Engagierte Investoren werfen das Handtuch
Die Kirche von England hat in ihrer Eigenschaft als institutioneller Investor über Jahre hinweg das Gespräch mit der Mineralölindustrie gesucht. Deren Konzerne tragen nach Auffassung der Geistlichen „besondere Verantwortung, uns dabei zu helfen, den gerechten Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft zu schaffen“. Nun zeigt sich: Das Corporate Engagement ist gescheitert.
Die Einflussnahme auf Unternehmen mit nicht mehr zeitgemäßen Geschäftspraktiken ist für viele institutionelle Investoren und Fondsgesellschaften fester Bestandteil im Alltag. Als Treuhänder des ihnen anvertrauten Kapitals gehen sie auf Unternehmen zu und suchen das Gespräch mit den Entscheidern. Ihr Ziel ist es, die Führungskräfte zum Umdenken bewegen – zum Beispiel, wenn es darum geht, Treibhausgas-Emissionen zu senken und die Dekarbonisierung hin zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft zu beschleunigen.
Dieses Corporate Engagement, wie es zum Beispiel die Kirche von England betreibt, kostet die Anleger viel Zeit. Und es ist mit erheblich mehr Aufwand verbunden, als die Aktien einfach zu verkaufen (Stichwort „Ausschlüsse“), die damit verbundenen Stimmrechte auszuschlagen und sich aus dem fossilen Zeitalter zu verabschieden. Doch Probleme verschwinden nicht, wenn man sie ignoriert. Man entledigt sich bloß seiner Verantwortung, statt sie wahrzunehmen.
Gletscher schmelzen während Gewinne sprudeln
Seit Jahren steht die Mineralölindustrie im Blickfeld von Klimaaktivisten und engagierten Investoren. Wie der „Spiegel“ im Oktober 2021 berichtete, haben Exxon Mobil, Shell und BP von der Gefahr der Klimakrise gewusst, lange bevor dieses Thema Einzug in die breite Öffentlichkeit hielt. „Das ist bekannt, ebenso wie die Tatsache, dass die 20 größten Unternehmen für fossile Brennstoffe für mehr als ein Drittel aller Treibhausgasemissionen seit 1965 verantwortlich sind.“
Fakt ist aber auch: Angesichts steigender Ölpreise nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine haben die Multis in den vergangenen 18 Monaten Rekordergebnisse eingefahren. Gleichzeitig melden US-Behörden neue Höchststände bei der CO₂-Konzentration in der Atmosphäre, während Grönlands Gletscher ungebremst schmelzen.
In einem aktuellen Gastbeitrag für die „Los Angeles Times“ wirft der US-amerikanische Aktivist Bill McKibben, Gründer der international operierenden Klimakampagne 350.org, den Unternehmen der Ölindustrie vor, die Schöpfungsgeschichte „rückwärts zu betreiben“, sie also zu zerstören. „Big Oil weitet seine Bohraktivitäten aus und reduziert sogar seine Bemühungen im Bereich der Erneuerbaren Energien“, konstatiert McKibben, der das nicht hinnehmen will und sich für den Stopp von Projekten für fossile Brennstoffe einsetzt.
Im Gastbeitrag berichtet er auch von einem Treffen mit einem Finanzmanager der Kirche von England, das vor mehr als einem Jahrzehnt in London stattgefunden hat. Die von ihm mitbegründete Organisation 350.org hatte damals gerade ihre Kampagne zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen gestartet und wollte die Anglikaner ermutigen, mitzumachen. „Er sah uns an, schüttelte den Kopf und erklärte, dass er einen viel besseren Weg hätte: Mit den Ölkonzernen zusammenarbeiten, um sie dazu zu bringen, ihre Praktiken zu ändern.“
Investoren wie die Kirche von England hielten also an den problematischen Wertpapieren fest. Sie suchen den Dialog zur Führungsriege. Manche besetzen Beiratsposten. Und in der Regel berichten sie gegenüber Stakeholdern über ihre so erzielten Fortschritte.
Ähnlich agieren können auch Inhaber festverzinslicher Wertpapiere. Auch sie können einen langfristigen Dialog mit Emittenten aufbauen, die Vorstände zu nachhaltigerem Handeln bewegen, um die Transformation voranzutreiben und damit auch Geschäftsrisiken zu reduzieren. Würden sie ihre Positionen indessen einfach verkaufen, könnten sie keinen Druck mehr ausüben.
Jedoch zeigt eine aktuelle Studie, dass die Anstrengungen institutioneller Anleger im Rahmen ihrer Corporate Engagements nicht immer zum Ziel führen. Ein Grund ist, dass sie weniger wirksam sind, wenn der Geschäftsnutzen für die geforderte Maßnahme unpraktisch, unwirtschaftlich oder ungewiss ist – letztlich also zum Beispiel den Ruin des Unternehmens zur Folge hätte. In dem Fall sollten die Endanleger nicht aufgeben, sondern den Schwerpunkt ihres Engagements verlagern (siehe Juni-Ausgabe 2023, S. 12 f.).
