Pensionsfonds
24. Oktober 2023

Musterschüler im Wandel

Die Niederlande gelten neben Dänemark und Schweden als ein ­Musterschüler-Land bei Pensionsvermögen und der Höhe der ­ausgezahlten Renten. Nun steht die zweite Säule, die niederländischen Betriebsrenten, vor einem tiefgreifenden ­Wandel: Es geht um den Schritt von einem überwiegend leistungsorientiertem zu ­einem ­beitragsorientierten System.

After Years of talks … : Jahrelange zähe politische Verhandlungen waren ihr vorausgegangen, jetzt ist die Reform des niederländischen Rentensystems (Future Pensions Act, auf Niederländisch: Wet Toekomst Pensioenen, WTP) Anfang Juli relativ sang- und klanglos in Kraft getreten. Das Land gilt als Musterschüler, was das System aus erster und zweiter Säule betrifft. Im Allianz Pension ­Index 2023 kommen die Niederlande im weltweiten Ranking der besten Rentensysteme auf Rang zwei gleich hinter Dänemark und noch vor Schweden. Alle haben ein starkes kapitalmarkt­basiertes Betriebsrentensystem, welches sie mit einer ebenfalls gut ausgebauten­ privaten Altersvorsorge kombinieren. Der allgemeine Score von Spitzenreiter Dänemark liegt im Global Pension Report 2023 der Allianz bei 1,4, die Niederlande kommen auf 1,7 Punkte, wobei die Bandbreite von eins bis ­sieben reicht, und eins den best­möglichen Wert darstellt.

Zum Hintergrund: Das niederländische Rentensystem besteht aus drei Säulen: einmal die AOW (Algemene ­Ouderdomswet), die ­gesetzliche Rente, die Einzel­personen bei ­Erreichen des 67. Lebensjahrs ausgezahlt wird und auf ­einem Umlageverfahren basiert. Zweitens die Betriebsrente: Sie ist meist obligatorisch. Beschäftigte zahlen hierbei einen Teil ihres Einkommens in, meist branchenspezifische, Pensions­fonds ein. ­Als dritte Säule des Rentensystems existiert darüber hinaus die private ­Altersvorsorge. Der Wandel des Musterschülers Niederlande ­bezieht sich auf die zweite Säule. Nachdem Ende Mai auch das niederländische Oberhaus dem ­Reformgesetz zugestimmt hatte, trat die lange diskutierte Rentenreform nun zum 1. Juli 2023 in Kraft. Sie sieht einen stufenweisen Wechsel von einem leistungsorientierten System (Defined Benefit) zu ­einem stärker beitragsorientierten System (Defined Contribution) vor. Jeder Arbeitgeber mit einem ­bestehenden Pensions­system ist von der Reform betroffen, denn die Reform ­verändert neben dem Future Service, also den Neuverträgen, auch den Past Service, also die bislang erworbenen Rentenansprüche der Versicherten und Mitglieder. Bei der Betriebsrente werden die ­bestehenden leistungsorientierten Systeme dabei schrittweise abgeschafft­ und durch im Wesentlichen beitragsorientierte Systeme­ ersetzt. Die heutige Generation von Rentnern ­verfügt größtenteils immer noch über Systeme mit festgelegten Leistungen (Defined Benefit). Im Zuge der Reform müssen alle Rentenvereinbarungen mit ­Arbeitnehmern und alle Verträge mit Renten­trägern erneuert ­werden. Dafür gibt es jedoch lange Übergangsfristen. So müssen Pensionsfonds bis spätestens zum 1. Januar 2025 einen Übergangsplan vorliegen haben, Versicherer haben dazu bis zum 1. Oktober 2027 Zeit. Spätestens zum 1. Januar 2028 müssen dann alle Altverträge, bis auf wenige Ausnahmen, in das neue, ­beitragsorientierte System ­aufgenommen worden sein.

Neuverträge nur noch nach DC

Seit Juli dieses Jahres gilt: Neuverträge für Betriebsrenten basieren auf einem beitragsbasierten System (Defined Contribution). Als beitragsorientiert definiert auch die niederländische Zentralbank, De Nederlandsche Bank (DNB), dabei das neue, kommende ­System der ­Betriebsrenten: Pensionsfonds würden nicht mehr länger Versprechen über für die Zukunft zu gewährende Leistungen abgeben. Pensionsfonds legen dann die Beiträge der ­Betriebsrentenanwärter an und verbuchen für jedes ihrer Mitglieder den persönlichen Anteil am kollektiven Vorsorgevermögen. Das neue System solle ­somit viel weniger Anlass zu ­Diskussionen über ungewisse ­Zusagen und über die Verteilung des kollektiven Vermögens ­geben, so die DNB. Der niederländischen Zentralbank kommt ­dabei auch im ­neuen ­Betriebsrentensystem die ­Rolle der Aufsicht für die ­Rententräger und Pensionsfonds zu. Sie wird den Prozess des Übergangs überwachen, der sich ab Juli 2023 über mehr als vier Jahre erstreckt.

