Versicherungen
11. Mai 2021

Mit viel Substanz

Bei der Stuttgarter ­beackert Dr. Guido Bader die viel Real Assets aufweisende Kapitalanlage, Regulierung, Bil­anzierung, Produktpolitik und ­natürlich Nachhaltigkeit. Besonders nah sind dem DAV-Vorsitzenden aber aktuarielle Aufgaben. Wie diese Felder zusammenhängen und mit welchen Zielen bei der Stuttgarter wie bewirtschaftet werden, lesen Sie im folgenden Interview.

CFO Dr. Guido Bader spricht mit Patrick Eisele über die Kapitalanlage der Stuttgarter.

Herr Dr. Bader, wo liegt ihre Hauptaufgabe als Finanzvorstand? Bilanzierung, Risikomanagement, Anlage, ALM, Regulierung oder in aktuariellen Aufgaben?

Von Schwabe zu Schwabe: von ällem ebbes. Besonders im Fokus ist aber die Kapital­anlage, um die Garantien in unseren ­Lebensversicherungsbeständen bedienen zu können. Wir haben noch Garantiezinsen von 3,5 bis vier Prozent im Bestand. Diese müssen wir erwirtschaften und dazu noch Zinszusatzreserve stellen. Dazu bedarf es mehr, als nur lang genug anzulegen. Es ­bedarf vor allem auch an Erträgen aus nicht- verzinslichen Kapitalanlagen.
Eine wesentliche Aufgabe dabei ist das ­Asset-Liability-Management in Verbindung mit Solvency II. Versicherungsunter­nehmen haben nun ein ­Aufsichtssystem, das sowohl die Passivseite als auch die ­Aktivseite marktnah ­bewertet, wobei der Mismatch zwischen ­Assets und Liabilities nicht zu groß werden darf.
Dazu kommen noch ein paar Grausam­keiten wie der Review für Solvency II, den der europäische Gesetzgeber schon im ­Köcher hat. Der Review wird die Solvenz-­Situation für ­deutsche Lebensversicherer nochmal belasten. Darum ist es wichtig, ­Aktiv- und Passivseite gemeinsam zu betrachten und sich ­gegen Zinsänderungen möglichst zu immunisieren.
Ich bin einer der wenigen Vorstände, die sowohl die Passivseite – Produktentwicklung und Überschüsse – als auch die Aktivseite in Personalunion abdecken. Dieses Zusammenspiel ist für mich sehr spannend.

Und welche Seite bestimmt am Ende? Die Kapitalanleger oder die Aktuare?

Mir ist wichtig, dass beide Seiten ­transparent und verständlich miteinander kommunizieren. Wir müssen von der Richtigkeit ­einer Entscheidung überzeugt sein, so dass wir alle in die gleiche Richtung laufen. ­Dafür müssen wir die Argumente der ­jeweils ­anderen Seite nachvollziehen können. Den Austausch und das gegenseitige Verständnis versuche ich beispielsweise zu fördern, indem ich das, was ich von der ­Kapitalanlage weiß, an die Aktuare weitergebe – und ­umgekehrt.
Schlussendlich kommt es darauf an, dass wir die Garantien gegenüber unseren ­Kunden bedienen können. Da hat die ­Kapitalanlage das letzte Wort. Wir müssen aber auch unsere Solvenzquote erfüllen. Da hat der Aktuar das letzte Wort.

Von Nordrhein-Westfalen gibt es Anleihen mit 100 Jahren Laufzeit. Obsiegt da die Freude des Aktuars oder setzen sich die ­Bedenken des Asset Managers durch?

Momentan ist bei uns noch bei 50, 60 ­Jahren Schicht. Sollte sich die Zinskurve weiter versteilen, könnte ich mir solche Langläufer aus ALM-Sicht vorstellen. Wir haben ja auch Verpflichtungen, die noch länger sind. Rentenprodukte für Kinder zum Beispiel. Aber solange die Zinskurve noch so invers wie heute ist und solche ­Papiere europaweit von anderen Marktteilnehmern gezielt gekauft werden, sind wir hier zurückhaltend. Zudem ist die Volatilität dieser Langläufer sehr hoch.

Sie verantworten seit 2019 die Anlagen. Was hat sich unter Ihrer Ägide geändert?

