Corporates
10. August 2015

Getriebene ihrer Bilanzen

Das Bilanzrecht treibt die Pensionsverpflichtungen deutscher ­Unternehmen in die Höhe. In den Finanzabteilungen hat diese­ ­Problematik das Bewusstsein für die Notwendigkeit eines ­adäquaten Pensionsmanagement geschärft. Die Suche nach passenden Strate­gien im Asset­ Management, das sich an den Verbindlichkeiten ­orientiert, hat längst begonnen.

Bilanzen sind eigentlich überflüssig. Das Ergebnis ist immer ­bekannt: Die Passiva sind so groß wie die Aktiva. Doch so einfach ist die Sache nicht. In den vergangenen Jahren mussten deutsche Unternehmen in ihren­ Bilanzen ein paar unangenehme Veränderungen verzeichnen. Ihre Pensionsverpflichtungen sind immer weiter in die Höhe­ geschossen, je mehr die Zinsen sanken, und ein Ende ist ­vorerst nicht in Sicht. Die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (Aba) erwartet für Unternehmen mit rückstellungsfinanzierten Direktzusagen bis Ende 2017 bilanzielle Zusatzbelastungen von jährlich 35 bis 45 Milliarden Euro. „Das ist weder akzeptabel noch erforderlich“,  so Stefan Oecking, Mitglied des Aba-Vorstands. Während bei den Bewertungen der Pensionsverpflichtungen von rund 40.000 Unternehmen zum 31. Dezember 2014 noch ein Zinssatz von 4,5 Prozent angesetzt wurde, werde sich dieser bis Ende 2017 auf 2,7 Prozent vermindern. Die Folge wären hohe, steuerlich nicht wirksame­ Zuführungen zu den Pensionsrückstellungen. Die Aba fordert deshalb in ­einem Positionspapier eine umgehende Anpassung des Bilanz­rechts im Handelsgesetzbuch (HGB). Vorgeschlagen wurde beispielsweise eine Ausweitung der Zinsdurchschnittsbildung von sieben auf 15 Jahre.­ „Ändert sich nichts am HGB, kann sich das Bilanz­problem zu einem ökonomischen Problem ausweiten. Insolvenzen sind denkbar“, erklärt Olaf John, Head of Business Development Europe­ bei Insight­ Investment, der sich auch in der Aba engagiert.  

Die Mühlen der Politik mahlen meist langsam, wenn sie denn überhaupt mahlen. Doch in diesem Fall scheint man die Dringlichkeit und Signifikanz dieses Problems erkannt zu haben und hat sofort reagiert. „Der Bundestag hat die Bundesregierung aufgefordert, zu prüfen, ob die geltenden Annahmen für die Durchschnittsbildung des HGB-Diskontierungszinssatzes angepasst werden müssen. Im Gespräch­ ist derzeit die Verlängerung von sieben auf zwölf Jahre anstatt der vorgeschlagenen 15 Jahre“, berichtet John, der sichtlich überrascht ist von der Schnelligkeit, die der Gesetzgeber in dieser Fragestellung an den Tag legt.

