Mit Speck fängt man Mäuse
Die Stiftungslandschaft in der Bundesrepublik ist wegen der sich verschärfenden Niedrigzinsphase zu einem Hort wachsender Herausforderungen, Sorgen und Existenzängste geworden. Das zeigt ein Roundtable-Gespräch – moderiert von portfolio institutionell im Dezember 2016. Darin wurde aber auch deutlich, wie Stiftungen heute reagieren sollten.
Stiftungsvorstände haben häufig nur den Willen des Stifters vor Augen und richten ihre ganze Kraft darauf aus, den von ihm oder ihr in Stein gemeißelten Stiftungszweck umzusetzen. Sie können Gutes tun und geben ihrem Leben damit einen ganz besonderen Sinn. Bereits im antiken Griechenland und im Römischen Reich hat es ein florierendes Stiftungswesen gegeben.
Kein Wunder, dass der Stiftungssektor viele Bewerber anzieht. Als Ende 2016 ein Nachfolger für den Chefposten der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten gesucht wurde, haben sich laut Berichten der Lokalpresse nicht weniger als 31 Bewerber um den Traumjob gebalgt. Geschnappt hat sich den Arbeitsplatz auf Schloss Heidecksburg über den Dächern von Rudolstadt die bisherige Vize-Landeskonservatorin von Rheinland-Pfalz, Doris Fischer. Die 54-Jährige tritt zum 1. Mai dieses Jahres die Nachfolge von Helmut-Eberhard Paulus an, der die Stiftung mitbegründet und seit 1994 geleitet hat. Fischer wird dann die Herrin über 31 der kulturhistorisch bedeutendsten Thüringer Schlösser, Burgen, Park- und Klosteranlagen sein.
Während die Vorzeigestiftung in Mitteldeutschland ihre Arbeit damit reibungslos fortsetzen kann, ist die Stiftungslandschaft in der Bundesrepublik im Zuge der sich seit Jahren verschärfenden Niedrigzinsphase klammheimlich zu einem Hort riesiger Herausforderungen, Sorgen und Existenzängste geworden. Fast möchte man Parallelen zum großen Stiftungssterben ziehen, das nach dem Ersten Weltkrieg eingesetzte. Damals gab es hierzulande sagenhafte 100.000 Stiftungen mit einem noch sagenhafteren Vermögen von rund 3,8 Milliarden Goldmark.
Viele Stiftungen hatten aufgrund der rechtlichen Vorgaben und im patriotischen Überschwang Kriegsanleihen gezeichnet. Ruinöse Folgen hatte Anfang der 1920er Jahre auch die Inflation für das hiesige Stiftungswesen. Heute gibt es 21.301 Stiftungen (Stand Ende 2015), davon sind rund 95 Prozent steuerbegünstigt und bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer besser gestellt; ihr Gesamtvermögen umfasst geschätzte 100 Milliarden Euro.
Welchen Herausforderungen die Stiftungswelt und ihre Protagonisten heute ausgesetzt sind, darüber sprach portfolio institutionell Ende des vergangenen Jahres mit drei Kennern der Materie, man könnte auch den Begriff „Leidensgenossen“ in den Mund nehmen. Jens Güldner, Leiter Vermögensmanagement beim Evangelischen Johannesstift, öffnete im Spandauer Forst die Pforten zu seinem Reich. Er skizzierte, was er im Tagesgeschäft sonst noch unternimmt, wenn er nicht gerade die Vermögensanlagen des Johannesstifts und seiner Tochtergesellschaften betreut, das dazugehörige Risikomanagement optimiert oder die ohnehin schon ausgefeilte Nachhaltigkeitsstrategie des in der Rechtsform der Beteiligungsträgerstiftung gehaltenen Unternehmensverbunds noch performanter macht.
