Kauderwelsch an der Förderfront
Die Branchendiskussion um die besten Altersvorsorgeprodukte in Deutschland geht weiter. Die Anbieter führen einen Wettbewerbsvergleich. Die Forderung, dabei nur identische Risikoklassen zu vergleichen, ist nicht in Stein gemeißelt. Was wichtiger wäre, wäre mehr Transparenz.
Betriebsrenten gelten allgemein als sehr sinnvolle Zusatzvorsorge für das Alter. Einen Dämpfer bekam die Aussage Ende 2021, als eine DIA-Studie zur geförderten Altersvorsorge plötzlich die private Rentenversicherung vorn sah – im Vergleich zur Entgeltumwandlung per Direktversicherung, der Riester- und Basisrente – bei gleichem Nettoeinkommen nach der Einzahlung in den Vertrag.
Kritik entzündete sich vor allem daran, dass bei der Direktversicherung drei Prozent Renditeerwartung für einen Vertrag mit 100 Prozent Beitragsgarantie unterstellt wurde, während bei der Privatrente sechs Prozent für fondsgebundene Produkte ohne jegliche Garantie angenommen wurden. „Dies ist der berühmte Vergleich von Äpfeln mit Birnen“, urteilte Steuerberater Thomas Dommermuth, Professor an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Amberg-Weiden, wenig amüsiert. Für einen belastbaren Vergleich hätten entweder in beiden Schichten weitgehend identische Garantieprodukte gewählt werden müssen oder weitgehend identische garantiefreie Produkte.
Das DIA blieb bei seiner Kernaussage. Wichtiger sei herauszufinden, mit welchem Produkt der investierte Beitrag die höchste Nettorendite erreicht. „Es geht vor allem darum, das bestehende System zu vereinfachen“, sagte DIA-Sprecher Klaus Morgenstern. Damit war Dommermuth nicht ganz einverstanden: Natürlich sollte die bAV weiter reformiert werden, „aber das muss sauber und systematisch beanstandet werden“, so Dommermuth. Man könne nur identische Risikoklassen miteinander vergleichen.
Sie ahnen schon, was kommt: Die Branchendiskussion geht weiter. „Für Endkunden ist es nahezu unmöglich, identische Risikoklassen miteinander zu vergleichen“, sagt Alberto del Pozo, Geschäftsführer der Mypension Altersvorsorge GmbH, einem Fintech für rein digitale Altersvorsorge in der dritten Schicht, das sich auf ein Lifecycle-Portfolio aus weltweit anlegenden ETFs stützt. Mypension hatte an besagter DIA-Studie mitgewirkt. Dass man identische Risikoklassen kaum miteinander vergleichen kann, liege schon daran, dass die gesetzlich vorgegebenen Informationsblätter, aus denen ein Endkunde die Risikoklasse entnehmen könnte, völlig unterschiedlich sind.
Produktinformationsblatt versus Basisinformationsblatt
„Für Riester- und Basisrenten gilt das Produktinformationsblatt (PIB)“, erinnert del Pozo. Zur Ermittlung der Risikoklassen wurde eigens die Produktinformationsstelle Altersvorsorge vom BMF gegründet, um die entsprechenden Simulationen zu erstellen und die Produkte in fünf Risikoklassen einzuordnen. Für die bAV, aber auch Produkte der dritten Schicht (etwa Privatrente), gilt dagegen die europäische PRIIPs-Verordnung mit einem Basisinformationsblatt (BIB). „Dessen Systematik der Berechnungen, die Darstellung der Informationen und auch die Berechnung der Effektivkosten weichen massiv von denen des PIB ab“, sagt del Pozo. Zudem gebe es beim BIB sieben Risikoklassen, also zwei mehr als beim PIB.
Selbst Experten haben Schwierigkeiten, die Unterschiede zu erläutern. „Und Endkunden wissen schon gar nicht, wie sie Produkte anhand ihrer Risikoklasse überhaupt miteinander vergleichen sollen“, ist der Mypension-Chef sicher. Dies sei auch eines der wesentlichen Ergebnisse der DIA-Studie, verbunden mit der These an die Politik: Das viel zu komplexe, völlig uneinheitliche und absolut ineffiziente Drei-Schichten-Modell muss konsolidiert und vereinfacht werden.
Unterschiedliche Risikogruppen für identisches Produkt
Immer nur identische Risikoklassen miteinander vergleichen zu wollen, das geht laut del Pozo gar nicht. Er macht dies am Beispiel des vielgenutzten Invest-Flex-Produktes der Allianz Lebensversicherung mit 80 Prozent Beitragsgarantie deutlich. In der ersten Schicht (Basisrente mit PIB) wird die fondsgebundene Rentenversicherung in die Risikoklasse 3 (von fünf möglichen) eingestuft. Soll vor allem heißen: Das Produkt bietet eine ausgewogene Anlage mit moderaten Ertragschancen. In der zweiten Schicht (Fonds-Direktversicherung) und dritten Schicht (private Fondsversicherung) hat Invest-Flex auf Basis des BIP die Zuordnung in Risikoklasse 2 (von sieben). Soll heißen: Das Angebot ist von „niedrigerem Risiko“ geprägt. „Man könnte denken, dass das Produkt in der bAV und privaten Altersvorsorge weniger Risiko hat als in der Basisrente der ersten Schicht“, meint del Pozo, „doch in Wahrheit ist es das identische Produkt.“
Dieses Kauderwelsch im Förderdschungel gehört also abgeschafft, weil es nur Verwirrung stiftet, meint Mypension. „Viel problematischer ist jedoch, dass man auch über den Begriff ‚Risiko‘ streiten kann“, lenkt del Pozo die Debatte auf ein weiteres ungelöstes Problem. Ein AV-Hintergrundpapier von DAI, VZBV und dem Family Office Finvia hat gezeigt, dass Anleihen bei Laufzeiten oberhalb von zehn Jahren sogar risikoreicher als Aktien sind. Die Kernbotschaft: Der jährliche Ertrag betrug bei Aktien 5,7 Prozent, Staatsanleihen kamen hingegen nur auf 2,1 Prozent. Der inflationsbereinigte jährliche Mehrertrag von Aktien gegenüber Staatsanleihen lag im Durchschnitt der vergangenen 120 Jahre bei 3,6 Prozent pro Jahr. Australien und Finnland weisen mit 5,4 Prozent den höchsten und Spanien mit 1,3 Prozent den niedrigsten Wert auf. In Japan, Deutschland und Italien war die reale Performance von Staatsanleihen negativ.