Längere Zinsdurchschnittsbildung hellt Bilanz nicht lange auf
Die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz im Bundestag erfolgte am 17. Juni 2015 und somit nur wenige Wochen, nachdem  die Aba ihr Positionspapier veröffentlichte.­ Darin heißt es, dass der deutsche Gesetzgeber im Bilanzrechts­modernisierungsgesetz 2009 bewusst auf eine reine Stichtagsbewertung verzichtet, um die damit verbundene Bewertungsvolatilität zu vermeiden. Es wurde erwartetet, dass sich ein hinreichender Glättungseffekt bei einem Bezugszeitraum von sieben Jahren einstellt. „Aufgrund der außergewöhnlichen aktuellen Marktverhältnisse und vor allem der nicht vorhersehbaren, seit vielen Jahren andauernden Phase niedriger Marktzinsen sind heute allerdings Zweifel an dieser Annahme entstanden“, so der Bundestag. Er empfiehlt „gegebenenfalls eine angemessene Neuregelung“. John weist aller­dings auch ­darauf hin: „Das Grundproblem hat sich dadurch nicht verändert, die zu bedienenden Rentenzahlungen bleiben gleich. Der kurzfristige ­Bilanzierungseffekt ist jedoch zu begrüßen.“ Ähnlich fällt das Urteil von Carl-Heinrich Kehr, Investment-Consultant bei Mercer, aus: „Die Verlängerung der Zinsdurchschnittsbildung würde die Situation entschärfen, ist aber keine dauerhafte Lösung. Die Unternehmen sollten sich nicht allein auf den Nutzen daraus verlassen.“­ Weitaus kritischer sieht Thomas Bauerfeind, Geschäftsführer der Protinus Beratungs­gesellschaft, den Vorstoß zum deutschen Bilanzrecht. Er hält die Idee für falsch und sieht darin einen rein situativen Aktionismus: „Man loggt damit nur den niedrigen Zins ein. Die Frage ist: Was schlägt die Aba vor, wenn die Zinsen wieder steigen?“ Und tatsächlich: Kommt es zu einem Anstieg der Zinsen, würde sich dies in der HGB-Bilanz auf der Verpflichtungsseite nicht sofort positiv niederschlagen. „Die HGB-Pensionsrückstellungen würden trotzdem weiter steigen, während die Asset-Seite, sofern sie an den Verbindlichkeiten orientiert ist, sinkt“, merkt auch John an. In der internationalen Rechnungslegung nach IAS 19 ist das anders. Dort käme der Zins­anstieg sofort mit einer Erleichterung auf der Liability-Seite zum Tragen,­ da der Diskontierungszins mark-to-market ermittelt wird. Angesichts dessen überrascht es nicht, wenn Nigel Cresswell, Investment-Consultant bei ­Towers Watson, in der Verwendung eines Durchschnittszinses grundsätzlich keinen Sinn sieht, wenn der Barwert der Pensionsver­pflichtungen ermittelt werden soll. „Aus der Perspektive eines ­Pensions-Risk-Management ist der Durchschnittszins sehr problematisch, weil der Kapitalmarkt zukunftsorientiert ist und nicht in den Rückspiegel schaut“, erklärt Cressell. Besonders diffizil sei es für ­große Unternehmen, die eine internationale Bilanzierung und eine HGB-Bilanz vorlegen müssen: „Man kann kein Risikomanagement für beide Bilanzen eingehen.“ Eine Entscheidung ist zwangsläufig erforderlich.­ 

Spot an: Pensionsmanagement tritt ins Rampenlicht
Trotz allem Ärger über die bilanziellen Probleme bei den Pensions­verpflichtungen lässt sich dem Ganzen auch ein positiver Aspekt abgewinnen. Das Thema ist in den Finanzabteilungen der Unternehmen stärker in den Fokus gerückt. „Welche Bedeutung der Barwert der Pensionsverpflichtungen für die Gesamtbilanz hat, wurde früher oftmals unterschätzt. Dieser hat in den vergangenen zwei, drei Jahren bei den Finanzvorständen und Treasurern jedoch an Relevanz gewonnen. Es wurde erkannt, dass es aus Corporate-Finance-Perspektive ­relevant ist. Es hat Einfluss auf die Kapitalkosten eines Unternehmens – sei es auf der Aktien- oder Anleihenseite“, so Cresswell. Beim Energiekonzern Eon hat man dies längst erkannt. Das Pensions­management ist ein wesentlicher Bestandteil der Finanzstrategie. Die Verpflichtungsstruktur ist Ausgangspunkt aller Überlegungen, erst dann kommen die zugehörigen Vermögenswerte ins Spiel. Eine reine Renditeoptimierung aus Asset-only-Sicht wird nicht angestrebt, wie Stefan­ Brenk aus dem Pensions-Team von Eon im Interview ­erläuterte. Die Konzentration liegt auf der Steuerung des Defizits aus Assets und Verpflichtungen als Nettogröße. Mit über 75 Prozent ist dabei der Großteil der deutschen Pensionsverpflichtungen von Eon ausfinanziert. Diese Quote ist im Dax-Vergleich recht hoch. Ende 2014 waren laut Towers Watson 61 Prozent der Pensionsverpflichtungen mit spezifischem Vermögen bedeckt – vier Prozentpunkte weniger als im Vorjahr. Schuld ist der bereits erwähnte Anstieg der Pensionsverpflichtungen. Diese stiegen innerhalb eines Jahres bis Silvester 2014 um 25 Prozent auf 372 Milliarden Euro. Das konnten die ebenfalls ­gewachsenen Pensionsvermögen – um 30 Milliarden Euro auf 228 Milliarden Euro – nicht kompensieren. Getrieben war die positive Entwicklung der Pensionsvermögen durch eine gute Rendite von zwölf Prozent und durch zusätzliche Dotierungen. Laut Towers Watson­ haben die im deutschen Leitindex notierten Unternehmen ihren­ spezifischen Pensionsvermögen 2014 insgesamt 10,6 Milliarden Euro zugeführt.

