Integrated Reporting – wächst nun endlich zusammen, was zusammengehört?
Unternehmen stecken viel Energie in die Erstellung integrierter Finanz- und Nachhaltigkeitsberichte. Wie Experimente der DVFA zeigen, honorieren Investoren gute ESG-Arbeit von Unternehmen, wenn diese integriert im Finanzbericht reportet wird. Integrated Reportings sollten jedoch nicht nur für Aktien, sondern auch andere Anlageklassen erfolgen.
Es gibt kaum ein Thema, dass das Spielfeld der Unternehmensberichterstattung derzeit so bewegt wie Integrated Reporting. Seit etlichen Jahren stellen sich Investoren und zunehmend auch Unternehmen die Frage, wie sich die noch weitgehend getrennten Berichtsregime Finanzberichterstattung und Nachhaltigkeitsberichterstattung sinnvoll miteinander verbinden lassen. Für Investoren wurde in den vergangenen Jahren die Einbeziehung von ESG-Aspekten (Environmental, Social und Governance) in Anlageentscheidungen zunehmend wichtiger. Zwar fehlen vielfach bei Investoren noch Wissen und Erfahrung, wie sich Nachhaltigkeit auf Investments oder Underlyings auswirken kann. Auch ist die Ablehnung von ESG durch Investoren häufig eine Reaktion darauf, dass eine Vielzahl von Initiativen und Organisationen Investment Professionals mit ihren normativen Vorstellungen darüber, welches die gesellschaftliche Aufgabe von Investoren ist, konfrontiert statt zu überzeugen versucht. Dabei ist den meisten Investoren jedoch ein intuitives und solides Verständnis von guter Corporate Governance – dem Einfallstor für ESG – zu eigen.
Die derzeitige Berichtspraxis von Unternehmen steht zumeist einer effektiven ESG-Nutzung durch Investoren im Wege. Zwar stellt die Anforderung, Nachhaltigkeitsberichte zu veröffentlichen, Unternehmen vor einen nicht unwesentlichen Aufwand, da Datensammlung und -messung zunächst Investitionen in Ressourcen, Systeme und Abläufe erfordern. Wenn sich nicht erschließt, ob sich für Nachhaltigkeitsberichte, abgesehen von Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs), überhaupt Abnehmer identifizieren lassen, liegt es nahe, den Aufwand von Unternehmensseite grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen. Intuitiv scheint die Integration von Finanz- mit Nachhaltigkeitsberichten sinnvoll. Allerdings ist damit noch lange nicht geklärt, wie die verschiedenen Datenbestände unter Aspekten der Materialität und Relevanz integriert werden können. Eine naive Forderung könnte zum Beispiel sein, Finanz- und Nachhaltigkeitsberichte schlichtweg in einem Bericht zu veröffentlichen. Dagegen spricht, dass heute bereits Geschäftsberichte viel zu umfangreich sind und sich wenig an Investorenbedürfnissen orientieren und deshalb einer gründlichen Lektüre entziehen. Finanz- und Nachhaltigkeitsberichte „zusammen zuheften“, verbietet sich von allein. Damit stellt sich die Frage, in welchen Formaten und Darstellungsformen integrierte Berichte überhaupt vorstellbar sind, um der bereits heute vielfach bemängelten Informationsflut in Unternehmensberichten Herr zu werden? Integrierte Berichte sollten grundsätzlich weniger, dafür aber relevante Informationen enthalten, in der für Investitionsentscheidungen notwendigen Kürze, Knappheit, Granularität und Zugänglichkeit. Mithin: Kann ein integrierter Bericht überhaupt noch in Papierform vorgestellt werden, oder ist es nicht an der Zeit, ein intelligentes Zusammenspiel von Papierformaten und digitalen Medien zu konzipieren?
