Alternative Anlagen
17. November 2022

Growth je nach Gusto

In den Portfolios institutioneller Anleger dominieren Bonds und Bond Proxys. Meist mangelt es jedoch an Wachstumsstrategien. Diese sind insbesondere dieses Jahr schwierig, werden jedoch langfristig benötigt. Dafür braucht es auch eine kurzfristigere Sicht.

Der Wandel vom Kuponschneiden zum Zusammenschneiden ­eines Private-Asset-Portfolios war in der deutschen Anlegergilde in den vergangenen Jahren nicht zu übersehen. Ein wichtiges Auswahlkriterium für die Private Assets: ein Bond-proxy-Charakter. Darum war der Run auf Immobilien und Infrastruktur – sowohl ­Eigen- wie Fremdkapital – sowie Private Debt besonders ­augenfällig. Auch wenn nun Fixed Income wieder attraktiver ist, ist der Schritt in die illiquide Welt mit Blick auf Diversifikation und in der Regel höhere Risikoprämien immer noch richtig. Vergleichsweise überschaubar sind dagegen meist die Allokationen in Private Equity. Hinzu kommt, dass die Aktienquoten auch eher stabil blieben und in diesen in der Regel Dividendenstrategien und Value-Ansätze ­dominieren. Allerdings erwirtschaftete der MSCI Europe Value über fünf Jahre ziemlich genau null Prozent. Damit fehlt den Portfolios ein wichtiger Faktor: Wachstum!

Wachstum hilft Altersvorsorgeeinrichtungen bei der Langlebigkeit. Wachstum braucht es bei hohen Inflationsraten, um die ­Anspruchsberechtigten bei der Stange zu halten. Nur mit Growth-Strategien können Anleger von den Strukturbrüchen bei Mobilität, Healthcare oder in der Finanzbranche ausgelöst durch Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz profitieren. Damit zu rechnen ist, dass die Zukunft noch einige Umwälzungen birgt. Von diesen ­werden disruptive Unternehmen profitieren.

Aktienmanager mit unbeirrbarem Growth-Ansatz machten in den vergangenen Jahren ihre Anleger glücklich. Beispielsweise performte der Worldwide Long Term Global Growth Fund des Growth-Spezialisten Baillie Gifford, der rund 289 Milliarden Euro an Assets under Management investiert, im Jahr 2020 mit sagenhaften 101 Prozent. Diese Performance war auch einer sehr konzentrierten Tesla-Wette zu verdanken. Baillie Gifford investierte seit 2012, als Tesla-Aktien zu sechs Dollar zu haben waren, in den Elektroautohersteller, und kaufte konsequent so lange zu, bis man nach Elon Musk der größte Anteilseigner war. Heute ist Tesla zumindest im Fonds noch die größte Position. Ebenfalls ein großer Tesla-Fan ist Cathie Wood, CEO und CIO von ARK. Deren Innovation Fund ­legte 2020 sogar um 146 Prozent zu. In diesem Jahr kam es jedoch zu ­einem Strukturbruch bei den beiden Überfliegern: Ende August lag Baillie Giffords Flaggschiff year-to-date mit 41 Prozent im Minus, der ARKK, ein aktiver ETF, sogar mit minus 56 Prozent. Der Kommentar ­eines Anlagechefs einer Versicherung auf der vergangenen und letzten Uhlenbruch-Tagung: „Wenn man sowas wie ARK im Portfolio hat, muss man Angst haben, dass der Job weg ist.“

Auch wenn man davon ausgeht, dass die Wachstumsstory langfristig in Takt ist: Ohne Risikomanagement ist es für deutsche Anleger sehr schwer, in Strategien mit solchen Drawdowns, selbst wenn sie nur kurzfristig wären, zu investieren. Von den leitenden Protagonisten dürfen Treuhänder jedoch wenig Rücksicht auf Bilanzen, Nerven oder Jobsicherheit erwarten. Denn für Baillie-Gifford-Partner Stuart Dunbar ist beispielsweise eine Jahressicht nicht zielführend: „Bei der Aktienauswahl interessiert uns die kurzfristige Sicht nicht. Wir investieren in Unternehmen, die das bereitstellen, was die Gesellschaft in den nächsten fünf bis 15 Jahren braucht.“ Um die größten Wertverluste zumindest etwas zu reduzieren, erscheinen Portfoliostrukturierungen oder eine breitere Diversifikation sinnvoll. Davon ist Dunbar nicht überzeugt: „Wir sind von unseren Unternehmen überzeugt. Wer Drawdowns vermeiden will, sollte nicht mit uns investieren.“ Zu den Überzeugungen des schottischen Vermögensverwalters zählt zudem, wie auch bei anderen ­Asset Managern, dass man aus Fehlern lernen muss und ein Anlage­prozess Disziplin benötigt. Was Baillie Gifford darunter ­versteht, unterscheidet sich jedoch von anderen Häusern: „Zu früh zu verkaufen, kann sehr schmerzhaft sein“, so ein Fondsmanager auf einer Journalistenveranstaltung in Edinburgh.

