Mitfühlender Kapitalismus
Spaßvogel
Auf den Kapitalmärkten ist sich jeder selbst der nächste. Was der eine verliert, gewinnt der andere. Und wenn Blut auf dem Börsenparkett fließt, geben nur noch Männer mit stahlharten Nerven Kauf-Orders ab. Es herrscht purer Darwinismus. Denn: Nur die Harten kommen in den Garten. „Wenn Du einen Freund brauchst, kauf Dir einen Hund“, sagte der rücksichts- und skrupellose Finanz-Hai Gordon Gekko im Film „Wall Street“.
Und doch: Zarte Pflänzchen von Anteilnahme und Mitgefühl am Schicksal anderer Kapitalmarktteilnehmer sind zu beobachten. Zum Beispiel Rudolf Rizzolli, Firmenchef von Mein Auto. Der Plattformbetreiber sagte seinen eigentlich für Mittwoch geplanten Börsengang mit einer bemerkenswerten Begründung ab: Unter den derzeitigen ungünstigen Marktbedingungen könne man nicht, die „angestrebte, robuste Aftermarket-Performance sicherstellen“. Alle Aktionäre in spe dürften nun ob der Fürsorglichkeit und Teilnahme Rizzolis an ihrem Schicksal tief gerührt sein, der sie vor den unberechenbaren Widrigkeiten des Sekundärmarkts bewahrt. Etwas nüchterner sieht es die FAZ: „Die Begründung dürfte ziemlich einzigartig sein. Kein Unternehmen kann eine gute Kursentwicklung nach dem Börsengang gewährleisten. Mit diesem Maßstab würde es keine Börsengänge geben.“
Ein anderes Beispiel. In diesen Tagen sagte Lex Greensill, der von einem britischen Untersuchungsausschuss zu seinen kollabierten Lieferkettenfinanzierungen gegrillt wurde: „To all of those affected by this: I am truly sorry.“ Wie schön, dass Lex Greensill so warmherzig am Schicksal von Anlegern und Mitarbeitern teilnimmt.
Ein früher Vorläufer des mitfühlenden Kapitalismus war Multi-Aufsichtsrat Gerhard Cromme, der auch noch im hohen Alter seine Pfründe gegen aufmüpfige Aktionäre, zu verteidigen wusste. Den Mitgesellschaftern, die auf der Siemens-Hauptversammlung im Jahr 2013 sein fortgeschrittenes Alter thematisierten, entgegnete Cromme: „Ich bin sehr gerührt über die große Anteilnahme an meinem gesundheitlichen Zustand.“ Doch wie glaubwürdig ist jemand, der jahrelang Vorsitzender der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex war – und aber auch meist zeitgleich Aufsichtsrat bei Saint-Gobain, Allianz, Axel Springer, Lufthansa, Hochtief, Eon, BNP Paribas, Suez, Volkswagen und Thales? Cromme hatte bei seinem Statement auch keine Träne im Auge, sondern ein Grinsen im Gesicht.
Wie glaubwürdig war wohl das „Sorry“ von Lex Greensill? Und wie ehrlich die Anteilnahme von Rizzoli? „Schlechte Marktbedingungen“ sind ein gerne bemühter Vorwand, um einen IPO abzublasen statt die Glocke zu läuten. Die ganz ehrliche Antwort wäre aber gewesen, dass der Preis für Mein-Auto-Aktien überzogen war.
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