Strategien
22. März 2016

Im OTC-Derivatehandel bleibt kein Stein auf dem anderen

Die Regulierung von außerbörslich gehandelten Derivaten hat sich in Europa in jüngster Zeit von Grund auf verändert. Und das liegt an der EU-Verordnung „Emir“. Viele Fragen sind allerdings noch offen.

Genießen Sie im Tagesgeschäft ein schönes Eckbüro mit großen Fenstern und herrlichem Ausblick? Dann sind Sie zu beneiden. Aber Ihre Kollegen mit den kleinen Fenstern und den großen, kahlen Wänden­ haben einen Vorteil: Sie können sich das Büro mit allerlei Postern und Schaubildern dekorieren. Von der Prüfungs- und Beratungs­gesellschaft PWC beispielsweise konnte man ein Plakat ­beziehen, das sich nichts Geringeres zum Ziel gesetzt hat, als „­Solvency II integriert“ zu betrachten. Auf einer Posterfläche im ­Format A0 – das entspricht einem Quadratmeter – erfährt man unter anderem recht übersichtlich, welche Prämissen für die Berechnung des Solvenz­kapitals gelten.­

Ebenfalls übersichtlich ist ein Poster im selben Format, aber zu ­einem völlig anderen Thema. Anbieter hier ist das Beratungshaus ­Bearingpoint. Wer schon immer wissen wollte, was es mit der EU-Verordnung „Emir“ auf sich hat, der wird beim Schaubild „Herausforderungen und strategische Entwicklungsperspektiven im Rahmen der neuen OTC-Derivate-Regulierung“ fündig. Die gigantische Übersicht mit der knallroten Überschrift ziert jedes noch so triste Büro, wie die Redaktion von portfolio institutionell aus erster Hand zu berichten weiß.

Darum geht es: Mit der EU-Verordnung Emir wurde für standardisierte OTC-Derivate eine Clearing-Pflicht eingeführt. Betroffen von der Regulierung sind in allererster Linie ­finanzielle Gegenparteien wie Banken und Versicherungen, die in der Europäischen Union beaufsichtigt werden. Nichtfinanzielle Gegenparteien wiederum werden ebenfalls von der Clearing-Pflicht erfasst, wenn sie in einem größeren Umfang Derivate einsetzen, die nicht zur Absicherung der wirtschaftlichen Risiken ihrer Geschäftstätigkeit dienen. Analog dazu erläutert Bearingpoint den Geltungsbereich so: Kontrakte, die von nichtfinanziellen Gegenparteien eingegangen werden und unterhalb der für die jeweilige Asset-Klasse definierten Schwellenwerte liegen, sind von der Clearing-Pflicht ausgenommen. Doch was heißt das nun im Einzelnen? Um Emir zu verstehen, muss man das eigene Unternehmen auf den Prüfstand stellen.

Als finanzielle Gegenparteien gelten zunächst einmal neben Wertpapierfirmen und Kreditinstituten gemäß der Bankenrichtlinie auch Versicherungsunternehmen gemäß der Ersten Richtlinie Schadenversicherung und der Richtlinie über Lebensversicherungen sowie Rückversicherungsunternehmen. Aber auch Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (Ogaw) und gegebenenfalls deren zugelassenen Verwaltungsgesellschaften sowie Einrichtungen der betrieb­lichen Altersversorgung und Alternative Investmentfonds fallen in die Kategorie der finanziellen Gegenparteien. Alle anderen Unternehmen mit Sitz in der EU sind für die Zwecke dieser Verordnung als nichtfinanzielle Gegenparteien zu klassifizieren. Und daraus leiten sich unterschiedliche Erfordernisse ab. Die Vorschriften unter Emir legen nach Angaben von DB Research fest, dass standardisierte beziehungsweise – nach EU-Sprachgebrauch – „qualifizierte“ Derivate­kontrakte der Pflicht zur zentralen Abwicklung („Clearing“) über die sogenannten zentralen Gegenparteien (Central Counterparties, CCP) unterliegen. Wenn ein Derivatekontrakt nicht standardisiert ist, ist er von der Clearing-Pflicht ausgenommen; aber ein Derivatekontrakt, der über eine zentrale Gegenpartei abgewickelt wird, geht mit einem höheren Maß an Sicherheit einher (Stichwort „Kontrahentenrisiko“).

Um die Clearing-Pflicht in der Praxis auch umsetzen zu können, wurden im Jahr 2014 die ersten zentralen Gegenparteien zugelassen. Dabei handelt es sich um Unternehmen, die sich bei Kaufverträgen innerhalb eines oder mehrerer Finanzmärkte zwischen Käufer und Verkäufer schalten, um als Vertragspartner für beide zu dienen. Die CCP ­bildet nach Angaben von Bearingpoint die Grundlage dafür, dass Clearing- und Settlement-Prozesse konsolidiert und standardisiert werden und damit ­Ziele von Emir erreicht werden. Die EU-Verordnung soll laut der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young verhindern, dass der Ausfall eines großen Marktteilnehmers zu einem ­gefährlichen Dominoeffekt an den ­Finanzmärkten führt. Die zentralen Gegenparteien haben für solche Fälle Prozesse definiert, wie mit den Portfolien dieser Häuser umzugehen ist. Mit von der Partie als zentrale­ Gegenpartei ist beispielsweise das Clearing-Haus LCH Clearnet. Das traditions­reiche britische Unternehmen wurde als zentrale Gegen­partei unter Emir anerkannt und deckt im ­Bereich der zentralen Gegenparteien bei OTC-Derivategeschäften in Europa etwa 99 Prozent des Marktes ab.

Was aber hat es mit der neuen OTC-Derivateregulierung auf sich? Eine kurze Antwort darauf gibt es nicht; allerdings zeigen Statistiken, dass dieser Bereich des Derivatehandels enorme Ausmaße besitzt, die das Vorstellungsvermögen sprengen. Und das ist ein Teil des Problems. Die Bank für internationalen Zahlungsausgleich beziffert das weltweit ausstehende Nominal-Volumen der Derivatemärkte im Jahr 2012 nach heutigem Wechselkurs auf rund 620 Billionen Euro. Die am häufigsten gehandelten Derivate waren damals mit einem Anteil von rund 77 Prozent des Gesamtvolumens Zinsderivate, gefolgt von Währungsderivaten mit einem Marktanteil von rund zehn Prozent. Und obwohl spezialisierte Terminbörsen wie die Eurex und ihre Wettbewerber etabliert sind, überstieg das Volumen der außerbörslich ­gehandelten Derivate im selben Jahr mit rund 570 Milliarden Euro das Volumen der börsengehandelten Kontrakte um ein Vielfaches.

Nicht nur Banken setzen auf Derivate
Dabei spiegelt die Dominanz der „Over the Counter“ (OTC) ­gehandelten Kontrakte laut einer Untersuchung des Forschungsarms der Deutschen Bank (DB Research) aus dem Jahr 2013 „die historischen Ursprünge der Derivatemärkte wider – vor allem aber die ­Tat­sache, dass Nutzer die Flexibilität maßgeschneiderter Kontakte schätzen“. Und maßgeschneiderte Kontrakte, die auf die Belange der Vertragspartner zugeschnitten und dadurch bisweilen auch recht komplex sind, gibt es nun mal bevorzugt im OTC-Geschäft. Zum Verständnis: Der Handel von OTC-Derivaten kann rein theoretisch ­überall stattfinden. Erst nach Abschluss des derivativen Geschäfts wird sicherheitshalber eine zentrale Gegenpartei eingeschaltet – oder eben nicht. Laut der Bank für internationalen Zahlungsausgleich sind nicht­finanzielle Unternehmen und deren Treasurer mit rund 20 Prozent am Handel mit Devisen-, Aktien- und Rohstoffderivaten und mit rund sechs Prozent am Handel mit Zinsderivaten beteiligt. Im Allgemeinen nutzen sie Derivate zur Absicherung von Risiken aus ihren Geschäftsaktivitäten mit dem Ziel, die Wahrscheinlichkeit finanzieller Risiken zu verringern und Ertragsschwankungen zu begrenzen. Das Hedging mit Derivaten wird sich für diese Gruppe nach Einschätzung von DB Research nun voraussichtlich verteuern. Grund dafür sind die mit Emir einhergehenden Anforderungen an die Besicherung zentral abgewickelter Kontrakte. Diese ­seien in der Vergangenheit kaum oder gar nicht besichert worden. Nachdem die EU-Verordnung über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktions­register im August 2012 in Kraft getreten ist, haben sich die Anforderungen an die ­Parteien von ­Derivatetransaktionen inzwischen weitgehend herauskristallisiert.

