Mehr Risiko riskieren
Risikomanagement ist absolut relevant, mehrdimensional und geht über das reine Portfoliomanagement hinaus. Regulatorik und Nachhaltigkeit spielen größere Rollen. Das Hauptrisiko ist und bleibt aber, die Verpflichtungen nicht erfüllen zu können. Das Risiko kann also sein, nicht genügend Risiko zu nehmen.
Risikomanagement hat viele Dimensionen. Heutzutage wird der Terminus im Zusammenhang mit Asset Management generalistisch verstanden, erläutert der Asset-Management-Dienstleister Telos in der jüngsten Ausgabe seiner traditionsreichen Spezialfondsmarkt-Studienreihe. Aktuell werde nun auch „Nachhaltigkeit“ unter Risikomanagement subsumiert. Wurde früher das Risiko an einer Kennzahl wie der Sharpe Ratio oder der Information Ratio festgemacht, zählt heute ein breites mehrdimensionales Spektrum zur Welt des Risikomanagements. Telos konstatiert hierzu, dass nach einer modernen Definition des Risikomanagements sogenannte operationelle Risiken wie Stabilitätsgesichtspunkte in der Organisation des Asset Managers oder personenbezogene Gesichtspunkte im Rahmen des Portfoliomanagement-Teams bis hin zu administrativen und juristischen Unwägbarkeiten das Risikobild abrunden. Angestellte verbinden mit Risikomanagement natürlich auch das Berufsrisiko. Trotz dieser Ausweitungen spitzt sich aber schlussendlich das Risiko für einen institutionellen Anleger auf einen Aspekt zu: dass nämlich die Verpflichtungen nicht bedient werden können.
Jüngst materialisierte sich dieses Risiko bei der Deutsche Steuerberater-Versicherung Pensionskasse des steuerberatenden Berufs VVaG, die über etwas mehr als eine Milliarde Euro an Kapitalanlagen verfügt. Die in Bonn ansässige Pensionskasse lobt zwar „ihre umsichtige Anlagepolitik mit Nettoverzinsungen von über vier Prozent bis zum Jahr 2017“, muss aber in derselben Pressemitteilung einräumen, dass die notwendige Verstärkung der Deckungsrückstellungen im Entwurf des Jahresabschlusses 2018 zu einem nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag in Höhe von 158 Millionen Euro führt. Dies entspreche etwa 13 Prozent der Deckungsrückstellung. Der zu erwartende Fehlbetrag führt zu einem vollständigen Verzehr der Eigenmittel mit der Konsequenz, dass die Deutsche Steuerberater-Versicherung die Mindestkapitalanforderung nicht mehr erfüllt. Das Sanierungskonzept schließt eine Herabsetzung der Leistungen und eine Erhöhung der Beiträge nicht aus. Dass trotz der „umsichtigen Anlagepolitik“ saniert werden muss, mag einerseits an bislang unterschätzten Lebenserwartungen und zu geringen Zinszusatzrückstellungen gelegen haben. Diese führten im Geschäftsjahr 2017 zu höheren Deckungsrückstellungen. Ende 2017 stellte man dann statt eines Überschusses einen Fehlbetrag von 1,6 Millionen Euro fest. Andererseits ist davon auszugehen, dass die Pensionskasse in der Kapitalanlage zu wenige Risiken eingegangen ist. Die Erfolgschancen einer Anlagepolitik, die fast ausschließlich auf festverzinslichen Wertpapieren basiert, die bei der Neuanlage über ein Investment-Grade-Rating verfügen, sind im Niedrigzinsumfeld eben begrenzt. Bezahlt macht sich die Anlagepolitik dafür für die beiden Vorstände. Eine Gage von insgesamt knapp 324.000 Euro ist gerade für reines Fixed-Income-Management und mit Blick auf die Schieflage der Pensionskasse beachtlich. 2016 noch strich das Vorstandsduo „nur“ 317.000 Euro ein, nach 311.000 Euro im Jahr 2015.
Aktuelle Erkenntnisse zum Risikomanagement in der Kapitalanlagepraxis steuert die erwähnte Spezialfondsmarkt-Studie bei. Laut der Studie ist die Relevanz von Risikomanagement auf den maximal möglichen Höchstwert von 100 Prozent gestiegen. 80 institutionelle Entscheidungsträger aller Anlegergruppen, die im Februar und März 2019 befragt wurden, kreuzten die beiden höchsten Bedeutungsstufen an. Dieses Votum dürfte vor allem den derzeitigen Bewertungen auf dem Kapitalmarkt und der Gefahr von zunehmender Illiquidität und Volatilität geschuldet sein. Institutionelle Investoren müssen jede langfristige Anlagestrategie eben auch kurzfristig bilanziell durchhalten können. Mindestens so auffällig ist jedoch ein anderer Wert: Im Vorjahr gaben bezüglich der „Zufriedenheit“ mit Risikomanagement 24 Prozent „sehr zufrieden“ an und 67 Prozent eine „hohe Zufriedenheit“. In 2019 schrumpften die Werte auf 15 beziehungsweise 55 Prozent.
„Über die Jahre haben wir gerade beim Risikomanagement gesehen, dass die Anleger dieses Thema eher breiter bewerten, also nicht rein bezogen auf das Portfoliomanagement“, kommentiert Dr. Frank Wehlmann von Telos. Darum dürften situative Momente wie das schwache vierte Quartal 2018 eine Rolle spielen, genauso wie die extrem angezogenen regulatorischen Anforderungen. „Im Grunde müssen sich heute alle institutionellen Anleger branchenübergreifend auf das Thema Risikomanagement einmal unter dem Gesichtspunkt der Regulatorik wie VAG, oder SGB IV einlassen und zweitens natürlich Portfoliobezogen. Hier spielt auch die stärkere Diversifikation über verschiedene Asset-Klassen wie die ansteigenden Alternative-Quoten mit rein. Dabei handelt es sich um ein für viele Investoren noch eher unbekanntes Terrain“, erläutert Wehlmann.
Unzufriedenheit mit Regulatorik
Beim Rückgang der Zufriedenheitswerte dürfte es sich also zu einem Großteil um eine marktbedingte Reaktion auf das schwache letzte Quartal des vergangenen Jahres handeln. Zu einem echten Trend entwickelt sich jedoch der regulatorische Einfluss auf das Risikomanagement – sehr zur Unzufriedenheit der Investoren. Dies lässt sich aus dem Mercer European Asset Allocation Survey und Meinungsäußerungen von zwei Veranstaltungen schlussfolgern. Wie aus der europäischen Mercer-Befragung hervorgeht, betrachten nun 55 Prozent der Altersvorsorgeeinrichtungen ESG-Risiken als Bestandteil ihrer Investitionsentscheidungen. 2018 waren es noch nur 40 Prozent. Allerdings begründete über die Hälfte diese ESG-Fokussierung mit dem regulatorischen Druck. Überzeugung und Freiwilligkeit scheinen also nicht besonders ausgeprägt zu sein. Mercer erwartet, dass sich dieser regulatorische Druck mit Blick auf die IORP-II-Richtlinie und eine für Oktober in Großbritannien anstehende Regulierung weiter verstärkt. Immerhin je 29 Prozent der Investoren sehen aber auch in der Berücksichtigung von ESG-Risiken eine positive Wirkung auf Risk-Return-Profile und Reputation.
Autoren: Patrick EiseleSchlagworte: Portfoliokonstruktion/Diversifikation | Risikomanagement
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