Schwarzer Schwan
4. Juli 2014

Master of the Universe

Ärgern Sie sich auch darüber, dass die öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Hörfunkprogramme gebührenpflichtig sind? Der deutsch-französische Kanal „Arte“ hat seine Gebühren zuletzt mit der Ausstrahlung einer Dokumentation über einen Ex-Banker mehr als gerechtfertigt.

Worum geht es? Mit Rainer Voss gibt ein ehemaliger Investmentbanker Einblick in die glitzernde Bankenwelt – der Zuschauer erfährt anhand zahlreicher Anekdoten aus dem Investmentbanking zum Beispiel, welche Eigenschaften man als Berufseinsteiger mitbringen muss: „Auf jeden Fall ohne Murren die nötigen Schulterklappen sammeln.“ Die Schulterklappen sammelt man durch sogenannte One-Nighter oder Two-Nighter, sprich: indem man eine oder zwei Nächte durcharbeitet. „Nachts um zwei schlafen Sie am Schreibtisch ein. Und wenn Sie um fünf Uhr von der Putzfrau geweckt werden, geht es weiter“, erzählt Voss, der bei seinen Angaben zwar keine Namen nennt, sich für seine Auskunftsfreudigkeit in der Bankenlandschaft aber höchst unbeliebt gemacht haben dürfte. Wer übrigens genug Nächte durchgearbeitet hat, werde schnell mit größeren Aufgaben belohnt. „Voraussetzung ist aber, dass man nicht den kleinsten Anschein des Zweifels erweckt, dass es vielleicht Sachen gibt, die man anders machen könnte.“ Politische Äußerungen? „Bloß nicht! Sie müssen bereit sein, Ihr Leben aufzugeben.“ 
Als Händler mit bis zu acht Bildschirmen, die man im Halbrund betrachtet, und mit zwei Tastaturen davor fühle man sich wie in der Steuerzentrale vom Raumschiff Enterprise. „Es sind die Zutaten, um sich als Master of the Universe zu fühlen“, so Voss, der sich in einem Interview mit der Schweizer Handelszeitung wütend zeigte, dass er selbst 1979 als junger Mann bei einer Sparkasse in Wuppertal einen Beruf ergriffen habe, der damals vom Ansehen her an der Spitze der Nahrungskette stand. „Banker – das war wie Arzt oder Dorfpfarrer.“ Heute sind wir „in einer Situation, in der Sie als Banker knapp über dem Status des Kinderschänders agieren und sich ständig in einer Verteidigungsposition befinden. Dafür ist weder eine Institution noch ein Person verantwortlich. Aber es macht mich wütend. Und ein Teil dieser Wut ist in den Film geflossen.“ 
Die Öffentlichkeit unterschätzt, welche Funktion ein Händler im Bankensystem spielt: „Es sei ja keine Führungskraft. Es ist eher eine Art Chefschrauber am Fließband von Daimler.“ Ihm falle aber kein anderer Beruf ein, sagt Voss, bei dem man in einer solchen Position größere Schäden verursachen könne. „Die Leute, die richtig viel Schaden anrichten können, sitzen unten.“ Als Händler fühle man sich wie eine Prostituierte, die jedes Jahr mehr Geld verdienen müsse – dieses Gefühl ist Voss aus eigener Erfahrung bekannt: „Du musst jedes Jahr zehn Prozent mehr verdienen. I don’t care how you do it. Das sind Sprüche, die habe ich gehört.“ 
Der „Kundennutzen“
Im Zuge der Doku gibt der Protagonist auch einen Einblick in jene Zinswetten, die an Gemeinden und mittelständische Unternehmen vertrieben worden und dort mitunter gewaltigen Schaden angerichtet haben: Voss spricht über Wetten, die auf die Veränderung der Zinskurve zwischen dem Schweizer Franken und dem japanischen Yen basieren. „Das ist eine Position, wo eine deutsche Gemeinde nichts mit zu tun hat. Um ein solches Produkt verkaufen zu können, müssen eine Reihe von Faktoren zusammenkommen“, so Voss. „Man könnte eine solche Konstruktion niemals an einen Konzern wie BMW oder Volkswagen verkaufen. Denn die benutzen die gleichen Modelle wie die Banken.“ Mit anderen Worten kann man eine Zinswette nur Kunden andrehen, denen die Modelle nicht offenstehen.