„Hier im Johannesstift gibt es ein sich zusehends etablierendes Stiftungszentrum, wo wir weitere Stiftungen managen. Dort bin ich für die kaufmännische Seite zuständig, die das Vermögens,- und Risikomanagement einschließt. Zudem kümmere ich mich um die Berücksichtigung nachhaltiger Geldanlagen bis hin zur Wirtschaftsprüfung“, so Güldner. Vom parkähnlichen Gelände des Johannesstifts aus fungiert er zudem als Finanzvorstand der in der Altenhilfe tätigen Werner und Maren Otto Stiftung. „Stiftungen sind mein Steckenpferd“, sagt Güldner. Und auch seine Leidenschaft: „Es geht darum, vieles voranzubringen. Wir als Evangelisches Johannesstift haben im Hinblick auf unsere Ressourcen ganz andere Möglichkeiten als die vielen kleinen Stiftungen.“
Dazu ein Blick in die Statistik: Ein Viertel aller rechtsfähigen Stiftungen bürgerlichen Rechts hält ein Vermögen von maximal 100.000 Euro. Lediglich 0,8 Prozent aller Stiftungen haben mehr als 100 Millionen Euro. Die ungleiche Verteilung des Vermögens sollte Stiftungsgründer keinesfalls abschrecken, sich für die gute Sache einzusetzen. Jens Güldner sagt, er fördere die Neugründung von gemeinnützigen Stiftungen mit einem tragfähigen Finanzkonzept, „die dann hier bei uns im Johannesstift Stiftungszentrum umfassend gemanagt und betreut werden können.“
An der Front der Beratung
Mit von der Partie in Berlin war auch der erfahrene, inzwischen aber pensionierte Bankenfachmann Jean Zimmermann sowie Rechtsanwalt Dr. Christoph Mecking. Zum Einstieg erläuterte Zimmermann, dass er nach dem Ende seiner aktiven Bankenlaufbahn auch heute noch Einrichtungen im sozialen Bereich bei Fragen über Finanzanlagen berät. „Mir geht es darum, dass die Einrichtungen nicht nur eine einseitige Betreuung durch die Banken erhalten, sondern, dass der stiftungseigene Kapitalanleger noch eine andere Sicht auf die Dinge erhält.“
Auch Dr. Christoph Mecking setzt sich viele Hüte auf. Seit Anfang 2005 fungiert er als geschäftsführender Gesellschafter des 1990 gegründeten Instituts für Stiftungsberatung, das gemeinnützige Organisationen und Mäzene unterstützt. Um diese Position anzutreten, hatte Mecking seinen Chefposten beim Bundesverband Deutscher Stiftungen an den Nagel gehängt. „Damit bin ich praktisch wieder an der Front der Beratung“, sagt er heute. „Mein berufsständischer Kern ist die Anwaltschaft. Anwaltlich bin ich aber immer nur dann tätig, wenn die Dinge streitig werden. Das versuche ich zu vermeiden, indem ich mich bemühe, Konflikte frühzeitig zu klären“, so Mecking.
Über mangelnde Arbeit können sich weder Güldner noch Zimmermann oder Mecking beklagen. „Am meisten zu tun habe ich mit der Gründung von Stiftungen, deren Konzeption und mit Problemen, die sich dann in der Stiftungstätigkeit ergeben. Das betrifft die Auseinandersetzung mit Behörden, die Kommunikation innerhalb von Organen. Deswegen habe ich mich 2016 zum Mediator ausbilden lassen, um Konflikte mit entsprechenden Methoden lösen zu können“, sagt Mecking.
