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26. Mai 2022

Oberste Rechtsprechung zur Betriebsrente

Das Bundesarbeitsgericht hat in den vergangenen 14 Monaten spannende Urteile zur bAV gefällt, berichtet der Vorsitzende ­Richter Bertram Zwanziger. Darunter sind auch erste Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Betriebsrenten-Stärkungsgesetz. Damit sind auch einige Grundfragen für Arbeitgeber beantwortet.

Niedrigzinsphase, Beitragsgarantien, Sozialpartnermodell und ­aktuelle Rechtsprechung sowie die politische Herangehensweise an bAV-Themen in der neuen Legislaturperiode versprechen ein spannendes Jahr. Zum „6. Berliner bAV-Auftakt“, der traditionell ersten bAV-Fachtagung jedes Jahres, hatte Mathias Ulbrich, ­Professor für Arbeitsrecht an der Fakultät für Wirtschaftsrecht der Hochschule Schmalkalden, virtuell Vertreter aus Politik, von ­Sozialpartnern, Ministerien, Verbänden und Gerichtsbarkeit ­geladen. Bertram Zwanziger (Jahrgang 1956), Rechtsanwalt und seit dem Jahr 2014 Vorsitzender Richter des Betriebsrentensenats (3. Senat) beim Bundesarbeitsgericht (BAG), verweist auf der ­letzten Auftakt-Veranstaltung vor seinem Ruhestand ab Juli 2022 darauf, dass noch keine Entscheidungen zu Änderungen gefallen seien, die das „­Gesetz zur Umsetzung der EU-Mobilitäts-Richt­linie“ gebracht hat.

Zum Betriebsrenten-Stärkungsgesetz (BRSG) liegen inzwischen zwei BAG-Urteile vom 8. März 2022 vor. Bekanntlich verpflichtet das Gesetz Arbeitgeber, bei jeder Entgeltumwandlung ihrer Arbeitnehmer, die dadurch selbst eingesparten SV-Beiträge in Höhe von 15 Prozent in den bAV-Vertrag des Arbeitnehmers einzuzahlen, aber eben nicht in jeder Vertragskonstellation. So hatten Tarifverträge vor Inkrafttreten des BRSG 2018 einen geringeren, anderen oder gar keinen AG-Zuschuss geregelt. Grundsätzlich ist das auch zuungunsten der Arbeitnehmer erlaubt (nach Paragraf 19 Absatz 1 BetrAVG). Einige Tarifvertragsparteien haben durch Protokollnotiz klargestellt, dass man auch nach Inkrafttreten des BRSG keinen Arbeitgeberzuschuss wollte. Doch ist das rechtens?

Ja, sagt das BAG für die beiden Fälle aus den Jahren 2019 und 2020, die in diesem Frühjahr entschieden wurden. Sie fallen noch in die Übergangsfrist (nach Paragraf 26a BetrAVG), in denen für ­kollektivrechtliche Entgeltumwandlungsvereinbarung kein ­Zuschuss gewährt werden musste: Arbeitnehmer haben für diese beiden Jahre keinen Anspruch auf einen AG-Zuschuss (Az.: 3 AZR 361/21 und 3 AZR 362/22). Beide Arbeitnehmer wandelten auf der Basis des Altersversorgung-TV (Landesverband Niedersachsen und Bremen der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie und der IG-Metall) von 2008 Entgelt zum Metallrente-Pensionsfonds um. Der Arbeitgeber gewährt ihnen aufgrund des TV zusätzlich einen Altersvorsorgegrundbetrag. Im ersten Fall kommt der TV aufgrund beidseitiger Tarifbindung zur Anwendung, in dem anderen Fall aufgrund eines normativ anwendbaren Haustarifvertrags von 2019, der auf diesen Tarifvertrag verweist.

Kollektivrechtliche Entgeltumwandlung und AG-Zuschuss

Da der Tarifvertrag zur Altersversorgung einen Anspruch auf Entgeltumwandlung enthält, bildet er eine kollektivrechtliche Entgeltumwandlungs-Vereinbarung, die wegen der Übergangsregelung frühestens zum 1. Januar 2022 einen Anspruch der Arbeitnehmer auf den AG-Zuschuss auslöst, so das BAG. „Kollektivrechtliche Entgeltumwandlung liegt neben Tarifverträgen vor allem auch bei Betriebsvereinbarungen vor“, schlussfolgert Henriette Meissner, Generalbevollmächtigte für die bAV der Stuttgarter Lebensver­sicherung.

Was gilt ab 2022? Hier unterscheiden die BAG-Richter je nach ­Fallkonstellation: Verweist ein Haustarifvertrag von 2019 auf den ­älteren TV (hier: von 2008), ist ein Anspruch auch über den 31. ­Dezember 2021 hinaus ausgeschlossen. Bei dem Haustarifvertrag handelt es sich um eine kraft Gesetzes zugelassene Abweichung (nach Paragraf 19 Absatz 1 BetrAVG). Allerdings hat der Dritte ­Senat offengelassen, ob der TV zur Altersversorgung von 2008 von der Tariföffnung Gebrauch machen und den Anspruch der Arbeitnehmer modifizieren konnte (nach Paragrafen 19 Absatz 1 BetrAVG), obwohl er vor dem Inkrafttreten des BRSG geschlossen wurde. „Das ist eine sehr häufige Fallkonstellation“, sagt Meissner.

