aus unserer Studie mit Greenwich Associates vom Sommer 2020 zur Bedeutung von ESG-Kriterien im Covid-19-Umfeld. Befragt wurden dabei ­institutionelle Anleger und Finanz-­Vermittler aus Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Spanien, Belgien sowie Norwegen und Schweden. Das Ergebnis der Umfrage war im Grunde: Covid-19 führt zu mehr sozialen ­Erwägungen bei Investment-Entscheidungen – nur nicht in Deutschland.
Hier die Zahlen im Detail: Insgesamt sagte fast ein Viertel aller Befragten (23 Prozent), dass ESG infolge der Corona-Krise ­„wichtiger“ wird. Die französischen Befragten lagen dabei vorn: Ganze 42 Prozent ­waren hier der Meinung, dass ESG an ­Bedeutung gewonnen hat. Auch in Italien und im Vereinigten Königreich (je 31 ­Prozent) teilte man diese Auffassung, ­während in Deutschland dem nur drei ­Prozent zustimmten.
Doch nicht nur ESG-Faktoren im Allgemeinen gewannen an Bedeutung, sondern vor allem soziale Erwägungen im Speziellen. Ganze 70 Prozent der Teilnehmer ­erwarteten, dass diese künftig sehr wichtig oder sogar extrem wichtig werden: Die Bedeutung ­sozialer Kriterien stieg im Vergleich zu vor der Krise um 20 Prozentpunkte und schloss so zu Umwelt- (74 Prozent) und Governance-Faktoren (76 Prozent) auf. Diese ­beiden Faktoren sind zwar weiterhin die wichtigsten Elemente für ESG-Investments, wiewohl die zunehmende Fokussierung auf soziale Fragen einen Paradigmenwechsel ­anzeigt – doch auch hier mit erheblichen Unterschieden nach Herkunft der Befragten: Soziale Fragen wurden von 92 Prozent der französischen Befragten als wichtig emp­funden, verglichen mit nur 39 Prozent vor der Krise. Auch in Großbritannien hat ein Umdenken stattgefunden: Hier stieg der ­Anteil der ESG-Verfechter von 39 auf 70 Prozent. In Deutschland dagegen stieg ihr Anteil nur ganz leicht, von 50 Prozent vor der Krise auf nun 54 Prozent.
Und auch wenn unsere Studie die weit verbreitete Auffassung belegt, dass sie positive Auswirkungen haben, so bestehen noch ­erhebliche Hemmnisse bei der Berücksichtigung sozialer Faktoren: Zum einen der „Mangel an etablierten Standard-Metriken“ (42 Prozent) und zum anderen „mangelnde Klarheit darüber, was sozial verantwortliche Investitionen beinhalten“ (31 Prozent).
Doch es bewegt sich was: Die Mehrheit der Befragten plant, die Verwendung von Sozial­kennzahlen deutlich auszuweiten. Fast die Hälfte aller Befragten (47 Prozent) nutzt ­bereits Ausschlüsse, weitere 26 Prozent ­planen dies.
Und obwohl die deutschen Befragten viel seltener sagen, dass die Krise ihre Ansichten zu sozialen Erwägungen geändert hat, planen sie doch, Sozialkennzahlen deutlich mehr zu verwenden: 34 Prozent planen ­Ausschlüsse, 47 Prozent nutzen sie bereits. Weitere 25 Prozent wenden bereits Kennzahlen bezüglich der Einhaltung von Arbeits­normen an, während 41 Prozent dies noch planen. Und drei Prozent achten bereits auf die Gleichstellung der Geschlechter, 59 ­Prozent der deutschen Teilnehmer wollen dies künftig tun.

Reduziert die Taxonomie das Anlage­universum für regulierte Investoren?

