Schwarzer Schwan
12. Mai 2017

Menschliche Gehirne stürzen selten ab

In der Finanzbranche dreht sich derzeit alles nur noch um die Leistungsfähigkeit der IT. Homo sapiens hat schließlich zu wenig Terabyte.

Das geht beispielsweise bei den Asset Managern los: Dort ist gerade der Wettstreit darüber entbrannt, wer sich wohl schon besonders lange mit der künstlichen Intelligenz im Anlageprozess beschäftigt und sich anhand fleißig gesammelter, inzwischen riesiger Datenmengen (Big Data) in einem dichten Nebel weißen Rauschens – in der Portfoliotheorie spricht man vom Residualwert Epsilon – einen Vorteil bei der Wertpapierselektion verschafft – und sich selbst als Wertpapierspezialist überflüssig macht. Manche sind stolz auf drei Jahre Track Record, andere quantitativ angehauchte Manager schwärmen davon, fast schon biblische zehn Jahre und mehr an Erfahrung mit künstlicher Intelligenz angehäuft zu haben. Letztere haben vielleicht einfach mehr Mitarbeiter? Die Gretchenfrage ist aber nicht die nach der Länge des Track Record, sondern die, ob es sich bei Big Data auch um Smart Data handelt. 
Auch an anderer Stelle ist ein zweifelhafter Wettstreit in der IT entbrannt. Nämlich im Kampf zwischen traditionellen Asset Managern und den umstrittenen Hochfrequenzhändlern. Also Marktteilnehmern, die sich durch besonders schnelle Orderausführung einen Vorteil verschaffen gegenüber denjenigen, die ihre IT noch nicht bis an die Grenzen des Machbaren hochgerüstet haben – und deshalb für die schnöde Weiterleitung einer Order an die nächste Börse statt in einer knappen Millisekunde, doch glatt das Doppelte dessen brauchen. Durch ihr Schneckentempo vernichten sie Werte. Zum Vergleich: Ein menschlicher Wimpernschlag raubt etwa 100 Millisekunden kostbarster Zeit. 
First Mover Advantage
Ein großes Fondshaus berichtete anlässlich einer Konferenz von portfolio jüngst vom Wettstreit, wenn an einer Börse eine große Order platziert werden soll. Hauptsache, am Markt bekommt kein anderer Wind von der Sache und macht durch ultraschnelle Handelsaktivitäten die Preise kaputt. Bei so viel Competition kann es nicht schaden, wenn man sich direkt im Keller der Deutschen Börse einquartiert und dort die eigene Handelstechnik aufstellt – kurze Wege zur Börse garantieren minimale Ausführungszeiten. Ein bizarrer Wettstreit um den Kürzesten! Dabei sorgt die zunehmende Zersplitterung der Börsenplätze (Dark Pools, multilateral trading facilities) schon für genug Trubel. 
Wenn der IT-Chef Hand anlegt 
Wer nun meint, die IT sei überall auf dem neuesten Stand der Technik, irrt. Bafin-Präsident Felix Hufeld sagte anlässlich der Jahrespressekonferenz der Aufsichtsbehörde in dieser Woche: „Die Informationstechnik ist heute in der Finanzwelt nicht mehr nur Nebenbedingung, um Erträge zu erwirtschaften, sondern Basisinfrastruktur für sämtliche Prozesse. Kurzum: Ohne IT läuft im Finanzsektor heute fast gar nichts mehr.“ Hufeld spielte im gleichen Atemzug aber die Kassandra, und verkündete, dass Finanzdienstleister zu den beliebtesten Zielen von Cyberangriffen zählen. „Wir sehen da noch großen Verbesserungsbedarf, und wer meint, er sei auf der sicheren Seite, wenn er nur hier und da ein wenig an seinem IT-System herumbastelt, sitzt einem gefährlichen Irrtum auf.“ Auch Versicherer und andere Akteure des Finanzmarkts verfügten über viele Daten – „und viel alte IT.“ Übertreibt er da nicht ein wenig? Man stelle sich das mal vor: Der IT-Chef einer großen Fondsgesellschaft „bastelt“ an seinem IT-System herum. Man muss allerdings davon ausgehen, dass Hufeld weiß, wovon er spricht. 
Und die Moral von der Geschicht‘? Die Finanzbranche macht sich von der IT extrem abhängig. Wobei sie im Grunde genommen gar keine andere Wahl hat. Dabei stürzen menschliche Gehirne im Gegensatz zu Computern niemals ab. Außer, man hilft von außen nach. 
In diesem Sinne wünscht Ihnen die Redaktion von portfolio ein absturzfreies Wochenende. 
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