Schwarzer Schwan
30. Juni 2017

Kohlenstaub-Grau und Ascheplatz-Rot

„Nichts“, sagt Kurt Tucholsky, „nichts ist schwerer, nichts erfordert mehr Arbeit, mehr Kultur, mehr Zucht, als einfache Sätze unvergesslich zu machen.“ Diese Erkenntnis hat ein Unternehmen der Assekuranz nun kurzerhand aufgegriffen.

Die Geschichte beginnt zur Jahrtausendwende. Als die „Financial Times Deutschland“ (FTD) im Februar 2000 in den Wettstreit der besten Wirtschaftsblätter der Bundesrepublik eintrat, hatte Gründungs-Chefredakteur Andrew Gowers gemeinsam mit seinem Entwicklungsteam gerade erst ein Stilbuch für die Redaktion formuliert. Dieses sollte das redaktionelle Konzept und das journalistische Selbstverständnis der Zeitung erklären. 
Das Stilbuch war der Auftakt „eines der aufregendsten und ehrgeizigsten Projekte der deutschen Presse“, wie Gowers es formulierte. „Wir wollen gemeinsam eine Zeitung gestalten, die anregt, Neues anstößt und unterhält – eine Zeitung, die ihren Lesern in einer immer hektischeren Welt hilft, Entscheidungen zu treffen, privat wie beruflich.“ Fast 18 Jahre ist das nun her. Und die Welt ist gefühlt noch hektischer geworden, wie der Niedergang der Print-Medien belegt. 
Doch zurück zur Jahrtausendwende. Das Stilbuch der FTD wurde von einem „Mission Statement“ eröffnete. Darin findet sich ein Satz, der auch heute noch, fünf Jahre nach dem Aus der ewig defizitären „FTD“, von der Versicherungsbranche aufgegriffen wird: „Wir müssen schnell auf den Punkt kommen. Unser Stil muss direkt sein, dicht und zugleich verständlich. Keine Fachsprache, egal aus welchem Bereich“, mahnte Andrew Gowers. 
Offenbar trauert die Assekuranz der verblichenen FTD und ihrem Qualitätsjournalismus nach. Wie sonst lässt sich erklären, dass die Dortmunder Volkswohl-Bund-Versicherungen in dieser Woche eine neue Marke aus dem Hut gezaubert haben: Die Tochtergesellschaft trägt den ebenso einfachen wie genialen Namen „Dortmunder Lebensversicherung AG“. Sie versichert seit dem 27. Juni „ganz einfach, ganz besonders, ganz persönlich“. In einer Pressemitteilung heißt es einprägsam aber ein wenig zu pathetisch: „Bei der Dortmunder gibt es kein Versicherungsdeutsch, sondern klare Ansagen. Offen und direkt ist sie, wie die Stadt, aus der sie kommt. Ein Versicherer, den man versteht. Der beide Ärmel hochkrempelt, wenn er helfen kann.“ Die Dortmunder möchte, dass Versichern wieder Spaß macht. Die Unternehmensfarben der neuen Lebensversicherung sind „Kohlenstaub-Grau und Ascheplatz-Rot“. 
Deutsche Sprache, leichte Sprache
Im Bildungsbürgertum ist auch heute noch das Missverständnis verbreitet, dass nur komplexe Sätze gute Sätze sein können. Da kann man es nur mit dem Journalisten und Sprachkritiker Wolf Schneider halten: „Hochmut der Grammatiker.“ Doch was hat die Westfalen geritten, in Zeiten von Nullzinsen, Solvency II und künstlicher Intelligenz in der Schadensbearbeitung eine neue Versicherungsgesellschaft ins Leben zu rufen, die mit einfacherer Sprache punkten will? 
Die Antwort hat Dietmar Bläsing, Vorstandssprecher der Dortmunder Versicherung und der Volkswohl-Bund-Versicherungen, parat: „Wir möchten den Namen besetzen, der unsere Herkunft unterstreicht. In unserer Stadt redet man nicht lange drumherum, da ist Klartext angesagt. Und wenn jemand Hilfe braucht, krempeln alle die Ärmel hoch und machen mit.“ Man biete alternative Biometrieprodukte an, „die aus der Reihe tanzen dürfen. Mit neuen Produktideen, neuen Verkaufsansätzen, neuer Transparenz und neuer Verständlichkeit.“ 
Danach befragt, warum er die Produktidee hier und nicht im Volkswohl-Bund umgesetzt habe, entgegnet der Vorstandssprecher marketingtechnisch hervorragend: „Gutes muss schnell am Markt sein.“ Es hätte viel zu lange gedauert, alle Tarife, Produktdarstellungen, Bedingungen, Unterlagen auch die gesamte Kundenkorrespondenz beim Volkswohl-Bund mit einer neuen Sprache zu versehen. „Und den neuen Stil etappenweise, von Produkt zu Produkt einzuführen, das wäre unbefriedigend und auch unglaubwürdig", sagt Bläsing. „Mit der Dortmunder haben alle sofort was davon.“ 
Die Überraschung in der Redaktion war groß, als die Pressemitteilung am Dienstag eintrudelte. Während der Lektüre der Unterlagen stießen wir auf etwas, das wir so gar nicht von einer deutschen Versicherung erwartet hätten: Humor! In dem vom Volkswohl-Bund lancierten Interview wird Bläsing schlussendlich gefragt, ob er denkt, mit der „Dortmunder“ in Gelsenkirchen auch nur einen Vertrag verkaufen zu können? Antwort: „Denken Sie, dass wir dort auch nur ein Risiko zeichnen würden?“ 
In diesem Sinne wünscht Ihnen die Redaktion von portfolio ein schönes Wochenende. Uns selbst wünschen wir, dass die Assekuranz die westfälischen Ideen aufgreift und ihre Kapitalanlagen verständlicher macht. Andernfalls bleibt diese Aufgabe mal wieder an uns hängen. 
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