1. September 2016

Interview: Die EZB und der Wettbewerb um neue Anleihen

Im Euromarkt für Unternehmensanleihen handeln mittlerweile circa 80 Prozent aller Anleihen mit einer Rendite auf Verfall von weniger als einem Prozent per annum und davon circa 20 Prozent bei einer negativen Rendite. Und die EZB drückt den Märkten für Corporate Bonds bald noch stärker ihren Stempel auf.

Interview mit Lars Moeller, Director Debt Capital Markets bei Credit Suisse in London. Von dort aus verantwortet er die Aktivitäten in Deutschland, Österreich und Nordeuropa im Bereich der Unternehmensanleihen. 
Herr Moeller, welche Themen stehen denn derzeit bei Ihnen auf der Tagesordnung? 
Lars Moeller: Das derzeitige Marktumfeld ist geprägt vom „Corporate Sector Purchase Programme“ (CSPP) der Europäischen Zentralbank zum Ankauf von Unternehmensanleihen und dessen Auswirkungen auf den Markt für Corporate Bonds. 
Die EZB ist ganz offensichtlich die treibende Kraft, was die Märkte für Unternehmensanleihen betrifft. Aber ist es im Interesse der EZB, auch die Emissionstätigkeit zu forcieren? 
Moeller: Mit dem Ende April angekündigten CSPP-Programm hat die EZB die Möglichkeit geschaffen, sowohl im Primärmarkt für Unternehmensanleihen zu agieren, also bei neu emittierten Anleihen, als auch im Sekundärmarkt zu kaufen. Die Notenbank kann dabei Unternehmensanleihen bis in den unteren Investment-Grade-Bereich kaufen, sprich: Das Bonitäts-Rating der Anleihen muss mindestens bei BBB- liegen. 
Auf welche Laufzeiten fokussiert sich die EZB bei ihrem Unternehmensanleihe-Kaufprogramm? 
Moeller: Es sind Laufzeiten zwischen sechs Monaten und 30 Jahren zugelassen. Und es muss sich um einen Emittenten handeln, der im Euroraum angesiedelt ist oder das gewählte Emissionsvehikel muss im Euroraum ansässig sein. 
Mit anderen Worten könnte ein amerikanischer Konzern über eine europäische Tochtergesellschaft Unternehmensanleihen emittieren, die dann im Portfolio der EZB landen? 
Moeller: Die Kriterien, unter denen die EZB Unternehmensanleihen erwerben kann, sind breit angelegt. Allerdings hat die EZB sich bislang auf Europäische Unternehmensanleihen konzentriert und nur vereinzelt Anleihen von nicht europäischen Unternehmen gekauft. 
Das Kaufprogramm der Währungshüter begann am 8. Juni. Was hat die EZB seither im Bereich der Unternehmensanleihen auf die Beine gestellt? 
Moeller: Zum Stichtag 26. August hat die EZB Unternehmensanleihen in einem Umfang von 19,3 Milliarden Euro erworben. Knapp sechs Prozent davon stammen von Transaktionen am Primärmarkt. Der Großteil entfällt demnach auf den Sekundärmarkt, also auf Anleihen, die bereits ausstehend waren zum Zeitpunkt des Erwerbs. 
Wenn die EZB Corporate Bonds am Sekundärmarkt erwirbt, dann kauft sie diese praktisch anderen Investoren ab. Am Primärmarkt steht sie stattdessen dem Emittenten gegenüber. Wie kommt es, dass der Primärmarktanteil bislang so niedrig ist? 
Moeller: Der Anteil des Primärmarktes lag zunächst unter vier Prozent. Er hat sich also bereits erhöht. Mit Blick auf die nächsten Monate sollte der Anteil der Transaktionen am Primärmarkt weiter zunehmen. 
Wie kommt das? Findet die EZB nicht genug Material am Sekundärmarkt? Oder wollen die Investoren ihre Anleihen nicht hergeben
Moeller: Ein Grund dafür ist saisonbedingt. Im August ist die Emissionstätigkeit typischerweise recht niedrig, daran ändern auch die niedrigen Zinsen nichts, die sich Emittenten heute sichern können. Bei vielen Unternehmen beginnt die Sommerpause häufig auch schon Mitte Juli. 
Dann wird die EZB im Herbst bei Neuemissionen also kräftig zugreifen und so die Renditen weiter nach unten drücken?
Moeller: Mit steigender Emissionsanzahl kann auch die CSPP-Aktivität zunehmen. Ein wichtiger Aspekt, gerade im Bereich der Unternehmensanleihen, ist die Liquidität. Die Liquidität am Sekundärmarkt für Corporate Bonds war schon in der Vergangenheit, vor dem Einstieg der EZB, begrenzt. 
Nun werden die Verzerrungen offenbar weiter verschärft? 
Moeller: Die begrenze Liquidität war in diesem Anleihesegment schon seit einiger Zeit ein Thema. Es ist möglich, dass das Handeln großer Tranchen schwerer wird. Gleichzeitig bietet sich Investoren mit der EZB ein aktiver Käufer. 
Als Emittent profitiert man heute doppelt: niedrige Zinsen und eine hohe Nachfrage auf Investorenseite. Wie wirkt sich das auf die Bereitschaft der Emittenten aus, neue Anleihen zu begeben, um von den skizzierten Bedingungen zu profitieren? 
Moeller: Ob nun zur Refinanzierung oder zur Aufnahme neuer Mittel, das Umfeld ist derzeit attraktiv aus Unternehmenssicht. 
Aber zieht das die Emittenten nun förmlich an? 