Die EU-Taxonomie ist ein Instrument, das wirtschaftliche Aktivitäten und Leistungskriterien festlegt, um ein Ziel zu erreichen: Bis 2050 will Europa CO2-Emissionen auf Netto-Null reduzieren und so dem Klimawandel langfristig aktiv entgegenwirken. Die Taxonomie stellt dazu Spielregeln für die Branche auf: Sie gibt einen klaren Weg hin zu einem klimaverträglichen ­Wirtschaften vor. Damit unterstützt sie Unternehmen und Investoren bei der Maßnahmenplanung und bei der Berichterstattung zu dem ­konkreten Beitrag, den sie zu einer kohlenstoffarmen und nachhaltigeren Wirtschaft leisten.
Für Vermögensverwalter, wie auch BNP ­Paribas Asset Management, ist die Taxonomie deshalb ein wertvolles Instrument bei der Konstuktion eines nachhaltigen Portfolios und in der Zusammenarbeit mit den Unternehmen. Und sie ermöglicht eine konsistente Berichterstattung für jeden Fonds, der als nachhaltig klassifiziert ist. Das schafft Transparenz für Anleger, die so tatsächlich „Äpfel mit ­Äpfeln“ vergleichen können.
Bisher gab es keine einheitliche Definition, welche Kriterien eine nachhaltige Anlage ­erfüllen muss. Nachhaltige Finanzierungen spielen jedoch eine entscheidende Rolle ­dabei, dringend benötigte Finanzmittel zu mobilisieren, um Europa bis 2050 klimaneutral zu machen. Klare Instrumente und Leitlinien geben Unternehmen und Investoren die notwendige Orientierung und das Vertrauen, um entschlossen zu handeln. Damit setzt die EU im globalen Kampf gegen den Klimawandel auch ein wichtiges Zeichen für andere Märkte. Schlussendlich wird die ­Taxonomie das Anlageuniversum für Investoren damit eher erweitern statt reduzieren.

Den Rating-Agenturen wird eine ­Mitschuld an der Finanzkrise gegeben. Nun bieten diese auch ESG-Ratings an. Drohen Nachhaltigkeits-Blasen, weil immer mehr Investoren die immer ­gleicheren ESG-Ratings nutzen?

Erfolgreiche Investments hängen stets von der Qualität der verfügbaren Informationen ab – das gilt auch und gerade für ESG-­Investments. Nun gibt es zahlreiche Rating-Anbieter am Markt; laut Global Initiative for Sustainability Ratings (GISR) sind es mehr als 600 Unternehmen. Dazu gehören zum Beispiel Bloomberg, FTSE, MSCI, Thomson Reuters und andere renommierte Player. Doch jeder hat nun einmal seine ­eigenen Beschaffungsprozesse und Research-Methoden, so dass das Rating für dasselbe Unternehmen von Anbieter zu Anbieter ­unterschiedlich ausfallen kann.
Deshalb haben wir ein eigenes, inter-­disziplinäres Sustainability Center, betreiben selbst intensives, qualitatives Research und stehen in regelmäßigem Kontakt mit ­Vorständen und Geschäftsführern. Die ­Erkenntnisse daraus werden all unseren ­Investmentteams zur Verfügung gestellt, die sie in ihren Anlageprozess einbinden und sich so nicht nur auf die Ratings der ­Agenturen verlassen müssen.

Ist es nachhaltig, nicht-nachhaltige Unternehmen zu shorten?

Seit dem Sommer sind wir mit unserem BNP Paribas Environmental Absolute Return Thematic (kurz „EARTH“) Fonds am Markt, bei dem wir erstmals auch Unternehmen shorten. Spätestens die Corona-Krise hat ja gezeigt, wie wichtig es ist, Investments gegen fallende Kurse abzusichern. Hier zeigt sich die Stärke des Long/Short-Ansatzes: Der Fonds investiert in die vielversprech­endsten Unternehmen aus den Bereichen Energie, Rohstoffe, Landwirtschaft und ­Industrie. Gleichzeitig werden die Long- mit Short-Positionen in ­Unternehmen ­gekoppelt, die mit nicht nachhaltigen oder ver­besserungswürdigen Geschäftsmodellen ­anfällig für Risiken sind. Short-Positionen werden also sowohl als Alpha-Quelle als auch zur marktneutralen Absicherung von Long-Positionen genutzt.
Unser Fondsmanager Edward Lees ist ­überzeugt, dass Unternehmen, die bei der Bewältigung aktueller Umweltprobleme ­helfen können, diejenigen übertreffen ­werden, die entweder keine Maßnahmen ­ergreifen oder sogar noch zu den Problemen beitragen. Letztere laufen zunehmend ­Gefahr, „stranded Assets“ zu verzeichnen und Abschreibungen vornehmen zu müssen. Der Fonds ermöglicht unseren ­Anlegern, von positiven Veränderungen ­sowohl in Sektoren mit hohem als auch mit niedrigem CO2-Ausstoß zu profitieren, langfristige absolute Renditen zu erzielen und zugleich das Risiko bei Markteinbrüchen zu reduzieren.

Ölfirmen wie BP oder Total bauen Erneuerbare Energien aus. Wie nachhaltig sind diese Firmen beziehungsweise der Ölsektor aus Ihrer Sicht?

