Jahreskonferenz
29. August 2023

Intention zur Extension

„Eine harte Landung“, prognostizierte Keynote Speaker Prof. Dr. Peter Bofinger. Die Experten im Aktien- und Anleihepanel haben offenbar gut zugehört, denn die Frage, wo und wie man sich in einer eher trüben Konjunktur positioniert, wurde ausführlich diskutiert. Die Conclusio lautete Ausdehnung – wobei die Fixed-Income-Experten eine solche in regionaler Hinsicht anpeilen und die Aktien-Spezialisten dabei eher an den zeitlichen Horizont denken.

Für Alex Kleinkauf von Insight Investment fasst der Begriff ­Polycrisis die jüngere Vergangenheit gut zusammen. Nach vorne blickend sieht er, wie andere Fixed-Income-Panelisten ebenfalls, auch die Zukunft skeptisch: „Wir sind in einem sehr fragilen ­Umfeld. In diesem wird die Volatilität hoch bleiben.“ Sich wappnen und aber auch Chancen nutzen will Insight über ein größeres Anlagespektrum: „Strategisch sehen wir ein globales Universum als interessant an, da dieses mehr Möglichkeiten in regionaler ­Hinsicht gibt, taktisch zu agieren. Im Euroraum gibt es im Kredit­segment etwa 3.000 Titel, das globale Universum hat aber etwa 18.000 Titel, was viel mehr Möglichkeiten ergibt, sich relativ zu ­positionieren.“ Zudem wies Kleinkauf auch auf die erhöhte Marktliquidität eines globalen Universums hin, was insbesondere in ­Krisen eine erhöhte Relevanz haben kann.

Ähnlich expansive Über­legungen, wenn auch nicht bezüglich Schwellenländer, hegt ­Gianni Hirschmüller von der Haftpflichtkasse: „Mehrere Jahre lang konnten wir aus regulatorischen Gründen und wegen der Nullzins­politik nur in einem immer enger werdenden Korsett agieren. Mit dem Zinsanstieg hat sich unsere Spielwiese plötzlich sehr ver­größert. Aus einem Spielplatz wurde ein Naturpark. Das nutzten wir, um die Bonität beziehungsweise die Qualität des Portfolios zu verbessern.“ Auch in der Rückblick-Ausblick-Betrachtung von Wolfgang Sussbauer, PGIM Fixed Income, konnte das Panel-Publikum einen deutlichen Perspektivwechsel und auch einen Schuss Optimismus ausmachen: „Bis 2021 hat es nicht immer Spaß ­gemacht, für einen Anleihe-Manager zu arbeiten. Ich gehe aber ­davon aus, dass die nächsten Jahre für Fixed Income, gerade im Vergleich zu anderen Asset-Klassen, wirklich sehr gut aussehen.“

Anleiheportfolios in die neue Zinslandschaft einbetten kann aktiv oder passiv erfolgen. Aktive Manager haben bei dieser Frage eine wenig überraschende Präferenz, können diese aber auch begründen: „Aktuell sehen wir im Markt eine große Streuung ­bezüglich Regionen, Sektoren sowie einzelne Emittenten und ­erwarten eine weiter hohe Unsicherheit und Volatilität. Dies sorgt für spannende Opportunitäten auf der Alpha-Seite“, so Tobias Ripka von Wellington Management auf der von Marco Stigler-Thomas von Bfinance moderierten Session. Vielversprechende Opportunitäten sieht man auch bei der Prudential-Tochter PGIM. „Derzeit sind wir in vielen Bereichen untergewichtet“, so Sussbauer, und erwähnte als ­Beispiel britische Konsumwerte. „Das attraktivste ­Segment im Fixed-­Income-Universum sind für uns aber aktuell Structured Credits.“

Aus Renditesicht entfaltet für viele Kunden jedoch derzeit ­schlichtes Investment-Grade-Beta viel Anziehungskraft – allerdings nicht für alle: „Es gibt eine Tendenz hin zur Vereinfachung und wir müssen ja nun auch nicht mehr in die ganz komplizierten Sachen gehen. Ich sehe das aber etwas kritisch“, machte Dr. Andreas Billmeyer von der LV 1871 eine für einen Risikomanager etwas überraschende Aussage. Diese begründete er mit den immer noch vorhandenen Risikoprämien in beispielsweise illiquiden Gefilden wie Infra­structure Debt. Auch könnte es für Billmeyer an der Zeit sein, die seit der Finanzkrise gegebenen skeptischen Einstellungen zu ABS-Strukturen zu hinterfragen. Zumal es auch die gestiegenen ­Solvenzquoten erlauben würden, offensiver zu investieren. „Eigent­lich könnte man sich mehr Risiko leisten, aber man tendiert dazu, weniger zu nehmen. Andererseits ist es natürlich auch keine gute Idee, nun prozyklisch mehr ins Risiko zu gehen, um dann möglich­erweise zum falschen Zeitpunkt wieder reduzieren zu müssen“, sagte Billmeyer. „Die Gesamtsituation ist nicht ganz eindeutig.“