Allerdings lassen sich die Dax-Konzerne nicht alle über einen Kamm scheren. Die Überlegungen bezüglich des richtigen Funding-Levels gehen weit auseinander. Das Spektrum reicht von 23 bis 98 Prozent. Zu den Schlusslichtern in Sachen Ausfinanzierungsgrad zählt beispielsweise Volkswagen. Bei dem Autobauer aus Wolfsburg sind knapp 30 der rund 39 Milliarden Euro an Pensionsverpflichtungen rückstellungsfinanziert. Daraus zu schließen, dass Volkswagen grundsätzlich gegen Ausfinanzierung ist, wäre allerdings falsch. Im Interview mit portfolio institutionell erklärte Dr. Jörg Boche, Leiter Konzern-Treasury bei VW, keinen Druck zum Ausfinanzieren zu verspüren: „Es besteht keine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit. Also können wir uns den optimalen Zeitpunkt für die Ausfinanzierung aussuchen. Und ich würde sagen, es gibt sicherlich Zinskonstellationen, in denen es günstiger ist auszufinanzieren als im Moment. Wenn beispielsweise die Zinsen wieder hoch gehen, ist der Gegenwartswert der Liabilities niedrig. Das wäre ein Zeitpunkt, an dem ich sagen ­würde, dass wir durchaus darüber nachdenken könnten.“ Darüber ­hinaus wies Boche darauf hin, dass die Cashflow-Belastung, die sich für Volkswagen aus den Pensionszahlungen ergibt, derzeit bei unter einer Milliarde Euro pro Jahr liegt. Das sei in Relation zum Ebitda von circa 23 Milliarden Euro im Jahr 2014 unkritisch und stelle keine wirkliche Gefahr dar.

Mit dieser Einstellung stehen die Wolfsburger nicht allein, wie der Mercer-Investment-Consultant Kehr berichtet: „Viele Unternehmen verzichten auf eine Ausfinanzierung. Sie sehen sich in ihrem Kerngeschäft dauerhaft gut aufgestellt, um die Cashflows zu generieren, mit denen sie die Pensionsverpflichtungen bedienen. Sie sagen: Eine Ausfinanzierung würde uns die Fähigkeit verringern, die Pensionsverpflichtungen zu bedienen, weil wir am Kapitalmarkt eine geringere Rendite erwirtschaften als im Kerngeschäft.“ Diese Vorgehensweise sei oft bei kleinen und mittelgroßen Unternehmen zu beobachten. „Es gibt aber Unternehmen, bei denen der Anteil der Pensionsverpflichtungen an den Passiva und der Pensionsaufwand am Gesamtaufwand in der GuV sehr hoch ist. Dort muss man im Einzelnen genau schauen, ob eine Ausfinanzierung dem Unternehmen nicht doch eine bessere­ Handlungsfähigkeit im Kerngeschäft ermöglicht“, fügt er ­hinzu. Bei Familienunternehmen hat der Mercer-Mann zuletzt bereits vereinzelt ein Umdenken beobachtet: „Einige hielten eine Ausfinanzierung bislang nicht für opportun, beginnen nun aber, dies neu zu prüfen. Sie merken, dass ein Anstieg der Verpflichtungen in Form von Bilanzeffekten wehtun kann und es keine Vermögenswerte im Kerngeschäft gibt, die eine solche Sensitivität auf der Zinsseite haben wie die Passivseite.“ Einen Trend zu vermehrten Ausfinanzierungen hat zuletzt auch Cresswell beobachtet: „Die Unternehmen haben die Bilanzrisiken klar erkannt und versuchen, entsprechende Risiko­managementprozesse zu etablieren, um sich vor solchen Risiken in der Zukunft zu schützen. Das verlangt ein gewisses Funding, denn ­Bilanzrisikomanagement geht nicht über den Cashflow. Viele Unternehmen mussten feststellen, dass der Barwert der Verpflichtungen gestiegen ist, was zu einem Defizit auf der Bilanz führt. Das hat Folgen für die Funding-Kosten oder das Unternehmens-Rating – Konsequenzen, die es zu vermeiden gilt.“ Letztendlich ist es eine unternehmerische Entscheidung, die jedes Unternehmen für sich treffen muss.
 
