Versicherungen
20. Juni 2023

Lebensversicherer profitieren von steigenden Zinsen

Die Branche muss infolge der Zinswende hohe stille Lasten in den handelsrechtlichen Bilanzen verarbeiten. Doch es gibt auch positive Effekte.

Innerhalb der vergangenen zwölf Monate hat die Europäische Zentralbank (EZB) bereits acht Zinsschritte vorgenommen. Inzwischen liegt der Hauptrefinanzierungssatz der Notenbank – der Leitzins, zu dem die Geschäftsbanken sich Geld bei der EZB leihen können, bei vier Prozent – und damit so hoch wie zuletzt 2008.

Eine Folge des Zinsanstiegs sind erhebliche Kursverluste vor allem bei langlaufenden festverzinslichen Wertpapieren und steigende Renditen für Anleger bei diesen Papieren. Parallel dazu sind die zuvor üppigen Bewertungsreserven der Anleihen abgeschmolzen. Nun türmen sich stille Lasten in den Bilanzen auf.

Die Ratingagentur Assekurata aus Köln betrachtet diese Gemengelage in ihrem aktuellen Marktausblick zur Lebensversicherung 2023. Darin kommt sie zu dem Ergebnis, dass die deutschen Lebensversicherer langfristig von den gestiegenen Zinsen profitieren werden. So stützten die kontinuierlichen Rückflüsse aus der Zinszusatzreserve (ZZR), die die Versicherer ab dem Jahr 2011 bilden mussten, um Altgarantien im Niedrigzinsumfeld bilanziell abzubilden, die Ertragslage, urteilen die Bonitätswächter.

Zugleicht macht Assekurata auf den Umstand aufmerksam, dass die Branche hohe stille Lasten in den handelsrechtlichen Bilanzen verarbeiten müsse. Zudem sorgten die konjunkturellen Umstände für „getrübte Neugeschäftsperspektiven, insbesondere mit Blick auf das Einmalbeitragsgeschäft.

Gestiegene Zinsen und Inflation haben erhebliche Auswirkungen auf Bilanzen

„Da die Inflationsrate noch immer deutlich über dem Zwei-Prozent-Ziel der Notenbank liegt, erwarten wir, dass der Leitzins in den kommenden Monaten mindestens auf dem aktuellen Niveau bleiben wird“, prognostiziert Lars Heermann. Er ist Bereichsleiter Analyse und Bewertung bei Assekurata und sagt: „Die gestiegenen Zinsen und die hohe Inflation haben dabei erhebliche Auswirkungen auf die Bilanz- und Geschäftssituation der Lebensversicherer.“

Laut Allianz Global Investors ist die Teuerungsrate in der Eurozone im Mai von zuvor sieben Prozent auf 6,1% gesunken. Die Kerninflation verharrte indessen mit 5,3 Prozent im Mai (5,6 Prozent im April) auf hohem Niveau.

Solvenzqoten sind 2022 enorm gestiegen

Laut Assekurata können die Unternehmen im Zuge der abrupt gestiegenen Zinsen erste Rückflüsse aus der ZZR verzeichnen. Nach Berechnungen der Bonitätswächter belief sich im vergangenen Jahr das Volumen an frei gewordenen ZZR-Mitteln branchenweit auf vier Milliarden Euro. Dadurch sei der Gesamtbestand des Reservetopfes auf nunmehr 92 Milliarden Euro geschmolzen. „Die hohen Zinsen führen in Kombination mit der gesetzlich vorgegebenen Berechnungsmethodik zu einem unveränderten Referenzzins für die ZZR“, so Heermann. „Dies hat zur Folge, dass die Lebensversicherer ihren ZZR-Bestand auch in den kommenden Jahren weiter abbauen können.“

Von den steigenden Zinsen profitieren viele Lebensversicherer nach Einschätzung von Assekurata nicht nur auf Seiten der ZZR, sondern auch mit Blick auf Solvency II. Die langanhaltenden Niedrigzinsen hatten zuvor die Solvenzquoten einiger Lebensversicherer stark belastet, erinnert die Ratingagentur aus Köln. Grund dafür waren die hohen Altgarantien. „In der jetzigen Situation tritt jedoch der gegenläufige Effekt ein: Die Solvenzquoten sind 2022 enorm angestiegen und werden 2023 ihr hohes Niveau beibehalten“, so Heermann. „Unter dem Strich führt der Zinsanstieg dazu, dass sich unser Augenmerk im Rating von Lebensversicherern wieder stärker von Solvency II auf die HGB-Bilanz verlagert, wo der Einfluss der steigenden Zinsen auch belastend wirken kann.“

Denn die Lebensversicherer haben laut Daten von Assekurata derzeit noch etwa 70 Prozent ihrer Kapitalanlagen (nach Marktwerten) in festverzinslichen Anlagen investiert. Um ihre Leistungsverpflichtungen dauerhaft sicherzustellen, hatten viele Gesellschaften in Niedrigzinszeiten Anleihen von hoher Qualität und mit langen Laufzeiten gekauft. Die konservative Anlagepolitik der Branche führe in Zeiten steigender Zinsen zu erheblichen stillen Lasten in den Büchern der Lebensversicherer, so Bereichsleiter Heermann. Bei Assekurata schätzen sie die stillen Lasten auf Branchenebene insgesamt auf etwas mehr als 100 Milliarden Euro. Zwar seien die Lebensversicherer nicht verpflichtet, zinsinduzierte stille Lasten bilanziell abzuschreiben. Jedoch mindert sich dadurch das Ertragspotenzial in ihren HGB-Bilanzen.

Laut einer Umfrage von Assekurata wollen die meisten Kapitalanleger bei Versicherungen im Vergleich zu den Vorjahren den Anteil festverzinslicher Wertpapiere wieder stärker ausbauen. Substanzwerte sollen tendenziell reduziert werden.

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