Risiken nehmen kann man als Investor aber nicht nur über ­bestimmte Segmente abseits von Plain Vanilla Credits oder ­Covered Bonds, sondern auch über aktives Management. Tobias Ripka schlug auf dem Panel beispielsweise vor, klassisches Beta mit ­aktiven Komponenten zu verknüpfen: „Auch bei Buy and Maintain oder sonstigen Mandaten mit niedriger Umschlagshäufigkeit liegt ein echter Mehrwert in der Flexibilität, Zeitfenster mit besonders attraktiven Opportunitäten für Investitionen und Umschichtungen zu nutzen.“

Alex Kleinkauf verweist auf kurzfristige Marktdislokationen, die im ­Rahmen taktischer Entscheidungen genutzt werden können. „In dem aktuellen Umfeld, welches von einem hohen Grad an Unsich­erheit geprägt ist, Stichwort Polycrisis, ergeben sich mit einem ­globalen Universum viele Möglichkeiten für aktives ­Management, da Marktdislokationen zunehmen.“ Aktives Management hat aber eine Grundvoraussetzung, die in den ver­gangenen Jahren spärlicher wurde: Marktliquidität.

Wolfgang Sussbauer rät zur Nutzung von Derivaten: „Derivate sind das wirksamste und kosteneffizienteste Tool, Portfolios zu steuern. Gerade in Zeiten von Covid und Ukraine-Krieg war die Performance viel besser, wenn wir Credit Default Swaps statt den eigentlichen Bonds ­handeln konnten.“ ­Gianni Hirschmüller ist von Derivaten trotzdem nicht überzeugt. „Für uns als Sachversicherer mit kleinem Portfolio ist Einfachheit wichtig und wir müssen auf Liquidität ­achten. Darum haben wir unser Fixed-Income-Portfolio komplett im Direktbestand und ­haben alles selbst in der Hand. Asset ­Manager nutzen wir beispielsweise für Wandelanleihen, Private Equity oder Infrastruktur.“ Mit dem höheren Renditeniveau fällt es nun auch wieder leichter, so Hirschmüller, sich auf Fälligkeiten und Qualität zu fokussieren.

Aktienanleger suchen richtigen Aktienanteil

Mit guten Bonitäten und passenden Durationen können sich Bond-Investoren auf eine mögliche harte Landung vorbereiten. Eine ­größere Herausforderung stellt ein konjunkturell schwieriges ­Umfeld für Aktienanleger dar. Was helfen kann: Ein gutes ­Risikomanagement, auf Faktorprämien wie Quality oder Value zu setzen, über Themenfonds von großen Trends wie Klimaschutz profitieren – oder aus der fast 100jährigen Historie einer Stiftung ableiten, dass das Auf und Ab der Börse kein Risiko ist. „Unser ­Aktienansatz ist sehr langfristig und Volatilität aus unserer Sicht kein Risiko“, erklärte Stefan Seewald von der Oberfrankenstiftung. Mit einer solchen Risikodefinition sind auch schwierige Aktien­jahre wie 2022 gut verkraftbar.

Hinzu kommt, dass diese ruhige Hand für eine gute Ausgangsposition für das laufende Jahr sorgte, weshalb die Stiftung fast voll investiert in das Jahr 2023 starten und an der guten Performance der Aktienmärkte partizipieren konnte. Natürlich hätte es in 2023 aber auch in die andere Richtung gehen können. Darum ist ein antizyklisches Element Teil der ­Risikodenke. „Wir haben in unseren Anlagerichtlinien auch definiert, dass wir Krisen als Chance verstehen. Wenn die Märkte fallen und wir unter unsere Zielallokation von 60 Prozent rutschen, beginnen wir uns Gedanken über Zukäufe zu machen“, so Seewald.