Grundsätzlich haben wir eine hohe Kontinuität. Dies gilt insbesondere bezüglich ­unserer Substanzwerte im Bereich der ­Aktien- und Immobilienanlagen sowie ­Alternatives. Diese Bestände haben wir auch in schwierigen Zeiten weiter gehalten. In Summe belaufen sich diese auf fast 20 Prozent, was für einen Lebensversicherer recht beachtlich ist.
Wenn man aber in Substanzwerte ­investiert, muss auf der anderen Seite das Zinsrisiko besonders beachtet werden. Ein Novum von mir war, das Zinsänderungsrisiko besser zu hedgen. Das heißt, dass wir unter anderem über Vorkäufe die Duration verlängert und somit die Zinssensitivität von Aktiv- und Passivseite angenähert haben.
Ebenso ­haben wir unser Substanzwertebuch noch stärker diversifiziert. Wir sind stärker international und stärker in alternative Assets wie Renewables und ­Infrastruktur, also in ­illiquide Assets mit laufenden ­Erträgen, ­gegangen. Diese Assets sind auch etwas chancenorientierter als ­unser Zinsbuch.

Wie planbar sind die ordentlichen Erträge von Sachwerten im Vergleich zu Anleihen?

In 2020 hatten wir 20 bis 30 Prozent ­weniger Dividendenerträge. Dieses Jahr werden wir wieder mehr Dividenden vereinnahmen. Natürlich besteht auch das Risiko, dass zum Beispiel ein Infrastrukturbetreiber Kürzungen bei den Zahlungen vornimmt. Wir hatten 2020 auch in geringem Ausmaß Mietstundungen und -ausfälle bei unseren Immobilien. Aber ein festverzins­licher Kupon kann ebenfalls ausfallen. Grundsätzlich gilt für jede Asset-Klasse, dass man breit streuen muss.
Stabilisierend wirkt auch, dass wir unsere indirekten Immobilienanlagen in einen ­eigenen Spezialfonds investiert haben, so dass wir unsere Erträge steuern können. Wir können Verkaufserlöse im Fonds belassen und bei Bedarf – beispielsweise bei geringeren Dividendenerträgen – eine Sonder­ausschüttung vornehmen. Ein weiterer ­Stabilitätsanker bei unseren Immobilienanlagen ist, dass wir im Direktbestand sehr verlässliche Mieter, zum Beispiel die öffentliche Hand, haben.
Insgesamt: Die ordentlichen Erträge von Sachwerten sind relativ stabil, man muss sie aber managen. Und wir können das.

Aber wie kann man nach IFRS Erträge ­puffern und stille Reserven bilden?

Als nur in Deutschland tätiges Unternehmen und als mittelständischer Versicherungsverein erstellt Die Stuttgarter nur HGB- und Solvenzbilanzen. Das ist ein ­echter Vorteil.

Wenn es gut läuft, dann bilden sich nach HGB stille Reserven und Sie haben mehr ­Risikobudget. Nach Solvency II steigt aber der Eigenmittelbedarf. Was schätzen Sie als Risikomanager mehr?

Ja, das sind zwei grundsätzlich unterschiedliche Dinge. Ich kann nicht sagen, was mir lieber ist. Nach HGB schaue ich auf eine Substanzwertequote nach Buchwerten, bei Solvency II auf Substanzwerte nach Marktwerten. Bei einem Zinsanstieg sieht Solvency II sehr viel besser aus, weil die ­Passivseite schrumpft, obwohl sich im HGB die stillen Fixed-Income-Reserven verflüchtigen.
Man muss beide Klaviaturen beherrschen, HGB und Solvency II. Darum bin ich froh, nicht auch noch IFRS spielen zu müssen.

Vor etwas mehr als einem Jahr crashte Corona die Kapitalmärkte. Wie kam Die Stuttgarter durch das erste Quartal und das Gesamtjahr 2020?

Wir haben die Aktien gehalten – und natürlich im März tief durchgeatmet. Letzten ­Endes haben wir von dieser Entscheidung profitiert, unsere stillen Reserven waren zum Jahresende wieder auf dem Stand vom Jahresanfang 2020. Es hat sich ausgezahlt, dass wir als Versicherungsverein nicht ­börsennotiert sind und somit Ruhe bewahren konnten.
Beschäftigt hat uns natürlich auch der kräftige Zinsrückgang seit Beginn der Corona-Krise. Dieses Thema ist uns in Teilen noch erhalten geblieben, wobei wir nun aber auch noch eine Inflationsbewegung haben.

Warum hat Die Stuttgarter im März die ­Aktien durchgehalten und nicht verkauft oder abgesichert?

