Im hohen Norden hohe Verluste
Nach dem Debakel um das Aktieninvestment in drei US-Nischenbanken musste Alecta-CEO Magnus Billing seinen Posten räumen. Allein im März verzeichnete der schwedische Pensionsfonds Verluste von umgerechnet rund 1,7 Milliarden Euro. Anlass für einen Blick auf Alecta und das schwedische Altersvorsorge-Modell.
Die Marktverwerfungen rund um die Pleite der amerikanischen Silicon Valley Bank werfen Fragen auf – darunter auch die, wie es dazu kommt, dass US-Banken sich schwerpunktmäßig auf die Finanzierung von Startups konzentrieren? Eine andere Frage stellt sich angesichts der Milliardenverluste des schwedischen Pensionsfonds Alecta im US-Bankendebakel: Wie kommt ein Altersvorsorge-Großanleger mit einem Direkt-Portfolio von etwas mehr als 100 Aktien eigentlich dazu, ein derart hohes Klumpenrisiko in US-Nischenbanken zu fahren? Ist das nicht mangelnde Diversifikation, ist das nicht fehlgeschlagenes Risikomanagement? Der geschasste CEO Magnus Billing blieb eine befriedigende Antwort auf diese Fragen in öffentlichen Interviews schuldig.
Das Investment-Portfolio von Alecta in Aktien beträgt etwa 40 Prozent der gesamten Vermögenswerte, was einem Volumen von derzeit etwa 40 Milliarden Euro entsprechen dürfte. 45 Prozent der Allokation sind in Fixed Income angelegt und gut 14 Prozent stecken in Alternatives, worunter Alecta auch Immobilien zählt, die wiederum etwa 76,5 Prozent der Alternatives-Allokation ausmachen (Stand: Ende 2021). Daneben investiert Alecta auch in Infrastruktur und Private Equity. Zum Aktienportfolio ist auf der Alecta-Homepage zudem zu lesen, dass es sowohl Large Caps umfasst, als auch „kleinere Unternehmen, an deren Zukunft unsere Aktienanalysten fest glauben“.
Der feste Glaube half hier nicht: Mitte März war bekannt geworden, dass die Aktien-Investitionen des Pensionsfonds in drei US-amerikanische Nischenbanken zu erheblichen Verlusten geführt hatten, namentlich die Silicon Valley Bank (SVB), die Signature Bank und die First Republic Bank. Damals hatte Magnus Billing, bis dato Chief Executive Officer des größten schwedischen Pensionsfonds, in einem Bloomberg-Video gesagt, das Aktieninvestment in die US-Nischenbanken sei „a big failure“ – ein großer Fehler gewesen, betreffe aber insgesamt nur etwa ein Prozent der Gesamtallokation. Nach einem IPE-Bericht aus dem März war Alecta mit seinem relativ konzentrierten Aktienportfolio der viertgrößte Shareholder der SVB. Dem Bericht zufolge rief das US-Bankenexposure im März auch die schwedische Finanzaufsicht (Finansinspektionen, FI) auf den Plan, die Alecta mit Nachfragen sprichwörtlich „grillte“.
Anfang April hatte CEO Magnus Billing dann mitgeteilt, dass sich die Verluste aus den US-Bankeninvestments im März 2023 auf umgerechnet insgesamt rund 1,7 Milliarden Euro (19,6 Milliarden SEK) beliefen. Aktuell beläuft sich das gemanagte Gesamtvermögen von Alecta auf umgerechnet etwas mehr als 100 Milliarden Euro, heißt es auf der Alecta-Website. Der letzte Interimsbericht von Ende Juni 2022 weist mit umgerechnet circa 99,6 Milliarden Euro einen leicht geringeren Wert auf. Im Krisenjahr 2022 hatte Alecta einen Verlust von 7,4 Prozent seiner Assets under Management verbuchen müssen (Ende 2021 hatten die AuM zum damaligen Wechselkurs umgerechnet noch rund 120 Milliarden Euro betragen).
Aber nicht nur das Alecta-Investment in die US-Nischenbanken erregte internationales Aufsehen: Kurz vor dem SVB-Debakel hatte sich der Pensionsanleger mit einem Divestment der öffentlichen Kritik ausgesetzt: Wie Bloomberg bereits am 10. März berichtete, hatte Alecta wenige Tage vor den US-Bankenpleiten den lokalen schwedischen Medien mitgeteilt, dass es seine gesamten Anteile an einem der konservativsten schwedischen Kreditinstitute, der Svenska Handelsbanken AB, nach 71 Jahren abgestoßen habe. Laut Veröffentlichung in der Zeitung Dagens Industri habe man sich auf amerikanische Nischenbanken statt auf traditionelle Kreditgeber konzentrieren wollen. Alecta betont in seinem Frage-Antwort-Text zum Thema US-Banken auf seiner Website, beide Entscheidungen seien „völlig unabhängig voneinander“ getroffen worden. Man habe noch 2019 Positionen bei vier schwedischen Banken gehalten (Swedbank, Handelsbanken, Nordea und SEB), von denen man im Fall von Nordea und SEB nach wie vor zu den größten Aktionären zähle, während die Aktien der anderen beiden Banken in 2022 komplett verkauft wurden.
Größter Player bei der Betriebsrente
Alecta ist in Schweden der größte Pensionsfonds der betrieblichen Altersvorsorge (occupational pensions), die, wenn auch anders ausgestaltet als in Deutschland, die zweite Säule des Pensionssystems des Landes bildet. Circa 2,6 Millionen Arbeitnehmer und Pensionäre sowie 35.000 Unternehmen sind an Alecta beteiligt. Nun hat Alecta mit der Billing-Demission einen Neuanfang gewagt. Interimistisch hat die bisherige stellvertretende Vorstandsvorsitzende Katarina Thorslund den Posten des CEO übernommen, der Einstellungsprozess für eine neue Führungskraft laufe bereits. Die neue Führung sei insbesondere nun nötig, um die notwendigen Veränderungen in der Vermögensverwaltung umzusetzen und das Vertrauen wiederherzustellen, argumentierte der Verwaltungsrat von Alecta am 12. April in einer Mitteilung. Bereits Anfang April hatte die Aktienchefin von Alecta ihren Posten räumen müssen.