Strategisch heißt nicht starr
Neben dem Trend zur Ausfinanzierung von Pensionsverpflichtungen in Deutschland zeichnet sich noch ein weiterer Trend ab. Es werden mehr Asset-Liability-Management-Studien durchgeführt als in der Vergangenheit. „Die Qualität der ALM-Studien hat sich deutlich verbessert und die Durchführungsdauer deutlich reduziert. Während es früher eher ein iterativer Prozess war, ist es heute ein interaktiver Prozess, der gemeinsam mit dem Kunden vor Ort durchgeführt werden kann. Moderne ALM-Software simuliert in Sekundenschnelle  10.000 einrichtungsindividuelle, realitätsnahe Entwicklungspfade des Pensionsvermögens und der Verpflichtungen sowie der Cashflows­ unter verschiedenen Wirtschafts- und Kapitalmarktszenarien. Das hat die Akzeptanz von ALM-Studien deutlich erhöht. Früher sind die ­Ergebnisse häufiger auch mal in der Schublade verschwunden“, ­erklärt Michael Grob, Investment-Consultant bei Aon Hewitt. Die Durchführung der ALM-Studien erfolgt seiner Erfahrung nach in der Praxis zumeist alle zwei bis drei Jahre. „Ein einjähriger Rhythmus ­wäre allerdings besser geeignet, um die Anlagestrategie entsprechend anzupassen“, sagt Grob. Eine ähnliche Sicht hat das Beratungshaus Towers Watson. „In dynamischen Märkten, wie wir sie heute haben, ist ein dreijähriger Turnus, wie er bislang üblich war, sicher zu lang“, meint Cresswell. Einen kürzeren Zeitraum hält er für angebracht, ­wobei es nicht immer eine Komplettstudie sein müsse. „Man muss nicht alles neu modellieren. Denn die Verpflichtungsseite verändert sich im Zeitablauf von den Cashflows her nicht so dramatisch, auch wenn der Diskontierungssatz deutlich gesunken ist. Was man häufiger sieht, ist eine Art ALM-Studie light“, so Cresswell.

Einigen Unternehmen scheint allerdings auch das noch nicht ­genug zu sein. Wie Thomas Bauerfeind berichtet, führen seine Mandanten bereits standardmäßig jedes Jahr eine ALM-Studie durch. Und unterjährig werden immer häufiger zusätzlich Updates gefahren, wenn sich die Annahmen für die Inputs einer Studie oder die Ausgangslage verändert haben. „Es ist eine Art strategisches Controlling. Man füttert das Modell nur mit den neuen Startwerten, lässt dies durchlaufen und vergleicht die Ergebnisse mit dem Ergebnis der ­letzten Vollstudie. Sollte es deutliche Veränderungen gegeben haben, macht man eine Vollstudie. Es ist also eine schrittweise Eskalation bis zur Vollstudie“, so Bauerfeind. „Man sollte die Studien nicht vom Kalender, sondern der jeweiligen Situation abhängig machen. Der Markt hält sich schließlich auch nicht an den Jahresrhythmus. Nur über eine­ aktive Steuerung der strategischen Asset Allocation kann man langfristig das gewünschte Ergebnis erzielen. Für diese Steuerung braucht es Informationen, die das strategische Controlling liefert“, ist Bauerfeind überzeugt. Strategisch mit langfristig starr zu assoziieren, sei ein verbreitetes Missverständnis gewesen. „Man muss langfristig denken, aber die Asset Allocation in einer mittelfristig getakteten Dynamik anpassen. Sonst laufe ich ins Messer“, fügt er hinzu.