Im Kern treten bei der Auseinandersetzung mit dem Integrated Reporting noch ganz andere essenzielle Aspekte zutage: Welchen Aufschluss geben unter „Nachhaltigkeit“ subsumierte und berichtete Aspekte für ein Verständnis des Risiko-Chancen-Profils eines Investments? Vielen Themen, die heute von Unternehmen in CSR- oder Nachhaltigkeitsberichten Erwähnung finden, fehlt es an Relevanz für Investoren. Aber selbst wenn Themen wie Umweltmanagement, Umgang mit Menschenrechten, Risiken der Lieferkette oder die Prävention von Korruption oder Bestechung für Investment Professionals wichtig sind, erschließen sich direkte Zusammenhänge häufig nicht aus den veröffentlichten Daten. Ein Beispiel mag das illustrieren: Wenn ein Maschinenbauunternehmen sich dem Ziel der Steigerung von Energieeffizienz widmet und darüber hinaus den Rohstoffverbrauch reduzieren will, werden Investoren erwarten, dass sich dies an a) konkreten Zielen festmachen lässt, die b) entsprechend quantifiziert sind, und c) finanziell bemerkbar macht. Findet sich aber in den Sachinvestitionen (CapEx) keinerlei Hinweis auf Investionen, die dem Ziel der Energie- und Rohstoffeffizienz dienen, dann hinterlässt dies beim Investor eine kognitive Dissonanz. Ziele und Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele scheinen nicht zueinander zu passen.
Seit 2010 arbeitet das International Integrated Reporting Committee (IIRC) an einem Rahmenwerk für integrierte Unternehmensberichte. Als gemeinnützige Organisation mit Sitz in London wird das IIRC praktisch von allen wichtigen Stakeholder-Gruppen der Unternehmensberichterstattung getragen. Die Liste der Unterzeichner und Unterstützer liest sich wie das Who is who des Corporate Reportings: Neben den großen Accounting-Standardsettern IASB, FASB, IFAC und FEE sind Investorenverbände, wie ICGN, UN PRI oder EFFAS, vertreten sowie globale Konzerne. Im September veröffentlichte das IIRC ein erstes Diskussionspapier und begann innerhalb eines Pilotprojektes, Unternehmen bei der Arbeit an integrierten Berichten zu unterstützen. Seit März existiert dazu ein Investorennetzwerk, das die Anforderungen von Kapitalmarktteilnehmern gegenüber dem Integrated Reporting definieren wird (mehr unterwww.theiirc.org).
_Experimente zu ESG und integriertem Reporting
Bereits im vergangenen Jahr hat die DVFA damit begonnen, verhaltensökononomische Experimente zu ESG und integrierter Berichterstattung durchzuführen. Motivation der Experimente war eine zunehmende Skepsis gegenüber der häufig aus dem Kreise von NGOs und internationalen Initiativen verlautenten Theorie, dass mehr Druck ausgeübt werden müsse, damit Fondsmanager und Finanzanalysten ESG-Aspekte in ihre Bewertungen oder Anlageentscheidungen einbeziehen. Insbesondere sind in den vergangenen Jahren mehr und mehr Stimmen laut geworden, die eine gesetzlich verordnete ESG-Einbeziehung fordern. Dies erschien der DVFA nicht schlüssig, da bislang noch nicht ausreichend untersucht wurde, unter welchen Umständen Investoren ESG-Daten überhaupt nutzen können.