Für unsere indirekten Bestände haben wir üblicherweise Absicherungen. Allerdings sichern wir wegen der Kosten nicht voll ab. Da wir sehr langfristig investieren, hatten wir aber auch teilweise stille Reserven in Höhe von 80, 90 Prozent auf die ­Buchwerte. So konnten wir auch einen Crash wie im ersten Quartal 2020 aushalten.
Im Direktbestand waren aber einzelne Titel unter Wasser. Hier haben wir den einen oder anderen Wert verkauft und dabei teilweise auch Verluste realisiert. Andererseits haben wir durch Verkäufe auch einiges an Erträgen realisiert.
Unter dem Strich: Langfristige, dauerhafte Aktieninvestments schaffen nach HGB Buchwertreserven – und diese lassen mich auch in Krisen gut schlafen.

Wie fiel die Nettoverzinsung im vergangenen Jahr aus?

Im vergangenen Jahr betrug die Nettoverzinsung 3,7 Prozent, nach 3,6 Prozent in 2019. Die Nettoverzinsung hängt immer auch von der Höhe der zu finanzierenden Zinszusatzreserve (ZZR) ab und 2020 war der ZZR-Bedarf etwas höher.

Bis 2017 kamen die Nettoverzinsungen noch auf etwa fünf Prozent. Liegt das daran, dass mehr „Hochprozenter“ für die ZZR zu realisieren waren?

Es stimmt: Wenn im Fixed-Income-Port­folio für die ZZR stille Reserven realisiert werden müssen, erhöht sich die Nettoverzinsung. Der Rückgang der Nettoverzinsung in den letzten Jahren war allerdings branchenweit zu beobachten, da mit der Einführung der sogenannten Korridor­methode seit 2018 weniger ZZR pro Jahr zu stellen war.

Sie erwähnten das Thema Inflation. Was ­bedeutet Inflation für Lebensversicherer?

Inflation hat positive und negative Aspekte. Gehaltssteigerungen bei unseren Kunden vergrößern unser Neugeschäftspotenzial. Dies auch deshalb, weil Inflation den Vorsorgebedarf erhöht. Diese Einsicht setzt sich mehr und mehr durch. Wenn Inflation jedoch nicht zu Gehaltssteigerungen bei ­unseren Versicherungsnehmern führt, ­reduziert sich natürlich unser Neugeschäftspotenzial. Zudem erhöhen sich auch die hausinternen Kosten.
Von grundsätzlicher Bedeutung sind der Realzins sowie der sichere Zins und ­letzterer wird durch die Zentralbanken sehr niedrig gehalten. Dem können sich alle ­institutionellen Anleger nicht entziehen. Insgesamt hat ein Inflationsanstieg bei niedrigem sicheren Zins einen negativen Effekt für die gesamte Finanzindustrie.

Früher hätten Versicherungsvertreter ­gesagt, dass Inflation gut ist, weil dann die Leitzinsen steigen.

Das ist genau das Dilemma. Die Zinsen werden durch die Zinspolitik und die Aufkaufprogramme der Zentralbanken unten gehalten. Wir sehen also allenfalls einen leichten Zinsanstieg, haben aber Inflation. Das ist das klassische Entschuldungs­programm überschuldeter Staaten – und schmerzhaft für die Bevölkerung.

Die Garantien von Lebensversicherungen werden doch auch weginflationiert?

Das geschieht nur, wenn die Zinsen und ­damit die Kapitalerträge der Lebensver­sicherer deutlich steigen. Dann sind die ­Garantien unserer Versicherungsnehmer ­finanzmathematisch gesehen wieder weniger wert. Solange aber nur die Inflation steigt, passiert genau dies nicht.

Ist ebenfalls die Strategie über die ­sogenannte neue Klassik mehr und mehr das Risiko an den Versicherungsnehmer auszulagern, und so auch den Garantiezins im Gesamtbestand zu senken?

Dazu braucht es aber ein signifikantes Neugeschäft. Bei uns läuft dies sehr ordentlich und weil unsere Produkte auch gut gemacht sind, merken wir, dass die Garantien im ­Bestandsdurchschnitt von Jahr zu Jahr ­runtergehen. Beim jetzigen Zinsniveau sind diese Produkte aber auch für unsere Kunden sinnvoll. Hohe Garantien bei niedrigen Zinsen würden deren Chancen ­einschränken.
Das Chancenpotenzial der Kunden wird aber auch durch Solvency II gemindert. ­Versicherer, die zu hohe Garantien geben und dann wegen Solvency II nur sehr sicher investieren können, schaden dem Kunden.

Lässt sich dies dem Kunden vermitteln?