Es ist ein Epochenwechsel. Die eingezahlten Rentenbeiträge ­werden kollektiv angelegt. Wie die Wirtschaftskanzlei Dentons in einer Studie zum Thema berichtet, werde künftig für alle Altersgruppen der gleiche Prozentsatz an Rentenbeiträgen gelten, ­wodurch die Kosten im neuen System stabiler sein und nicht mit dem Alter der Arbeitnehmer ansteigen sollen. Altersabhängige Rentenbeiträge, wie sie in leistungsorientierten Systemen üblich sind, seien nicht mehr zulässig. Der Rentenbeitrag jedes Mitglieds wird auf dessen individuelles Rentenkapital umgelegt. Dadurch werde verhindert, dass die Menschen im Verhältnis zu den gezahlten Beiträgen zu viel oder zu wenig Rente aufbauten. Im neuen System könnten ­Arbeitgeber und Arbeitnehmer zudem auch ­beschließen, einen ­bestimmten Anteil des kollektiven Renten­kapitals als Puffer für Rückschläge bereitzustellen. Die Regeln für ­diesen Puffer müssen im Voraus festgelegt werden, sodass ersichtlich ist, wie er aufgebaut wird, zum Beispiel durch einen Anteil an den Renten­beiträgen oder durch Anteile an den Anlageerträgen. Und es sei zudem auch klar geregelt, wann Geld aus dem kollektiven Teil in das ­persönliche Vorsorgevermögen verschoben wird.

Auch der Past Service wird umgestellt

Die zentrale Besonderheit des neuen Betriebsrentenmodells: ­Bestehende leistungsorientierte Systeme müssen auf das neue ­System umgestellt werden. Übergangspläne von Arbeitgebern, Pensionsfonds und Versicherungsgesellschaften müssen für ­Arbeitnehmer eine angemessene Entschädigung bieten, wenn sich die Änderung nachteilig für sie auswirkt. Weitere Kernelemente der Reform liegen in der Besteuerung: Nicht mehr die Rentenrückstellungen werden ­besteuert, sondern die Beiträge. Auch das ­System der Hinterbliebenenrenten (Partner­rente) wird umgestellt. Partnerrenten, die im Todesfall nach der Pensionierung ausbezahlt werden, werden an die aktuelle Marktpraxis ­angepasst. Bis zu ­maximal 70 Prozent der Altersrente können in eine Partnerrente umgewandelt werden. Partnerrenten werden im Todesfall vor der Pensionierung nur ­risikobasiert ausgezahlt, mit maximal 50 Prozent des versicherten Gehalts, unabhängig von der Dienstzeit. ­Zudem wird die Definition­ des Partners vereinheitlicht, um den sich ändernden gesellschaftlichen Normen Rechnung zu tragen.

Jahrelang hatten die Niederlande über die Reform debattiert, die auch angestoßen wurde, um der Niedrigzinsphase eine stabile Renten­perspektive entgegenzusetzen. Nun ist die Reform beschlossen – nachdem die große Zinswende im Sommer 2022 in Europa einsetzte und die EZB dazu überging, die Zinsen im Rekordtempo zu erhöhen. Ausgerechnet jetzt stellt das Nachbarland auf ein ­beitragsorientiertes System um.

Blickt man auf die finanzielle Lage des Betriebsrentensystems, so war das Jahr 2022 ein äußerst schwieriges für die Pensionsfonds in den Niederlanden. Grund dafür war ein auf Derivaten basierendes Overlay, durch das auf viele Pensionsfonds ­massive Nachschussforderungen von Derivatanbietern zukamen. So erlitt beispielsweise der größte niederländische Pensionsfonds, ABP (auch Stichting Pensioenfonds ABP genannt) 2022 in seinem ­Anleiheportfolio ­einen Verlust von mehr als 40 Milliarden Euro. Ähnlich lief es beim Stichting Pensioenfonds Zorg en ­Welzijn (PFZW): Dessen Vermögen sank in 2022 sogar von rund 278 auf rund 217 Milliarden Euro.

ABP managt die Rentenansprüche von ­Angestellten aus dem ­öffentlichen Dienst der Niederlande. Im Mai wurde bekannt, dass der Pensionsfonds seine liquiden Anlagen weitgehend auf passives Investieren umstellt. Der Wechsel zum Index-­Investing wurde mit Kosten ­begründet. Bis dato war ABP der einzig verbliebene Investor mit einem voll aktiven Ansatz. Man wolle in der Zukunft nur noch aktiv investieren, wenn nachgewiesen sei, dass dies strukturell zu besseren Renditen als Index-Investing nach Kosten führe („if this is proven to structurally produce better ­returns than index investing after costs“), erklärte der Pensions­fonds gemäß einer ­Mitteilung von IPE. Die breite Mehrheit der Pensionseinricht­ungen des Landes war zudem bereits vor Jahren zumindest ­teilweise zu indexbasierten Investments über­gegangen. Derweil baut der Pensionsfonds seine illiquiden Investments weiter aus. Anfang Mai meldete ABP, dass der Pensionsfonds in den europäischen Glasfasermarkt investieren werde. ­Infrastrukturinvestments sind also weiterhin en vogue.

PFZW will früh in DC-Welt starten

Der zweitgrößte Pensionsfonds, PFZW, ist nun mit einem Übergangsplan vorgeprescht und hat angekündigt, bestehende Anwartschaften bis 2026 in das neue Betriebsrentensystem umzuwandeln. Wie der Pensionsfonds Anfang September vermeldete, will PFZW die Renten bis zum 1. Januar 2026 mit einem Deckungsgrad von mindestens 95 Prozent umwandeln. Der Deckungsgrad habe Ende 2022 deutlich darüber gelegen. Dazu gehört, dass PFZW Ende ­August 2023 einen Überbrückungsplan bei der DNB eingereicht hat. Der vorgelegte Überbrückungsplan sehe keine Rentenkürzung vor. ­Jeweils am 31. Dezember will PFZW prüfen, ob der eingereichte­ Plan noch angemessen ist.

Den niederländischen Übergang in ein ­neues Betriebsrenten­zeitalter sollten auch Altersvorsorge­einrichtungen in Deutschland im Auge ­behalten. Denn mit dem ­deutschen Sozialpartnermodell wagen ­Arbeitgeber und Gewerkschaften hierzulande ebenfalls ­einen Schritt in Richtung Defined Contribution, wenn auch nur für den Future Service.

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