Langlebigkeitsindizes: Der Tod steht ihnen gut
Die Deutsche Börse veröffentlicht sogenannte Langlebigkeitsindizes, die die Lebenserwartung der Bevölkerung abbilden. Mit diesem innovativen Werkzeug sollen Langlebigkeitsrisiken transparenter werden.
Interview mit Hendrik Rogge und Eva-Maria Keller, Deutsche Börse AG
Seit wann beschäftigt sich die Deutsche Börse mit dem Thema Langlebigkeit?
Hendrik Rogge: Wir haben 2007 angefangen, uns mit Langlebigkeit als potenzieller neuer Asset-Klasse zu beschäftigen. Auf Grundlage der Mortalitätsdaten der Statistischen Ämter berechnen wir monatlich Generationensterbetafeln und Indizes, die differenziert nach Geburtenjahrgängen und Geschlecht Aussagen über die gegenwärtige und die künftige Lebenserwartung der Bevölkerung treffen.
_Sie berechnen Cohort-Indizes. Bitte erläutern Sie deren Eigenschaften.
Eva-Maria Keller: Unsere Cohort-Indizes bilden sogenannte Kohorten ab. Also bestimmte Jahrgänge, getrennt nach Geschlechtern, wobei wir zur Vereinfachung jeweils fünf Jahrgänge zu einem Index gruppieren, zum Beispiel die zwischen 1935 und 1939 geborenen Männer in Deutschland. Ein einzelner Index repräsentiert dabei ein geschlossenes Portfolio, das jeweils mit einem Indexstand von 100.000 startet. Damit normalisieren wir die unterschiedlichen Geburtenzahlen der einzelnen Geburtsjahre auf einen einheitlichen Wert, um die Vergleichbarkeit der Indizes zu ermöglichen. Der Cohort-Index gibt Aufschluss über die tatsächliche Sterblichkeit dieser Bevölkerungsgruppe. Der erste Indexwert repräsentiert die Anzahl der Überlebenden im Geburtsjahr, während der aktuelle Indexwert die Anzahl derer abbildet, die derzeit noch nicht verstorben sind. Zusätzlich berechnen wir sogenannte Forward Curves, die den potenziellen künftigen Indexverlauf basierend auf einer statistischen Projektion der Sterblichkeit der vergangenen 30 Jahre zeigen. Diese Projektion dient als Anhaltspunkt und soll Investoren helfen, ihre eigene Erwartung zu entwickeln.
_Wie können diese Indizes verwendet werden?
Rogge: Unsere Indizes, die wir für Deutschland, die Niederlande sowie England und Wales berechnen, dienen zur monatlichen Bewertung von Langlebigkeitsrisiken und als Basis für Finanzinstrumente. Man kann die Indizes zur Strukturierung von Langlebigkeitsswaps, -bonds oder ETFs verwenden.
_Wer hat Interesse daran, Langlebigkeit abzusichern?
Keller: Das größte Risiko und damit auch Interesse an diesem Thema haben Pensionskassen, deren Verbindlichkeiten gegenüber Pensionären mit steigender Lebenserwartung zunehmen. Wenn man das Risiko jedoch am Kapitalmarkt platzieren möchte, benötigt man ebenso Investoren, die bereit sind, das Risiko zu übernehmen. Das passiert zum einen aus einer differenzierten Erwartung heraus bezüglich der künftigen Lebenserwartung und zum anderen aus Interesse an einer mit anderen Anlageklassen unkorrelierten Anlagemöglichkeit. In der Vergangenheit haben Pensionskassen das Langlebigkeitsrisiko oft an Versicherungen oder Rückversicherungen verkauft. Aber da deren Kapazitäten begrenzt sind, halten wir es für unabdingbar, über den Kapitalmarkt zusätzliche Absicherungsmöglichkeiten zu erschließen. In Deutschland ist das Thema noch von untergeordneter Bedeutung, während wir in Großbritannien und zuletzt in den Niederlanden große Transaktionen beobachten können. Aber je mehr im Ausland passiert, desto eher entwickelt sich auch ein gewisser Druck auf die einheimischen Pensionskassen, sich das Thema anzuschauen.
_Welche Vorteile ergeben sich daraus etwa für Pensionskassen?
Rogge: In erster Linie übertragen Sie das Risiko der steigenden Lebenserwartung Ihrer Pensionäre an Dritte. Damit steigern Sie Ihre Kapitaleffizienz und senken Ihr benötigtes Risikokapital. Denken Sie nur an die Kapitalanforderungen unter Solvency II. Des Weiteren ist aufgrund der monatlichen Berechnung unserer Xpect-Indizes die Möglichkeit gegeben, Risikoadjustierungen vorzunehmen. Dies könnte gewünscht sein, wenn sich das zugrunde liegende Portfolio einer Pensionskasse, beispielsweise die Altersstruktur, das Verhältnis zwischen den Geschlechtern oder auch die Erwartung der künftigen Lebenserwartung, ändert.
_Wo kommen Ihre Daten zum Einsatz?
Keller: Unsere Generationensterbetafeln und Indizes dienen als aktuelle Datenbasis, um das Langlebigkeitsrisiko eines Pensionsfonds zu bewerten. Also das Risiko, dass die vorhandenen Mittel für die aus einer steigenden Lebenserwartung resultierenden zuneh- menden Verbindlichkeiten nicht ausreichen. Weiterhin kann Xpect als Grundlage für die Preisfindung, das heißt, als externe Benchmark für die Bewertung des fondsspezifischen Risikos, verwendet werden. Das ist vor allem dann nötig, wenn das Risiko transferiert werden soll. Bei einem Transfer an den Kapitalmarkt werden Xpect-Indizes dann zusätzlich als neutrale Datenbasis für die Abwicklung der Geschäfte herangezogen. Während der Laufzeit, beispielsweise eines Langlebigkeitsswaps, dient der Indexwert auch zur kontinuierlichen Bewertung für die Sicherheitenhinterlegung.
_Stehen Sie im direkten Wettbewerb mit den etablierten aktuarischen Sterbetafeln?
Rogge: Nein. Xpect wurde entwickelt, um das Langlebigkeitsrisiko greifbarer zu machen und um einen Transfer an den Kapitalmarkt zu ermöglichen. Im Gegensatz zu aktuarischen Sterbetafeln, die nur alle paar Jahre aktualisiert werden, berechnen wir die Indizes monatlich und ohne Zuschläge. Das ist wichtig, um das Risiko kapitalmarktfähig zu machen. Investoren sind es in vielen Asset-Klassen gewohnt, Real-Time-Bewertungen für Ihre Anlagen zu erhalten, was auch wichtig für das Risikomanagement und die Besicherung der Geschäfte ist. Real Time wäre bei unserem Thema natürlich weder umsetzbar noch angemessen, aber es ist wichtig, eine größtmögliche Transparenz zu schaffen, um das Vertrauen der Investoren in die neue Asset-Klasse zu gewinnen.
_Sie berechnen die Indexstände derzeit auf Basis der Sterblichkeit.
Keller: So ist es. Unser langfristiges Ziel ist es allerdings, Quotierungen und damit Einschätzungen bezüglich der Lebenserwartung von Marktteilnehmern zu erhalten. Dann wäre es möglich, einen Preisindex für Langlebigkeit zu berechnen, der wie der Dax bereits den Preis für dieses Risiko impliziert.
Das Interview führte Tobias Bürger
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