Die Fragen, die sich für nichtfinanzielle Gegenparteien ergeben können, sind vielfältig. Sie müssen mit Blick auf eine etwaige Clearing-Pflicht in der Lage sein, jederzeit die sogenannte Clearing-Schwelle zu ermitteln und nachzuprüfen, ob sie bei ihren OTC-­Geschäften unter die Clearing-Pflicht fallen. Ein Branchenkenner weist darauf hin, dass Corporates alle Hebel in Bewegung setzen, um nicht unter die Clearing-Pflicht zu fallen. Was nun aber passieren kann, ist, dass ­Corporates bei bilateralen OTC-Derivategeschäften mit Banken gegebenenfalls einer Situation ausgesetzt sind, bei der der Preis für nichtgecleartes Geschäft künftig deutlich schlechter ausfällt als der für gecleartes. Das könne ein Anreiz sein, ins Clearing zu ­gehen. Es ist aber noch unklar, wie sich das entwickelt. Banken haben jedenfalls ein ­Interesse daran, OTC-Trades zu clearen. Denn damit schonen sie ihr Eigenkapital. Basel III beinhaltet eine Anrechnungsprivilegierung beim Clearing über einen CCP mit einem Risiko­gewicht von null bis zwei Prozent. Die Kapitalanforderungen für ­bilaterale Clearing-Vereinbarungen werden hingegen erhöht.

Bloß nichts riskieren
Wenn es darum geht, OTC-Derivate-Transaktionen unter Einschaltung eines CCP zu besichern, bieten sich Vergleiche mit dem ­Futures-Handel an, wie er beispielsweise über die Terminbörse Eurex abgewickelt wird. Die jeden Tag aufs Neue berechnete Variation ­Margin wird praktischerweise als Cash verbucht. Die Initial Margin wiederum kann zwar auch in Cash beigesteuert werden, aber meistens wird sie in Form von Wertpapieren hinterlegt. Über die Details können sich die CCP und die angeschlossenen Banken mit ihren ­Unternehmenskunden frei einigen. Die Regel sind Bundesanleihen oder bonitätsstarke Unternehmensanleihen. In Emir stehen ­dies­bezüglich Mindestanforderungen. Das heißt, eine CCP kann ­fest­legen, ausschließlich Bundesanleihen zu akzeptieren.

Um es klar zu sagen: Clearing-Häuser stehen im Wettbewerb zueinander. Wenn es darum geht, einen solchen Mittelsmann mit ins Boot zu holen, muss zunächst hinterfragt werden, welche Produkte ein Clearing-Haus überhaupt abwickeln kann. Das kann sich von Haus zu Haus unterscheiden. Daneben unterscheidet sich auch die Liquidität der einzelnen Clearing-Häuser. Mehr Liquidität spiegelt sich in besseren Preisen und einem besseren Zugang zum Markt wider.­ Das ist für alle am Derivate-Clearing Beteiligten höchst relevant. Wie bereits erwähnt, ist bei Geschäften zur Minderung von Risiken­ aus der Geschäftstätigkeit oder dem Liquiditäts- und Finanzmanagement ein Clearing nicht erforderlich. Gleichwohl müssen alle Unternehmen, die Derivate nutzen, nun eine Meldepflicht beachten: Sie müssen seit dem 12. Februar 2014 alle Geschäfte – unabhängig ­davon, ob börslich oder außerbörslich gehandelt – spätestens am nächsten Werktag an ein sogenanntes Transaktionsregister melden. Dadurch sind Derivaterisiken nun für Marktteilnehmer und Aufseher besser einsehbar und damit nach Einschätzung von Experten besser steuerbar im Hinblick auf die Krisenvermeidung.