Ja, das Umdenken in der Bevölkerung ist aber sehr langsam. Die Sicherheitsorientierung ist immer noch recht hoch. Unsere neuen Produkte werden aber sehr gut angenommen.

Droht, dass die Assekuranz in Erklärungsnöte kommt, wie man sich eigentlich noch von einem Asset Manager unterscheidet?

Nein. Wir bieten nach wie vor Garantien an. Zumindest die Basisabsicherung fürs Alter muss planbar bleiben und darum tun die Versicherer gut daran, weiterhin Garantien zu geben.
Darüber hinaus bietet der Ver­sicher­ungsmantel viele Vorteile: Kostenlose ­Umschichtungen von Fonds, ohne Steuerzahlungen auszulösen, Life-Cycle-Modelle, Lock-In-Modelle zur Sicherung von Höchstständen, um nur einige zu nennen.

Viele Versicherer – zuletzt die Provinzial – haben eigene Asset-Management-Gesellschaften gegründet. Steht dies auch bei der Stuttgarter an?

Stand heute: nein. Für einen Versicherungsverein, der das Geschäft im Verein betreibt, ist ein Asset Manager eigentlich nicht ­vorteilhaft. Wenn dieser Gewinne macht und sie ausschüttet, müssten sie versteuert werden. Wenn der Asset Manager rein kostendeckend arbeitet, gibt es aus meiner Sicht keine Vorteile. Für die Zukunft will ich diese Option nicht ausschließen. Je nachdem, wie sich der Rechtsrahmen weiterentwickelt, könnte ­unsere Zukunft auch im Asset Management und nicht nur in der Versicherung liegen. Man weiß nie, wie sich die Welt ändert. ­Interessant könnte das auch werden, wenn ein Externer mit uns im Asset Management kooperieren will.

Zu Solvency: Das Solvenzkapital der ­Stuttgarter lag 2019 bei 385 Prozent. Warum dieser hohe Wert?

Diese 385 Prozent sind inklusive Übergangsmaßnahmen. Ohne die Übergangsmaßnahmen, die bis Ende 2031 linear ­auslaufen, lagen wir Ende 2019 bei etwas über 200 Prozent.
Eine gewisse Überdeckung macht Sinn, weil das Solvenzkapital, insbesondere bei Zinsbewegungen, auch relativ schnell ­sinken kann. Andererseits sollte die Solvabilität auch nicht zu hoch sein, da sonst der Versicherungsnehmer nicht zu Unrecht ­fragen kann, warum wir nicht etwas ­chancenorientierter anlegen, um höhere Überschüsse zu erwirtschaften.
Es muss austariert sein. Wie schon erwähnt geht es darum, Assets und Liabilities so miteinander zu verknüpfen, dass nicht zu viel Volatilität der Solvenzquote entsteht.

Die Stuttgarter ist nicht der größte ­Lebensversicherer. Hilft Ihnen das ­Proportionalitätsprinzip von Solvency II?

Beim Proportionalitätsprinzip geht es nicht um die Unternehmensgröße, sondern um die Risiko-Proportionalität. Eine Stuttgarter hat strukturell ähnliche Passivbestände und Aktivbestände wie zum Beispiel eine ­Allianz Leben. Wir haben die gleichen Garantiezinsgenerationen und ähnliche Kapitalanlagen. Somit unterscheidet sich die Risikoausgestaltung auch nicht sehr – wohl aber die Unternehmensgröße. Wir ­haben also die gleichen Solvency-Anforderungen, ­weshalb wir regulatorisch einiges zu ­stemmen haben. Das ist schlussendlich auch eine Kostenfrage. Das Größen-Proportionalitätsprinzip können wir nicht in Anspruch nehmen. ­Zusammen mit unserem Sachversicherer und der Direkte Leben kommen wir auf knapp acht Milliarden Euro eigene Assets nach Marktwerten. Dazu kommt noch eine Milliarde Euro fondsgebundenes Geschäft. Damit sind wir größenmäßig in der oberen Hälfte der deutschen Versicherungen.

Bezüglich den Sachwerten könnte Solvency II hilfreicher sein, nehme ich an?

Eine meiner Änderungen ist ja, wie ­erwähnt, Solvency II bei der Neuanlage ­stärker im Fokus zu haben. Wir achten zum Beispiel auf Solvenz-optimierte Infrastruktur-Alternatives, wollen also vom ­Anbieter die Bestätigung, dass es sich um Qualified Infrastructure handelt, so dass unsere ­Eigenkapitalunterlegung geringer ausfällt.
Trotzdem leisten wir uns auch ein Prozent Private Equity. Das ist das teuerste, was ­Solvency II zu bieten hat. Aber als kleine, vorsichtige Beimischung gehört für uns ­Private Equity dazu. Diese leisten wir uns übrigens schon seit über 20 Jahren und ­daran halten wir auch fest. Ein Stück weit muss das Eigenkapital ja auch unter ­Risiko ­gesetzt werden – und wenn Private Equity normal läuft, dann ist dies auch die Asset-Klasse, die die höchsten Gewinne ­erzielt.
Was wir derzeit ausbauen ist Infrastruktur. In dieser Asset-Klasse halten wir bereits zwei Prozent. Wir haben etliche Fonds ­gezeichnet, die noch in der Aufbauphase sind. Die Erneuerbaren Energien in diesem Segment helfen uns auch, unseren CO₂-Fußabdruck zu verbessern.

Gehen Sie über Dach- oder Zielfonds?

Hauptsächlich Zielfonds, dafür sind wir groß genug. Dachfonds versuche ich auf Grund der zusätzlichen Kosten zu meiden, außer es ist ein besonders gutes Konzept.

Was ist das bevorzugte Immobilienvehikel für Die Stuttgarter?

Da haben wir den SIS, den Stuttgarter ­Immobilien Spezialfonds. Der SIS gehört uns zu 100 Prozent. Für diesen ­mandatieren wir zwei externe Asset Manager, werden aber in jede Kauf- und Verkaufentscheidung eingebunden.
Was wir inzwischen des Öfteren erleben ist, dass in Poolfonds die Interessendivergenzen zwischen Solvency-I- und Solvency-II-Bilanzierern zunehmen. Erstere sind eher ertragsorientiert unterwegs, letztere haben vor allem die Risikoseite im Blick und dann kommt es bezüglich Leverage oder Währungsabsicherung zum Dissens.
Da sind wir lieber unabhängig von anderen Anlegern unterwegs. Wir haben jüngst ­keine größeren externen Mandate neu ­gezeichnet, sondern bauen lieber unseren eigenen ­Spezialfonds aus oder versuchen unseren Direktbestand zu vergrößern. Unsere ­Immobilienbestände kommen aktuell auf einen Buchwert von über 500 Millionen ­Euro, so dass wir uns nicht unbedingt ­Mehranlegerfonds anschließen müssen.

Wie wägen Sie zwischen direkten und ­indirekten Immobilien ab?

Der SIS ist europaweit und auch in ­verschiedenen Nutzungsarten unterwegs. Beispielsweise haben wir auch Logistik-­Immobilien im SIS.
Direkte Bestände ­haben wir vor allem im Stuttgarter Raum und dazu noch Immobilien in anderen deutschen Großstädten. Wichtig ist eine ­gute Lage, da machen wir keine Abstriche. Wir übernehmen die ­Verwaltung und die Mietersuche selbst – und können dann auch die Erträge selbst ­erwirtschaften.

Neben Infrastruktur und Immobilien ist heutzutage Private Debt ein must-have.

Private-Debt-Anlagen haben wir noch in ­geringem Umfang aus alten Zeiten. Dabei handelt es sich um Dachfonds. Momentan sind wir dabei, uns Private Debt neu zu ­erschließen und dann etwas mehr als heute zu allokieren. Wir sondieren gerade die Märkte für Loans, Infrastructure und Real Estate Debt. Bis Jahresende werden wir ­sicherlich erste Neuinvestitionen tätigen. Nach Art des Hauses werden wir aber nicht gleich in die Vollen gehen, sondern zunächst mit Schnupper-Investments starten, um Erfahrungen zu sammeln.
Unabhängig davon haben wir noch einen Hypothekenbereich. Das sind in der Regel besicherte Darlehen – inzwischen vor­nehmlich gewerblich – mit übersichtlichen Beleihungsausläufen und entsprechend moderater Verzinsung. Das ist mit Private Debt aber nicht zu vergleichen.

Direkt oder indirekt? Das ist bei der Stuttgarter auch bei Aktien die Frage.

Unser Aktiendirektbestand beläuft sich auf etwa zwei Prozent der gesamten Assets. ­Unsere gesamte, reine Aktienquote liegt bei etwa sieben bis acht Prozent. Ausbaupläne haben wir derzeit keine, außer wenn wider Erwarten das Zinsniveau doch deutlich ­steigen und unsere Solvenzquote durch die Decke gehen sollte.
Direkt sind wir überwiegend in Titeln aus Deutschland und Kerneuropa investiert. Teilweise sind es Werte, die wir schon vor vielen Jahren gekauft haben und die nun hohe stille Reserven aufweisen. Grundsätzlich haben wir im Direktbestand eher Value-Werte, weshalb dieser in den vergangenen Jahren etwas schlechter als die indirekten Aktien lief. Für Regionen außerhalb ­Europas oder auch für Small Caps ­sowie Emerging Markets vergeben wir ­Mandate. Die Abwägung, ob direkt oder ­indirekt ­entscheidet sich immer daran, ob wir mit der Region oder einem Sektor vertraut sind. In Asien ist das zum Beispiel nicht der Fall. Die paar Basispunkte, die man als institu­tioneller Investor an professionelle ­Manager bezahlt, sind gut angelegt.
Ob nun direkt oder indirekt: Wir wollen ­Alpha erwirtschaften, praktizieren also ein aktives Management.

Im Direktbestand würde ich Unternehmen wie Siemens oder BASF vermuten, verbürgt sind aber Aktien der Umweltbank AG.

Die Umweltbank ist ein Vertriebspartner, der unter anderem für Die Stuttgarter ­unsere nachhaltige Produktlinie Grüne Rente vermittelt. Im Zuge dieser Partnerschaft kamen wir mal ins Gespräch, ob wir uns nicht an einer Kapitalerhöhung ­beteiligen. Da die Umweltbank schöne Wachstumsraten aufweist und gut in unser Nachhaltigkeitskonzept passt, hat der Vorstand aus strategischen Überlegungen ­beschlossen, etwas mehr als ein Prozent der Anteile der Umweltbank zu zeichnen. ­Dieses Engagement entpuppte sich dann als eine unserer besten Investitionen.

In sechs Monaten macht der Vorstand 50 Prozent … und ihre Aktienmanager wären auf diese Idee nicht gekommen?

Vielleicht hätten unsere internen Manager für dieses Geld noch eine viel lukrativere Idee gehabt. Wer weiß?

Suchen Sie für das Fixed-Income-Portfolio in der aktuellen Lage eher ­Durations- oder Kreditrisiken?

Mit den eingegangenen Kreditrisiken ­fühlen wir uns momentan einigermaßen ­sicher. Unser Credit-Portfolio ist auch sehr breit diversifiziert und die durchschnittliche Bonität mit A- bis A recht hoch. Im ALM-Portfolio, also im Durationsportfolio, sind die Sicherheiten natürlich noch deutlich ­höher. Da kaufen wir vornehmlich AAA- und AA-Papiere.
Da schlagen dann zwei Herzen in einer Brust: einerseits befürchtet der Asset Manager, dass sich das Zinsrisiko materialisiert und die Anleihe – womöglich über Jahrzehnte – in der stillen Last ist. ­Andererseits freut sich der Aktuar in mir, da meine ­Passivseite ja noch länger als die ­Aktivseite ist und so die Bewertung nach Solvency II viel stabiler wird.
Aber dieser Zwiespalt ist beherrschbar. Die Volatilität sorgt natürlich für etwas ­Ner­vosität. Grundsätzlich bin ich bezüglich des Zinsniveaus aber entspannt. Wir haben ­gelernt, auch mit sehr niedrigen Zinsen umzugehen.

Nachhaltigkeit ist für die Branche zu einem ganz großen Thema geworden. Wie lebt man bei der Stuttgarter dieses Thema in der Kapitalanlage?

Die Kapitalanlage unserer Grüne Rente ­basiert auf Impact Investing. Wir arbeiten im Sicherungsvermögen mit dem sogennanten Zuordnungsansatz, das heißt, dass wir diesem Produkt die passenden Anlagen aus dem ­Sicherungsvermögen zuordnen. Diese ­Zuordnung lassen wir uns auch extern zertifizieren.
Mindestens so viel Kundengelder wie in der Produktlinie stecken, investieren wir zum Beispiel in Green Bonds, in Hypotheken für Seniorenwohnheime, Renew­ables- oder ­Microfinance-Fonds. Die Grüne Rente ­verstehen wir also nicht nur als öko­logisches, sondern auch als soziales Altersvor­sorgeprodukt.
Für das Gros unserer Kapitalanlagen im ­Sicherungsvermögen fahren wir einen zweigeteilten Ansatz. Einerseits wenden wir die klassischen Ausschlusskriterien an. ­Andererseits holen wir uns gerade einen ­externen Datenanbieter hinzu. Auf Basis dieser Daten werden wir für uns einen ESG-Score definieren und diesen dann über die Jahre immer weiter verbessern. Der dafür passende Ansatz wäre dann weniger ein Best in Class, sondern eher ein Good oder Best in Progress. Wir wollen uns kontinuierlich verbessern.

