Asset Manager
21. Dezember 2011

Investoren setzen auf alternative Rating-Modelle

Die Bonitätseinstufung von Staaten anhand alternativer Ratings gewinnt rasant an Bedeutung. Während die SEB ­Asset ­Management ein eigenes Scoring-Modell etabliert, weil sie die Länderallokation als Performance-Treiber ­identifiziert hat, schwört die Bank Sarasin auf zukunftsträchtige Länder und verteilt „Nachhaltigkeits-Ratings“.

Das Vertrauen professioneller Investoren in die Einstufungen der großen ­angelsächsischen Rating-Agenturen schwindet, wie von Seiten der Asset Manager zu hören ist. Denn die ­Bonitätsnoten können mit den aktuellen wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen auf Länderebene kaum noch Schritt halten. Das liegt nicht zuletzt an dem Anspruch der ­Rating-Agenturen ein „rating through the cycle“ zu erstellen. Dahinter steckt der Versuch, ein von der Konjunktur ­un­abhängiges Rating zu ­vergeben, das dem Durchschnitts-Rating des Schuldners über den gesamten Konjunkturzyklus ­hinweg entspricht. Damit kann in der sich täglich verschärfenden Staatsschuldenkrise aber offensichtlich kaum ein Investor etwas ­anfangen. Das gilt auch für die Politik, die mit umstrittenen ­Regulierungsvorhaben versucht, die Rating-Agenturen nach Gutsherrenart zu beeinflussen.

Im Juli sorgte Moody’s in Politikerkreisen für ­Unverständnis, nachdem die Bonitätswächter die langfristigen Staatsanleihen von Portugal gleich um vier Stufen von „Baa1“ auf „Ba2“ und damit auf „Ramsch“-Niveau herabgestuft hatten. „Das wirft Fragen über das ­Verhalten der Rating-Agenturen und deren Weitblick auf“, ­kommentierte der Sprecher von EU-Währungskommissar Olli Rehn den Sinkflug in den High-Yield-Bereich. ­EU-Kommissar Michel ­Barnier sah sich im Hinblick auf die ­aufflammenden Kurskapriolen gar zu dem Bonmot hingerissen: „Das Thermometer löst ja nicht das ­Fieber aus, aber es muss richtig funktionieren, um nicht mehr ­Fieber ­anzuzeigen als tatsächlich vorherrscht“. Mit anderen Worten: Die Rating-­Einstufungen fungieren nicht als die Frühwarnsignale, die die ­Investoren für die Asset-Allokation benötigen. Doch unzählige Kapital­marktteilnehmer vertrauen dem Urteil der Rating-Agenturen. Das liegt nicht zuletzt an der Tatsache, dass die offiziellen Ratings in ­Gesetzen, ­Ausführungsbestimmungen und ­vertraglichen ­Grundlagen, etwa für Spezialfonds, maßgeblich sind. Gleiches gilt für den Euro-­Rettungsschirm EFSF, dessen Bonität mit den Ratings der ­involvierten Nationen steht und fällt. Längst reift ­unter Investoren die ­Erkenntnis, dass es besser ist, sich ein eigenes Bild von der Bonität ­investierbarer Nationen zu ­verschaffen. Erst recht, wenn sich daraus temporäre ­Vorteile für die Asset-Allokation ergeben. So ­mancher ­Investmentbanker rühmt sich ­in diesen Tagen ­unverblümt seines ­Länder-­Ratings, das schon vor den sogenannten PIIGS-Staaten ­gewarnt habe, als diese noch gar nicht so hießen.