Einen Blick zurück auf das vergangene Jahr warf auch Jens Güldner. „Im ersten Quartal 2016 haben wir unseren EJS-Stiftungsfonds systematisch umgestellt: Weg vom Schwerpunkt der Zielfonds im Aktienbereich und hin zu Einzeltiteln. Parallel dazu sind wir von dem bis dahin vorgesehenen Europaansatz zu einem globalen Ansatz übergegangen.“ Obwohl der Prozess noch nicht lange her ist, zieht Güldner schon mal ein Zwischenfazit: „Der Umbau hat uns an vielen Stellen geholfen. Die Fremdwährungsquote bezogen auf den US-Dollar lag kurz vor Weihnachten bei ungewöhnlich hohen 25 Prozent. Das hat unseren Fonds, in dem eine Reihe weiterer Stiftungen investiert sind, stabilisiert. Und wir können im Nachhaltigkeitsbereich nun genauer und gezielter die Nachhaltigkeitsqualität besser risikoadjustiert steuern. Das trifft auch auf das für eine Stiftung sehr wichtige Thema der Kupons zu.“ Derzeit ist der EJS-Stiftungsfonds rund 63,5 Millionen Euro schwer.
Auf die Frage, welche Rolle die Nachhaltigkeit bei der heutigen Stiftergeneration spielt, entgegnet Jurist Mecking, dass die Stiftung an sich schon ein sehr nachhaltiges Instrument sei: „Das steht ja auch so in den entsprechenden Gesetzen: Das Stiftungsvermögen muss dazu dienen, den Stiftungszweck dauerhaft und nachhaltig zu erfüllen. Wenn die Dauerhaftigkeit und die Nachhaltigkeit nicht prognostiziert werden kann, darf die Stiftung nicht anerkannt werden. Das heißt natürlich auch, dass das Vermögen der Stiftung grundsätzlich nachhaltig angelegt werden muss.“
Der Zweck heiligt die Mittel
Wenn man sich mit Stiftungsvertretern über die Untiefen und Fallstricke der nachhaltigen Vermögensanlage austauscht, fällt seit einigen Jahren immer wieder das Schlagwort „Mission Investing“, das war auch diesmal so – und die Herren Mecking, Zimmermann und Güldner waren sich dabei inhaltlich weitgehend einig: Zweckbezogenes Investieren heißt, dass Gelder neben den klassischen Wertpapierinvestments auch zweckbezogen investiert werden.
Dahinter steht die Idee, die niedrigen finanziellen Erträge aus als risikoarm eingestuften Rentenpapieren mit nicht-finanziellem Erfolg überzukompensieren. „Stiftungen sagen‚ wir haben noch viel mehr Erfolg, wenn wir nach ethisch-sozialen Kriterien und in Übereinstimmung mit unserer spezifischen Zweckausrichtung anlegen und dadurch eine positive Wirkung entfalten“, sagt Mecking. Und er betont, dass der Bundesverband Deutscher Stiftungen seit der Finanzkrise von 2008 das Thema stärker denn je ins Blickfeld rückt: „Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob diese Gleichung tragfähig ist. Zwar finde ich es richtig, dass Stiftungen Wert auf Mission Investing legen. Was ich kritisch sehe, ist der Gedanke, die Anlage in zwecknahen Bereichen durchzuführen und dann kurzerhand zu sagen: Das reicht eigentlich aus.“
Aber: Eine Stiftung müsse Erträge monetärer Art erzielen. „Wenn sie das nicht macht, hat sie Probleme, ihren gemeinnützigen Status zu behalten. Denn ohne finanzielle Ergebnisse wird es kritisch, weil die Zweckverwirklichung über Vermögensanlagen allein den Finanzämtern und den deutschen Stiftungsbehörden in der herkömmlichen Sichtweise nicht ausreicht“, warnt der Jurist. Mecking fügt hinzu: „Vermögensverwaltung ist kein gemeinnütziger Zweck!“ Damit bringt er die Diskussion auf das nächsthöhere Level, nämlich zu der Frage, welche Probleme Stiftungsgründer heute umtreiben.