Achtet die Branche zu sehr auf den ­Buchstaben „E“ in ESG?

Das E dominiert ganz klar. Bei den Umwelt­aspekten dominiert wiederum das Klima und beim Klima das CO₂. Wir sollten aber auch stärker auf soziale Aspekte achten. Vor dem Hintergrund von Demografie und ­Zuwanderung gibt es viele Investitionsmöglichkeiten, mit denen man den sozialen ­Gedanken unterstützen und noch aus­reichende Renditen erzielen kann. Wir ­sollten auch innerhalb des ökologischen Bereichs nicht nur auf die Energieerzeugung abzielen, sondern auch auf beispielsweise Wasserqualität oder Ressourcenverbrauch.

Natürlich spricht der Klimawandel für den CO₂-Fokus. Ist aber die einfache ­Messbarkeit auch ein Grund?

Vielleicht. Beim sozialen Engagement ist die Messbarkeit schwieriger. Gender Pay Gap oder die Frauenquote eines Gremiums sind leicht ermittelbare Daten. Aber ansonsten ist Soziales schwer messbar. Man ist ein bisschen auf sein Gefühl angewiesen, das Richtige zu tun. Nichtsdestotrotz müssen wir in der Kapitalanlage auch auf die soziale Nachhaltigkeit achten.

Erwarten Sie von einem Best in Progress auch die höchsten Renditen?

Ich schaue lieber auf das Risiko. Wenn man die Industrie zunehmend zu einer nachhaltigen Kapitalanlage zwingt, droht ­mangels passender Assets eine Blasenbildung. Ich denke da beispielsweise an Green Bonds.

Das heißt dann also: Obacht bei der Grüne Rente?

Wir wählen Fonds mit langfristig trag­fähigen Nachhaltigkeitsansätzen. Durch die laufenden Beiträge haben wir auch einen Cost-Average-Effekt, der Schwankungen glättet. Ich glaube auch, dass das ­nachhaltige und das konventionelle Kapitalanlagebuch der Versicherer und generell der institutionellen Anleger in den nächsten Jahren ­zunehmend konvergieren. Dies auch deshalb, weil sich die Realwirtschaft wandelt.

Green Bonds sollten also keine ­regulatorische Erleichterung bekommen?

Als Aktuar bin ich da strikt dagegen. Same Risk, same Capital! Wenn die Politik grüne Bonds fördern will, dann sollte sie das auf eine andere Weise tun – und nicht ein ­hochkomplexes Modell wie Solvency II vergewaltigen. Das würde das ­Gesamtkonstrukt Solvency II ad absurdum führen. Ansonsten können wir uns diesen Aufwand sparen.

Sie sind Mitglied im Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung. Empfiehlt der Beirat nicht, regulatorische ­Gestaltungsräume zu nutzen, um Impact Investments zu erleichtern? Klingt das nicht nach Solvency-II-Aufweichungen?

Diese Empfehlung zielt nicht auf Solvency II ab. Es gibt ja in einigen Bereichen noch eine Anlageverordnung, wo man Beschränkungen aus dem Weg räumen könnte. Ziel des Beirates ist die Förderung der Transformation der Wirtschaft.

Was müsste die Regierung tun, um die neun Milliarden Euro der Stuttgarter grüner zu machen?

Ich kann den Kunden nicht die Garantien kürzen, um in grüne Bundesanleihen investieren zu können. Es braucht also mehr Möglichkeiten, in diese Transformation zu investieren – und zwar auf allen Ebenen: von grünen Bundesanleihen über grüne Unternehmensanleihen bis hin zu nachhaltigen Infrastrukturprojekten. ­Beispielsweise könnte der Bund für solche Projekte mit ­Garantien das Risiko reduzieren. Da kann der Staat glaube ich noch sehr viel tun.

Was hat der Beirat der Bundesregierung ­bislang geraten?

Wir haben viele Empfehlungen hinsichtlich Offenlegungspflichten gegeben. Schließlich muss ich als Anleger in der Lage zu sein, die Nachhaltigkeit meiner Assets beurteilen und messen zu können. Wie grün sind die Produkte denn nun wirklich? Transparenz war einer unserer Schwerpunkte.