Der organisatorische sowie der finanzielle Aufwand sind dabei aber nicht zu unterschätzen: Bei der Mitteilung an ein Transaktionsregister sind rund 85 Meldefelder auszufüllen. Diese Dienstleistung wird von den Banken für Firmenkunden typischerweise als kostenpflichtiger Service übernommen. Dadurch nehmen aber schon allein aufgrund der Meldepflicht die Kosten für Derivatetransaktionen zu. Die ersten Transaktionsregister sind am 7. November 2013 durch eine Entscheidung der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichts­behörde Esma anerkannt worden. Sie wurden fünf Arbeitstage später wirksam. Die Meldepflicht wiederum begann für alle Derivatekategorien 90 Tage nach dem Wirksamwerden der Registrierung der Transaktionsregister, also am 12. Februar 2014. Die Esma hat zudem im ­ersten Quartal 2014 damit begonnen, diverse Asset-Klassen zu analysieren, um deren Clearing-Pflicht auszuloten. Diese betrifft in einem ersten Schritt vor allem Zins- und Kreditderivate. Weitere ­Asset-Klassen werden vermutlich folgen. Die Clearing-Pflicht wird demnach phasenweise eingeführt. Laut ­Bafin besteht derzeit nur eine Clearing-Pflicht für bestimmte Zins­derivate. Die dafür relevante delegierte Verordnung (EU) 2205/2015 in Bezug auf Zinsderivate trat zum 1. Dezember vergangenen Jahres in Kraft. Für nichtfinanzielle Gegenparteien, deren Nettovolumen an OTC-Derivaten in einer Asset-Klasse über der Clearing-Schwelle liegt, beginnt die Clearing-Pflicht 36 Monate nach Inkraft­treten dieser Verordnung, also 2018.

Darüber hinaus wird es Anforderungen für alle Derivategeschäfte geben, die nicht über ein CCP abgewickelt werden. Für diese soll es insbesondere neue Anforderungen zur Besicherung geben. Aber das ist noch stark im Fluss, wie am Markt zu hören ist. Das dafür notwendige Rahmenwerk des Baseler Ausschusses zusammen mit den Wertpapieraufsichtsbehörden sei zwar fertig, aber in der EU noch nicht umgesetzt. Hier sind die Aufsichtsbehörden jetzt am Zug, die Texte zu schreiben. Es sei allerdings schwer, heißt es, einen Zeitplan abzuschätzen. Man sei schon hinter der Frist, die man sich 2009 gesetzt hat. In der EU-Verordnung Emir gibt es darüber hinaus eine zeitlich begrenzte Ausnahmeregelung für Pensionseinrichtungen. Sie galt ­zunächst für drei Jahre und ist 2015 ausgelaufen. Die Ausnahme darf nun aber um weitere zwei Jahre und dann noch mal um ein Jahr ­verlängert werden. Das heißt, früher oder später werden sich auch Einrichtungen der ­betrieblichen Altersvorsorge mit Emir beschäftigen müssen, vorausgesetzt, sie greifen im Portfoliomanagement auf OTC-Derivate zurück. Weil der Derivatehandel im Zuge der Regulierung immer mehr über Clearing-Häuser ausgeführt wird, wächst die ­Bedeutung und auch das Risiko eben dieser Finanzintermediäre.

Die neuen rechtlichen Rahmenbedingungen lösten eine Diskus­sion aus, ob die Einbeziehung von Clearing-Häusern in die ­Abwicklung von OTC-Derivategeschäften weniger zur beabsichtigten Minimierung beziehungsweise Beherrschung der aus derivativen Geschäften resultierenden Risiken führt, als vielmehr zur Begründung von ­neuen, von den Clearing-Häusern selbst ausgehenden systemischen Risiken. Für diese These spricht, dass die Vorgaben von Emir und seines ­US-Pendants, dem Dodd-Frank Act, eine erhöhte Komplexität der ­Interaktion von Clearing-Häusern mit anderen notwendigen Beteiligten des Finanzsystems erzeugen. Dies gilt nach Einschätzung von ­Juristen vor allem hinsichtlich global agierender und systemrelevanter Finanzinstitute. Sie zählen in der Regel zu den bedeutendsten Kunden, den Clearing-Mitgliedern, zentraler Gegenparteien. Die ­Argumentation lautet: Da Clearing-Mitglieder zunehmend international agieren und zugleich bei mehreren Clearing-Häusern Kunde sind, könnte die Schieflage eines größeren Clearing-Mitglieds oder eines­ Clearing-Hauses zu einer Gefährdung des von den beteiligten zentralen Gegenparteien etablierten Ausfallmanagements führen. Durch solche Verflechtungen entsteht demnach auf Ebene der Clearing-­Häuser eine neue Konzentration von Risiken. Daher hätten sich ­Clearing-Häuser zu kritischen Komponenten der Finanzmärkte ­entwickelt. Sie seien daher als systemrelevante Institute einzustufen. Manche ­Akteure, wie der EU-Finanzmarktkommissar Jonathan Hill, denken daher laut darüber nach, wie man solche Unternehmen im Notfall ­abwickeln könnte. Damit ist gemeint, dass sie entsprechende Sanierungs- und Abwicklungsprozesse implementieren, um auch im Falle der eigenen Schieflage oder Insolvenz von verschiedenen ­Quellen ausreichende Finanzmittel aufbringen, um kritische Clearing-­Services fortführen zu können.