Wie Mecking berichtet, hätten Stifter zum Teil völlig unterschiedliche Vorstellungen. Das mache die Beantwortung der Frage schwer: „Mitunter ist es so, dass sie sich einen inhaltsbezogenen Auftrag gestellt haben, also ein bestimmtes Thema innerhalb und mit der Stiftung bewegen möchten. Die Vermögensverwaltung spielt dabei eher eine untergeordnete Rolle.“ Damit bestätigt er ein Vorurteil, an dem offenbar auch heute noch etwas dran ist. „In der Beratung achte ich darauf, diese Thematik zu besprechen“, so Mecking.
Ihm ist es dabei wichtig, gegenüber Stiftungsgründern auf die nötige Balance hinzuweisen: „Denn stiftungsrechtlich ist man zur Vermögenserhaltung gezwungen. Es gilt aber darauf zu achten, dass eine Stiftung in erster Linie eine Leistungsorganisation ist, die Erträge erzielen muss. Und wenn dann noch wegen einer ökologischen oder sozialen Ausrichtung der Stiftung inhaltliche Aspekte bei der Vermögensverwaltung eine Rolle spielen sollen, und ich spreche das wegen des gesellschaftlichen Auftrags von Stiftungen immer an, dann müsste auch das in die Satzungsgestaltung einfließen, über die sich Gründer Gedanken machen müssen.“
Dazu ein kurzer Exkurs: Eine Studie über das Anlageverhalten von Stiftungen ergab 2012, dass nur 36 Prozent der Einrichtungen völlig ohne Anlageeinschränkungen agieren können. Knapp die Hälfte orientiert sich in der Anlagestrategie an den Aspekten Vermögenserhalt, Definition von Anlageklassen und Festlegung von Risikoparametern – bevorzugt im Rahmen von Anlagerichtlinien. Dabei handelt es sich um eine Art Nebenordnung, vergleichbar etwa mit der Geschäftsordnung des Vorstands. Sie darf der Satzung nicht widersprechen und leitet das Ermessen der handelnden Personen.
Danach befragt, wie man bei einer neuen oder aber bei einer bereits bestehenden Stiftung die Satzung optimal formuliert, erklärt Mecking: „Es muss darum gehen, die Entscheidungsmöglichkeiten der Stiftungsorgane zu stärken und im Interesse der Zukunftsfähigkeit der Stiftung flexible Lösungen zuzulassen. So sollte die Stiftungssatzung offen mit dem Thema Vermögensverwaltung umgehen. Heute nützliche zwingende Vorgaben können anhand der Dynamik der Rahmenbedingungen und Märkte schon morgen fatale Auswirkungen haben. Neben der Bestandserhaltung sollte Wert auf die Ertragserzielung gelegt werden. Daneben bietet es sich an, vorzusehen, dass die Stiftung neben einer finanziellen Performance eine soziale und ökologische Rendite erzielen soll.“ Doch das ist leichter gesagt als getan.
Von der Mündung zur Quelle
Stiftungsrechtlich sind grundsätzlich nur durch „Fruchtziehung“ erzielte Einnahmen, die sogenannten ordentlichen Erträge wie Zinsen und Dividenden, verwendungsfähig. Realisierte Substanzgewinne erhöhen dagegen das Grundstockvermögen. Heute werden sie regelmäßig in eine Umschichtungsrücklage eingestellt. Bei einer entsprechenden satzungsmäßigen Grundlage können sie dann ebenfalls für den Stiftungszweck verwendet werden.