Wie grün sind sich eigentlich Beirat und Bundesregierung?

Die Bundesregierung ist Auftraggeber und Empfänger der Vorschläge. Spannend wird es sein dann zu sehen, was diese und insbesondere die nächste Regierung aus den Empfehlungen macht.
Was die Bundes­regierung an dem Beirat schätzt ist, wenn die Empfehlungen möglichst konkret sind. Wie anderswo auch: Es geht immer schneller und es ist immer zweckdienlicher, wenn Vorschläge möglichst konkret sind.

Unterschätzen Lebensversicherer das ­Langlebigkeitsrisiko?

Nein. Dieses Risiko ist über die Generationssterbetafel DAV 2004 R kalkulierbar. Diese inkludiert beziehungsweise antizipiert Sterblichkeitsverbesserungen. Die vergangenen 15 Jahre bestätigten die Richtigkeit der Tafel. Stand heute ist alles beherrschbar. Abzuwarten sind aber der medizinische Fortschritt, Pandemien und ­Umwelteinflüsse.

Nutzen Sie keine Heubeck-Richttafeln als biometrische Rechnungsgrundlage?

Lebensversicherer verwenden Heubeck-­Tafeln sehr selten. Diese werden vor allem in der bAV genutzt, die oft eine andere Sterblichkeit in ihrem speziellen Versichertenkollektiv – je nach Betrieb oftmals stark unterschiedlich – als das Bevölkerungskollektiv oder das Kollektiv der Lebensversicherer hat. Wer davon ausgeht, nicht alt zu ­werden, schließt lieber bei der Lebensver­sicherung Sparprodukte ab, die er sich dann im Alter von 67 auszahlen lässt. Versichertenbestände der Lebensversicherer haben also geringere Sterblichkeitsniveaus als der Bevölkerungsdurchschnitt.

Ein Aktuar einer Lebensversicherung ­müsste dann froh sein, dass es berufsständische Versorgungswerke gibt. Sonst müsste man langlebige Ärzte (und deren junge Witwen) versichern.

Ich habe keine Angst vor Ärzten oder anderen Akademikern. Wir können auch diese Risiken kalkulieren.

Die Deutsche Aktuarvereinigung – deren Vorsitzender Sie sind – empfahl Ende des vergangenen Jahres, den Höchstrechnungszins auf 0,25 Prozent abzusenken. Was sagt denn dazu im Vorstand der Stuttgarter Ihr Vertriebskollege?

Die Stuttgarter hat in 2021 ganz neue Tarife eingeführt, die mit Garantiezinsen deutlich unterhalb von 0,9 Prozent, dem aktuellen Höchstrechnungszins, arbeiten. Das trägt mein Vertriebskollege zu 100 Prozent mit. Von diesen Produkten hat der Kunde im ­jetzigen Umfeld mehr. Die alte Klassik ist eigentlich nur noch bei kurzen Anspar­phasen gefragt.
Reduzierte Garantien helfen auch unseren Beständen, weil sie es uns ermöglichen, weiterhin eine ordentliche Substanzwertquote zu fahren. Die 20 Prozent wollen wir beibehalten.

Müssen sich Aktuare wegen der neuen ­Produktwelt um ihre ­Karrierechancen ­sorgen? Oder ist vielmehr das Gegenteil der Fall?

Meine These ist, dass in Deutschland 2.000 bis 3.000 Aktuare fehlen. Die ­Produktpalette wurde breiter und komplexer, dazu kommt noch ein bunter Strauß an Regulatorik und in die Dokumente zur Anlegerinformation ist viel aktuarielles Knowhow ­geflossen. Das macht es für Aktuare sehr ­spannend. Was mir Sorge macht, ist, dass die Zahl der ­Mathematikstudenten zurückgeht.

Wo liegen denn die Schnittpunkte in den Aufgabenfeldern von Aktuaren und ­Kapitalanlegern?

Große Schnittpunkte gibt es im Asset-­Liability-Management. Laufzeiten, Produkt­anforderungen und vor allem Sovency-II-Belange müssen abgestimmt werden. Die Komplexität der Solvenzmodelle und deren Implikation für die Kapitalanlage sind sehr relevant. Ein weiteres wichtiges aktuarielles Feld ist auch die Deklaration des Überschusses.
Das Zusammenspiel zwischen aktuariellen ­Themen und der Kapitalanlage ist sehr spannend. Aber das wissen Sie ja schon aus meiner eigenen Aufgabenbeschreibung zu Beginn des Interviews.

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