Die Existenz sichern

Nach Angaben von Dominik Adler, Abteilungsdirektor in der ­Abteilung Bankaufsicht und Bilanzierung beim Bundesverband deutscher Banken, muss sich eine zentrale Gegenpartei täglich absichern. Dafür müsse sie in der Lage sein, die Derivate zu bewerten. „Denn nur so weiß sie, wie viele Sicherheiten sie braucht.“ Weil Industrie­unternehmen und ihre Treasurer im Einzelfall aber sehr komplexe Derivategeschäfte eingehen, die ihnen zum Beispiel einerseits den ­Ölpreis zu verschiedenen Terminen in der Zukunft absichern und ­andererseits auch Währungsrisiken, ist eine Standardisierung nicht ­immer der ideale Weg. Denn man wird einen solchen Kontrakt nur schwer in standardisierter Form auf ein CCP bringen können. „Man sollte also das Konzept des CCP nicht zu weit ziehen und nicht dem CCP Derivatekontrakte aufzwingen, die er nicht handhaben kann“, sagt Adler.

Die Frage, ob durch das Clearing über zentrale Gegenparteien das Kontrahentenausfallrisiko nun ausgeschaltet ist, beantwortet er so: „Das Risiko verschwindet nicht. Es liegt beim CCP. Der CCP managt das Risiko, indem er es jeden Tag absichert.“ Der Experte vom ­Bundesverband deutscher Banken betont, dass das Risiko durch die Besicherung zwar gemindert werde, aber eine Besicherung unter ­Umständen auch Probleme mache: „Jede Absicherung einer Derivatetransaktion bindet Kapital. Dieses Kapital fehlt dem Unternehmen für seine eigentliche Geschäftstätigkeit. Risikominderung gibt es nicht umsonst.“ Welche Vorsichtsmaßnahmen nimmt ein CCP in ­Angriff, um seine Existenz zu sichern? Darauf entgegnet Dominik Adler: „Einer­seits sichert er sich mindestens täglich im Hinblick auf die Marktwertveränderungen anhand der Variation Margin ab. Ein weiteres ­Risiko besteht in dem Zeitraum bis zur nächsten Fälligkeit etwaiger Margin-Zahlungen. Das heißt, die CCP ist nicht abgesichert für Ereignisse, die über den folgenden Tag eintreten. Dafür gibt es aber noch eine weitere Sicherheit: die Initial Margin. Sie soll das ­Risiko ­abdecken, das in der Zwischenzeit besteht.“ Ein zentraler ­Kontrahent habe ein sehr hohes Bedürfnis, sich selbst abzusichern. Insofern ist es im Eigeninteresse eines CCP, möglichst viele Sicherheiten zu ­fordern. Allerdings kann er nicht zu viele Sicherheiten ­verlangen, denn in einem solchen Fall würden sich die Kontrahenten bei einem Derivat einen anderen, günstigeren CCP suchen. Das ist ­eine Frage des Wettbewerbs.

Eine weitere Frage, die die Marktteilnehmer heute umtreibt, ­lautet: Sind die zentralen Gegenparteien widerstandsfähig? Es gibt Investoren, die ihre Zweifel daran haben. Nach Emir haben CCP ein gewisses Eigenkapital. Das sei aber kein Sicherheitsnetz. Es dient nach ­Angaben eines Beraters nicht dazu, Verluste abzufedern. Das muss der CCP durch seine eigene Besicherung gewährleisten. Die Aufsichts­behörden sind an dieser Stelle noch nicht zu einem abschließenden Ergebnis gekommen. Es gibt inzwischen eine Art Abwicklungsregime für ­Banken. Dort geht es darum, was passiert, wenn man Sanierungs- und Abwicklungspläne für Finanzinstitute umsetzen muss. Etwas Ähnliches soll es auch für CCP geben. Die EU-Kommission ist hier dabei, Gesetze zu entwickeln. Die Frage lautet: Gibt es Sanierungs- und Abwicklungsmöglichkeiten, einen CCP so abzuwickeln, dass das Finanzsystem nicht darunter leidet?