Wichtig bei Risikomanagementsystemen ist, dass diese nicht nur auf bestimmte Marktphasen eingestellt sind, sondern auch auf die jeweiligen Geschmäcker der Gremien. In der Regel wünschen ­diese eine Risikobegrenzung. Der EJS-Stiftungsfonds der Johannesstift Diakonie hat ein Primär-Risikobudget von zehn Prozent plus ein Minimum-Varianz-Budget von fünf Prozent. „Das primäre Budget war in einem Jahr wie 2022 natürlich relativ schnell in ­großen Teilen verbraucht“, berichtete Jens Güldner. „Geholfen hat uns, dass wir aufgrund gemachter Erfahrungen unseren Risiko­korridor erweitert haben. Zuvor hatten wir Budgets von 7,5 und 2,5 Prozent. Mit den größeren Budgets hatten wir im vergangenen Jahr mehr Spielraum, um Risiken zu begrenzen und gegenzusteuern. Trotzdem war unsere Performance im vergangenen Jahr negativ, wir konnten aber allzu große Dellen vermeiden.“

Zum Hintergrund dieses zweistufigen Systems erklärte Jens Güldner: „Mehr als zehn Prozent zu verlieren, können wir uns als gemeinnützige Organisation nicht leisten. Wir möchten aber auch an ­Erholungsphasen partizipieren können. In Absprache mit dem Portfoliomanager können wir dann die zusätzliche Minimum-­Varianz-Reserve freigeben.“

Herausfordernd war 2022 natürlich auch für Asset Manager. „Seit Gründung von Comgest in 1985 hatten wir noch nie eine so ­scharfe und schnelle Bewertungskorrektur gesehen wie im vergangenen Jahr“, blickt Portfoliomanager Wolfgang Fickus zurück – und aber auch voraus: „Das war ein reinigendes Gewitter und insofern bin ich für die Asset-Klasse, die ja auch ein Inflationsgewinner ist, nicht besonders negativ gestimmt. Wichtig ist, dass wir eine ­Menge Aktien ausfindig machen können, die sehr, sehr attraktiv sind.“

Den Anspruch, attraktive Aktien, und zwar insbesondere Dividendentitel, ausfindig zu machen, hat auch Thomas Meier. ­Allerdings hegt der Mainfirst-Manager mehr Skepsis. „Das ökonomische ­Umfeld trübt sich ein. Aber gerade darum wird Stockpicking in den nächsten Jahren noch deutlich wichtiger.“ Ob aber Dividendentitel als Zykliker in einem konjunkturell schwierigen Umfeld grundsätzlich Potential haben? Mainfirst und Meier setzen auf eine ­Barbell-Strategie, die einerseits defensive Kerninvestments enthält, andererseits klein- und mittelgroßkapitalisierte Unternehmen. „Die Bewertungsdifferenz zwischen diesen beiden Segmenten ist enorm. Wenn die kleineren Unternehmen weiter Wachstum ­zeigen und ihre Marktposition halten können, bieten sich hier sehr gute Chancen“, ist Meier überzeugt.

Apropos Bewertungsdifferenz: Zwischen Value- und Growth-Titeln besteht weniger eine Differenz als vielmehr eine Diskrepanz. So ist Volkswagen mit einem 3er-KGV unterwegs und LVMH mit einem hochpreisigen 25er-KGV. Welche Aktie hat wohl die größere Fallhöhe? Für Quality-Growth-Manager Fickus ist ­jedoch ein Vergleich dieser beiden Unternehmen fast schon ­unzulässig. „LVMH-Aktien mögen sehr gut gelaufen sein. Das ­Unternehmen ist aber extrem gut aufgestellt, hat wirtschaft­liche Burggräben und kann die Preise anheben. Oder glauben Sie, dass eines der LVMH-Produkte künftig billiger sein wird?“

Viel Momentum haben Themenfonds. Auch deren Vertreter, Ken Van Weyenberg von Candriam, ist für die Zukunft – zumindest langfristig – nicht bang. Der Manager von Themenfonds verwies auf die langfristigen Alpha-Potenziale, die man über Investments in den Secular Change und Disruptions beziehungsweise über hierfür passende Aktien heben kann, und sagte: „Innovative ­Unternehmen machen in den kommenden Jahren den Unterschied.“ Allerdings sei Timing wichtig.

