Länderbonitäten in „schleichender Erosion“
Schuldenlast überlagert Wachstumsaussichten. I-CV: „Verschuldung Achillesferse der Länderbonität.“
„Inflationsexperiment“, konjunkturelle „Stimulierungsprogramme“ oder die „Zombifizierung“ der Wirtschaft: in diesem besonderen Umfeld bewegte sich die I-CV Länderstudie 2021. In der Studie nahm das Schweizer Kreditresearch-Unternehmen Independent Credit View (I-CV) die fundamentale Kreditqualität von 51 Staaten unter die Lupe. I-CV wird ausschließlich von Investoren bezahlt.
Ein Folgewirkung der staatlichen Maßnahmen sind stark gestiegene globale Verschuldungszahlen. „Nur wenige Staaten erfüllen die Voraussetzungen, diese Schuldenlast bei normalisiertem Zinsniveau tragen beziehungsweise über die Zeit reduzieren zu können. Die Schuldenpolitik ist demnach vielerorts in der Sackgasse“, so René Hermann, Lead-Autor der I-CV Länderstudie. „Die hohe Verschuldung von Staaten, Haushalten und Unternehmen stellt die Achillesferse der Länderbonität dar.“
Nordeuropa versus Südeuropa
Die I-CV Länderstudie 2021 weist erneut Nordeuropa als stabilste Region aus. Deutschland, Norwegen und Schweden können ihre Bestnote behaupten, weil man bereits mit einer moderaten Verschuldung in die Krise ging und dadurch die Maßnahmen im Vergleich zu zahlreichen anderen Ländern gut schultern konnte. Ein anderes Bild ist in Südeuropa anzutreffen, wo die Staatsbilanzen bereits vor Ausbruch der Pandemie unter hohen Schulden ächzten und entsprechend über wenig Flexibilität verfügen. Auch bei den Schwellenländern ist eine heterogene Bonitätsentwicklung auszumachen. Während osteuropäische Staaten den Rückschlag bislang relativ gut verdauen, haben diverse Staaten in Südamerika einen beschwerlichen Weg vor sich. „Unsere Einschätzungen vom letzten Jahr haben sich trotz beschränkter Visibilität als treffend erwiesen. So wurden Bonitätsveränderung frühzeitig antizipiert, was zu wenig Anpassungen in der aktuellen Studie geführt hat“, meint Hermann.
Abhängigkeit von Rahmenbedingungen
Die Rating-Einstufungen der hoch verschuldeten Länder befinden sich aktuell jedoch an einem historischen Scheitelpunkt. Wo es nicht gelingt den Staatshaushalt zu konsolidieren, bleibt die Bonität abhängig von einem wohlwollenden Finanzierungsumfeld (tiefen Zinsen) und hohen Wachstumsraten. Verändert sich einer der Parameter, drohen der Fall in die Schuldenspirale und Downgrades. „In Anbetracht des bescheidenen Leistungsausweises der Regierungen Sondermaßnahmen zeitnah zurückzufahren, erachten wir die Vorschusslorbeeren seitens Rating-Agenturen und des Kapitalmarkts vielerorts als zu euphorisch. Das Tiefzinsumfeld auf Dauer fortzuschreiben, ist mit Blick auf Inflation und sich abzeichnenden Zinsschritten ‚unabhängiger‘ Zentralbanken verfehlt. Dasselbe gilt für die Wachstumseffekte aus staatlichen Investitionsprogrammen (zum Beispiel Next Generation EU-Fonds)“, so Hermann.
Steigende Vola, schwächelnde Bonitäten – aber keine Krise
In die Zukunft blickt Hermann eher skeptisch: „Die Zentralbanken bleiben in der Zwickmühle mit einer Normalisierung der Geldpolitik versus Stimulierung der Wirtschaft. Diese Situation wird die Bondmärkte weiter beherrschen und für steigende Volatilität sorgen. Die wirtschaftliche Erholung basiert auf Aufholeffekten und vorgezogenem Konsum, was wir nicht als nachhaltig erachten. Wir erwarten zwar keine großflächige Sovereign-Krise, aber die Widerstandsfähigkeit gegenüber Schocks (Finanz- und Umweltkatastrophen) hat weiter abgenommen und die Schuldenlast bei Staaten, Haushalten und Unternehmen überlagert die Wachstumsaussichten. Entsprechend setzt sich die schleichende Erosion der Länderbonitäten fort.“ Investoren sollten darum aus I-CV-Sicht unverändert Staaten mit relativ tiefer Gesamtverschuldung, intaktem Erholungspotenzial und stabilen politischen Verhältnissen, wie zum Beispiel die genannten nordeuropäischen Staaten als sichere Häfen oder ausgewählte Schwellenländer, für eine Mehrrendite, bevorzugen.
Autoren: Patrick EiseleSchlagworte: Fixed Income
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