Alternative Anlagen
12. Mai 2014

Erde, Wasser, Luft – die drei Elemente der Verkehrsinfrastruktur

Deutschland hat seine Verkehrsinfrastruktur vernachlässigt, ein Defizit­ von 7,2 Milliarden Euro pro Jahr steht zu Buche. Die institutionelle Investoren­gemeinde ist bereit, die Lücke zu schließen.

Der Wille der Politik­ scheint allerdings gebremst. Dabei lehrt die Geschichte, wie gut die private Hand das kann. Die großen Infrastruktur­projekte Mitte­ des 19. Jahrhunderts – wie der Bau der Eisenbahn – waren vornehmlich privat­ finanziert. Das portfolio Fachforum tauchte in die Tiefen der Infrastrukturwelt ein. 
„Es ist nicht genug zu wissen, man muss auch anwenden. Es ist nicht genug zu wollen, man muss auch tun“, wusste Johann Wolfgang von Goethe. Bei diesen Worten allein beließ er es jedoch nicht, der Dichterfürst war ein Mann der Tat. Heute ist er vor allem für Werke wie „Faust“ oder „Die Leiden des jungen Werther“ berühmt, aber er tat weit mehr. Weniger bekannt ist, dass er sich auch mit Infrastruktur­ befasste. Als Staatsbeamter im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach war er zwischen 1776 und 1786 Leiter der Wegebaudirektion. In besagtem Herzogtum gab es das sogenannte Geleitregal. Dieses besagte nichts anderes, als dass der Herzog Straßenbenutzungsgebühren erheben durfte. Er tat dies aber nicht nur auf den Hauptverkehrsstraßen, sondern auch auf den Schleichwegen – er war also schlauer als ein spanischer Verkehrsminister und dessen Mautsysteme. Weniger schlau ist aus heutiger Sicht, dass es sich dabei nicht um ein Verfügbarkeitsmodell, sondern ein konjunkturabhängiges Umsatzmodell handelte.  

Das diesjährige portfolio institutionell Fachforum am 3. April wandelte auf den Spuren des Universalgenies Goethe und begab sich auf die Suche nach einer Struktur für Infrastruktur. Den Startpunkt setzte­ Professor Kurt Bodewig, Bundesverkehrsminister a. D., mit seinem Vortrag zur „Verantwortung für Verkehrsinfrastruktur als politische Aufgabe“. Bereits in seinen Eingangsworten ließ er durchblicken, dass es in der Politik offenbar an entsprechendem Verantwortungs­gefühl fehlt: „Deutschland hat die Sanierung seiner Verkehrsinfrastruktur im vergangenen Jahrzehnt vernachlässigt.“ Das gelte nicht nur für Autobahnen, sondern auch für Wasserstraßen und die Schiene. So seien beispielsweise 46 Prozent aller Brücken und 20 Prozent der Autobahnen nicht in einem ausreichenden Funktionszustand. „Je länger ein Problem nicht gelöst wird, desto mehr Bedarf entsteht“, warnt der Ex-Bundes­minister. Es fehlen rund 7,2 Milliarden Euro­ pro Jahr, wobei er den eigent­lichen Bedarf sogar­ noch höher ansiedeln würde. „Es geht aber nicht nur um Geld. Es braucht ein Konzept, das alle Bausteine zusammenbringt“, führte er weiter aus.

Unter seiner Leitung hat die Kommission „Nachhaltige Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“ ein eben solches Konzept entwickelt. Dieses­ wurde als Beschlussvorschlag im Herbst vergangenen Jahres den Verkehrsministern der Länder vorgelegt und ging in den Koalitions­vertrag der Bundesregierung ein – zumindest in Teilen. Ein Vorschlag, der es nicht in das Vertragswerk der großen Koalition schaffte, betraf den „dringenden Nachholbedarf“ bei der Sanierung von Verkehrsträgern. Den Bedarf an Sanierungen, die in der Vergangenheit unterblieben sind, bezifferte Bodewig auf mindestens 38,5 Milliarden Euro in den kommenden 15 Jahren – preisindiziert seien es sogar 40 Milliarden Euro. Dass dieser Aspekt nicht von der großen Koalition­ übernommen wurde, bedauert Bodewig sehr: „Denn es bedeutet eine Verdopplung der Schäden in zehn Jahren.“ Unterlassene Sanierungsmaßnahmen seien zehnmal so teuer wie eine permanente Wartung. Durch eine nachhaltige und langfristige Brille betrachtet ist der Verzicht­ auf diesen Konzeptpunkt also nur schwer nachvollziehbar. Allerdings muss man hier wohl bedenken: Eine Legislaturperiode­ dauert nur vier Jahre.

PPP bauen solide und günstig

Andere Punkte des Konzepts fanden wiederum Eingang in den Koalitionsvertrag, so zum Beispiel der Grundsatz „Erhalt vor Neubau“, was laut Bodewig einen Paradigmenwechsel bedeutet. Dieser dürfe jedoch nicht als Absage an Aus- und Neubau verstanden werden, lediglich das bisherige Verhältnis von einem Drittel Erhalt und zwei Drittel Neubau werde sich umkehren. Dabei seien unterschied­liche Finanzierungsstrukturen angedacht. Was genau sich dahinter verbirgt, erläuterte Bodewig in seinem Vortrag jedoch nicht näher. Stattdessen kam er an anderer Stelle auf das Thema Finanzierung und Kosten zurück, nämlich bei den Anreizsystemen für eine bedarfsgerechte Bereitstellung von Infrastruktur. Diese müssten laut der Kommission so ausgestaltet werden, dass die Bereitstellung „schneller, wirtschaftlicher, sparsamer“ erfolgt. In dem bisherigen System sei das nicht der Fall, vielmehr treibe die Regulation in Deutschland die Kosten nach oben. Das Problem: Alles hänge von der Bausumme ab. Nach der Vergabe des Auftrags werde oftmals nachjustiert, so dass die tatsächlichen Kosten letztendlich weit über der ursprünglich genannten Bausumme liegen. Der Berliner Flughafen ist nur ein bekanntes Beispiel.

Es gibt allerdings auch Ausnahmen, wie Bodewig anmerkte. Es gebe einige Projekte, die solide und günstig umgesetzt wurden. Dabei handele es sich aber nicht um rein öffentlich finanzierte Projekte, sondern um Public-Private-Partnerships (PPP). Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD findet sich dazu auch ein Eintrag. Man wolle PPP transparent, wirtschaftlich und mittelstandsfreundlich ausrichten. Auch die Anreizsysteme bei Ausschreibungen sollen offenbar überarbeiten werden. Im Koalitionsvertrag ist von einem Bonus-Malus-System die Rede. „Andere Länder schließen das günstigste Angebot aus. Diese­ Vorgehensweise ist sehr erfolgreich“, erklärte der Ex-Bundesminister. Die Spreizung zwischen Angebot und tatsächlichen Kosten gehe nicht so weit auseinander wie in Deutschland.

Das im Bundeswahlkampf viel diskutierte Thema Maut griff Bodewig­ in seinem Vortrag ebenfalls auf. Die geplante Maut für nicht in Deutschland zugelassene Pkw sei nicht funktionsfähig – entweder alle oder keiner. Skeptisch äußerte sich der ehemalige Bundesverkehrsminister auch in Bezug auf die Ausweitung der Lkw-Maut, die bis 2017 zusätzliche Einnahmen von jährlich 2,3 Milliarden Euro in die Kasse spülen sollen. Sein Problem hierbei: Diese Einnahmen reichen nicht aus. Er spricht von einer permanenten Lücke von 1,7 Milliarden Euro: „Das kann ich nur über Fremdkapital ausgleichen.“ 

Was die Geschichte lehrt
Was sagt eigentlich die Geschichte zum Thema Infrastruktur? Kann die heutige Regierung aus ihr etwas lernen? Da das Universalgenie Goethe nicht persönlich aus seinem Erfahrungsschatz als Wege­baudirektor erzählen konnte, übernahm den historischen Part auf dem portfolio institutionell Fachforum Professor Werner Plumpe von der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Eine wesentliche Erkenntnis aus seinem historischen Rückblick: Die großen Infrastrukturprojekte in Deutschland Mitte des 19. Jahrhunderts waren hauptsächlich privat finanziert. „Die großen Eisenbahnprojekte der 1830er und 1840er Jahre wurden durchweg von privaten Aktiengesellschaften getragen. Die Projekte waren – sollten sie wirtschaftlich Erfolg versprechen – durchweg um ein Vielfaches überzeichnet“, so Plumpe. Eine Ausnahme war die preußische Ostbahn von Berlin nach Königsberg, für die aus wirtschaftlichen Gründen von privater Seite keine Finanzierung­ zustande kam, so dass der Staat – Preußen – mit Hilfe einer eigens hierfür aufgelegten Anleihe einspringen musste, in der er das nötige Kapital garantierte und verzinste. „Ohne diese Anleihe wäre das Geld in andere, womöglich wirtschaftlich profitablere Projekte geflossen“, mutmaßte Plumpe.

