Mut zur Nische: Lebensmitteleinzelhandel und Soziale Infrastruktur
Was macht Nischenstrategien interessant? Dass es weniger potentielle Käufer gibt, dass Fachwissen Alpha-Potenziale heben kann oder die Diversifikationspotenziale?
Bevor wir in 2019 mit unserem ersten Immobilienfonds für institutionelle Investoren starteten, machten wir uns über potenzielle Strategien ausführlich Gedanken. Im Ergebnis kristallisierten sich folgende Grundvoraussetzungen heraus: Konjunkturunabhängigkeit, Investorennachfrage und USPs, Management-Qualität und -Kapazität, Marktzugang sowie skalierbares Volumen. Konkret haben wir uns für die beiden Investmentstrategien „Lebensmitteleinzelhandel Deutschland“ und „Soziale Infrastruktur Deutschland“ entschieden.
Im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) verfügt unser Team über so ausgeprägte Erfahrung und Netzwerke, dass es uns möglich ist, abweichend von vielen Wettbewerbsprodukten eine „Manage-to-Core“-Strategie anzubieten und erfolgreich umzusetzen. Im Bereich Soziale Infrastruktur kamen wir durch unser Netzwerk mit einem zukunftsweisenden Konzept für intersektorale ambulante Gesundheitszentren in Kontakt, von dem wir sofort angetan waren und mit Blick auf die Herausforderungen des Gesundheitssystems dieses Konzept als eine von vielen möglichen Lösungsansätzen unterstützen. Gleichzeitig handelt es sich hierbei genauso wie im Lebensmitteleinzelhandel um ein sehr stabiles Segment. Hinzu kommt: In einem durchaus kompetitiven Marktumfeld böten wir Institutionellen Investoren wenig Mehrwert, wenn wir als neuer Marktteilnehmer beispielsweise den „48. Core-Office Fonds“ auflegen.
Wirkt sich das aktuell schwierige Umfeld auf Nischen und „Mainstream“ gleich aus?
Bei der Frage geht es weniger um die Unterscheidung nach dem „Mainstream versus Nische“, sondern hier lohnt sich ein detaillierter Blick auf die einzelnen Assetklassen und Risikostrategien. Während insbesondere hochpreisige Segmente absolut gesehen den größten Preisrückgang zu verzeichnen hatten, blieben die Immobilienpreise in den Nischenstrategien vergleichsweise stabil.
Welchen Stellenwert hat für Sie ESG?
Das ist ein sehr großes Thema, das den Markt und auch uns noch lange intensiv beschäftigen wird. Der künftige Aufwand im Management wird wahrscheinlich noch von dem einen oder anderen Marktteilnehmer unterschätzt. Die Einordnung nach Artikel 8 gemäß SFDR ist für unsere Fonds von Beginn an Standard. Im Rahmen einer Manage-to-Core-Strategie lassen sich vermutlich ESG-Maßnahmen auch besser umsetzen als bei einer Core- / Core-Plus-Strategie, da die Repositionierung des Objektes während der Fondslaufzeit schon vorgesehen ist und somit diese Themen gleich mit umgesetzt werden können. Parallel arbeiten wir bereits an Strategien und Projekten, die eine Klassifizierung nach Artikel 9 verlässlich ermöglichen.
Lebensmitteleinzelhandel war aufgrund der Pandemie bei Investoren sehr begehrt. Wie hat sich der Markt im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten verändert?
Corona wirkte und wirkt in vielen Dingen wie ein Katalysator und hat Trends beschleunigt. Wir waren schon immer der Ansicht, dass Lebensmitteleinzelhandel eine lange vernachlässigte Anlageklasse in vielen Portfolios war und teilweise noch immer ist. Das mag vermeintlich daran liegen, dass hier weniger attraktive Bauwerke in Top-Cities erworben werden, sondern stattdessen mehr Objekte in Form eines „Schuhkartons“, dafür aber mit langfristig stabilem Cash-Flow – vorausgesetzt die Mikrolage stimmt. Durch die Erkenntnis der „Systemrelevanz“ für dieses Segment stieg die Investorennachfrage sprunghaft.
Noch immer verfügen Fonds über relativ viel Liquidität, um in Lebensmittel-geankerte Objekte zu investieren. Darum und aufgrund der Stabilität sowie Konjunkturunabhängigkeit ist die Nachfrage weiterhin groß und die Preise sind weitestgehend stabil. Grundsätzlich gilt außerdem: Große, genehmigte Verkaufsflächen für innenstadtrelevante Sortimente außerhalb des Kerngebietes einer Stadt sind ein knappes Gut und damit attraktiv für Händler, um Expansion auf bestehender Fläche zu betreiben. Für Eigentümer und Vermieter funktionierender Standorte ist dies eine komfortable Situation. Nur in wenigen Immobiliensegmenten werden wie bei lebensmittelgeankerten Objekten aufgrund der Mietnachfrage sogenannte „Schattenmietverträge“, also Mietverträge, die sich an die bestehenden Mietverträge anschließen, abgeschlossen.
Eine Besonderheit des Lebensmitteleinzelhandels: Mieterhöhungen lassen sich relativ selten durchsetzen. Richtig?