Moeller: Man muss unterscheiden, ob Emittenten neue Anleihen begeben, um bestehende Verbindlichkeiten zu refinanzieren. Hier laufen die Aktivitäten wie gehabt. Was die Emission von Anleihen betrifft, um damit neue Investitionen zu tätigen, lässt sich feststellen, dass es bislang begrenzt zu intensivierter Emissionstätigkeit kam. Unternehmen nutzen also niedrige Finanzierungskosten. Wir sehen aber keine signifikante Zunahme bei der Emissionstätigkeit. 
Und wie ist das bei der Akquisitionsfinanzierung? 
Moeller: Hier kann es durchaus zu einer anziehenden Emissionstätigkeit kommen. Denn die Möglichkeit, Akquisitionen zu tätigen und sich bei historisch niedrigen Zinsen zu refinanzieren, ist attraktiv. 
Bitte geben Sie ein aktuelles Beispiel, um die Attraktivität am Primärmarkt aufzuzeigen. 
Moeller: Der bonitätsstarke Ölkonzern Shell war im August im Markt und hat eine lange acht- und eine zwölfjährige Anleihe begeben. Die Anleihe mit Fälligkeit im Februar 2025 hatte einen Kupon von 0,375 Prozent. Das ist ein Neuemissions-Spread über Mid-Swap von 27 Basispunkten. Die Anleihe mit Fälligkeit August 2028 hatte einen Kupon von 0,75 Prozent bei einem Neuemissions-Spread über Mid-Swap von 38 Basispunkten. 
Wie haben sich die Renditen und Spreads entwickelt? 
Moeller: Im Euromarkt für Unternehmensanleihen handeln mittlerweile circa 80 Prozent aller Anleihen mit einer Rendite auf Verfall von weniger als einem Prozent per annum und davon circa 20 Prozent bei einer negativen Rendite. 
Wie sind Ihre Erwartungen? Erleben wir in Europa bald das, was der Schweiz schon länger widerfährt? Nämlich: negative Renditen auf breiter Front? 
Moeller: In der Schweiz handeln über 90 Prozent aller Unternehmensanleihen bei unter einem Prozent Rendite auf Verfall und davon knapp 60 Prozent mit einer negativen Rendite. 
Ist die Schweiz buchstäblich der Vorreiter für Europa? 
Moeller: Ja, das ist unsere derzeitige Einschätzung. 
Die Käufe der Notenbank sorgen für Druck auf die Renditen. Weil sie aber auch weiterhin Staatsanleihen kauft, wird das generelle Zinsumfeld gedrückt. Was erwarten Sie im Hinblick auf die weitere Entwicklung am Primärmarkt? 
Moeller: Mitte Juli emittierte die Deutsche Bahn eine fünfjährige Unternehmensanleihe erstmals mit einer leicht negativen Neuemissionsrendite. Der Kupon lag bei null, aus der Anleihengestaltung berechnete sich allerdings eine leicht negative Rendite. Die Anleihe lag mit 350 Millionen Euro unterhalb der Volumina, die im europäischen Markt als Benchmark-Anleihe gelten. 
Können in Zukunft noch weitere deutsche Emittenten am Primärmarkt von Nullzinsen profitieren? 
Moeller: Mit Blick in die nahe Zukunft gehen wir davon aus, dass im Euromarkt im Laufzeitenbereich bis fünf Jahre vermehrt Anleihen mit negativen Renditen emittiert werden könnten. 
Wechseln wir das Thema: Welche Bedeutung hat heute in Europa der Markt für Privatplatzierungen bei Anleihen und wie entwickelt sich das Emissionsvolumen? 
Moeller: Bei Privatplatzierungen werden nur wenige Investoren direkt angesprochen, zum Beispiel Versicherungsgesellschaften. Hier sprechen wir ebenfalls von Sub-Benchmark-Beträgen. Die Emissionsvolumina liegen in der Regel zwischen 50 und 300 Millionen Euro. Sie sind seit 2014 relativ stabil. Unsere Annahme ist aber, dass das mit der Zeit steigt. 
Wie kommt das? 
Moeller: Gerade für Versicherungen sollte das Privatplatzierungssegment Möglichkeiten bieten, Anleihen zu kaufen, ohne mit der EZB im direkten Wettbewerb zu stehen. 
Wie unterscheidet sich das Auftreten der EZB im Primär- vom Sekundärmarkt? 
Moeller: Die EZB agiert über sechs nationale Notenbanken. Im Primärmarkt erscheint in den Orderbüchern dann die Platzierung einer Notenbank – genauso, wie neben anderen „Real-Money“-Investoren. Hier sehen wir also einen Wettbewerb um Zuteilung. Im Sekundärmarkt wiederum ist es letztlich eine freie Entscheidung der bereits investierten Anleger, ihre Anleihen an die EZB zu verkaufen oder eben nicht. 
Mal angenommen, die Zeiten ändern sich und viele Investoren wollen im großen Stil gleichzeitig raus aus Corporate Bonds: Ist dann die mangelhafte Liquidität ein Problem? 
Moeller: Dies ist ein generelles Phänomen in solchen Situationen, das die meisten Asset-Klassen betrifft. Ein Vorteil heute ist: Wenn ein Investor Anleihen verkaufen will, hat er mit der EZB einen Käufer. Die EZB könnte im Falle von erhöhter Volatilität die Märkte daher durch ihre Käufe gegebenenfalls auch stabilisieren. 
Das Interview führte Tobias Bürger. 
portfolio institutionell newsflash 01.09.2016/Tobias Bürger
Autoren:

Schlagworte:

In Verbindung stehende Artikel:

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert