Generationengerechtigkeit wird zum Problem
Mehr bAV-Verbreitung vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen ist nötig, doch das Budget der Firmen begrenzt. Seit längerem warnen die Aktuare schon vor einer Gerechtigkeitslücke zwischen den Generationen, die sich durch die Inflation noch verstärkt. Doch von den guten Altzusagen dürfen Firmen fast nichts für die Dotierung der Jungen „abzweigen“. Was tun?
„Wer nach Generationengerechtigkeit fragt, der fragt, wie das durchschnittliche typische Verhältnis von Mitgliedern einer Generation zu Mitgliedern einer anderen Generation ist“, sagt Johannes Müller-Salo vom Institut für Philosophie der Leibniz-Universität Hannover. Die Grundidee: Eine Generation schuldet der nächsten Generation die Güter, Ressourcen und Institutionen, die sie braucht, damit es ihr hinreichend gut geht, damit sie ein bestimmtes Niveau erreicht, erklärte er auf der Jahrestagung der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) Ende April in Dresden.
Einen solchen Generationenvertrag kennt nicht nur die gesetzliche Rentenversicherung, sondern indirekt auch die betriebliche Altersversorgung (bAV). Generationengerechtigkeit aus aktuarieller Sicht hat auf der DAV-Tagung Katja Jucht vom Pensionsberater Heubeck betrachtet. Sie verwies auf ein Statement des Instituts der Versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung (IVS), Zweigverein der DAV. Demnach müsse „man sich Gedanken machen, wie man für einen intergenerationellen Ausgleich sorgt“. Die Ausgangslage skizzierte Jucht sehr deutlich: Das Rentenniveau der gesetzlichen Rentenversicherung sinkt über die Generationen. Dies gilt auch für das Rentenniveau der bAV. Der Inflationsausgleich in der betriebliche Altersversorgung wurde für frühere Zusagen, also im Wesentlichen die jetzige Rentnergeneration, nach Verbraucherpreisindex zugesagt. Indessen erhalten die heutigen Arbeitnehmer-Generationen allenfalls ein Prozent jährlich. Und zwar unabhängig von der tatsächlichen Inflation. Bei Direktversicherungen und Pensionskassen gibt es gar keine Anpassungsprüfpflicht, wenn sämtliche Überschussanteile ab Rentenbeginn zur Erhöhung der laufenden Leistungen verwendet werden.
Enges regulatorisches Korsett
Bei der betrieblichen Altersversorgung wirkt das regulatorische Korsett zunehmend zu eng für erfolgreiche Altersvorsorge. Dies hatten auch die Pensionsaktuare bereits auf ihrer Jahrestagung 2022 zum Thema gemacht. Alte bAV-Zusagen seien meist sehr gut, „doch die bAV-Chancen für neue Mitarbeiter stehen schlecht, da die Arbeitgeber kaum noch genug Gesamtbudget für die bAV haben“, so Susanna Adelhardt damals. Der Grund: „Arbeitsrechtliche Zusagen sind für die gesamte Dauer vorgegeben und eine Anpassung nach unten ist kaum möglich“, erläutert der Head of Benefits beim Spezialchemiehersteller Evonik Industries. So sei Generationengerechtigkeit in der betriebliche Altersversorgung derzeit nicht gewährleistet, zumal der Dotierungsrahmen der Firmen für bAV insgesamt begrenzt ist und die globale Wirtschaftslage der bAV nicht gerade die höchste Priorität einräumt. Die Politik müsste wenigstens die Regulatorik ändern und so mehr Freiheiten bei Kapitalanlage erlauben, fordert die Expertin.
Dies bekräftigte Susanna Adelhardt nun in Dresden. Evonik selbst sei noch auf der Suche nach guter Werthaltigkeit der bAV für alle Generationen, so die Aktuarin und berichtet: „Mittel zum Zweck ist vor allem die sachwertorientierte Direktzusage.“ Die Kommunikation mit den Mitarbeitern brauche einen Paradigmenwechsel – weg von der nominalen Orientierung und hin zu der Orientierung in Warenkörben, also Realwerte statt Nominalgarantien.
Den Ernst der Lage hatte zuvor schon Friedemann Lucius, Vorstandschef von Heubeck und des Instituts der Versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung, deutlich gemacht: Sobald die bAV-Versorgungsleistung gegen Zahlung eines festgelegten Beitrags der Höhe nach garantiert wird, schlagen Regulatorik und die anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik mit voller Härte zu. Der Ist-Zustand: Da weder die zugesagte Leistung nachträglich gekürzt noch der vereinbarte Beitrag im Laufe der Zeit erhöht werden dürfen, muss der Beitrag mit erheblichen Sicherheiten kalkuliert werden. „Gerade Anwärter haben häufig keinen Inflationsschutz“, legt der Heubeck-Vorstandschef den Finger in die Wunde.