Beispielsweise hätte man vor zwei bis drei Jahren mit dem Thema Climate Action voll in ­eine grüne Blase hineininvestiert. „Ist man aber einmal investiert, kann man die entsprechenden Aktien laufen lassen und ­Korrekturphasen für Nachkäufe nutzen.“ Ein langfristiger Treiber für Themenfonds ist für Van Weyenberg Nachhaltigkeit: „ESG und thematisches ­Investieren gehen Hand in Hand. Wir glauben, dass ESG Teil des künftigen Alpha ist, welches Themenfonds generieren.“

Klima, Zivilisationskrankheiten oder die Transformation sprechen für das langfristige Renditepotenzial von Themenfonds. Was ­jedoch nicht immer Hand in Hand geht, sind Themenfonds und die Allokationssystematik von Institutionellen. Diese sortieren ihre Aktien in der Regel nach Regionen, Unternehmensgrößen oder Faktor­prämien. Zudem neigen einzelne Themen zu dem einen oder anderen Bias. „Will ein Investor in Onkologie investieren, ­sollte er das über einen spezialisierten Themenfonds und nicht über einen breiten Healthcare-Fonds machen. Je nach Thema können aber bestimmte Unternehmensgrößen oder Sektoren sehr ausgeprägt sein. Darum macht es Sinn, in verschiedene Themenfonds zu investieren, um so Risiken zu diversifizieren und lang­fristig viel Alpha zu erwirtschaften“, betonte Van Weyenberg die ­Bedeutung der richtigen Umsetzung.

Ebenfalls ein Thema für Themenfonds ist AI, also künstliche Intelligenz. Auch hier empfehlen die Experten Stockpicking. „Seien Sie bei Unternehmen vorsichtig, die über viel KI in der Kommunikation ihre Bewertung aufgeblasen haben, aber keinen echten Einblick in deren KI-Umsätze liefern“, warnte Van Weyenberg. „Nichtsdestotrotz nimmt das Thema an sich eine gewaltige Rolle ein und ist nicht wegzudenken.“ Auch die Old Economy sollte man bezüglich KI nicht unterschätzen, mahnte Mainfirsts Thomas Meier. „KI hilft Herstellern, ­Produktionsabläufe zu simulieren und so effizienter wirtschaften zu können. Es gibt ­einige Value-Titel aus der zweiten oder dritten Reihe, die in den nächsten Jahren stark von KI-Anwendungen profitieren können.“

Aktien bieten Wachstum, Inflationsschutz, Ausschüttungen, Liquidität, Mitspracherechte und auf Dauer gute Renditen. Kaum eine andere Asset-Klasse hat so viele Stellschrauben. Die wichtigste liegt aber allein in der Hand der Investoren: die Aktienquote. Die beiden Investoren auf dem Panel halten bereits ­vergleichsweise große Anteile, können sich aber auch noch weitere Erhöhungen vorstellen. „Wir wollen risikobehaftete Assets – und das sind bei uns Aktien – in der Zukunft noch leicht erhöhen“, ­erklärte Jens Güldner.

Der Stiftungsfonds fährt aktuell eine strategische Aktienquote von 35 Prozent. Dafür müsse man aber die Gremien „mitnehmen“. ­Güldner: „Eine höhere Performance hätte gerne jeder. Aber gerade in einer gemeinnützigen Organisation ist nicht jeder bereit, ­erhöhte ­Risiken zu tragen.“ Relevanter als die Quote ist für Güldner aber das Risikomanagement. Intern versucht er, auch ­wegen des ­inflationsbedingten höheren Renditeziels, ein primäres Risiko­budget von 12,5 Prozent und für die Minimum Varianz 7,5 Prozent zu vermitteln. Das ­würde auch eine offensivere Allokation ermög­lichen. „Mit aktivem Management und einem Top-Risikomanagement wäre ein 50:50-Ansatz eine gute Anlagestrategie.“

Die ­Oberfrankenstiftung hat bereits 60 Prozent in Aktien. Stefan ­Seewald könnte sich aber auch 70 Prozent vorstellen. Für ­einen ­solchen Schritt sieht er aber die gleiche Challenge wie ­Güldner: „Die Schwierigkeit liegt darin, eine Erhöhung der Aktienquote den Gremien so zu vermitteln, dass diese auch noch bei einem unerwarteten negativen Ereignis wie Covid in 2020 hinter einer höheren Aktienquote stehen.“

Mit der Stiftungs­historie und auch den vergangenen Krisen hat Seewald auf jeden Fall gute Argumente pro Aktien. Bei der Stiftungsgründung 1927 betrug die Aktienquote ­sogar 100 Prozent. Ob diese Quote für geschichtsbewusste ­Gremien vielleicht zum 100-Jahr-­Jubiläum opportun ist? Ein Vorteil wäre, dass man über ­Erhöhungen dann nicht mehr diskutieren müsste.

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