Auslöser für ein unterjähriges Update können unterschiedlich sein – sie finden sich sowohl auf der Gesamtportfolioebene als auch der Funding-Seite. Zur Veranschaulichung führt Bauerfeind ein Beispiel an: „Wenn ich langfristig ein implizites Ziel von vier Prozent auf den Anlagen habe und über einige Zeit zehn Prozent oder mehr gemacht­ habe, komme ich an einen Punkt, an dem ich überlegen muss: Logge ich das ein? Mache ich ein De-Risking oder lasse ich es weiterlaufen?“ Was in diesem Fall der beste Weg ist, zeigt das strategische Controlling. Das würde in diesem Fall höchstwahrscheinlich ein automatisches De-Risking vorschlagen. Damit verbunden ist laut Bauer­feind ein weiterer Vorteil: „Man muss für dieses De-Risking keine­ Marktmeinung haben. Sie können ganz solide aufgrund der Analyse­ergebnisse entscheiden, die Quote der risky Assets zu senken. Damit sichern Sie antizyklisch ab.“

Dass sich in den Ergebnissen der ALM-Studie durch das anhaltende­ Niedrigzinsniveau die Verteilung zwischen non-risky und risky Assets verschoben hat, kann der Protinus-Mann indes nicht feststellen: „Die Risikopräferenz der Investoren hat sich nicht geändert, aber die Komponenten in einer strategischen Asset Allocation sehen heute anders aus als früher.“ Während früher Cash als stabilisierende Komponente in der SAA zu finden war, seien es heute eher kurz- bis mittelfristig laufende Bonds. „Sie sind als Cash-Ersatz das kleinere Übel“, so ­Bauerfeind. Im Bereich der renditebringenden Asset-Klassen hat sich ebenfalls einiges getan. Früher habe man sich an unterschiedlichen Ausprägungen von Kreditrisiken im Bondsbereich orientiert. Das passiere heute auch noch. Darüber hinaus werde jedoch stärker nach Laufzeiten geschaut. „Man weiß zum einen, dass man für einen ­Matching-Ansatz die langen Laufzeiten braucht. Auf der anderen ­Seite weiß man, dass einen am langen Ende eine Zinsänderung ganz massiv treffen kann. Deshalb möchte man nicht die unbeeinflussbare Duration­ eines breiten Index übernehmen, sondern geht lieber ganz dezidiert vor und bildet Laufzeiten als eigene Segmente explizit im Anlageuniversum ab“, erläutert Bauerfeind. Neben einer stärkeren Differenzierung seien auch neue Asset-Klassen hinzugekommen. Als Beispiel nennt er Corporate Loans und Infrastruktur.

An Alternatives scheiden sich die Geister
Dass alternative Asset-Klassen stärker in den Fokus gerückt sind, bestätigt auch Carl-Heinrich Kehr. „Bei einer ALM-Studie geht es nicht nur darum, eine Zielstruktur herzuleiten. Zu Beginn muss diskutiert werden, mit welchem Universum an Asset-Klassen man überhaupt arbeiten will. Das Thema Alternatives hat hierbei stark an ­Bedeutung gewonnen“, so der Mercer-Consultant. Das Festlegen des Anlageuniversums ist für ihn eine qualitativ anspruchsvolle Fragestellung, die sich unter dem Stichwort „Governance“ zusammenfassen lässt: „Unternehmen, die bislang nur in liquiden Asset investiert ­waren, müssen sich vorab Gedanken darüber machen, wie und ob sie in Alternatives hineinkommen. Es geht um den Marktzugang und die Umsetzung. Soll im Kapitalanlagemanagement ein eigener Apparat aufgebaut werden oder lieber delegiert werden? Wie wird dies überwacht und gesteuert?“ Erst wenn diese Aspekte geklärt sind, kommen laut Kehr die eher technischen Fragen ins Spiel, wie zum Beispiel: Welche Rendite-Risiko-Annahmen werden in der ALM-Studie getroffen und wie mündet dies in der Portfoliokonstruktion zur Ableitung einer Zielquote. Dass die vorhandenen Ressourcen und Skills in den Finanzabteilungen der Unternehmen ein entscheidender Faktor sind, weiß auch Nigel Cresswell: „Das Ergebnis einer ALM-Studie muss im Einklang mit dem zur Verfügung stehenden Governance-Budget ­stehen.“ Exotische und komplizierte Produkte brauche man Unternehmen nicht vorzustellen, die nicht genügend Ressourcen haben, um diese zu kontrollieren und zu verstehen.