Anders als bei klassischen Erhebungsverfahren, wie zum Beispiel Umfragen, hat die DVFA Teilnehmer aus dem Umfeld konventioneller Investments (Mainstream-Investoren) dazu eingeladen, sich an einem Experiment zu beteiligen. In diesem ging es darum, ein Unternehmen auf Basis von Finanz- und Nachhaltigkeitsberichten zu bewerten. Dazu wurden zwei verschiedene Fälle konstruiert; zum einen ein Unternehmen mit guter finanzieller, aber schlechter ESG-Performance, zum anderen ein Unternehmen mit schlechter finanziellen, aber guter ESG-Performance. Die Teilnehmer wurden in vier Gruppen aufgeteilt, von denen je zwei sich mit den „guten“ und je zwei sich mit dem „schlechten“ Testcase beschäftigten. Zusätzlich wurde je einer dieser beiden Gruppen Finanz- und Nachhaltigkeitsberichte separat zur Verfügung gestellt, der anderen Gruppe integriert, das heißt in einem Zug. Die Ergebnisse zeigen sehr deutlich, dass Investoren ESG-Daten nutzen, wenn sie in einem den Finanzberichten adäquaten Format verfügbar gemacht werden. Das heißt tabellarisch, quantifiziert, monetisiert, mit Ratios versehen. Darüber hinaus zeigt sich, dass Investoren bei der Nutzung von integrierten Berichten, besonders dann, wenn das Unternehmen eine schlechte finanzielle Performance zeigt, zu einer anderen – besseren – Beurteilung des Unternehmens kommen als die Gruppe, die separate Berichte nutzt. Investoren honorieren also gute ESG-Arbeit, wenn sie integriert mit der Finanzberichterstattung verfügbar gemacht wird und sich an der Darstellung und den Präsentationsformaten von Finanzberichten orientiert.
Die Befunde der DVFA-Experimente zeigen die Vorteile von Integrated Reporting. Allerdings müssen für eine nachhaltige Wirkung von integrierten Berichten noch zwei wesentliche Aspekte berücksichtigt werden: Zum Ersten müssen integrierte Berichte auch in anderen Asset-Klassen greifen; zum Zweiten muss sich das Handwerkszeug von Investoren noch weiterentwickeln. Hat sich Integrated Reporting bislang am Untersuchungsgegenstand Aktie orientiert, müssen integrierte Berichtselemente auch für andere Asset-Klassen, in denen Unternehmen Underlyings darstellen, verfügbar sein, zum Beispiel für Unternehmensanleihen, aber auch passive Investments. Im deutschen Kapitalmarkt sind nur circa 750 Unternehmen börsennotiert, von denen je nach Marktlage circa 450 bis 500 bei einer Marktkapitalisierung von 100 Millionen Euro oder weniger rangieren. Das spiegelt sich in der vergleichsweise geringen Aktienquote institutioneller Portfeuilles. Um in Deutschland Visibilität bei institutionellen Anlegern zu erzielen, muss sich die IIRC zunehmend Bondemittenten zuwenden. Dass dies ein langfristiges und zähes Unterfangen ist, zeigen die Bemühungen der DVFA, Bondemittenten Mindeststandards für die Bondkommunikation „anzuerziehen“. Darüber hinaus setzt Integrated Reporting Investoren unter Zugzwang, sich kritisch mit Bewertungsmodellen auseinanderzusetzen. Es stellt sich die Frage, ob der „Werkzeugkoffer“ der Investmentanalyse (DCF, WACC, EVA) überhaupt dazu geeignet ist, die teilweise hoch komplexen ESG-Aspekte adäquat abzubilden. Forschungsarbeiten der vergangenen Jahre zeigen eindrücklich, dass ESG-Aspekte häufig nur sehr geringe Auswirkungen in klassischen Bewertungsmodellen zeigen. Dies wird von ESG-Skeptikern gern als Beweis dafür gesehen, dass ESG-Aspekte in aller Regel kaum relevant für die Unternehmensbewertung sind. Eine reflektierte Haltung kennt aber schon in der konventionellen Investmentanalyse die Grenzen des Bewertungsinstrumentariums – Stichwort Parametrisierung – und wird zugestehen, dass die Komplexität von ESG zwangsläufig dazu führen wird, dass sich Bewertungsmodelle verändern müssen.
Im Prinzip erfordert Integrated Reporting, dass bei Investoren „Integrated Analysis“ Einzug hält. Es ist wünschenswert, dass die Investmentbranche hier möglichst schnell tätig wird, da Unternehmen bereits heute viel Energie in Integrated Reporting stecken und sich abzeichnet, dass binnen der kommenden Jahre erste „echte“ integrierte Berichte verfügbar sein werden.
portfolio instititutionell, 16.04.2012
Autoren: Ralf Frank In Verbindung stehende Artikel:
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