Pension Management
19. April 2011

INTERVIEW: Der Rentenexperte Bert Rürup

Rürup äußert sich u.a. zum Zustand der deutschen Altersvorsorge.

FRANKFURT – Im April 2009 überraschte Bert Rürup viele in der Branche, als er zum Finanzvertrieb AWD als Chefökonom wechselte. Ein Jahr später vertiefte Rürup seine Beziehung zum AWD-Gründer Carsten Maschmeyer, indem er die „Masch­meyer Rürup AG“ gründete. Über diese Entwicklung und die derzeitige Situation in der Altersvorsorge sprach er mit unserem Schwersterblatt portfolio international.

 

Herr Rürup, wie kam es zu Ihrem überraschenden Wechsel zum AWD?

Der AWD hatte vor, das zu machen, was bei nahezu allen Banken und bei einigen großen Versicherungen seit langem die Regel ist: Aufbau und Nutzung der Expertise einer eigenen Research- und Consulting-Abteilung. Unter dem Dach des AWD sollte mir durch die Einrichtung einer Stabsstelle, die dem Holding-Vorstand zugeordnet war, die Möglichkeit gegeben werden, zusammen mit drei exzellenten Ökonomen weiterhin wissenschaftlich zu arbeiten. Nicht nur Deutschland, sondern gerade die ausländischen Märkte sollten damit in den Fokus genommen werden.

Warum haben Sie dann eine neue Firma mit Carsten Maschmeyer gegründet?

Mit den eingeleiteten Konsolidierungsmaßnahmen im Zuge der Finanzkrise von der Swiss Life, der Schweizer Muttergesellschaft des AWD, bröckelte das Fundament für die Etablierung eben dieser unternehmensinternen Research- und Beratungseinheit. Zudem schied Carsten Maschmeyer, der von dem Sinn und der Notwendigkeit einer solchen Einheit überzeugt war, Anfang 2009 als Co-CEO der Holding aus. Aus diesem Grund haben Maschmeyer und ich uns dazu entschlossen, ein eigenes Unternehmen zu gründen und unsere Expertise Vorständen und Entscheidungsträgern aus Banken und Versicherungen anzubieten. Unsere Zielgruppe sind aber nicht nur Banken und Versicherungen. Wir stellen auch ausländischen Regierungsstellen unser Know-how beim Umbau ihrer Versorgungssysteme zur Verfügung. Dabei ist es hilfreich, dass die deutsche Reform der Alterssicherung und die Regulierung der staatlich geförderten Ergänzungssysteme, die sich in der Finanzkrise sehr bewährt haben, im Ausland einen sehr viel besseren Ruf haben als hierzulande.

Wie haben Sie und Herr Maschmeyer die Aufgaben verteilt?

Hinsichtlich unserer Arbeitsteilung haben wir nicht nur eine räumliche, sondern auch eine strikte inhaltliche Trennung. Makroökonomischer Research, Marktanalysen und Produktkonzeptionen liefern mein Team und ich hier in Frankfurt. Maschmeyer und sein Team bearbeiten in Hannover Probleme und strategische Fragen der Vertriebs- und Marketingorganisation.

Haben Sie schon Mandate?

Wir haben Mandate, aber wir werben nicht damit. Wir haben zum Beispiel für einen großen Krankenversicherer eine Marktanalyse hinsichtlich der Chancen von privaten Krankenversicherungen in China erstellt. Für eine andere Versicherung, die mit dem Markteintritt in die Tschechische Republik liebäugelt, haben wir die regionale Aufnahmefähigkeit dieses Marktes für Altersvorsorgeprodukte untersucht. Ein drittes Mandat bestand darin, vor dem Hintergrund des aktuellen Niedrigzinsniveaus Zinsszenarien zu entwickeln und diese für die Anlagestrategien von Hybridprodukten nutzbar zu machen. Deren Ablaufleistungen reagieren oft hypersensibel auf Zinsänderungen.

Sind Sie und Herr Maschmeyer mit Ihren Fortschritten zufrieden?

Uns gibt es seit gut einem Jahr. Wir sind sicher, auf dem richtigen Weg zu sein.

Hat die Pressekampagne gegen Herrn Maschmeyer Ihrer Firma geschadet?

Hilfreich ist so ein Medientrommelfeuer gegen einen Gesellschafter für kein Unternehmen. Sie können aber davon ausgehen, dass unsere Mandanten uns aufgrund unserer Expertise beauftragen. Und die hat unter dieser Kampagne nicht gelitten.

Haben Sie Ziele gesetzt, beispielsweise wie viele Banken und Versicherungen Sie bis 2016 akquirieren wollen?

Nein. Wir bieten eine High-Level-Beratung an, die sich auch über einen längeren Zeitraum erstreckt. Angesichts der Ansprüche unserer Mandanten versteht es sich von selbst, dass wir nur eine überschaubare Zahl von Aufträgen annehmen.

Wie ist es um die Altersvorsorge in Deutschland bestellt?