Hat ein Unternehmen den Wunsch, die SAA um illiquide Anlagen, wie Immobilien und Infrastruktur, zu erweitern, sind nach ­Ansicht von Thomas Bauerfeind manchmal deutliche Worte nötig. Zwar lassen sich diese Asset-Klassen problemlos in die ALM-Studie einbauen und eine Zielquote berechnen. Die Umsetzung stehe jedoch auf einem anderen Blatt. „Wir haben es schon des Öfteren erlebt, dass Pläne­ im Infrastrukturbereich wieder verworfen wurden, weil a priori abgeklärt­ werden konnte, dass es in diesem Segment nichts oder ­wenig gibt, was hohe Attraktivität und Qualität aufweist und den Modellierungen­ entspricht“, erklärt Bauerfeind. Ähnliches gelte für Immobilien­. „Es kann viele Gründe geben, weshalb Unternehmen nicht in illiquide Asset-Klassen investieren. Beispielsweise bringen solche Anlageklassen viele Unternehmen an die Grenzen dessen, was sie eigenständig leisten können. Daher sollte das investierbare Anlage­universum zu Beginn einer ALM klar definiert werden“, berichtet auch Michael Grob aus seiner Beratungspraxis bei Aon Hewitt.

Zu den Unternehmen, die derzeit auf Real Assets verzichten, gehört Volkswagen. „Wir schauen uns das an, müssen aber sagen, dass das Potenzial aus unserer Sicht begrenzt ist. Wenn man beispielsweise­ alternative Energien, Windparks oder Infra­strukturthemen gut nutzen will, muss man sich sehr intensiv damit beschäftigen. Wir haben bislang für uns hier nicht das ganz große Potenzial entdeckt. Viele dieser Themen sind von der Rendite her nicht so toll, man ist eher enttäuscht. Und es ist enorm aufwendig. Der Ertrag und Aufwand stehen in keinem wirklich günstigen Verhältnis“, erklärt Dr. Jörg Boche, Leiter des Konzern-Treasury. Hinzu komme, dass man keine großen Mittel allokieren kann. „Es ist nicht einfach, über diese Schiene eine Allokation aufzubauen, die im Kontext des Portfolios eine Rolle spielt“, so Boche. Auch bei Immobilien stellt sich ihm die Frage, ob das ­Rendite-Risiko-Verhältnis den Erwartungen entspricht: „Es ist etwas anderes, wenn man ein großer Versicherer ist, der eine eigene Abteilung hat, die nur Immobilieninvestments – oftmals direkt – tätigt. Für solche Dinge haben wir nicht das Know-how. Das ist überhaupt nicht in unserem Scope. Wir müssten das in einem verbrieften Format machen. Auch das schauen wir uns an. Wir hatten auch schon Immobilien­anlagen, aber diese haben uns nicht wirklich überzeugt.“ In den ALM-Studien, die VW für seine Pensionspläne jährlich alle drei Jahre ­erstellt, spielen Real Assets somit keine­ Rolle – zumindest derzeit. Das gilt auch für sogenannte Liability-driven Investments (LDI).  
 
Mental bereit für LDI
Damit ist Volkswagen nicht allein. In Deutschland hat sich das Konzept des LDI bislang schwer getan, aus den Startlöchern zu kommen – anders als in Großbritannien und den Niederlanden. Olaf John von Insight Investment führt diese unterschiedliche Entwicklung vornehmlich auf die Erfahrungen der Finanzmarktkrise zurück: „Die Pensionseinrichtungen in Groß­britannien und Holland hat die Krise 2008 stark getroffen. Die Funding-Levels sind aufgrund hoher Aktien­quote stark gefallen. Das hat das Thema LDI in diesen beiden Ländern beschleunigt. In Deutschland sind insbesondere die versicherungsförmigen Einrichtungen, weil sie in hohem Maße in deutschen Staatsanleihen investiert waren, vergleichsweise gut durch die Krise gekommen. Warum sollte man also etwas ändern?“ Allmählich finde allerdings auch hierzulande ein Umdenken statt. „LDI ist noch unterschätzt, ist aber ein Trend bei IFRS-Bilanzierern“, ist John überzeugt. „Viele Dax-Unternehmen haben schon lange in Großbritannien LDI umgesetzt, sie sind mental also schon an dem Konzept dran und warten nur auf den richtigen Einstiegszeitpunkt“, fügt er hinzu.