Aber muss eine etablierte Stiftung, der es an ordentlichen Erträgen mangelt, in der Not gezwungenermaßen ihre Substanz abschmelzen lassen? Oder ist das ein Tabu? Diese Fragen beantwortet Jens Güldner mit einer Gegenfrage, nämlich der, wie man Substanz definiert: „Stiftungen haben und hatten auch in der Vergangenheit nach der Abgabenordnung die Möglichkeit, freie Rücklagen zu bilden. Und wenn sie das im gesetzlichen Rahmen gemacht und auch in der Vermögensanlage gut gewirtschaftet haben, müssten sie – auch wenn die Nullzinsphase nun schon länger anhält – auch heute noch durchaus Reserven haben.“
Weiter sagt Güldner: „Wenn man die Reserven als Substanz betrachtet und die Substanzentwicklung sich über dem langfristig gewünschten Zielpfad des realen Kapitalerhalts bewegt, hätten Stiftungen nach wie vor die Chance, diese Reserven zu nutzen, um Ausschüttungen zu tätigen, also auch in Zeiten niedriger Kupons ihre Ausschüttungen zu stabilisieren, um damit ihre Stiftungstätigkeit fortführen zu können.“ Es könne aber auch in dem einen oder anderen Jahr passieren, dass eine Stiftung das Grundstockvermögen angreifen oder außerordentliche Erträge, wie zum Beispiel realisierte Kursgewinne, in irgendeiner Art nutzen muss. Güldner mahnt, dass das ein Sonderfall bleiben sollte.
Zum Verständnis und zur Abgrenzung: Das Grundstockvermögen ist das Vermögen, dass der Stiftung zugewendet wurde, um aus seiner Nutzung den Stiftungszweck dauernd und nachhaltig zu erfüllen. Davon abzugrenzen ist das Stiftungskapital. Das ist der bilanztechnische Begriff für das Gesamtvermögen, also den Grundstock einschließlich späterer Zuwendungen, insbesondere Spenden, Rücklagen und noch nicht verwendeter Vermögenserträge.
Der Umgang mit außerordentlichen Erträgen sollte, zumal sie zunächst der Mittelverwendungspflicht entzogen sind, nach Einschätzung Meckings in der Satzung geregelt werden. Auf diese Weise werden schwierige Auslegungsfragen vermieden. „Stiftungsrechtlich wird der außerordentliche Ertrag als Umschichtungsgewinn verstanden und erhöht das Grundstockvermögen. Er steht also für die Mittelverwendung grundsätzlich nicht zur Verfügung“, erklärt der Jurist. Da das Stiftungsvermögen auf diese Weise gestärkt wird, kann daraus langfristig ein höherer Einkommensstrom generiert werden. Anders gesagt: Mit Speck fängt man Mäuse. Für viele Stiftungen sei es aber geradezu existenznotwendig, auf die außerordentlichen Erträge für die Zweckverwirklichung zugreifen zu können.
Letzter Ausweg: Fusion
Stiftungen, die nicht oder nicht mehr in der Lage sind, ihre Substanz zu erhalten, sollten in letzter Instanz über eine Fusion mit anderen Stiftungen oder die Umwandlung in eine Verbrauchsstiftung nachdenken. Doch das ist leichter gesagt als getan. Mecking erläutert die Problematik: „Wenn mehrere kleine Stiftungen, die alleine weder leben noch sterben können, fusionieren, kann man für alle Beteiligten Mehrwert generieren. Hier hat der Gesetzgeber jedoch Rahmenbedingungen gesetzt, die dem Ziel eher entgegenstehen.“ Wenn der Stifter es nicht von Anfang an vorgesehen hat, dürfe eine Stiftung mit anderen nur zusammengelegt werden, wenn sich die Verhältnisse wesentlich geändert haben oder wenn der Zweck ansonsten nicht mehr erfüllbar ist. „Doch in der Praxis gibt es erhebliche Schwierigkeiten. Die Stiftungsbehörden möchten Zusammenlegungen eigentlich nicht.“
Kommen wir noch einmal zurück auf die Untiefen der Bilanzierung von Stiftungen und dabei konkret auf das sogenannte Admassierungsverbot: Danach ist es verboten, verwendungspflichtige Mittel dem Grundstockvermögen oder den Rücklagen zuzuführen und so die Substanz zu stärken. Ausnahmen bilden die freie Rücklage, die Beteiligungsrücklage und die Neugründungsrücklage. Die freie Rücklage trägt beispielsweise diese Bezeichnung, weil sie auch ohne konkrete Verwendungsabsicht gebildet und später bei Bedarf frei verwendet werden kann – zur Erhöhung des Vermögens oder der Projektmittel. „Dabei ist sie letztlich als Leistungserhaltungsgrundlage gedacht“, sagt Christoph Mecking.
