Pension Management
10. Mai 2011

INTERVIEW: Professor Norbert Walter

Der Ex-Chefökonom der Deutschen Bank äußert sich zur Euro-Krise.

DÜSSELDORF – Norbert Walter ist seit gut einem Jahr im Unruhestand: Er ist als Vortragsreisender unterwegs und schreibt nebenbei viele Kommentare und Analysen für Zeitungen. Am Rande der diesjährigen portfolio institutionell Fachforum sprach Walter über die Gefahren für die Stabilität der Eurozone – und über Rezepte zur Bewältigung der Krisen in den Euro-Ländern Südeuropas.

Herr Professor Walter, die Finanzmärkte zweifeln die Zahlungsfähigkeit der Peripherie-Länder an, die Regierungen dementieren, dass es nötig sei unter den Rettungsschirm zu flüchten, die Spreads explodieren, und am Ende muss die EU doch helfen. Wann fällt nach dieser Logik Spanien um?

Die Spanier haben nicht ein so großes Ausgangsproblem mit der Staatsverschuldung wie andere Länder der Eurozone. Ihre großen Finanzinstitutionen sind sogar robuster als bei uns in Deutschland. Aber es sei eingeräumt: Die Spanier haben ein richtig ausgewachsenes Ungleichgewichtsproblem im Immobilienbereich und in der Bauwirtschaft. Und als Folge der Asset-Preis-Entwicklung haben die Banken, das sind vor allem die Sparkassen, die das finanziert haben, auch ein Problem. Werden die Caixas im Notfall von ihrem Verbund mit genug Eigenkapital versorgt werden können? Meine Arbeitshypothese lautet: ja, die betroffenen Caixas kann man sanieren. Trotzdem ist Ihre Frage berechtigt. Wir befinden uns in der Zeit nach Lehman, in der Zeit von Fire-Sales. Wenn alle gleichzeitig anfangen, alle Assets zu verkaufen, stößt das traditionelle Risikomanagement sehr schnell an Grenzen. Wenn Panik ausbricht, dann kann auch ein Land mit einer im Grund relativ robusten Verfassung ins Schleudern geraten.

Sie deuten es an: Was man aus einer Analyse heraus als wahrscheinlich konstatiert, ist das eine. Das andere ist das, was der hochnervöse Finanzmarkt daraus macht.

In der Tat hat der Markt im Laufe der vergangenen Jahre einiges falsch gemacht. Vor der Finanzkrise hat er Assets überbewertet. Das war alles andere als plausibel. In der Krise wurden völlig überzogene Risikoprämien gefordert. Der Markt hat sich in bestimmten Situationen verhalten wie ein Haufen von Hühnern, die im Hof aufgeschreckt von der einen Seite zur anderen Seite rennen.

Als noch niemand einen Bail-Out auf Staatenebenen für möglich gehalten hat, konnte sich Portugal fast wie Deutschland refinanzieren. Heute, wo man faktisch Bail-Out-Instrumente hat, sind die Spreads weit auseinander…

Absolut. Oder nehmen Sie als Beispiel den spanischen Immobilienmarkt. Man hätte doch vor der Krise sehen können, dass ein Land mit 42 Millionen Menschen nicht über eine Dekade hinweg jedes Jahr 750.000 Wohneinheiten benötigt. So viele wurden aber fertiggestellt. Das war eine klassische Bubble! Jede vernünftige Bank hätte ihren Risikomanager mal zu den Baufirmen schicken sollen. Dann hätte man Kredite nur zu risikoadäquaten Zinsen vergeben. Oder aber Collaterals nicht zum Verkehrswert, sondern nur mit Abschlägen von 30 oder 40 Prozent akzeptiert. Aber das alles ist nicht passiert. Mit anderen Worten: Die Märkte ignorieren offenkundig regelmäßig robuste, wichtige Strukturdaten. Und sorgen dann damit dafür, dass erst Euphorie und danach Panik entsteht.

Was tun also?