Besser als vermutet und kolportiert. Mittlerweile gibt es über 14 Millionen Riester-Verträge; dies entspricht fast 40 Prozent der potenziell Riester-Berechtigten. Hinzu kommen etwa 1,3 Millionen Rürup-Verträge – dies sind etwa zehn bis 15 Prozent des Potenzials. Dazu kommt eine beachtliche Zahl von Entgeltumwandlungsverträgen. So erfreulich diese Zahlen auch sind: Der Verbreitungsgrad dieser staatlich geförderten Vorsorgeformen ist noch nicht so hoch, wie er sein sollte. Und es wird oft übersehen, dass insbesondere die Riester-Rente im Wesentlichen nur die bereits beschlossenen Leistungsrücknahmen bei der gesetzlichen Rente ersetzt. Da die Politik nicht den Mut hat zu Obligatorien oder Opting-out-Lösungen, ist die derzeitige recht generöse Subventionierung notwendig, um den gewünschten hohen Verbreitungsgrad zu erreichen. Ich sehe zwar die fiskalischen Zwänge, halte aber dennoch den seit 2001 nominal festgeschriebenen Höchstbetrag von 2.100 Euro pro Jahr bei der Riester-Rente für problematisch. Zum einen aus Versorgungsgründen und zum anderen, da der Höchstbetrag bei der Entgeltumwandlung nach Maßgabe der Entwicklung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung dynamisiert ist.

Es gibt also noch Handlungsbedarf…

Wenn der Gesetzgeber in einem Gesetz, dem Altersvermögensgesetz, beide Vorsorgewege eröffnet und fördert, sollte er auch darauf achten, dass es hier einen Wettbewerb mit gleich langen Spießen gibt. Anpassungsbedarf sehe ich aber auch auf einem anderen Gebiet: Riester-Rente und Rürup-Rente werden oft in einem Atemzug genannt, wenngleich sie mit Ausnahme der Kapitaldeckung sehr wenig miteinander zu tun haben. Die Riester-Rente richtet sich im Kern an diejenigen, die die Leistungsrücknahmen bei der gesetzlichen Rentenversicherung kompensieren müssen. Die Rürup- oder Basisrente ist demgegenüber ein Vollversorgungssystem – und sie ist völlig unabhängig von den Erwerbsformen der Sparer. Wir haben dort aber ein Problem, und zwar die von der Altersarmut bedrohten Selbstständigen mit einem geringen Einkommen. Sie können nicht riestern, und wenn sie es könnten, würde der nur ersetzende Charakter dieses Systems als Folge der meist fehlenden gesetzlichen Rente zu keiner ausreichenden Absicherung im Alter führen. Und der Abschluss einer Rürup-Rente kommt für diese Gruppe auch nicht infrage, da sie nicht oder nur geringfügig mit der Einkommensteuer belastet werden. Deshalb profitieren sie nicht von der nachgelagerten Besteuerung.

Warum stehen deutsche Lebensversicherer unter Beschuss?

Seit 2005 ist die steuerliche Attraktivität von Kapitallebensversicherung deutlich gesunken, und das war aufgrund der Fokussierung auf Altersvorsorge als lebenslange Einkommensabsicherung richtig so. Hinzu kommt nun die Senkung des Garantiezinses durch die Bundesregierung auf 1,75 Prozent ab 2012. Dies war in meinen Augen ein Schnellschuss. Denn das Zinsniveau am Kapitalmarkt zieht seit einiger Zeit an und dürfte so schnell nicht wieder fallen. Ich kann mir diese Entscheidung nur damit erklären, dass die Versicherungen die Stresstests besser bestehen sollen.

Gibt es weitere Gründe für deren Probleme? Ist der Markt vielleicht gesättigt?

Zum einen ist das Vertrauen der Anleger auch in Versicherungen mit ihren naturgemäß langen Bindungsfristen aus diversen Gründen zurückgegangen. Zum anderen würde ich mir bei uns eine offenere Diskussion über Alternativen zur derzeitigen Form der Garantieverzinsung wünschen. Außerdem: Die Fokussierung auf die Garantieverzinsung blendet aus, dass es sich bei einer Versicherung eben nicht um ein Kapitalanlageprodukt handelt. Denn bei einer Versicherung übernimmt – anders als bei einem Kapitalmarktprodukt – der Versicherer sowohl die biometrischen Risiken des Sparers wie auch die Kapitalmarktrisiken. Zudem sagt die Garantieverzinsung nichts über die Überschussbeteiligung und die tatsächliche Ablaufleistung aus. An dieser Stelle hatte ich eine intensivere Aufklärungsarbeit durch den Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft erwartet.

Soll man eher die betriebliche Altersvorsorge fördern, weil sie effizienter ist?

Im Grundsatz sind Kollektivsysteme wie die bAV effizienter und kostengünstiger. Im Zuge des Altersvermögensgesetz von 2001 und dem Alterseinkünftegesetz von 2005 stand die Privatvorsorge allerdings im Zentrum. Dennoch erwarte ich, dass die bAV in den nächsten Jahren vor einem Push steht. Die absehbare demografische Entwicklung und der damit perspektivisch verbundene Fachkräftemangel werden dazu führen, dass die bAV wieder eine zunehmend wichtiger werdende Rolle im Rahmen der betrieblichen Personalpolitik spielen wird.

Ein Hindernis für die deutsche bAV ist sicherlich die Komplexität, oder?

Die Komplexität ist eine deutsche Besonderheit. Wir haben fünf Durchführungswege mit fast unzähligen Unterformen. Da könnte man sicherlich einiges straffen. Um nur ein Beispiel zu nennen: die Zusammen­legung von Direktversicherungen und Pensionskassen. Festhalten sollte man aber an dem engmaschigen Sicherungsnetz aus Pensionssicherungsverein, Versicherungsaufsicht, Protektor und Arbeitgeber als letzter Instanz.

Das Interview mit Rürup erschien in einer gekürzten Fassung in der April-Ausgabe von portfolio international

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