Mittelständler messen ihre ESG-Fortschritte kaum
Viele Mittelständler haben andere Sorgen, als sich mit ihren zunehmenden Transparenz- und Berichterstattungspflichten zu befassen. Zwei Drittel der Unternehmen sind überfordert.
Damit institutionelle Investoren bessere Anlageentscheidungen in Sachen ESG-Investing treffen können, sind sie auf aussagekräftige Informationen von ESG-Rating-Agenturen und den Unternehmen aus der Realwirtschaft angewiesen. Die gesetzlichen Vorgaben sind darauf ausgerichtet: Mit der EU-Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung, die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), steigen die Reporting-Anforderungen an die Unternehmen enorm.
Allerdings setzen die steigenden Anforderungen 62 Prozent der Mittelständler aus dem verarbeitenden Gewerbe erheblich unter Druck. Das zeigt die aktuelle Studie „ESG-Strategie und -Berichterstattung: Chance und Herausforderung für den deutschen Mittelstand“ der Beratungsgesellschaft PWC und des Instituts für Management und Innovation (IMI) der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen.
Für die Untersuchung haben die Studienmacher knapp 160 mittelständische Unternehmen aus dem verarbeitenden Gewerbe gefragt, wie sie mit dem Thema ESG (Environmental Social Governance) umgehen. Angefangen bei der strategischen Ausrichtung bis zur konkreten Umsetzung. Demnach haben 60 Prozent der Unternehmen zwar erkannt, dass sie sich der grünen Transformation in den kommenden Jahren noch mehr als in der Vergangenheit stellen müssen, aber sie gehen diese noch nicht ganzheitlich an und können die gesetzlichen Anforderungen deshalb noch nicht erfüllen.
Schleppender Umgang mit dem Thema ESG
Die steigenden regulatorischen Anforderungen treffen die mittelständischen Unternehmen in einer Zeit, in der sie durch zahlreiche Krisen gefordert sind, berichten die Studienmacher. Dadurch steigt nach ihrer Einschätzung die Gefahr, dass Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeits-Reporting von der Agenda der Geschäftsführung rutschen.
Denn als größte Herausforderung in den nächsten Jahren sehen 70 Prozent der Befragten die drastisch gestiegenen Energiekosten im Zuge des Ukraine-Krieges. Mit geringem Abstand folgt mit 66 Prozent der Fachkräftemangel – noch vor den hohen Rohstoffpreisen/der Rohstoffknappheit (63 Prozent). Die Transformation zu einem nachhaltigen Unternehmen landet mit 60 Prozent erst auf dem fünften Platz.
„Offenbar unterschätzen die Unternehmen die Bedeutung einer nachhaltigen Transformation“, so Uwe Rittmann, Leiter Familienunternehmen und Mittelstand bei PWC Deutschland. Rittmann zufolge ist die Transformation aber eine entscheidende Voraussetzung, die anderen genannten Herausforderungen zu meistern: Nachhaltige Unternehmen seien energieeffizient und begegneten so dem Problem der Energieknappheit. „Sie gehen sparsam und nachhaltig mit Rohstoffen um und haben daher weniger Probleme bei der Beschaffung. Und sie sind attraktiver für junge Menschen, was der Suche nach Fachkräften zugutekommt.“
Unternehmen lassen sich von äußerem Druck leiten
Derzeit lassen sich die Unternehmen beim Thema Nachhaltigkeit stärker von äußeren Faktoren als inneren Motiven leiten, berichten die Studienmacher. Lediglich ein Drittel verfolge eine nachhaltige Ausrichtung, weil sie dem eigenen Selbstverständnis entspricht. Zu den wichtigsten Treibern zählen neben den gesetzlichen Anforderungen die Energie- und Ressourceneffizienz (76 Prozent) und die Erwartungen des Marktes (69 Prozent).
Mehrheit ist überfordert
Von einer konsequent nachhaltigen Unternehmensführung sei der deutsche Mittelstand noch weit entfernt. Nur ein Viertel der befragten Unternehmen misst die Fortschritte ihrer Nachhaltigkeitsinitiativen. Auch hat die Mehrheit mit 63 Prozent lediglich erste Analysen durchgeführt, welche regulatorischen Anforderungen künftig auf sie zukommen werden.
Laut PWC sind diese jedoch immens: Mit der Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen, der CSRD, und der EU-Taxonomie-Verordnung wachsen die Reporting-Pflichten enorm. Sie seien künftig der finanziellen Berichterstattung weitgehend gleichgestellt, auch in der Prüfung durch externe Wirtschaftsprüfer.
Von den ambitionierten Transparenz- und Berichterstattungspflichten fühlen sich zwei Drittel (76 Prozent) der Unternehmen überfordert. Viele sorgen sich ebenso, dass sie Personal einsetzen müssen, das ihnen an anderer Stelle fehlt (62 Prozent).
Eine besonders große Hürde für die Erfüllung der neuen Reporting-Pflichten ist laut der Untersuchung die Qualität der Daten: 73 Prozent geben an, dass sie Schwierigkeiten bei der Erfassung, Qualität, Verarbeitung und Analyse ihrer Daten haben.
Risiko einer halbherzigen Umsetzung
Dazu kommt, dass mehr als die Hälfte der befragten Mittelständler (54 Prozent) angesichts des laut PWC enormen bürokratischen Aufwands eher ein Greenwashing erwartet: Das Risiko einer halbherzigen Umsetzung schätzen die Nachhaltigkeitsbeauftragten unter den Befragten besonders hoch ein – mit 63 Prozent liegen sie neun Prozent über dem Durchschnitt aller Befragten. „Das ist fatal, weil es darauf hindeutet, dass diese Mitarbeitenden den Eindruck haben, als Feigenblatt herhalten zu müssen. Als strategisches Thema muss Nachhaltigkeit aber immer auf höchster Ebene angesiedelt sein“, erklärt Uwe Rittmann.
Autoren: Tobias BürgerSchlagworte: ESG-Berichtspflichten
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