Wenn man annimmt, dass Menschen nichts dazulernen, und das halte ich für eine realistische Arbeitshypothese, dann sollten die politisch Verantwortlichen Regulierungsschritte bei den ersten Anzeichen von Asset-Blasen einleiten, um solche Exzesse zu begrenzen. Wenn die Immobilienpreise in den Himmel steigen und die Häuserpreise so hoch sind, dass Bauherren für das Bewirtschaften 30 Prozent ihres Nettoeinkommens investieren müssen, dann ist eine Schieflage doch schon ausgemachte Sache, dann muss es Ärger geben. Genau solche robusten Analysen haben an den Finanzmärkten gefehlt. Die Probleme wurden bisher immer nur im Nachhinein entdeckt. Und dann schlägt es ins Gegenteil um. Dieselben Leute, die vorher das Problem ignoriert haben, übertreiben und verlangen dann eine Radikalumkehr der Wirtschaftspolitik von Staaten. Oder sie verlangen für Bonds Risikoaufschläge von 800 oder 1000 Basispunkten.

Aber genau das ist passiert, im Falle Portugals und Griechenlands. Und wenn Spanien eine Weile derartig absurde Risikoaufschläge zahlen müssen, dann fällt der nächste Dominostein.

Dann würde ohne eine Umschuldung tatsächlich gar nichts mehr gehen.

Also reden auch Sie Hair Cuts das Wort?

Nein, so weit darf es nicht kommen. Die Griechen machen heute eine glaubwürdige Politik, sie sanieren ihre Finanzen. Dann halte ich es für gerechtfertigt, dass die Staatengemeinschaften darüber nachdenkt, ob sie abweichend von Marktkonditionen, Hilfsprogramme zur Verfügung stellt, um einen GAU zu vermeiden.

Halten Sie es wirklich für realistisch, dass es ohne Umschuldung geht? Die Bürger leiden dort unter brutalen Kürzungen bei den Sozialleistungen, und der Staat verkauft sein Tafelsilber. Reichen wird es doch trotzdem nicht.

Wer den Status Quo extrapoliert, muss zu solchen Schlüssen kommen. Die Frage ist, ob wir den Status quo extrapolieren müssen. Meine Antwort ist: nein. Bislang war es immer so, dass die Extrapolierung eines Status quo bestenfalls für Stresstests taugt, aber nicht für eine sachgerechte Beschreibung der wahrscheinlichen Entwicklung.

Was halten Sie für wahrscheinlich?

Der Euro-Rettungsschirm kann an Glaubwürdigkeit gewinnen, und dann werden sich auch die Kapitalmarktkonditionen ändern. Im Übrigen werden die Maßnahmen, die Sie gerade skizziert haben, immer noch von 85 Prozent der griechischen Bevölkerung akzeptiert. Das ist ein gutes Startkapital, um wirkliche Sanierungsmaßnahmen auf den Weg zu bringen. Erinnern Sie sich doch an Deutschland im Jahr 1995. Damals sind wir komplett wettbewerbsunfähig in die Währungsunion gegangen und hatten auch massiv unter den Kosten der deutschen Einheit zu leiden.

Eine andere Alternative wäre doch eine gemäßigte Inflation. So kämen alle leichter von ihren Schuldenbergen herunter.

Warum ist das eigentlich für das Emsland oder Schleswig-Holstein keine Strategie? Warum kommen Sie nicht auf die Idee, dass Mecklenburg Vorpommern mit einer ordentlichen Abwertung und Inflation auch mal auf die Beine kommt? Nein, das ist ein Irrweg. Die Franzosen haben es 30 Jahre lang versucht. Bis 1985 wollten sie immer durch die Abwertung des Franc gegenüber der DM-Mark die Deutschen in Sachen Wettbewerbsfähigkeit überholen. Mitte der 80er Jahre haben die Franzosen diese Strategie aufgegeben. Wenn ein so großes Land wie Frankreich innerhalb Europas diese Strategie aufgibt, dann ist es meines Erachtens nicht empfehlenswert, dass man kleine, und noch offenere und noch mehr in Fremdwährung verschuldete Akteure in eine solche Strategie hineindrängt – was jedoch meine Kollegen von der ökonomischen Zunft nach wie vor tun. Ich frage bei solchen Gelegenheiten dann immer: warum bekommt Husum nicht eine eigene Währung?