Wo diese Firmen noch nicht nachhaltig sind, müssen sie es schnellstmöglich werden! Die Branche ist jetzt von drei Seiten her unter Feuer: Zum Einen war die Hoch-Zeit des schwarzen Goldes schon vor der Corona-Krise vorbei. Die Ölnachfrage in den USA, dem weltweit größten Verbraucher, war ­bereits 2005 mit 20,8 Millionen Barrel pro Tag auf dem Höchststand. Dieses Niveau ist seitdem nicht mehr erreicht worden.
Als zweites Problem der Ölindustrie kommt die zunehmende Konkurrenz der Erneuer­baren Energien dazu. So sind etwa mit Wind- und Solarenergie-betriebene E-Autos schon heute wirtschaftlicher als Autos mit Verbrennungsmotor.
Mark Lewis, der Leiter unserer Nachhaltigkeitsforschung, hat in seiner Stude „Wells, Wires and Wheels“ ­errechnet: Um das ­Mobilitätsniveau von Benzin aus dem Jahr 2018 für die nächsten 25 Jahre zu halten, braucht es Investitionen von etwa 25 Billionen US-Dollar. Die Kosten für neue Projekte im Bereich der Erneuerbaren liegen dagegen nur bei vier bis fünf Billionen Dollar. Kurz: In diesem Zeitraum die gleiche Mobilität mit Benzin wie mit Elektroantrieben und ­Erneuerbaren Energien zu erzielen, kostet sechs bis siebenmal so viel. Fakt ist: Öl als Kraftstoff hat ausgedient.
Und zum Dritten rechnen Investoren weltweit mit spitzem Bleistift. Sie haben die Wahl: Entweder sie nutzen die Vorzüge eines Investments in Erneuerbare Energien mit langfristiger Preisstabilität und gesicherter Abnahme für 25 Jahre; oder aber sie wählen Öl und erhalten hohe Volatilität.
Auch die Dividenden fließen nicht mehr so regelmäßig: So kürzte zum Beispiel die ­britisch-niederländische Royal Dutch Shell ihre Dividende im April 2020 um zwei ­Drittel – erstmals seit 1945. Investoren ­stellen sich nun die Frage: Warum investieren wir in diese Unternehmen, wenn wir ­keine Dividende erhalten? Wenn solche ­Argumente wegfallen, welches bleibt dann noch? Nachhaltigkeit könnte eines sein.

Hat Nachhaltigkeit in den Emerging Markets einen besonders großen Nutzen?

Ja. Denn nachhaltige Investments bedeuten immer, in die Welt von morgen zu investieren. Und mit Blick auf die Zukunft haben gerade einige der ärmsten Länder – mit den niedrigsten ESG-Werten – das Potenzial, die größten Verbesserungen in Bezug auf ­Umweltschutz, soziale Verantwortung und Governance zu erzielen. Dies sind auch die Länder, die langfristig verantwortungsbewusste Investitionen am dringendsten ­brauchen, um durch Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen eine wachsende Mittelschicht zu fördern. Von der ­daraus resultierenden Nachfrage nach Konsum­gütern, Dienstleistungen und Infrastruktur profitieren dann auch geduldige Investoren.

Große Unternehmen sind nachhaltiger als kleine – weil sie mehr Ressourcen haben, entsprechende Daten zur Verfügung zu stellen. Ihre Sicht und Ihre Lösung?

Wir wollen wissen, wie gut ein ­Unternehmen wirklich mit seinen ESG-Risiken umgeht. Dazu hat unser ­Researchteam eine eigene, dreistufige ­Methode zur Wertpapieranalyse entwickelt: Auf Basis eines quantitativen Screenings wird für jedes Papier ein ESG-Wert auf einer Skala von 0 bis 100 berechnet. Der Governance-Score fließt dabei mit mindestens 30 Prozent ein, der Social-Score mit mindestens 20 Prozent und der Umwelt-Score muss mindestes zehn Prozent betragen. Dann wird die qualitative ­Bewertung berücksichtigt, so dass die Punktzahl um bis zu 30 Prozentpunkte steigt oder fällt.
Dank ­unserer weltweiten Exper­tise ver­fügen wir über tiefe Einblicke und sind so in der Lage, in allen Markt­segmenten erst­klassige Unternehmen mit nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen zu ­finden. Wir nutzen also die große Vielfalt des globalen Anlage­universums für ein ­diversifiziertes Portfolio erfolgreicher Unternehmen. Es geht dabei weder um die Größe, noch um Ratings oder Noten, sondern um fundamentale Daten.Gut ­geführte Unternehmen mit überzeugenden, zukunftsorientierten ­Geschäftsmodellen werden potenziell höhere und nachhaltigere Anlageerträge generieren.

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