Das Ziel, das Unternehmen verfolgen, die sich zur Implementierung eines LDI entscheiden, ist es, die Zins- und Inflationsrisiken zu reduzieren, ohne dabei zugleich die Gesamtanlagestrategie ändern zu müssen. „Zins- und Inflationsrisiken stehen auf der Passivseite der Bilanz und sind häufig weitaus größer als die Risiken auf der Aktivseite­ der Bilanz, wie zum Beispiel das Aktien-, Kredit- oder ­Immobilienrisiko. Darüber hinaus gibt es keine intrinsische Belohnung für das Eingehen dieser Risiken. Durch das Eingehen des Inflations- und Zinsänderungsrisikos steigt die erwartete Rendite des Asset-Portfolios nicht an“, erklärt Alex Soulsby, Head of LDI bei dem kanadischen Investmentmanager BMO Global Asset Management. Er ist überzeugt: ­„Sobald Unternehmen sich besser mit LDI auskennen und besser verstehen, was LDI will und wie es funktioniert, steigt die Wahrscheinlichkeit für die Implementierung von LDI dramatisch an. Und genau dieses Bewusstsein entsteht gerade in Deutschland.“ Nur einem ­Irrglauben sollte man hierbei nicht aufsitzen. Einen vollständigen Hedge, egal ob gegen das Rechnungszins- oder Inflationsrisiko, gibt es nicht. „Bei LDI geht es nicht um das perfekte Matching-Portfolio,­ sondern darum, die Pensionsrisiken bewusst zu steuern“, merkt John an. Außerdem weist er darauf hin: „Die Inflation lässt sich derzeit ­relativ günstig absichern. Diese Situation sollte man nutzen.“


Gewappnet, wenn die Zinsen wieder steigen

Dass LDI-Konzepte in Deutschland flächendeckend eingesetzt werden, glaubt der Mercer-Investment-Consultant Kehr nicht. Der Grund ist recht einfach. Für viele deutsche Unternehmen ist aufgrund der Regulierung ein möglichst hochgradiges Matching weniger wichtig als beispielsweise in Großbritannien. Allerdings gilt auch hier wieder: Nicht alle lassen sich über einen Kamm scheren. So gibt es auch hierzulande einige Unternehmen, bei denen die Pensionsrückstellungen einen hohen Anteil der Passiva ausmachen, und somit ein relativ hoher Druck zu einem guten Matching der Vermögensseite zu den Pensionsverpflichtungen im Hinblick auf die Zinsreagibilität besteht. Laut Kehr gibt es bereits erste Unternehmen, die die Grundlagen für ein LDI-Konzept erarbeiten: „Einer unserer Kunden wollte geprüft ­haben, ob er besser gefahren wäre, wenn er schon früher ein Hedging vorgenommen hätte. Dieser Kunde hat dann im vergangenen Jahr ­begonnen, die entsprechende Infrastruktur für die Bewirtschaftung eines LDI-Programms aufzubauen.“ Dieser Aufbau sei komplexer, als nur ein Asset-Management-Mandat zu vergeben. Zu einer LDI-Infrastruktur­ gehöre auch Risikomanagement, Performance-Monitoring und Collateral Management. „Es ging darum, die Infrastruktur parat zu haben und nach einem Zinsanstieg handlungsfähig zu sein. Es war eine strategische Entscheidung“, erklärt Kehr. Die Umsetzung des Konzeptes erfolgte nicht sofort. „Wir haben einen Stufenplan entwickelt. Das heißt: Das LDI-Management wartet, bis ein bestimmtes Trigger-Level erreicht ist. Erst dann werden die nötigen Schritte fürs Hedging veranlasst. Im Mai dieses Jahres, als es einen Zinsanstieg gab, war es dann soweit. Es wurde der erste Trigger ausgelöst und ­erste Sicherheitspositionen aufgebaut“, erläutert der Mercer-Mann.  