Renten können fallen aufgrund sinkender Rendite
Aber auch andere schwedische Pensionsanleger hatten Positionen in US-Banken, und hier pikanterweise die staatlichen, sogenannten Pufferfonds. Wie das IPE-Magazin als erstes im März berichtete, waren Schwedens AP1, AP2, AP3 und AP4 nach den Daten von Ende 2022 ebenfalls bei der SVB engagiert, allerdings in einem weitaus geringeren Umfang als Alecta. Dabei ist wichtig zu unterscheiden: Zum obligatorischen Rentensystem in Schweden gehören die fünf Pufferfonds AP1 bis AP4, und AP6, in die etwa 16 Prozent des Gehalts oder Einkommens für die sogenannte „Einkommensrente“ fließen.
Die zusätzliche obligatorische „Prämienpension“ (aktuell 2,5 Prozent des Einkommens) können Versicherte in einen der vielen Investmentfonds am Kapitalmarkt investieren. Wählen sie keinen aus, werden ihre Beiträge zur Prämienpension automatisch dem ebenfalls staatlichen „Default-Fonds“ AP7 zugeordnet. Einkommensrente und Prämienrente bilden den Pflichtversicherungsteil im schwedischen Altersvorsorgemodell, also die erste Säule. Alecta dagegen ist Teil des etablierten Systems der Betriebsrente (occupational pension) und somit Teil der zweiten Säule. Auch AP7 war in die SVB investiert – allerdings belief sich seine Position auf etwa 0,027 Prozent des Gesamtportfolios. Der Fonds ist größer als die übrigen „Pufferfonds“ und umfasste Ende vergangenen Jahres umgerechnet etwa 81 Milliarden Euro an verwaltetem Vermögen.
Die Millionen Versicherten von Alecta bangen nun um die Höhe ihrer künftigen Renten. Denn die ist im schwedischen System, was mehrheitlich nach defined contribution, also Beitragsbezogen, funktioniert, nicht garantiert, sondern schwankt mit der Höhe der Rendite, die der jeweils gewählte Pensionsfonds erwirtschaftet. In seinen FAQ zum US-Bankendebakel schreibt Alecta demnach, dass „Renditen ein Faktor für die Berechnung der neuen Rentenhöhe zum Ende eines Jahres“ sind, die US-Bankenkrise aber „nur marginal“ Einfluss auf die künftige Rentenhöhe hat und verweist auf die verlorenen zwei Prozent der gesamten Assets under Management. Wirklich beruhigend mag sich das für Anspruchsberechtigte nicht anfühlen.
Immerhin sind die Kosten niedrig. Alecta wirbt damit, dass die Verwaltungskosten bei 0,09 Prozent des gemanagten Kapitals pro Jahr liegen. Alectas Rolle am schwedischen Altersvorsorgemarkt ist herausragend. Nicht nur, weil Alecta der größte Pensionsfonds ist – ihm fällt auch eine Sonderrolle zu, da Alecta innerhalb der betrieblichen Altersvorsorge (defined contribution) als „Default-Option“ fungiert: Arbeitnehmer, denen eine Betriebsrente über den Arbeitgeber aufgrund von kollektiven Übereinkommen zusteht und die keinen Anbieter ausgewählt haben, werden automatisch über Alecta abgesichert. Zudem sind alle leistungsbezogenen Pensionen (defined benefit) ebenfalls über Alecta versichert.
Im Jahresbericht 2021 ist zudem zu lesen, dass Alecta 31 Prozent seiner Aktienanlagen in den USA investiert hat. 44 Prozent der Anteilsscheine kommen von schwedischen Unternehmen und die Schweiz, UK, Dänemark und Frankreich spielen mit unter zehn Prozent eine untergeordnete Rolle. Auf der Homepage finden sich die zehn größten Positionen mit Stichtag 31.12.2022: An erster Stelle steht das schwedische Finanzunternehmen Investor mit gut fünf Prozent am Aktienportfolio, darauf folgt Microsoft mit ebenfalls fünf Prozent. An dritter Stelle folgt Novo Nordisk. Weitere Namen auf der Liste sind Alphabet, Nestlé und Astra Zeneca.
Alecta gilt auch beim Thema Nachhaltigkeit als führend. Der Pensionsfonds ist einer der zwölf Mitbegründer der Net-Zero Asset Owner Alliance, zu denen aus Deutschland auch die Allianz zählt. Zudem war Magnus Billing Mitglied der High Level Expert Group, HLEG, die 2018 die ersten Entwürfe für eine grüne EU-Taxonomie aus der Taufe hob. Dem Fokus auf Nachhaltigkeit war vielleicht auch zu verdanken, dass Alecta, dem Jahresbericht 2021 zufolge, im Frühjahr 2022 keine direkten oder indirekten Investments in Russland oder Belarus hatte – der Verlust betrug dennoch 4,7 Prozent im Januar und Februar. Ein Gutes noch zum Schluss: Im Jahr 2021 lag die Rendite von Alecta noch bei 16,6 Prozent. Bleibt für die schwedischen Betriebsrentner also zu hoffen, dass sich die Anlagezeiten für den Großanleger bald wieder bessern.
Autoren: Daniela EnglertSchlagworte: Banken | Schweden | Weltspiegel
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