Neue Hiobsbotschaften für den Chef
Die deutsche bAV kam auch im Sommerloch nicht zur Ruhe. Justiz und der Gesetzgeber produzieren ständig neue Regelungen, die Arbeitgebern das Leben erschweren. Eine Aufzählung der jüngsten Ereignisse ohne Anspruch auf Vollzähligkeit.
Die schwere Geburt des verpflichtenden Arbeitgeberzuschusses für alle Entgeltumwandlungen ist noch in schlechter Erinnerung, vor allem für jene Arbeitgeber, die vor vielen Jahren bei Einrichtung der bAV nicht im Traum daran dachten, sich nachträglich jemals an der Entgeltumwandlung beteiligen zu müssen (siehe Ausgabe 6/2021). Hinzu kommt die Hängepartie bei der unhaltbaren Beitragszusage mit Mindestleistung (BZML) für Neuzugänge (siehe Ausgabe 11/2021), deren Lösung offenbar ins nächste Jahr geschoben wird. Mehr Vertrauen und Verbreitung lassen sich so für Betriebsrenten garantiert nicht schaffen.
Ein Blick auf die Lage bei der allein vom Arbeitgeber finanzierten bAV, eigentlich der Kern klassischer Betriebsrente in Deutschland, stimmt etwas freundlicher. Doch die Gratis-bAV stellt Firmen zunehmend vor eine heftige Herausforderung, müssen die Versorgungspläne doch bei anhaltend niedrigen Zinsen langfristig abgesichert werden. Darum planen derzeit etwa 50 Prozent der deutschen Unternehmen, ihre Betriebsrentensysteme 2022 zu verändern, geht aus einer Studie des HR- und bAV-Lösungsanbieters Lurse hervor, der die arbeitgeberfinanzierte bAV in 55 großen und mittelständischen Unternehmen untersucht hat.
Danach erreicht die durchschnittliche bAV der arbeitgeberfinanzierten bAV für vier Mitarbeitergruppen folgende Höhen: Sachbearbeiter erhalten nach 42 Jahren im Schnitt eine Eintrittsrente von 4,8 Prozent des letzten Bruttoeinkommens. Bei Professionals sind es 4,7 Prozent nach 32 Jahren, im Management 6,7 Prozent nach 22 Jahren und bei Top-Executives 7,9 Prozent. Zur Schließung der Rentenlücke trägt die arbeitgeberfinanzierte bAV nicht wesentlich bei. „Für eine gute Absicherung müssten die Leistungen mehr als verdoppelt werden“, meint Miroslaw Staniek von Lurse. Zur Ergänzung eigneten sich Matching-Pläne und Angebote zur Entgeltumwandlung mit Opt-out-Optionen.
Genutzt werden aktuell über 100 zum Teil miteinander kombinierte Versorgungspläne. Davon werden 61 rein von den Arbeitgebern und 70 von den Arbeitnehmern finanziert. In 29 Fällen handelt es sich um Matching-Modelle, zu denen Arbeitgeber Zuschüsse leisten, sofern sich die Mitarbeiter für Entgeltumwandlung entscheiden – siehe Grafik.
Wenig überraschend nutzen die überwiegend großen Firmen zu 75 Prozent eine oder mehrere Ausprägungsformen der Direktzusage. Dabei überwiegen diejenigen Direktzusagen deutlich, bei denen das Funding über ein CTA oder eine Rückdeckungsversicherung erfolgt (85 Prozent). Direktversicherungen werden zu 47 Prozent genutzt, Pensionskassen zu 22 Prozent, Pensionsfonds zu 13 Prozent und U-Kassen zu 20 Prozent – Mehrfachnennungen erlaubt.
Trotz des erhöhten Administrationsaufwandes durch gesetzliche Auflagen bleibt die bAV für zwei Drittel der großen und mittleren Unternehmen eine wichtige Zusatzleistung. Knapp drei Viertel der Firmen greifen laut Lurse-Studie bei Beratung und Verwaltung der bAV auf externe Dienstleister zurück. In zwei Drittel der Unternehmen wird die bAV-Administration schon jetzt durch eine digitale Plattform unterstützt, weitere 20 Prozent planen die Einführung. Die Tools leisten gute Dienste vor allem bei der Bereitstellung von Informationen über den individuellen Versorgungsstand.
Daher dürfte den HR-Verantwortlichen der Atem gestockt haben, als am 1. August das Nachweisgesetz geändert wurde, das es bereits seit 1995 gibt, und das auch für die bAV von Bedeutung ist. Es bleibt Arbeitgebern damit offiziell verwehrt, ihren umfangreichen Nachweispflichten elektronisch nachzukommen. Neuerdings werden Verstöße sogar mit 2.000 Euro Bußgeld für den Chef bestraft. Im Zuge zunehmender Digitalisierung war das Schriftformerfordernis weitgehend in Vergessenheit geraten. Das Nachweisgesetz bremst nun bei Androhung von Bußen die Digitalisierung in der bAV aus.
Arbeitgeber haben diese beiden neuen bAV-Pflichten:
– Neben Zusammensetzung und Höhe des Arbeitsentgelts sind die Bestandteile künftig getrennt anzugeben – also auch die bAV. Neben deren Fälligkeit ist erstmals zudem die Art der Auszahlung anzugeben.
– Wenn dem Arbeitnehmer bAV über einen Versorgungsträger zugesagt wird, muss der Nachweis über Namen und Anschrift des Versorgungsträgers geführt werden.
„Die Nachweispflicht entfällt nur, wenn der Versorgungsträger zu dieser Information verpflichtet ist“, sagt Henriette Meissner von der Stuttgarter Vorsorge-Management GmbH. Die Begründung des zuständigen Bundesarbeitsministeriums (BMAS) hält sie nicht für zeitgemäß, zumal die EU-Richtlinie in Artikel 3 neben der Schriftform ausdrücklich eine elektronische Übermittlung erlaubt. So aber sind Portallösungen weiterhin ungeeignet, die Anforderungen des Nachweisgesetzes zu erfüllen, so bAV-Berater Heubeck.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass das BMAS nach heftiger Kritik von bAV-Experten nun in einem Brief an die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung zumindest für die Entgeltumwandlung Entwarnung gibt. Demnach sei das „Nachweisgesetz auf Betriebsrenten in der speziellen Form der Entgeltumwandlung nicht anwendbar“. Jedoch erfolgte diese Klarstellung nicht im Gesetz. Welche Rechtskraft der Brief eines Ministeriums an einen Verband entfaltet und warum man die EU-Richtlinie überhaupt in dieser rückwärtsgewandten Form umsetzt, wird hinter den Kulissen kritisch diskutiert. „Das BMAS-Schreiben gibt die Meinung der Exekutive zu einem Gesetz wieder“, sagt Meissner. „Die Gerichte werden das vielleicht zur Kenntnis nehmen, aber sich eine eigene Meinung bilden“, weiß sie aus Erfahrung.
Arbeitgeber sollten ihre Vorgehensweise zum Nachweis wesentlicher Arbeitsbedingungen neu ordnen, um der Bußgeldfalle zu entgehen. Durch die Novellierung des Gesetzes sei der generelle Verweis auf eine Versorgungsordnung nicht mehr erlaubt. Ausnahmen: Verweise auf Betriebs- und Dienstvereinbarungen, Regelungen paritätischer Kommissionen im kirchlichen Bereich und auf Tarifverträge. Folge: „Die richtige und vollständig Versorgungsordnung in Form der Gesamtzusage muss schriftlich mit Unterschrift des Arbeitgebers ausgehändigt werden“, so Meissner. Man ahnt, dass sich der Aufwand für die bAV weiter erhöht.
Auch die Rechtsprechung hat die Anforderungen an Arbeitgeber in Sachen bAV in jüngster Zeit weiter hochgeschraubt (siehe Ausgabe 4/2022). Besonders kniffliger Fall: Bei Versorgungsordnungen lassen sich Zusage und Umfang der bAV zwar frei gestalten, doch was gilt, wenn ein neuer Mitarbeiter aus seinem alten Job eine individuelle Versorgung mitbringt, der neue Chef die bAV aber kollektiv regelt? „In diesem Fall ist eine Abweichung von einer kollektiven Regelung nur durch individuelle Besserstellung oder mindestens Gleichstellung möglich“, sagt Michael Hoppstädter, noch Geschäftsführer des bAV-Dienstleisters Longial und demnächst im Team von Heubeck aktiv. Er verweist auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 2. Dezember 2021. Demnach darf niemand von der kollektiv anwendbaren Altersversorgung ausgeschlossen werden, wenn die individuelle Versorgungsleistung geringer ausfällt als die Leistung aus dem kollektiven Versorgungssystem (Az.: 3 AZR 123/21).
Der Kläger wurde 1986 bei einer Kapitalanlagegesellschaft (KAG) als Fondsmanager eingestellt. Zeitgleich verhandelte die Gesellschaft gerade eine neue Betriebsvereinbarung zur bAV für Neueinstellungen. Bei seinem Vorarbeitgeber, der Commerzbank, war der Arbeitnehmer individuell über den BVV versichert. Mit der KAG einigte er sich über die Fortsetzung dieser individuellen Versorgung – im Glauben, diese Regelung sei vorteilhafter für ihn – und sein neuer Arbeitgeber schloss ihn aus der neu verhandelten bAV aus. Bei Rentenbeginn stellte der Fondsmanager jedoch fest, dass die Neuregelung bei der KAG besser gewesen wäre und forderte den monatlichen Differenzbetrag. Das BAG gab dem Rentner recht; die Fondsgesellschaft muss finanziell nachlegen.
Autoren: Detlef PohlSchlagworte: Betriebliche Altersversorgung (bAV)
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