Der Gesetzgeber habe vorgesehen, dass Stiftungen mit der freien Rücklage die Inflation ausgleichen, um auch dann noch ihrer Arbeit uneingeschränkt nachgehen zu können, wenn die Währung wieder deutlicher an Kaufkraft einbüßt. „Wenn Stiftungen mit ihrer konservativen Anlagepolitik aber keine Erträge mehr erzielen können, ist es in der Praxis durchaus der Fall, dass sie die freie Rücklage angreifen. Das ist steuerlich und stiftungsrechtlich formal unproblematisch. Was dabei aber passiert, ist, dass sie in der Vergangenheit aufgebaute Substanz aufzehren“, erläutert der Jurist.
Mit anderen Worten wird das Ziel, dafür zu sorgen, dass die Stiftung auf der Vermögensseite heute noch genauso stark ist wie zu Zeiten ihrer Gründung, rückwirkend beschädigt. Mecking zieht daraus die Schlussfolgerung, dass die freie Rücklage möglichst nicht angetastet oder nur für Investitionen etwa in Fundraising-Instrumente genutzt werden sollte: „Zumal man nicht weiß, wie lange diese Nullzinsphase noch dauert.“
Der Tod und die Steuer
Auf den amerikanischen Schriftsteller und Staatsmann Benjamin Franklin geht das Bonmot zurück: „Nur zwei Dinge auf dieser Welt sind uns sicher: der Tod und die Steuer.“ An Stiftungen hat er dabei aber offenbar nicht gedacht. Oder doch? Was ist, wenn die Rücklagen letzten Endes aufgezehrt wurden und die Zinsen nicht wieder anspringen? Mecking beantwortet die Frage grundsätzlich: Der Stifter habe den Auftrag formuliert, einen bestimmten Stiftungszweck zu erfüllen. Notfalls könne das auch auf Sparflamme geschehen. „Wenn Stiftungsvorstände den Zweck nicht mehr verwirklichen, würde der Einrichtung der Status der Gemeinnützigkeit entzogen werden“, so der Jurist.
Damit wären die Schäden für die Stiftung noch viel größer. „Denn damit entsteht eine Steuerpflicht. Und wenn eine bis dahin steuerfreie Stiftung dann nicht einmal Spendenquittungen ausstellen dürfte, bliebe ihr noch weniger Geld für die Erfüllung ihres Stiftungszwecks.“ Also besser auf Sparflamme arbeiten, soweit das überhaupt noch geht. Das heißt in letzter Konsequenz auch: Stiftungen müssen bei der Vermögensanlage umsteuern und sich präzise überlegen, wie sie es schaffen, auch unter der Berücksichtigung von Mission Investing Erträge zu erzielen. „Da kann Fundraising natürlich eine Rolle spielen, das ist klar“, greift Mecking diesen Faden auf.
Das Problem hier: „Man kann darauf warten, dass Spenden oder Zustiftungen eingehen. Das ist aber Zufall. Denn wenn die Stiftung aufgrund sinkender Erträge auch bei ihren Projekten immer weniger glänzen kann, dann wird keiner mehr auf sie aufmerksam und sie erhält erst recht keine Zuwendungen. Im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit wird ja nicht selten als Erstes gespart“, bringt der Jurist die für viele scheinbar ausweglose Situation auf den Punkt. Um Fundraising aktiv zu betreiben, brauche man zunächst Mittel. „Denn das ist ein Investment für die Zukunft.Das ist von den Stiftungen, über die wir heute sprechen, nicht rechtzeitig gemacht worden“, so Mecking. Bei vielen sei es fünf vor zwölf. Sie müssten sich jetzt sehr schnell entscheiden, in welche Richtung es weiter gehen soll.