Grundsätzlich hätten private Anleger es vorgezogen, in Immobilien­ und vermeintlich sichere­ Staatstitel zu investieren. Doch an eben jenen Investments mangelte es zur damaligen Zeit. Und so folgerte Plumpe: „Die Knappheit an Staatstiteln dürfte in den 1820er bis 1840er Jahren erheblich dazu beige­tragen haben, Kapital in die Industrie beziehungsweise in die großen Infrastrukturprojekte der Zeit zu lenken, eine Erfahrung, die man in Sachsen bereits seit den 1770er Jahren machen konnte.“ Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zu den deutschen, institutionellen­ Investoren der heutigen Zeit: Diese suchen händeringend nach Alternativen zu niedrig verzinsten Staatspapieren und würden nur allzu gern verstärkt in Infrastruktur investieren. Dies belegt die Studie „Öffentliche Aufgaben und private Investitionen“, die Palladio Partners mit Unterstützung von portfolio institutionell im Herbst vergangenen Jahres durchführte und an der sich 70 Prozent des Gesamtkapitals der deutschen institutionellen Anlegerschaft beziehungsweise 1,3 Billionen Euro beteiligten. Demnach halten fast zwei Drittel der Befragten Infrastruktur für „attraktiv“ oder „hoch attraktiv“. 87 Prozent sind mit einem Volumen von 9,4 Prozent bereits investiert, in den kommenden zwei bis drei Jahren sollen weitere 14 Milliarden Euro in Infrastruktur fließen. Fast drei Viertel möchte am liebsten in Netze investieren,­ gefolgt von PPP und Erneuerbaren Energien (mehr zu der Studie in portfolio institutionell 01/14).  

Zurück ins 18. Jahrhundert: Für alle Nicht-Historiker rief Plumpe die finanzpolitische Lage des damaligen Kurfürsten­tums Sachsen in Erinnerung. Nachdem der siebenjährige Krieg verloren war, brach die Schuldenwirtschaft des Fürstentums endgültig zusammen. Anfang 1764 war die Verschuldung so hoch, dass allein die Zinslast – wäre man ihr geregelt nachgekommen, was nicht der Fall war – den gesamten regulären Etat verschlungen hätte. „Mit dem Hubertusburger Frieden, in dem Sachsen zudem an Preußen Kontributionen zu zahlen hatte, stand das Land vor einem Scherbenhaufen“, so der Professor. Eine Restaurierungskommission wurde eingesetzt, die auf eine gezielte Sanierung des sächsischen Staates, insbesondere seiner Finanzen, drang. Im Zuge dessen wurde auch das gesamte Personal in der Finanzverwaltung ausgetauscht und durch bürgerliche Experten ersetzt. Möglich war dies aller­dings nur, weil die Sanierung und strikte staatliche Finanz- und Schuldenpolitk politisch gewollt war. Thomas von Fritsch, Kopf hinter dem Retablissement, erfuhr volle Rückendeckung durch den neuen Kurfürsten, Friedrich August III.

Der Austausch des Personals war allerdings nur ein Puzzle­stück in dem Sanierungskonzept. „Deutlichster Ausdruck in finanz­politischer Hinsicht war die 1773 etablierte Generallandeskasse, die das bisher zersplitterte kursächsische Finanzwesen unter einem Dach zentral zusammenfasste“, so Plumpe. In materieller Hinsicht waren die eingeleiteten Schritte von den zeitgenössischen Kameral- und Finanz­wissenschaften geleitet. So war klar, dass Kursachsen seine­ Staatsschuld zum Nennwert nicht bedienen konnte. Aus diesem Grund sei allen Gläubigern das Angebot gemacht worden, die bestehenden Papiere in einheitliche Schuldpapiere – allerdings zu einem niedrigeren Durchschnittszinssatz – umzutauschen. Die Mehrheit der Gläubiger ließ sich darauf ein, jedoch nur gegen das Versprechen regelmäßiger Zahlungen, was in der Vergangenheit nicht gegeben war. Daraufhin sank der Nominalwert der Schuld von Kursachsen.