Die Frage ist doch, was tun innerhalb der Eurozone. Länder wie Deutschland bräuchten höhere Zinsen, Länder wie Griechenland definitiv nicht. Hält das die Gemeinschaft aus?

Das ist eine liebenswürdig akademische Frage, die sich aber nicht wirklich stellt. Wir haben eine gemeinsame Währung und wir haben einen einheitlichen Zins. Und dann ist es doch klar, dass die Restriktionswirkungen des Zinsniveaus nicht groß genug sind für die, die dynamisch wachsen. Dann müssen andere Instrumente der Finanzpolitik greifen. Im Falle Deutschlands wäre das dann die Schuldenbremse. Wenn dieses Instrument greift, dann bekommen wir auf diese Weise die Inflation in den Griff. Außerdem finde ich diese Frage deshalb bemerkenswert, weil sie verkennt, dass der deutsche Export zwar stark steigt, aber unsere Importe noch stärker zulegen. Damit werden wir zu einer Konjunkturlokomotive für unsere Nachbarn. Das wird wahrscheinlich die nächsten zwei Jahre auch so weiter gehen. Manche sehen das als Ungleichgewicht, aber für mich heißt das: dem Gleichgewicht näher kommen. Ein neues Ungleichgewicht, das den alten Ungleichgewichten entgegengesetzt ist, gleicht diese in gewissem Sinne aus. Wenn die anderen Europäer zehn Jahre lang infolge einer anderen Politik schneller gewachsen sind als wir, dann kann ich den Zustand jetzt, in dem wir schneller wachsen als andere, nichts als etwas Schlimmes ansehen, sondern als ein Rebalancing, als einen wünschenswerten Prozess.

Sie meinen, man kommt aus dem Rettungsschirm damit wieder raus, indem man wartet, bis sich die ökonomischen Gleichgewichte zwischen den Staaten wieder austariert haben?

Das wär die eine Hoffnung. Ich stelle fest, dass die Hilfsangebote der starken Euro-Länder seriös sind. Und dass die Disziplinierungsanstrengungen der betroffenen Länder ebenso seriös sind. Dann könnte sich das wieder einpendeln. Ich halte aber auch andere Lösungsansätze für denkbar. Jean-Claude Junker fordert schon seit langer Zeit Euro-Bonds.

Gegen die sich vor allem die deutsche Regierung noch massiv wehrt.

Das mag sein, aber wenn die Finanzmärkte weiter irrationale Risikoprämien verlangen und es nicht zum Hair Cut kommt, dann könnte man entweder den Rettungsschirm vergrößern, oder doch Eurobonds emittieren. Ich halte das für eine Möglichkeit.

Warum lehnen Sie Hair Cuts eigentlich so vehement ab? Glauben Sie wirklich, dass eine Entschuldung Griechenlands ein Weltuntergang für die Banken wäre?

Angesichts der Eigenkapitalschwäche der deutschen Finanzinstitute kann ein Hair Cut von nur 30 Prozent das gesamte Eigenkapital einiger systemisch relevanter Institute vernichten. Und dann hieße die Frage wieder: Springt die Regierung erneut ein?

Eine weitere Möglichkeit: der Euro-Austritt.

Das ist eine theoretische Möglichkeit deren Wahrscheinlichkeit ich für sehr gering halte. Die Auswirkungen von Euro-Austritten wären fatal, es gäbe nur Verlierer. Jede Chance aus Europa irgendwo zu einem ernstzunehmenden Player zu machen wäre dahin. Deutschland wäre sogar wegen unserer Exportwirtschaft ein überproportionaler Verlierer.

Das Gespräch führten Ali Masarwah und Patrick Eisele. Das komplette Interview mit Norbert Walter erscheint in der Mai-Ausgabe von portfolio institutionell.

portfolio institutionell newsflash 11.05.2011/maa-pe/jan

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