Voss verwehrt sich gegen die Darstellung, dass generell kriminelle Elemente am Werk sind, die andere übers Ohr hauen wollen. Aber wie die Geschäfte getätigt wurden, ist durchaus interessant: Da gibt es diesen einen Kämmerer, erzählt Voss, der hat dieses Geschäft abgeschlossen. Eine Woche später, auf dem Kämmerer-Kongress, erzählt er seinen Kollegen: „Wisst ihr, wie ihr eure Defizite in der Kommunalbilanz loswerdet? Schweizer Franken gegen Yen! Hab ich gemacht und liege da drei Millionen vorn. Dann halten sich alle anderen für die letzten Deppen. Zeitgleich findet eine Bankentagung statt, wo sich Derivatehändler über neue Produkte austauschen. Da sagt der eine: Ich hab der einen Stadt ein Ding angenagelt, riesig! 800.000 Euro hab ich gemacht an dem Ding, ein Trade! Hier sind es nun die anderen Banker, die sich für bescheuert halten. Fazit: Mehr Banken werden das Produkt anbieten, mehr Kämmerer werden es kaufen – Lemminge!“ 
Warum sparen?
„Weil ich die Welt da draußen zu großen Teilen nicht mehr brauche, mache ich mir auch keine Gedanken darüber, ob die Deals, die ich in meinem Job mache, Auswirkungen auf die Welt da draußen haben“, sagt Voss. Diese Abkoppelung von gesellschaftlichen Prozessen sei in gewisser Weise institutionalisiert. Man könne schließlich beim Abendessen mit alten Freunden nicht über den Beruf reden. Freunde hätten ihm manchmal erzählt, „wir haben unseren Urlaub bei TUI gebucht, da war’s 200 Euro billiger.“ Voss: „Das interessiert dich einfach nicht, wenn du 100.000 Euro im Monat verdienst.“ Gleichwohl werde der Job von Jahr zu Jahr härter, wie es scheint: „Wenn ich überlege, mit wie vielen Rechtsanwälten ich in den 90er Jahren zu tun hatte und wie viele ich bei meinen letzten Aktionen gebraucht habe, das ist mal Faktor zehn. Worauf ich hinaus will ist, dass die Bedeutung für potenzielle Schäden und Kosten aus schwebenden Rechtsstreitigkeiten immer größer wird. Ich glaube, wenn man die Renditeerwartungen immer weiter erhöht, findet automatisch eine Verschiebung des gesamten Geschäfts in Richtung Illegalität stattfindet.“ 
Wie Rainer Voss preisgibt, ist er entlassen worden. Mitleid scheint aber nicht angebracht. Er sei jetzt ohnehin in einem Alter, in dem alle, die um ihn herum waren, „ausgefaced“ würden. „Bis zur Rente arbeitet da kein Mensch.“ Die Unternehmen hätten aber eine wirklich freundliche Regelung: „Keine Boni, aber dein Gehalt kriegste noch fünf Jahre.“ Stichwort Altersschnitt: 53, 54, 55 – das war‘s dann. „Man glaubt Zeit seines Lebens an die Familie, die Bank, die einen dann am Ende durch die Hintertür raus schmeißt.“ 
Auch hat der auskunftsbereite Ex-Banker nicht den Eindruck, dass sich in dem krisengeschüttelten Bankensystem von innen etwas zum Besseren ändert. Stattdessen würden Anzeigen geschaltet und große Corporate Social Responsibility Broschüren geschrieben. „Je größer die Scheiße ist, umso dicker sind die Corporate Social Responsibility Broschüren“, so seine Beobachtungen. Überhaupt mangele es der Branche an einem neuen Geschäftsmodell. Ob der Schock der Finanzkrise groß genug war, wird er gefragt. „Nein! Nur Naivlinge glauben, dass der Markt lernfähig ist. Können Banken lernen? Nein. Das belegt auch folgende Einschätzung: Nach Angaben von Voss haben die Banken zwar Notfallpläne, etwa für den Fall, dass in Frankfurt eine Atombombe explodiert. Aber für Finanzkrisen gäbe es keinen Plan B. 
In diesem Sinne wünscht Ihnen die Redaktion von portfolio ein erholsames Wochenende.
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