Frank Laufenburg, Head of Core Euro Fixed Income bei SEB Asset Management in Frankfurt, setzt sich intensiv mit Sovereign-­Risiken und deren Bewertung auseinander. Der Spezialist für ­Staatsanleihen hat mit Beginn des laufenden Jahres mit einer ­Handvoll Kollegen ein Scoring-Modell aufgebaut, das neben den europäischen Staaten auch die Bonität der USA und Japans unter die ­Lupe nimmt: „Als aktiver Portfoliomanager muss ich mir eine Meinung bilden zu den Dingen, in die ich investiere. Würde ich meine Entscheidungen nur auf Basis der Rating-Agenturen fällen, brauchen mich meine ­Kunden nicht zu bezahlen“, so der Anleihenexperte. Das hauseigene Tool basiert auf sechs Subscores, darunter beispielsweise das ­Verhältnis von ­Staatsschulden zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) oder das nominelle BIP-Wachstum, und hilft der SEB Asset Management, die ­Gesamtmeinung in Bezug auf das jeweilige Land auszuloten. Hinter der Motivation, ein Rating-Tool zu entwerfen, stand die Idee, mit dem „eigenen Score“ der Entwicklung der Agentur-Ratings vorweg­zulaufen, so Laufenburg. Dr. Stefan Klomfass, Mitglied der ­Geschäftsleitung der SEB Asset Management und Head of ­Institutional Portfolio ­Management, ­unterstreicht derweil die herausragende ­Stellung des internen Ratings für das ­Tagesgeschäft: „Wir wollen in Länder und Märkte investieren, die sich durch Wachstum ­auszeichnen und keine Überhitzungserscheinungen zeigen."

Der Aufbau eines Scoring-Modells ist überaus kompliziert, wie man bei der SEB unterstreicht. Laufenburg zufolge hätte sich der Aufwand, insbesondere das Sammeln und ­Auswerten konsistenter Daten, gerade für ­Portfoliomanager vor der ­Krise nicht gelohnt. Denn bis zum Jahre 2008 seien die Renditeunterschiede für Staatsanleihen aus dem Euroraum kaum spürbar gewesen. ­Laufenburg hat beobachtet, dass die Spread-Ausweitungen den Rating-­Aktionen folgen. Die Markt­teilnehmer ­orientieren sich demnach an den Bonitäts­einstufungen der Agenturen – und erleiden Verluste. ­Insofern hat sich die ­vorausschauende ­Länderallokation als Performance-Treiber entpuppt.

_Schneller als die Bonitätswächter

Bei Länder-Ratings gibt es regelmäßig ein konzeptionelles ­Problem zu lösen: Wenn ein Rating-System für Corporates aufgebaut wird, ­können die Analysten auf  umfangreiche globale Default-­Datenbanken zurückgreifen, anhand derer sie ablesen können, welche Faktoren und Subscores wichtig sind, um zu einem aussagekräftigen Rating zu ­gelangen. Darüber hinaus erklären sie die Rating-­Migration anhand einer über Jahrzehnte gewachsenen Informationsbasis. Bei der ­Rating-Einstufung von Ländern ist die Datenhistorie wesentlich ­kleiner. Einerseits gibt es im Vergleich zum ­Unternehmensuniversum wesentlich weniger Staaten. Andererseits traten in der Vergangenheit absolut weniger Defaults auf Länderebene auf als bei Unternehmens- oder Bankanleihen. Vor diesem Hintergrund müssen die Analysten stärker mit Plausibilitäten und Annahmen arbeiten.

Das Scoring-Modell der SEB stuft die Länder anhand einer zahlenbasierten Skala ein und greift nicht auf die Buchstabenkombinationen zurück, die am Markt weit verbreitet sind. Die Skalierung liegt konkret zwischen null und fünf (vergleichbar mit „Triple-A“). Anleihen-­spezialist Laufenburg vergleicht die länderspezifischen Scoring-­Ergebnisse inzwischen regelmäßig mit der jeweils niedrigsten ­Einstufung der oligopolistischen Rating-Agenturen und kommt zu dem Ergebnis, dass sich das Modell bewährt hat. „Unsere Scores sind seit Jahresbeginn nahezu gleich geblieben. Im Gegensatz dazu haben sich die Ratings von S&P, Moody’s und Fitch zum Teil ­erheblich ­verändert. “ Laufenburg verweist auf eine Reihe von ­Herabstufungen im Euroraum. Er nennt das die große Hektik der ­Rating-Agenturen und ­erklärt: „Unser Modell hat den Anspruch, aufgrund aktueller ­Daten und Schätzungen für die nähere Zukunft zu ­einer ­Einschätzung des Status quo zu gelangen. Wenn wir das ­schaffen, sind wir schon ­schneller als die Rating-Agenturen, die ja ­immer dem Trend ­hinterherlaufen. Wenn wir also mit unseren ­Modellen beschreiben können, was momentan ist, dann haben wir schon ein wichtiges Ziel erreicht.“
Gravierende Abweichungen zwischen den Länder-Scores der SEB und den Rating-Einstufungen der drei großen US-Bonitätswächter zeigen sich am Beispiel der hochverschuldeten und wachs­­tums­schwachen USA: Während die Asset Manager aus ­Frankfurt auf ihrer zahlenbasierten Skala einen bedauernswerten Wert von 0,90 ­vergeben, liegt die schwächste Note für die US-Bonität bei den Rating-­Agenturen bekanntermaßen bei „AA+“, vergeben von S&P; wobei Fitch und Moody’s bislang noch an der Bestnote „AAA“ ­beziehungsweise „Aaa“ festhalten. Darauf angesprochen betont Laufenburg: „Ein sich ent­wickelndes Land mag ein Budgetdefizit von fünf Prozent ­aufweisen. Das ist an sich nicht gut. Wenn man aber gleichzeitig ein Wachstum von sechs Prozent vorfindet, interessiert mich das Defizit nicht mehr, weil es das Wachstum finanziert.“ Vor dem Hintergrund der Resultate des Scoring-Modells hat sich die SEB bereits vor Monaten komplett aus französischen Staatsanleihen zurückgezogen. Zur Begründung heißt es: Unter den Triple-A-Staaten ist Frankreich das schwächste, nicht zuletzt aufgrund des hohen Schuldenstandes, schlechter ­Budgetdaten und einer hohen Staatsquote. Von den Konditionen her sei das Land derzeit noch nicht attraktiv genug, um diese Schwachpunkte in höheren Spreads aufzuwiegen. Neben den USA belegen Griechenland, Irland, Portugal und Japan übrigens die hintersten ­Plätze im SEB-Scoring. Favoriten sind Estland, Finnland und ­Schweden, die mit Scores um 3,85 Punkte die Rangliste anführen.

_Nachhaltigkeit als zentrales Element

Auch die Schweizer Privatbank Sarasin befasst sich intensiv mit der Einstufung von Staatsanleihen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf Nachhaltigkeits-Ratings. Die Eidgenossen haben erkannt, dass „die künftige Zahlungsfähigkeit und damit die Bonität eines Landes eng mit dessen nachhaltiger Leistungsfähigkeit verbunden“ sind, wie ­einer aktuellen Studie zu entnehmen ist.
Anhand einer sogenannten Nachhaltigkeitsmatrix, die die ­landesspezifische Ressourceneffizienz (etwa Volatilität des BIP, ­Korruptionsbekämpfung, Menschenrechte) und die Verfügbarkeit von Ressourcen (Demografie, Staatsverschuldung, Biodiversität und ­anderes) ­berücksichtigt, erstellt das Geldhaus einen globalen Überblick aller einbezogenen Länder. Dieser dient vorrangig dem Zweck, zu ­entscheiden, welche Staatsanleihen für die Aufnahme in die ­hauseigenen Nachhaltigkeitsfonds infrage kommen.

Die Schweizer leiten ihre Erkenntnisse für das Nachhaltigkeits-­Rating anhand einer ­mehrstufigen Kausalkette her. Demnach ­verspricht die öffentliche Hand durch das Begeben von Staats­anleihen, Zins- und Tilgungszahlungen zu ­leisten. Allerdings hänge die ­Erfüllung in großem Maße von der ­Realisierbarkeit ­künftiger Steuer­einnahmen ab, wie das Bankhaus unterstreicht. Hierfür ­brauche die öffentliche Hand ein nachhaltiges Steuersubstrat, das in erster ­Linie in Form von künftigen Gütern und ­Dienstleistungen vorliegen müsse. Dies wiederum sei abhängig von der Ressourcenverfügbarkeit in ­einem Land und der Effizienz der ­Ressourcenumwandlung in ­Güter und Dienstleistungen. Nur Länder mit einer soliden Ressourcen­verfügbarkeit und/oder einer hohen ­Ressourceneffizienz könnten ­ihren Entwicklungspfad nachhaltig ­aufrechterhalten, lautet das ­bemerkenswerte Zwischenfazit. Als Länder mit einer hohen Ressourcen­verfügbarkeit sieht Sarasin insbesondere Schweden, ­Australien und Brasilien. ­Ressourcenarme, dafür aber hoch effiziente Nationen seien Japan, die Niederlande und Deutschland. Zu den ­ineffizienten Ländern zählen nach Ansicht der Rating-Experten von Sarasin unter anderem ­Griechenland und die USA. Russland sei „ganz besonders“ ineffizient. Die Schweizer kommen zu dem Schluss, dass „Staatsanleihen von Ländern mit ­hoher Ressourcenverfügbarkeit und zugleich ­effizienter Erzeugung von Lebensqualität“ aus Nach­haltigkeitssicht zu ­bevorzugen sind. Den positivsten Kredit-Rating-Ausblick hätten ­nach Ansicht der Eidgenossen Staaten mit einer ­soliden ­Ressourcenverfügbarkeit und mittleren bis hohen ­Effizienzwerten, so ­Sarasin. Dazu gehörten ­insbesondere Länder aus dem skandinavischen Raum und ­lateinamerikanische Staaten.

_Rating-Analysen mit Aussagekraft

Der Schweizer Research-Anbieter Independent Credit View ­(I-CV), hat sich in den vergangenen Jahren mit Länderstudien in der Asset-Management-Branche Gehör verschafft. In der jüngst publizierten „Länderstudie 2011“ knüpfen die Analysten nahtlos an die ­Erkenntnisse der Vorjahre an, indem sie betonen: „Der Handlungsbedarf im ­Finanzsystem und die Stabilisierungs­bemühungen erzeugen weiterhin negativen Rating-Druck im ­Euroraum.“ Gegenüber den Rating-Agenturen fällen die Zürcher ein vernichtendes Urteil; diese ­reagierten auf die „neue Realität“ und revidierten ihre Einschätzungen „­beinahe panikartig“. Schon 2009 prognostizierte I-CV eine „Vielzahl von Downgrades“ und riet ­Investoren, Anleihen von „AAA“-Länder zu ­verkaufen. Seither ist viel geschehen. ­Griechenland und Portugal sind nur noch Ramsch, während sich etwa Brasilien im Investment-Grade-Bereich vorgearbeitet hat. „Basierend auf dem I-CV Modell zeichnen sich für die nächsten fünf Jahre ­mehrstufige Verschiebungen der ­offiziellen Rating-Einstufungen ab“, konstatierten die Eidgenossen schon im Vorjahr. I-CV setzt die internen Erkenntnisse ­regelmäßig in Anlagevorschläge um.

Das ­EU-Parlament weist darauf hin, dass die korrekte Einstufung von Länderrisiken aufgrund von Schwächen der Rating-Modelle ­scheitern kann. In einer ­Analyse aus dem Jahr 2010 heißt es, bei der Risikomessung könne nur eine „Begutachtung makroökonomischer, ­fiskalischer und politischer ­Zustände im regionalen, aber auch ­globalen Kontext“ zu einer „adäquaten ­Beurteilung der Ausfallrisiken“ eines einzelnen Landes führen. Dem bleibt nichts hinzuzufügen.

portfolio institutionell 16.12.2011

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