Wie sich zur Freude der Gläubiger herausstellte, hielt sich Kursachsen an seine Versprechen. Und die sächsischen Schuldtitel, die nun mit einem festen Zins und Rückzahlungstermin ausgestattet  und erstmals börsenhandelsfähig und fungibel waren, legten rasch an Wert zu. Bis 1806 sanken die Schulden der ehemaligen­ Steuerkasse von anfänglich 30 Millionen Taler auf 7,5 Millionen Taler, wobei es sich hier im Wesentlichen um nicht umgetauschte Altschulden handelte. Die Börsenkurse der sächsischen Staatspapiere stiegen und wurden ab etwa 1790 über Pari gehandelt. Zum Vergleich: Ende 1764 lagen die Kurse bei 58 Prozent. Die positive Entwicklung führte Plumpe darauf zurück, dass im Laufe der Zeit die Tilgungen zugenommen haben und zugleich 30 Jahre lang keine neuen Schulden gemacht wurden. „Der Kursverlauf zeigte, dass der Markt sogar mehr sächsische­ Titel aufgenommen hätte“, erklärte Plumpe. Für die sächsische Regierung wäre es ein Leichtes gewesen, neue Kredite aufzunehmen. Doch das tat sie nicht. Die privaten­ Investoren mussten sich andere Investitionsmöglichkeiten suchen. Fündig wurden sie in den großen Infrastrukturprojekten ihrer­ Zeit, allen voran der Eisenbahn.

Ready for take off
Von der Schiene in die Lüfte erhob sich schließlich Joachim Buse von der Lufthansa. In seinem Vortrag auf dem Fachforum stellte er ein Projekt zur Gewinnung von alternativem Kerosin vor. Getrieben ist dieses Projekt in erster Linie durch das seit Jahren wachsende Ungleichgewicht zwischen Bedarf und Aufwand für Kraftstoff. Bei der Lufthansa standen 2003 beispielsweise etwas mehr als fünf Millionen Tonnen Kerosin rund 1,5 Milliarden Euro gegenüber. Zehn Jahre später waren es fast neun Millionen Tonnen Kerosin und rund sieben Milliarden Euro. Das Problem ist laut Buse, dass die Kerosinpreise an Börsennotierungen gekoppelt sind. „Das Formel-Preis-Modell ist nicht mehr Ausdruck der Realität“, so Buse. „Es wird 300-mal gehandelt, bis einmal verkauft wird“, fügt er hinzu. Er hält es für dringend nötig, aus diesem Modell herauszukommen. Um sich von der Ölbranche unabhängiger zu machen, verfolgt die Lufthansa aber noch eine andere Strategie: die Produktion alternativer Kraftstoffe. Es sind bereits vier Projekte aufgesetzt, eines davon in Kamerun.

 Auf 145.000 Hektar Land wird dort die Pflanze „Jatropha“ angebaut, aus der über verschiedene Prozesse ein Biokraftstoff entsteht. Zur Finanzierung der Projekte zur Gewinnung alternativer Kraftstoffe­ hat die Lufthansa einen Fonds aufgesetzt, in den institutionelle Investoren einzahlen können. Die Teller-Tank-Diskussion, die unweiger­lich in diesem Zusammenhang auftaucht, ist Buse bewusst: „Unsere Aktivitäten dürfen nicht zum Nachteil der dortigen Bevölkerung werden.“­ Dass dies der Fall sein könnte, weist er aber zurück. Im Gegenteil. Er sieht vor allem die positiven Effekte, insbesondere für die Landwirtschaft in Afrika. So bringe man die entsprechende Technik in das Land und baue eine funktionsfähige Infrastruktur auf, was zu einer Steigerung der Produktivität insgesamt führe. Außerdem würden­ 3.000 Arbeitsplätze bei 30 Prozent Arbeitslosigkeit entstehen, hinzu kämen rund 2.000 Arbeitsplätze aus Multiplikatoren-Effekten.­ Außerdem werde begleitend Nahrungsmittelanbau betrieben, und zwar auf Böden, die zuvor komplett brach lagen.   

Luft, Wasser und Erde: Verkehrsinfrastruktur ist facettenreich, wie das gesamte Feld „Infrastruktur“. Gerade die Energie­infrastruktur, die ebenfalls einen großen Part auf dem Fachforum ausmachte (siehe hierzu S. 40ff), erweist sich als besonders bunt: In der Energieinfrastruktur wurde einst dem grünen­ Strom eine rosarote Zukunft prophezeit. Investoren wägen zwischen Brownfields und Greenfields ab. Energiekonzerne sehen rot und malen­ das Bild von Blackouts an die Wand. Jüngster Farbtupfer ist der Brownout, ein kontrollierter Spannungseinbruch bei Stromknappheit. Doch nicht vergessen: Grün ist die Farbe­ der Hoffnung. Mit Farben­lehre befasste sich im Übrigen auch das Universalgenie Johann­ Wolfgang von Goethe­.

portfolio institutionell, Ausgabe 4/2014

Autoren:

In Verbindung stehende Artikel:

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert