Schwarzer Schwan
7. Oktober 2016
Kartoffeln sind die neuen Blue Chips
Versicherungen, die die Milch liefern und sich um die Versorgung der Rentner mit frischen Brötchen kümmern? So könnte die Zukunft aussehen.
Während Bundessozialministerin Andrea Nahles noch am „neuen Sozialpartnermodell Betriebsrente“ bastelt, um die Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung zu erhöhen und auch Arbeitnehmer in kleinen und mittelgroßen Unternehmen in den Genuss einer kapitalmarktfinanzierten Betriebsrente kommen zu lassen, sind die Vordenker bei der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) schon an der nächsten Rentenbaustelle dran: Stichwort „negative Zinsen“.
In der brandneuen Ausgabe des Mitgliedermagazins „Aktuar Aktuell“ beschäftigen sich die Autoren mit den Fragen, wie die Altersversorgung in Zeiten anhaltend negativer Zinsen und eingeschränkter Liquiditätshaltung aussehen könnte und wie ein Altersvorsorgeprodukt konzipiert sein müsste, wenn die Kapitalanlage keine Zinsen mehr abwirft, sondern dauerhaft Geld kostet. Kommt das „Comeback der Tauschwirtschaft“? Zugegeben, das Szenario ist fiktiv; wenn heute von den Konsequenzen der Niedrigzinsphase die Rede ist, stehen höhere Kontoführungsgebühren, niedrigere Garantiezinsen oder sinkende Renditen im Mittelpunkt der Diskussion.
Doch das wären nach Einschätzung der Aktuarvereinigung nur marginale Folgen im Gegensatz zu den Verwerfungen, die ein dauerhaftes Szenario mit negativen Zinsen mit sich bringen würden. Dem heute bekannten System der Altersvorsorge droht demnach die Grundlage entzogen zu werden. In einem solchen Negativzins-Szenario würden Sparer dauerhaft mit einem Strafzins belegt, der das Kapital aufzehrt. Was wird dann aus Altersvorsorgeprodukten heutiger Couleur, die nach Einschätzung der Aktuare in einer auf den Kopf gestellten Zinswelt nicht mehr funktionieren? Im Extremfall würde eine dauerhafte Phase deutlich negativer Zinsen absurde Folgen nach sich ziehen. Ein Rückfall ins Mittelalter beispielsweise? Dieses Szenario hielt die Süddeutschen Zeitung bereits im März dieses Jahres für denkbar: Das Geld, moderiert durch den Zins, verliert die Steuerungsfunktion in der Volkswirtschaft. Rolle rückwärts und ab ins Mittelalter. Damals herrschte vor allem Tauschwirtschaft.
Bis ins Zeitalter von Karl dem Großen gehen die Aktuare zwar nicht zurück, aber auch sie sehen die Bedeutungslosigkeit von Bargeld heraufziehen: „In einer Welt, in der Bargeld keine Bedeutung mehr hat und die Haltung von Kapital nur zusätzliche Kosten verursacht, sind regelmäßige Rentenzahlungen in Form von liquiden Mitteln nicht attraktiv und gehen am Bedarf vorbei“, meinen die Aktuare. Interessanter wäre in einem solchen Szenario die regelmäßige Bereitstellung von Sachgütern wie Lebensmitteln und Dingen des täglichen Bedarfs oder die Sicherstellung der Versorgung mit Strom, Wasser und Heizmitteln.
Früher hießen Versorger RWE und Eon – und in Zukunft?
Nur, wie kann in einem solchen Umfeld die Altersversorgung aussehen? Ein Gedankenspiel der Aktuare sieht so aus: Ein Versicherungsunternehmen verpflichtet sich gegen die Zahlung von Beiträgen ab einem bestimmten Alter die Versorgung der versicherten Person mit Lebensmitteln sicherzustellen. Kümmert sich in Zukunft also die Assekuranz um die Ernährung der Bevölkerung mit – je nach Versicherungstarif – frischer Milch, warmen Brötchen und Marmelade mit Bio-Siegel beziehungsweise mit Fleisch aus der Massentierhaltung, altem Brot und Dosenbier? Es sieht ganz danach aus – zumindest solange Mario Draghi Chef der EZB bleibt. Seine Amtszeit endet 2019.
Die Gedankenspiele um Lebensmittellieferungen statt Rentenzahlungen brächten nicht nur Pensionären mit Sinn für ein genussvolles Frühstück Vorteile, sondern nach Einschätzung der Aktuarvereinigung auch den Versicherungsunternehmen. Sie müssten die Beitragseinnahmen nicht mehr verlustbringend am Kapitalmarkt anlegen, sondern könnten die Gelder direkt in landwirtschaftliche Unternehmen wie KTG Agrar und Monsanto investieren. Und die Aktuarvereinigung spinnt das Beispiel noch weiter: Bei einer entsprechenden Größe des Versicherungsbestands könnten die Versicherungsunternehmen eigene Produktionsstätten unterhalten und somit selbst in die Lebensmittelproduktion einsteigen. „Einen Kapitalmarkt benötigten diese Unternehmen dann nicht mehr“, meint die DAV. Moment mal! Haben das die zuständigen Unterhändler der Deutschen Börse und der London Stock Exchange bei ihren Fusionsverhandlungen und Umsatzprojektionen bedacht? Und wenn ja, was ist ihr Plan?
Leider geht die DAV dieser Fragestellung ebenso wenig nach wie der Frage nach dem Schicksal der vielen hundert Asset-Management-Gesellschaften rund um den Globus. Janus und Henderson führen ja derzeit Fusionsverhandlungen. Läuft es dort und auch andernorts darauf hinaus, dass man sich als Food-Manager völlig neu aufstellt und stellvertretend für die Assekuranz die Versorgung der alternden Bevölkerung mit Lebensmitteln übernimmt? Bereits Mao neigte ja dazu, die intellektuelle Elite zur Umerziehung aufs Land zu schicken. Und was wird aus den mit Unsummen an Seed-Kapital gefütterten Fast-Food-Lieferdiensten? Womöglich bekommen deren Investoren dann tatsächlich doch ihr Geld zurück. Ganz wichtig: Wie reagieren AGI, Deka & Co auf diese Entwicklung? In deren Asset-Allokation sind dann Kartoffeln die neuen Blue Chips oder Core Assets im Portfolio, um die Satelliten wie Rüben, Salatköpfe und Äpfel kreisen.
In diesem Sinne wünscht Ihnen die Redaktion von portfolio ein schönes Wochenende.
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portfolio institutionell
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