Grundsätzlich ist das Mietniveau im Lebensmitteleinzelhandel in den vergangenen Jahren weitestgehend stabil. Reduzierungen sind nur bei nicht sonderlich attraktiven Standorten denkbar. Mieterhöhungen sind wiederum immer dann möglich, wenn mehrere Händler sich um den gleichen Standort bewerben. Dieses Phänomen ist besonders dann anzutreffen, wenn es baurechtlich in einer Kommune zum Beispiel aufgrund eines für die nächsten zehn Jahre festgelegten Einzelhandelskonzeptes keine Neubaugenehmigungen mehr geben wird und die bereits angesprochene „Expansion auf bestehender Fläche“ die einzige Möglichkeit für einen Händler ist, einen neuen regionalen Markt zu erschließen.
Die Vertragslaufzeiten mit Mietern sind relativ lang? Das ist aus drei Gründen schlecht: Inflation, Zinsanstieg und man lässt sich mit energetischen Sanierungen zu viel Zeit?
Richtig, die Vertragslaufzeiten sind relativ lang. Zunächst stellt sich die Frage nach dem Grund, insbesondere da diese langen Laufzeiten beispielsweise bei Büros eher unüblich sind. Die Hintergründe dafür sind: Standortsicherung, Amortisation der Investition in den Ladenausbau, Planbarkeit und das wertvolle Baurecht.
Falsch ist die Inflationsannahme: Ein langer Mietvertrag wirkt sich positiv auf die Indexierung der Mieten aus, da diese in der Regel im LEH zu 60 bis 70 Prozent an den Verbraucherpreisindex (VPI) gekoppelt sind. Wenn ein Mietersegment in Deutschland diese starken Mietpreisanstiege nachhaltig tragen kann, dann die bonitätsstarken Lebensmitteleinzelhändler. Insofern bieten diese Objekte einen effektiven Inflationsschutz.
Richtig ist wiederum, dass bei langen Mietverträgen die Innovations- und Investitionsfreude bei den beteiligten Parteien tendenziell nicht so groß ist. Unter anderem darum bevorzugen wir im LEH eher kurzlaufende Mietverträge, wodurch sich insgesamt Optimierungspotenzial ergibt. Mit Blick auf die jüngst spürbar gestiegenen und weiter steigenden Energiepreise wird aber der Anreiz auch für die Mieter größer, energetische Sanierungen inklusiver Nutzung Erneuerbarer Energien zu unterstützen.
Zieht soziale Infrastruktur viele Impact-Investoren an? Sind Ärztehäuser, Kindergärten und Altersheime die einzigen Immobiliensegmente, bei denen es eher um das S und weniger um das E von ESG geht?
Letztlich zählen alle Buchstaben, was tatsächlich nicht immer so einfach umzusetzen ist und sich derzeit viel nur um das „E“ dreht. Unsere Investoren schätzen zwar in der Regel das „Impact Investing“, allerdings stehen eher andere Motivationen wie Zukunftsfähigkeit, Konjunkturunabhängigkeit und ein stabiler Cash-Flow im Fokus. Hinzu kommt, dass es natürlich in diesem Segment einfacher ist – wenn der Begriff „einfach“ überhaupt zulässig ist – mehr als nur das „E“ von ESG zu bedienen.
Erfordern Ärztehäuser eine besondere Immobilien-Expertise? Die Gebäude brauchen doch nur stabilere Böden, damit die Röntgenröhre nicht durchbricht.
In der Tat handelt es sich bei Ärztehäusern um ein spezielles Segment, was eine besondere Expertise und entsprechenden Marktzugang zu den Mietern voraussetzt. Ein Ärztehaus zu bauen ist vergleichsweise einfach, Ärzte als Mieter zu akquirieren ist eher anspruchsvoll – auch aufgrund regulatorischer Anforderungen mit Blick auf KV-Sitze (Kassenärztliche Vereinigung) und den Versorgungsgrad des jeweiligen Standortes.
Ebenso ist es empfehlenswert, synergetische Nutzungen innerhalb der Mieter eines Ärztehauses herzustellen und im Optimalfall diese auch noch zu moderieren oder gar zusätzlichen Nutzen für Mieter durch weitere Dienstleistungen zu erzeugen. Dabei kann es um die Zurverfügungstellung von Infrastruktur, Mitfinanzierung von KV-Sitzen bis hin zu ergänzenden telemedizinischen Anwendungen gehen.
Welche Marktentwicklungen sollten Investoren beachten? Was unterscheidet soziale Infrastruktur von sonstigen Immobilien?
Die vielfältigen und gewaltigen Herausforderungen des Gesundheitssystems in Deutschland begünstigen den Trend zur „Ambulantisierung“ des Marktes. Themen wie explodierende Kosten, Hausarztmangel, Überalterung von Hausärzten, Krankenhausschließungen, teurer medizinischer Fortschritt und Demografie werden zu nachhaltigen und tiefgreifenden Veränderungen führen. Insofern ist der Bedarf nach Investitionen in soziale Infrastruktur in den nächsten Jahren riesig.
Als Investor wird es wichtig sein, eine spezialisierte Kompetenz in dem Gebiet zu haben, sich frühzeitig mit geplanten Projekten zu beschäftigen und Einfluss auf den richtigen Mieterbesatz zu nehmen. Nur so ist die Zukunftsfähigkeit gewährleistet.
Autoren: Patrick Brinker In Verbindung stehende Artikel:
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