bAV schwach bei Nettorente
Kernfrage für den künftigen Ansatz der Altersvorsorge-Förderung ist für del Pozo: Was bietet aus Kundensicht die beste Nettorente? „Da ist die bAV schlechter als gemeinhin angenommen, deutlich schlechter sogar als in der DIA-Studie“, konstatiert del Pozo und verweist auf Produktunterlagen, die Kunden und Interessenten zugesendet hatten, weil sie unzufrieden mit ihrer bisherigen Versorgung waren. Typisches Beispiel: Eine fondsgebundene Direktversicherung mit Beitragsgarantie, die seit 20 Jahren bei einem namhaften Anbieter läuft, und monatlich mit 100 Euro bespart wurde (bisher 24.000 Euro Einzahlung), schlägt bislang mit 25.652 Euro zu Buche. „Das entspricht einer Rendite von 0,66 Prozent pro Jahr“, hat del Pozo ausgerechnet, wobei wegen der Beitragsgarantie nur 1,3 Prozent des Guthabens in Aktienfonds investiert waren. Es sei ein Witz, solche Produkte überhaupt „fondsgebunden“ zu nennen.
Zum Vergleich: Ein globaler Aktienfonds hätte im gleichen Zeitraum mit 7,8 Prozent pro Jahr rentiert und der Kunde stünde bei 55.982 Euro – ganz ohne staatliche Förderung. Und die Besteuerung in der Auszahlungsphase wäre bei einem Depot (Abgeltungsteuer mit hoher Teilfreistellung) auch günstiger als bei einer bAV. Politiker sollten auskömmliche Renditen für Verbraucher im Blick haben. „Und da sind nominale Beitragsgarantien schlichtweg Gift für die Altersvorsorge, nicht nur wegen niedriger Dauerzinsen, sondern auch bei anhaltend höherer Inflation“, kritisiert del Pozo.
Fazit: Ob sich der Förderdschungel in absehbarer Zeit lichtet und tatsächlich mehr Transparenz bei Altersvorsorgeprodukten aus Kundensicht einzieht, bleibt abzuwarten. Schnelle Änderungen sind nicht in Sicht, zumal sich die Anbieter gerade versicherungsförmiger bAV (insbesondere Fondspolicen) weiter schwertun, Kunden wenigstens die Effektivkosten (TER) auszuweisen.
Hinzu kommt nun die EU mit einem weiteren Förderprodukt. Die neue „Europa-Rente“ versprüht wenig PEPP, so auch die Abkürzung für die Paneuropäischen Pensionsprodukte der dritten Schicht. Seit dem 22. März darf die Europa-Rente zwar vertrieben werden, doch tatsächlich ist noch kein einziges Angebot auf dem Markt, hat der Verband Unabhängiger Finanzdienstleister in Europa (Votum) beobachtet. „Der Zwang, bei jedem Angebot auch ein Standardprodukt mit hohen Garantien, Inflationsausgleich und minimalen Kosten – also das Perpetuum mobile der Altersvorsorge – vorzuhalten, lässt die Anbieter zurecht zurückschrecken“, meint Votum-Chef Martin Klein. Angedacht sind im PEPP-Basisinformationsblatt sechs Risikoklassen.
Auch in der kollektiven bAV, wo reinen Beitragszusagen zwar viel Potenzial in Sachen günstiger Preis und hohe Leistung zugesprochen wird, jedoch immer noch kein einziges „Sozialpartnermodell“ (SPM) praktisch am Start ist. Der Ankündigung, im Herbst über den Chemie-Pensionsfonds (R+V) ein erstes branchenweites Sozialpartnermodell der Tarifpartner BAVC und IGBCE zu installieren, muss nun die Umsetzung folgen, was nur mit dem Segen der Bafin geht, die schon seit fünf Monaten das Talanx-SPM prüft.
Für die Chemie steht noch ein zweiter Anwärter parat: Der Metzler Sozialpartner Pensionsfonds will ein SPM an die Rampe schieben – auf Basis eines Verbands-Tarifvertrages (Einzel-Arbeitgeber und Arbeitgeberverbände mit Öffnungsklausel für weitere Unternehmen) und unter Beteiligung der IGBCE und von Verdi. Man darf gespannt sein, welches Projekt das Licht der Welt zuerst erblickt.
Autoren: Detlef PohlSchlagworte: Betriebliche Altersversorgung (bAV)
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