Immerhin: Für Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen gibt es nun eine praxisnahe Auslegung, wann eine kollektivrechtliche Entgeltumwandlungs-Vereinbarung vorliegt. Das ist Voraussetzung dafür, dass die Übergangsregelung (nach Paragraf 26a BetrAVG) überhaupt greift. Offengelassen hat das BAG allerdings die Frage, ob „alte“ Tarifverträge, die vor Inkrafttreten des BRSG geschlossen wurden, eine Ausnahmeregelung (zum Paragrafen 1a Absatz 1a ­BetrAVG) wirksam treffen können.

Mehrere wichtige Urteile aus dem Vorjahr

Beim „6. Berliner bAV-Auftakt“ listete Zwanziger eine Reihe bAV-relevanter BAG-Entscheidungen von 2021 auf. Beispiel Haftung: Die Pensionskasse der Mitarbeiter der Hoechst-Gruppe lehnte ­Leistungen wegen Dienstunfähigkeit ab, weil diese laut Satzung erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses möglich sind. Der Betroffene schied erst später aus der Chemiefirma aus, wollte aber für zwei Jahre Dienstunfähigkeit zuvor trotzdem Geld. Damit scheiterte er auch vor dem BAG am 13. Juli 2021. Begründung: Die Kasse haftet nicht zwangsläufig gesamtschuldnerisch für den ­Versorgungsanspruch. Der Arbeitgeber haftet allein, wenn seine Verpflichtungen über die Verpflichtungen der Kasse hinausgehen (Az.: 3 AZR 298/20).

In einem anderen Fall geht es um bAV-Invaliditätsleistung bei ­voraussichtlich dauernder völliger Erwerbsunfähigkeit. In der ­Versorgungszusage war dafür vereinbart: „Bei Eintritt einer voraussichtlich dauernden völligen Erwerbsunfähigkeit im Sinne des SV-Rechts erhalten Sie lebenslänglich, längstens jedoch für die Dauer der Erwerbsunfähigkeit, eine monatliche Invalidenrente.“ ­Nachdem der gesetzlichen Rententräger von 2017 bis 2020 Erwerbsminderungsrente zahlte und danach eine Dauerrente, machte der Arbeitnehmer für diese Zeit auch die betriebliche Invalidenrente geltend. Der Arbeitgeber lehnte das ab, weil die gesetzliche Rente nur befristet bewilligt worden war. Das BAG entschied mit Urteil vom 13. Juli 2021 zugunsten des Arbeitnehmers. Begründung: Der Bescheid des Rententrägers belege, dass seit 2017 eine voraussichtlich dauernde völlige Erwerbsunfähigkeit im Sinne des SV-Rechts vorlag. Damit seien die Voraussetzungen der Versorgungszusage erfüllt. Die Klausel sei als dynamische Verweisung auf die Regelungen des SV-Rechts zu verstehen. „Betriebliche Invalidenrente ist deshalb auch zu leisten, wenn die gesetzliche Rente nur befristet gewährt wird“, stellt Zwanziger klar (Az.: 3 AZR 445/20).

Relativ häufig müssen sich Arbeitsgerichte mit der Frage beschäftigen, ob eine Altersgrenze für den Einstieg in die bAV akzeptabel ist. Eine Frau war im Alter von 55 Jahren bei der Dienstleistungs­gewerkschaft Verdi angestellt worden. Laut Gesamtbetriebsvereinbarung steht ihr eine bAV aber nur dann zu, wenn bei Beginn des Arbeitsverhältnisses das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet ist. Daher lehnte Verdi die Anmeldung der Frau zur U-Kasse des DGB ab. Die Frau klagte wegen Altersdiskriminierung und mittelbarer Frauen-Benachteiligung – vergeblich. Die Frau sei wirksam von bAV-Leistungen ausgeschlossen, entschied das BAG mit Urteil vom 21. September 2021. Bei AG-finanzierter Altersvorsorge für Mitarbeiter über 55, die gemäß Versorgungsordnung keine bAV mehr bekommen, muss auch kein Lohnausgleich erfolgen, da eben gar kein Anspruch auf bAV bei Jobbeginn ab 55 besteht (Az.: 3 AZR 147/21). Die Festsetzung von Altersgrenzen bei betrieblichen ­Systemen der sozialen Sicherheit könne im Rahmen dieser ­Systeme angemessen und berechtigt sein. Das BAG hatte bereits früher ­zugelassen, dass ein Höchsteinstiegsalter von 50 Jahren „gerade noch hinnehmbar“ ist (Az.: 3 AZR 356/12).

Ein letztes Beispiel aus der Zwanziger-Auflistung betrifft die Folgen eines Betriebsüberganges in der Insolvenz. Ein Arbeitnehmer war seit 1996 bei einer GmbH beschäftigt und hatte dort Ansprüche auf betriebliche Altersrente aufgebaut. Diese ­Ansprüche wollte er auch nach Insolvenz der Firma 2009 und Betriebs­übergang 2009 vom neuen Eigentümer in voller Höhe haben, ­unterlag aber in allen ­Instanzen. Der neue Eigentümer haftet nur zeitanteilig für den Teil der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegenden Betriebs­zugehörigkeitszeit, so das BAG in seinem Urteil vom 26. Januar 2021. Die vor Insolvenzeröffnung erworbenen unverfallbaren ­Anwartschaften unterlägen den Vorschriften der Insolvenzsicherung durch den PSV. Für Leistungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens hafte der Arbeitgeber auch dann nicht, wenn für diesen Teil der Betriebsrente der PSV nicht vollständig eintritt (Az.: 3 AZR 878/16). Bei einem Betriebsübergang in der Insolvenz komme es auf die gleichmäßige Gläubiger­befriedigung an, so das Bundesarbeitsgericht.

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