Sollte man also jetzt endlich über einen Schwenk in der konservativen Anlagepolitik nachdenken? „In vielen Köpfen schwirrt noch heute das Konzept der Mündelsicherheit herum, dabei gibt es eine solche Pflicht für Stiftungen schon seit Jahrzehnten nicht mehr“, weiß Christoph Mecking. Stiftungen sollten sich auf Investments besinnen, die insbesondere von einem unternehmerischen Geist geprägt sind. „In meiner Praxis habe ich immer häufiger mit Stiftungsvorstände zu tun, die versuchen, Modelle mit unternehmerischem Geist auszuarbeiten, um auf anderen als den üblichen Wegen Erträge zu erzielen. Ich sehe inzwischen auch bei den Aufsichtsbehörden eine wachsende Bereitschaft, diesen Paradigmenwechsel mitzugehen. Sie sehen schließlich auch, dass es auf Dauer so wie bisher nicht weitergehen kann“, erläutert Mecking.
Ein neuer Haarschnitt
Zeit für ein Zwischenfazit der drei Protagonisten. Sollte man heute, plakativ gesagt, alte Zöpfe abschneiden, um auch die jetzige Phase als Stiftung unbeschadet überstehen zu können? Wie geht man dabei vor? Und was sollte man besser sein lassen? Darauf entgegnet Jean Zimmermann: „Zunächst einmal sollte man den klassischerweise hohen Rentenanteil zurückfahren, wenn man das durch Fälligkeiten, die nicht wieder angelegt wurden, nicht schon getan hat. Wenn man nun aber beispielsweise verstärkt im Aktienbereich investiert, sollte man sich unbedingt Gedanken über ein angemessenes Wertsicherungskonzept machen. Man sollte sich nicht ungesichert in den Märkten bewegen.“
Als Beimischung sollte man nach Einschätzung des langjährigen Bankdirektors über Immobilien nachdenken: „Es sei denn, es sind schon Immobilien in der Vermögensanlage vorhanden. Hier rate ich zu einer Aufteilung auf die verschiedenen Nutzungsarten: Wohnungen, Gewerbebauten und Büros.“ Es komme auch auf die Größenordnung der Stiftung an, ob man eine Fondslösung wählt oder ein Direktinvestment eingeht. „Zusätzlich finde ich es durchaus sinnvoll, Infrastruktur beizumischen“, so Zimmermann.
Jens Güldner baut darauf auf und sagt: „Alte Zöpfe im Sinne von mündelsicheren, anleiheorientierten Strategien und die Denkweise, dass Anleihen risikolos sind, sollte man tatsächlich abschneiden. Im Gegensatz dazu müsste man sich neuen Konzepten widmen und dabei auch das Thema Risikomanagement in den Fokus nehmen.“ Gemischte Sondervermögen, wie man sie aus der Vergangenheit kennt, also Renten und Aktien gemischt mit weiteren Anlageklassen und darauf aufbauende Multi-Asset-Konzepte, hätten sich bewährt. „Darauf würde ich aufbauen. Hier würde ich alte Zöpfe bewusst nicht abschneiden. Das wichtige Signal bei den gemischten Sondervermögen ist, dass man das Stiftungsvermögen gut diversifiziert und sich nicht auf eine Asset-Klasse verlassen sollte. Dabei sollte man aber darauf achten, dass man es bei der Diversifikation nicht übertreibt. Denn andernfalls hätte man nicht nur ein Kostenproblem“, so Güldern.