Convinced of Convictions

Wie Dunbar ist auch Cathie Wood davon überzeugt, dass Convictions für aktive Asset Manager sehr wichtig sind. Auf der Uhlenbruch-Tagung betonte sie als Referentin zudem die Bedeutung von Technologie und Disruption. „Geopolitik verursacht Probleme und Technologie löst Probleme.“ Und: „Fast die Hälfte der S&P500-­Unternehmen werden in den nächsten fünf bis zehn Jahren ­disrupted werden.“ Ein wichtiges Kriterium für die Aktienselektion ist für die ARK-Gründerin Wood ein visionärer Anleger. Größte ­Position im Flaggschiff-Fonds ist mit neun Prozent Tesla, dessen CEO Elon Musk zweifellos ein Visionär ist. Aber ob jemand, der Hobbys wie Weltraumtourismus oder Twitter-Übernahmen pflegt und in der Öffentlichkeit einen Joint raucht, für Treuhänder wirklich kompatibel ist? Cathie Wood verweist lieber auf die Chancen des autonomen Fahrens. Zum Abschluss präsentierte Wood noch einen Mutmacher für Growth-Anleger: „Die Inflation könnte ­künftig überraschend niedrig sein und die Bewertungen damit den Aktienmarkt stärker als erwartet stützen.“ Worauf sich diese ­Erwartung von ARK stützt, teilte Cathie Wood allerdings nicht mit.

Wachstumsstörung

Nicht vergessen darf man aber, dass es sich bei den beiden Asset Managern um Langfristanleger handelt und der ARKK seit dem Start im Oktober 2014 im Schnitt jährlich knapp elf Prozent erwirtschaftet hat. Der Longterm Global Growth von Baillie Gifford kommt seit dem Start im August 2016 sogar auf einen Wertzuwachs von im Schnitt jährlich 15 Prozent. Aktives Aktienmanagement kann also – auch langfristig – sehr attraktiv sein. Kurzfristig sollte es aber für regulierte Anleger zumindest nicht allzu unattraktiv sein. Andere Growth-Manager zeigen, dass ein Wachstums-­Fokus auch mit begrenzteren Wertverlusten möglich ist. Hilfreich kann zum Beispiel eine gewisse Berücksichtigung von Börsenphasen sein. „Wenn die Volatilität ansteigt, ist es keine gute Idee große Wetten auf Einzeltitel zu fahren. In unseren aktiven Fonds haben wir die Zahl der Einzeltitel vergrößert“, erklärt Peter De Coensel, CEO von DPAM. Oder anders formuliert: „Es ist die Intensität der Überzeugung, die die Höhe der Drawdowns bestimmt.“ Der ­Equities World Sustainable des belgischen Asset Managers hat ­dieses Jahr zumindest „nur“ 25 Prozent verloren, wozu sowohl ­eine breitere Diversifikation und die nachhaltige Ausrichtung Beiträge geleistet haben dürften. Ein weiterer Drawdown-Dimmer: „Wir ­fahren einen Quality-Growth-Ansatz“, so De Coensel. Dieser ­Ansatz spiegelt sich in den Top-10 wider, wo sich unter anderem Unternehmen wie Microsoft – mit einem Portfolioanteil von 4,7 Prozent größter Wert –, Alphabet, Nestlé oder L‘Oréal finden.

Ein Vertreter des Quality Growth ist auch Comgest. Der Qualitäts-Ansatz machte sich für die Anleger einigermaßen bezahlt. Dieses Jahr verlor der Growth-World-Fonds des Asset Managers wenigstens nur 20 Prozent. Für Anleger mit größerer Verlustaversion kann Comgest zudem den Growth Global Flex anbieten. Dieser hält die gleichen Aktien, verfolgt jedoch auch eine Absicherungsstrategie, die börsengehandelte Aktien- und Volatilitätsindex-Futures nutzt. Die Futures machten sich dieses Jahr bezahlt: der Flex verlor im Jahresverlauf nur ein Zehntel. Über einen längeren Zeitraum betrachtet, hat die Absicherung jedoch gekostet. Während der Global über fünf Jahre kumuliert um 46 Prozent zulegte, waren es beim Global Flex knapp 32 Prozent. Mit einem Verlust von zehn Prozent in diesem Jahr sollten Aktienanleger zu Recht kommen können. Dass eine stärkere Verlustvermeidung nicht zu erwarten ist, liegt in der Natur von Growth. Comgest teilt mit, dass der Zinsanstieg Wachstumswerte stärker belastete. Und: „Bedingt durch unseren Anlagestil sind zudem weder Energie- noch ­Versorger­aktien im Portfolio und Finanzwerte untergewichtet.“