Sicherheiten sicher anlegen
Die Hinterlegung von Sicherheiten in Form von Cash oder Staatsanleihen, die die Clearing-Stelle akzeptiert, hat nach Meinung von ­Beobachtern Auswirkungen auf die Anlagestrategie von Asset ­Managern. So kann es zum Beispiel bei Corporate-Bond-Mandaten, bei denen OTC-Derivate zum Einsatz kommen, zu Schwierigkeiten kommen. Denn bei Corporate-Bond-Fonds sind Cash oder Staats­anleihen kaum vorhanden. Im Zweifel muss daher eine höhere Cashquote als in der Vergangenheit vorgehalten werden. Grundsätzlich muss man aber feststellen, dass Sicherheiten bei einer Vielzahl von Finanz­geschäften eine Rolle spielen, etwa für Repo-Geschäfte: ­Banken brauchen für Wertpapier-Pensionsgeschäfte mit der EZB Sicher­heiten.

Daraus lässt sich ableiten, dass die Sicherheiten, die man in ­diesen Geschäften benutzen kann, etwas mehr wert sind als Wertpapiere, die man nicht dafür heranziehen kann. Demnach werden Wert­papiere, die beispielsweise die EZB akzeptiert, präferiert. Um die Ecke ­gedacht: Unternehmen und deren Treasury-Abteilungen, die mit Banken ­zusammenarbeiten und dort Sicherheiten benötigen, werden im Zweifelsfall eher Wertpapiere halten, die sie bei der Bank als ­Sicherheiten anbieten können, weil die Bank wiederum diese Sicherheiten bei Geschäften mit der EZB nutzen kann. Es sind Fragen, wie diese, die LCH Clearnet umtreiben: Was machen wir mit dem Cash aus der Initial Margin? Denn die täglich fällige Variation Margin ist für CCP wie LCH Clearnet nur ein durchlaufender Posten. Dieses Geld wird jeden Tag aufs Neue zwischen den Kontrahenten durch­gereicht. Bei der Initial Margin ist das anders. Sie bleibt beim ­Clearing-Haus, solange die Transaktion offen ist. „Als Collateral ­gestellte Wertpapiere von Clearing Membern werden bei einer zentralen Verwahrstelle gelagert und bei Ausfall eines Clearing Members ­liquidiert. Cash als Initial Margin und der Beitrag der Clearing Member zum Ausfallfonds in Cash werden dabei vollständig reinvestiert. LCH Clearnet Ltd. hat für Cash eine sehr restriktive, festgelegte Anlage­politik, die lediglich kurzfristige, risikoarme Investments mit Kontrahenten höchster Kreditwürdigkeit zulässt, unter anderem den Kauf von Staats­papieren höchster Qualität und Liquidität oder die Hinter­legung auf Zentralbankkonten, wo eine solche Möglichkeit ­besteht. Im derzeitigen Zinsumfeld sind solche Anlagen nicht attraktiv, weshalb wir auf der Suche nach anderen, sicheren Möglichkeiten für die ­Platzierung des Cash sind“, sagt Dr. Heiko Cassens, Direktor Sales Germany, Switzerland, Nordics bei LCH Clearnet Ltd.

Die Intention der Politik, mit Emir für mehr Transparenz bei OTC-Derivategeschäften zu sorgen, ist durchaus sinnvoll. Gleichwohl ist die Materie einerseits höchst komplex und andererseits noch mit vielen Fragezeichen behaftet. Als Marktteilnehmer muss man daher genau prüfen, inwieweit und vor allem wann sich Emir auf das jeweilige Unternehmen auswirkt: Fallen die eigenen OTC-Derivategeschäfte­ unter die EU-Verordnung? Welche Derivate müssen heute schon ­gecleart werden? Bei welchen Derivaten wird das in der Zukunft der Fall sein? Wie kann man die Clearing-Pflicht umgehen? Ist das überhaupt sinnvoll? Das alles lässt sich nur im Einzelfall erörtern. Man kann nun trefflich darüber streiten, ob ein Poster, wie das eingangs ­erwähnte von Bearingpoint, überhaupt in der Lage ist, eine Materie wieder­zugeben, bei der vieles noch im Fluss ist.

Von Tobias Bürger

portfolio institutionell, Ausgabe 03/2016

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