Was aber, wenn Stiftungsvorstände satzungsbedingt ein zu enges Anlagekorsett vorfinden? „Hier könnte eine Stiftung durch Anträge auf Satzungsänderung versuchen, den Spielraum zu erweitern. Und angesichts der veränderten Verhältnisse liegen tragfähige Begründungen in Übereinstimmung mit dem mutmaßlichen Stifterwillen auf der Hand, die gegenüber der zuständigen Stiftungsaufsicht zu vermitteln sind“, sagt Mecking und wird konkreter: „Bei der Stiftungsaufsicht kann man damit auf Verständnis treffen. Manchmal kann das aber auch ein mühsamer Diskussionsprozess sein.“
Wichtig sei, dass die gesamte Anlagestrategie der Stiftung den Grundsätzen von sicherer, aber auch wirtschaftlicher Verwaltung des Stiftungsvermögens entspricht. Jedoch dürfe man nicht vergessen, dass die Existenz der Stiftung letztlich auf die Erfüllung ihres Zwecks ausgerichtet ist, warnt Mecking: „Man muss sich bewusst machen, dass es einerseits Gestaltungsmöglichkeiten gibt und man andererseits Anlagen vermeiden muss, die mit ungewissen Erträgen oder zu hohem Verlustrisiko verbunden sind. Und dass Spekulationsgeschäfte verboten sind.“
Bei den Entscheidungsträgern in Stiftungen scheinen an diesem Punkt aber noch viele Fragen offen zu sein. Mecking erläutert dazu aus seiner Beobachtung: „Wir haben häufig die Situation, dass es im Vorstand und im Kuratorium eine gewisse Ängstlichkeit gibt. Und eine enorme Risikoaversion.“ Frischen Wind in die Anlagestruktur bringe mitunter ein Generationswechsel. Wenn nicht, müsse man den Entscheidungsträgern zurufen, dass die Tätigkeit in einer Stiftung auch immer mit der Wahrnehmung von Verantwortung für die Vermögensanlage zu tun hat. „Selbst wenn ich in einer Sozialstiftung als Sozialarbeiter im Vorstand sitze, muss ich mich damit auseinandersetzen und mir gegebenenfalls entsprechenden Rat holen.“
Anders ausgedrückt: Zahlreiche Verantwortliche bei Stiftungen haben Angst vor den Risiken der Vermögensanlage. Doch wenn sie die Herausforderungen nicht eingehen und wie die Maus vor der Schlange ihrem Schicksal tatenlos ins Auge sehen, entstehen für sie neue Risiken – durch Nichtstun. Mecking sagt, „wenn man als Stiftungsvorstand nichts tut, dann handelt man auf jeden Fall falsch. Ich beobachte das häufig in der Praxis: Stiftungen haben ihr Geld auf dem Festgeldkonto liegen oder auf dem Girokonto und beziehen so gut wie null Zinsen.“ Sollten Banken noch stärker dazu übergehen, Minuszinsen zu verlangen, werde sich diese missliche Situation verschärfen. Spätestens dann werde jedermann deutlich, dass ein solches Verhalten nicht mehr vermögenserhaltend sein kann. Nichts zu tun, ist laut Mecking ebenso haftungsrelevant.
Wichtig auch folgender Rat des Juristen: „Die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Investment müsse zur aktuellen Situation passen. Dass das irgendwann möglicherweise zu negativen Auswirkungen führt, was ja durchaus denkbar ist, kann dem Vorstand nicht angelastet werden.“ Wenn das Problem erkannt und in angemessener Weise diskutiert und sorgfältig recherchiert wurde und man die daraufhin getroffene Anlageentscheidung in adäquater Form dokumentiert hat, könne man hinterher dem Stiftungsvorstand keinen Vorwurf machen. Sehenden Auges Geld zum Fester hinauswerfen, das dürfe eine Stiftung natürlich nicht, unterstreicht Mecking und zieht das Fazit: „Wenn ich aber eine mit Expertise unterlegte Entscheidung treffe, die den Vorgaben der Satzung nicht widerspricht und die Anlagerichtlinien erfüllt, dann sind die Entscheidungen tragfähig und führen nicht zu einer privaten Haftung des Stiftungsvorstands.“
Von Tobias Bürger
portfolio institutionell, Ausgabe 02/2017
Autoren: Tobias Bürger In Verbindung stehende Artikel:
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