Hintergrund: Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet, spätestens alle drei Jahre die Höhe der laufenden Betriebsrenten zu prüfen und nach billigem Ermessen anzuheben. Werden Renten an den Verbraucherpreisindex für Deutschland (VPI) oder die Nettolohnentwicklung vergleichbarer Arbeitnehmergruppen angepasst, entfällt die Prüfungspflicht. Für Zusagen, die nach 1998 erteilt wurden, besteht zudem die Möglichkeit, der Anpassungsprüfungspflicht zu entgehen, wenn die laufenden Renten jedes Jahr um ein Prozent angehoben werden. „In der Praxis unterliegen geschätzt 70 Prozent der laufenden Betriebsrenten der VPI-Anpassungsregelung und sind insofern inflationsgeschützt“, so Lucius.
Begrenztes bAV-Budget benachteiligt Junge zusehends
Anders bei Anwärtern: Endgehaltsabhängige Systeme, die durch Leistungszusagen mit festem Eurobetrag einen gewissen Inflationsschutz durch die Entgeltdynamisierung gewähren, kommen in der Praxis kaum noch vor. Beitragsorientierte Leistungszusagen, bei denen der Beitrag gehaltsabhängig festgelegt ist, kommen häufiger vor, bieten jedoch allenfalls einen eingeschränkten Inflationsschutz über die Gehaltsentwicklung, die aber nur auf künftige Anwartschaftszuwächse wirkt. „In den meisten Fällen führt die Inflation für Anwärter zu einer Entwertung ihrer erdienten Ansprüche“, fasst Lucius die Lage der jungen Generationen zusammen.
Damit verstetigt sich der Trend, dass „die aktuellen Betriebsrentner meist ein gutes Versorgungsniveau besitzen, das für die heutige Generation in der Breite faktisch unerreichbar sein wird“, warnt Stefan Oecking, stellvertretender IVS-Vorsitzender. Das will das IVS ändern und setzt sich für einen Nachhaltigkeitsmechanismus in der bAV ein – in Anlehnung an die Nachhaltigkeitsformel der gesetzlichen Rentenversicherung. Durch einen solchen Mechanismus sollen die begrenzten Mittel in der bAV gerechter verteilt werden. „Denkbar wäre die Ergänzung der gesetzlichen Anpassungsverpflichtung um eine Option für den Arbeitgeber zur Begrenzung der Anpassungshöhe, etwa durch die Einführung einer Anpassungsbemessungsgrenze (ABG) für laufende Renten“, so Oecking, im Hauptberuf selbstständiger bAV-Berater und Vorstandschef des Mercer Pensionsfonds. Betriebsrenten würden dann nur noch bis zu einem bestimmten Betrag an den VPI angepasst, zum Beispiel 1/6 der monatlichen Bezugsgröße (nach SGB IV). De facto würden nach aktuellem Stand rund 550 Euro voll entsprechend dem Verbraucherpreisindex beziehungsweise der Nettolohnentwicklung angepasst. Beträge über der ABG sollten nur noch reduziert erfolgen, zum Beispiel zu 50 Prozent der aktuellen Regelung beziehungsweise nur mit einem Prozent fix, schlägt das IVS vor. Arbeitgeber müssten sich im Gegenzug verpflichten, die eingesparten Mittel zur Finanzierung zusätzlicher bAV für die jüngere Generation einzusetzen, so die Idee.
Damit dies nicht zu kompliziert wird, könnte die Prozedur durch kollektivrechtliche Regelungen per Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag geregelt werden, meint das IVS. Zur Einordnung: Bislang bekommen weniger als 20 Prozent der Anspruchsberechtigten eine Betriebsrente oberhalb von 550 Euro, schätzt Oecking. Durchschnittsverdiener bekämen im Schnitt weniger als 500 Euro Betriebsrente. Darüber könne auch die gewaltige Zahl von 500 bis 600 Milliarden Euro an Gesamtverpflichtungen der deutschen Wirtschaft für die bAV nicht hinwegtäuschen.
Gesellschaftlicher Zusammenhalt in Gefahr
Wie der Nachhaltigkeitsmechanismus praktisch aussehen könnte, haben die Aktuare noch nicht durchgerechnet. So wie bisher könne es aber nicht weitergehen. „Viele Bestände sind rentnerlastig und neue Mitarbeiter werden allenfalls auf die Entgeltumwandlung verwiesen“, berichtet Lucius aus der Praxis. Die Finanzierung geschützter Besitzstände zu Lasten der jungen Anwärter gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt und wird damit zum sozialpolitischen Problem, warnt das IVS. Es bleibt aber offen, ob ein solcher Mechanismus vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Bundesarbeitsgericht rechtlich bestehen würde.
Vor diesem Hintergrund scheint auch die Politik wenig Interesse an Änderungen zu zeigen. „Einseitige Widerrufe durch den Arbeitgeber über das bisherige Recht hinaus sind wenig charmant“, sagte Rolf Schmachtenberg, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, kürzlich auf der Aba-Jahrestagung 2023 in Berlin. „Vorläufig gibt es aufgrund der aktuellen Rahmenbedingungen keinen politischen Resonanzraum für diesen Ansatz eines Ausgleichs zwischen den Generationen“, so das Institut der Versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung selbst auf Nachfrage der Redaktion. Damit bleibt es vorerst dabei, dass junge Anwärter schlechtere Startbedingungen in der bAV vorfinden als die Generationen zuvor.
Autoren: Detlef Pohl In Verbindung stehende Artikel:
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