Über welche Instrumente der Hedge aufgebaut wird, ist unterschiedlich. Infrage kommen sowohl physische Anleihen, wie Staatsanleihen, Inflation-linked Bonds und Corporate Bonds, als auch Swap-Instrumente. „Typischerweise ist es eine Mischung dieser ­Instrumente. In Deutschland beginnt man aber zumeist erst mal mit der physischen Lösung“, merkt John in diesem Zusammenhang an. Ein Grund mag neben dem aktuellen Marktniveau in den regulatorischen ­Prämissen liegen, die es bei der Umsetzung über Derivate zu beachten gilt. „In Masterfonds gibt es Leverage-Limits und operationale Hürden beim Einsatz von Derivaten. Es gilt zu prüfen, wie man  LDI in diesem Kontext umsetzen kann“, so John. Dieses Problem besteht bei der physischen Lösung nicht. Diese bedarf allerdings Liquidität und lässt sich am langen Ende schlecht abbilden. Alternatives, wie Immobilien und Infrastruktur, denen ein gewisser Inflationsschutz nachgesagt wird, haben nach Ansicht des Insight-Investment-Mannes in einem Hedging-Portfolio nichts zu suchen. Sie gehören in das Growth- beziehungsweise Return-Seeking-Portfolio. Wie genau die Aufteilung zwischen Hedging- und Return-Seeking-Portfolio am ­besten aussieht, lässt sich nicht pauschal beantworten. Dies muss kundenspezifisch anhand der jeweiligen Zielsetzung des Unternehmens abgeleitet werden. „Dem einen Unternehmen geht es um den Schutz seines Eigenkapitals. Andere kommen über die Volatilitäts­absicherung des Funding-Ratio und wiederum andere beziehen die ­Dividendenpolitik mit ein“, führt John als Beispiele für mögliche ­Unternehmensziele an.
 
Eine Patentlösung gibt es nicht
Mit Blick auf die eingangs erwähnte Bilanzproblematik stellt sich für Unternehmen, die sowohl eine HGB- also auch eine IFRS-Bilanz aufstellen, noch eine andere Frage: Nach welcher Bilanz richte ich mich, wenn ich ein LDI-Konzept aufsetzen möchte? Nach Johns ­Erfahrung erfolgt die Steuerung des LDI bisher fast ausschließlich nach der internationalen Rechnungslegung. Doch gänzlich unberücksichtigt kann die HGB-Bilanz nicht bleiben, da sie unter anderem für die Dividendenpolitik, die Gewinnabführung und letztlich für die ­Solvenz maßgeblich ist. Die Lösung dieses Problems sieht John im Aufstellen von Nebenbedingungen, wie zum Beispiel: „Welche Hedging-Quote kann sich das Unternehmen in einem ansteigenden Zinsumfeld maximal leisten, um noch komfortabel Dividenden zahlen zu können?“ Beide Bilanzen haben also einen großen Einfluss auf die Hedging-Quote. Wie jedes einzelne Unternehmen damit umgeht, ist verschieden. „Eine Patentlösung gibt es nicht. Einige Unternehmen sind derzeit dabei, ihre Hedging-Quote zu erhöhen. Andere, die bereits hohe Hedging-Quoten haben, nehmen Gewinne mit und senken die Quoten. Sie sagen: Vor dem Hintergrund steigender Zinsen und der HGB-Bewertung, können wir uns keine hohen Absicherungsquoten mehr leisten“, erläutert John. Das unterstreicht noch einmal das eingangs erwähnte Problem der unterschiedlichen Diskontzinsmethoden nach HGB und IFRS, die auseinanderdriften. Dieses Auseinanderdriften wird durch die für das HGB angedachte Ausweitung des Bezugszeitraums von sieben auf zwölf Jahre nicht besser, sondern verschärft. Die Dringlichkeit des Gesetzgebers, in diesem Zusammenhang dennoch zu handeln, ist eine kurzfristige Problemlösung insbesondere für HGB-Bilanzierer – sprich den Mittelstand. Letztlich ist es aber nur eine Verschiebung des eigentlichen Problems.

Von Kerstin Bendix

portfolio institutionell, Ausgabe 7/2015

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