Wie die „Quality“-Ausrichtung schon andeutet, ist Growth nicht gleich Growth. Bei Metzler Asset Management wird darum ­zwischen „Quality“-, „Dynamic“- und „Disruptive“-Growth-Aktien unterschieden. Metzler nutzt damit das ganze Growth-Universum. „Das Spektrum reicht von defensiven Standardwerten über Titel, deren Geschäft eher konjunkturbedingten Schwankungen unterliegt, bis hin zu Aktien von innovativen, meist kleineren Unternehmen aus dynamisch wachsenden Nischen, die oftmals besonders stark von disruptiven Strukturbrüchen profitieren“, informiert Metzler. Diese Segmente kombiniert der Asset Manager zu einem Portfolio. Dabei definiert Metzler Quality-Werte als Unternehmen, die relativ unabhängig von Konjunkturschwankungen sind und sich durch ein stetiges Wachstum mit geringer Volatilität auszeichnen. Diese Unternehmen haben meist eine starke Preissetzungsmacht, eine gute Marktposition und sehr solide Bilanzrelationen. „Dynamik“ sucht und findet Metzler in wachstumsstarken Unternehmen, die ebenfalls einem strukturellen Wachstumstrend ­folgen, aber eine größere Konjunktursensibilität aufweisen. Disruptoren wiederum definiert das Bankhaus als oftmals kleinere Unternehmen mit besonders innovativen Produkten und Technologien. „Ihre Entwicklungen sind oft Auslöser für Strukturbrüche. Sie bieten größere Chancen – bergen aber auch höhere Risiken.“ Der Global-Growth-Fonds verlor seit Jahresbeginn 23 Prozent und erwirtschaftete über fünf Jahre per annum neun Prozent. Die größten drei Werte: Apple, Microsoft und Alphabet. Ebenfalls eher nach institutionellem Gusto sind Ansätze, die Wachstum zu niedrigen Preisen suchen. Geht man von einer baldigen Erholung aus, finden Stockpicker derzeit eine große Spielwiese. Wie Ross Cartwright von MFS im Juli mitteilt, führt ein Stimmungseinbruch wie zuletzt meist dazu, dass das Kind mit dem Bade ausgeschüttet werde. „Neben schwachen Aktien werden dann auch Qualitätstitel verkauft. Einige von ihnen werden sich erholen, da ihre Emittenten weiter stark wachsen. Unsere Aufgabe ist es, hervorragende Unternehmen zu finden, die zu sehr niedrigen Kursen gehandelt werden.“

Wachstum suchende, institutionelle Investoren haben zwei ­Möglichkeiten. Entweder einen der kompromisslosen Growth-Überzeugungstäter als Satellit allokieren oder zu einem der Asset Manager zu gehen, die ein gewisses Verständnis dafür haben, dass ein Anleger auch eine kurzfristige Sicht hat und nicht jeden ­Drawdown aushält. Und auch Letzteres kann Baillie Gifford sein. „Für solche Investoren kann der Global Alpha Fund ein Core-­Investment sein“, erklärt dessen Fondsmanager Spencer Adair. Dieser Fonds investiert relativ breit in 70 bis 120 Einzeltitel – und nicht nur in Disruptoren. „In sehr schwierigen Marktphasen wie in der Tech Bubble haben puristische Growth-Anlagekonzepte keine Möglichkeit, sich zu verstecken und haben nichts mit Gewinn zu verkaufen“, erläutert Adair. Darum investiert dieser Fonds ­vergleichbar wie Metzler in drei verschiedene Growth-Arten. Fondsmanager Adair spricht von Disruptors, Compounders und Capital Allocators. Diese unterliegen unterschiedlichen Marktzyklen und unterscheiden sich in der Gewinnentwicklung. Erstere weisen im Idealfall ein exponentielles Wachstum auf, Compounder eine ­relativ stetige Gewinnentwicklung und bei Capital Allocators ist der Gewinnzuwachs schwankend. Mögliche Beispiele für die drei ­„Pockets“: Tesla, Moody´s beziehungsweise Ryanair. „Derzeit sind die Compounder die größte Gruppe im Portfolio“, so Adair.

Wachstum lässt sich also auf unterschiedliche Arten und Weisen umsetzen – und damit auch mit unterschiedlichen Volatilitäten. Die Alternative wäre Private Equity. Nicht ausgeschlossen aber, dass der Vola-Nachteil von Aktien in den kommenden Monaten durch ein anderes Argument aufgewogen wird: Liquidität.

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