Wenn die Firmendialoge jedoch partout zu keinem befriedigenden Ergebnis führen, muss man daraus Konsequenzen ziehen. So wie die Kirche von England, die nach mehr als einem Jahrzehnt des Engagements nun offenbar mit ihrem Latein am Ende ist. „Energieunternehmen haben eine besondere Verantwortung, uns dabei zu helfen, den gerechten Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft zu schaffen, den wir brauchen“, betonte der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, im Juni laut einer Mitteilung. Die kritisierten Firmen wirken jedoch nicht mit. Daher zieht die Kirche nun Konsequenzen und verbannt sämtliche Unternehmen mit Bezug zu fossilen Brennstoffen aus ihrem Portfolio.
„Fortschritte“ reichten nicht aus
Die Church Commissioners for England, die den 10,3 Milliarden Pfund schweren Stiftungsfonds der Kirche von England verwalten, schlossen bereits im Jahr 2021 insgesamt 20 Öl- und Gaskonzerne aus ihrem Portfolio aus. Wie der mit 3,2 Milliarden Pfund gesegnete Church of England Pensions Board (CEPB) und die Church Commissioners nun ankündigten, werden sie sich auch von den verbliebenen Öl- und Gasunternehmen in ihren jeweiligen Anlageportfolios trennen. Dazu zählen Schwergewichte wie BP, Eni, Equinor und Exxon Mobil. Man sei zu dem Schluss gekommen, dass keines dieser Unternehmen mit den Zielen des Pariser Abkommens vom Dezember 2015 übereinstimmt.
Erzbischof Welby: „Wir fordern Unternehmen seit langem dazu auf, den Klimawandel ernst zu nehmen und sich insbesondere an den Zielen des Pariser Klimaabkommens zu orientieren und Anstrengungen zu unternehmen, um den Temperaturanstieg auf 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.“ In der Praxis bedeutet das, aus fossilen Brennstoffen auszusteigen, in Erneuerbare Energien zu investieren und einen glaubwürdigen Weg zu einer Netto-Null-Welt zu finden. Welby zufolge seien zwar einige Fortschritte erzielt worden, aber „bei weitem nicht genug“.
Alan Smith, der erste Beauftragte für Kirchengüter, schließt sich der Kritik an. Er hält es für „ernüchternd, dass die großen Energiekonzerne nicht auf die wichtigen Stimmen in den Gesellschaften und Märkten, die sie bedienen, gehört haben und die Transition nicht schnell genug vorantreiben“.
Laut dem Klimaaktivisten Bill McKibben begannen Wissenschaftler und Umweltschützer vor zehn Jahren auch mit den großen kalifornischen Pensionsfonds Calpers und Calstrs zu sprechen. Dort hätten sie die gleiche Antwort bekommen, wie von der Kirche von England: „Wir werden an unseren Aktien festhalten und mit den Ölunternehmen zusammenarbeiten.“ Allerdings seien die Bemühungen der Pensionsfonds, diese Unternehmen zu verändern, nicht erfolgreicher gewesen als die der Anglikaner.
Noch halten die kalifornischen Pensionsfonds an ihren Engagements fest. Dabei gebe es allen Grund dafür, dass sie ihr Geld aus fossilen Brennstoffen abziehen, meint der 350.org-Mitbegründer. „Kalifornien wurde von der Klimakrise genauso hart getroffen wie jeder andere Ort in der entwickelten Welt. In den letzten zehn Jahren gab es im Golden State jede Menge Dürren, Überschwemmungen und Brände.“ McKibben nennt noch einen Grund, die Aktien aus dem Portfolio zu werfen: Ihr Besitz habe Kalifornien eine Menge Geld gekostet. Das liegt an ihrer Underperformance in den vergangenen zehn Jahren.
„Ölkonzerne richten Verwüstungen an“
Laut einer Studie der University of Waterloo in Zusammenarbeit mit der Organisation Stand.earth büßte Calpers im vergangenen Jahrzehnt 4,7 Milliarden US-Dollar ein, weil die Pensionseinrichtung in fossile Brennstoffe investierte. Calstrs sei es „gelungen“, 4,9 Milliarden US-Dollar zu verlieren. „Denn fossile Brennstoffe sind nicht nur schädlich für den Planeten, sondern auch schädlich für ihre Aktionäre“, warnt McKibben. In den vergangenen zehn Jahren sei deren Performance hinter anderen Assets zurückgeblieben, „und das aus einem offensichtlichen Grund: Es ist eine neue Industrie, die der Erneuerbaren Energien, entstanden, die das gleiche Produkt liefert, nur billiger und sauberer“.
Eigentlich sei es für die Church of England und die kalifornischen Pensionsfonds relativ einfach, die Entscheidung zum Verkauf jetzt zu treffen, meint McKibben. Denn viele andere Investoren hätten den Weg geebnet. Nahezu alle Eliteuniversitäten – die University of California, Harvard, Princeton, Oxford, Cambridge – sowie große öffentliche Pensionsfonds im US-Bundesstaat New York, in Quebec und ABP in den Niederlanden hätten bereits verkauft. Laut der Datenbank divestmentdatabase.org summieren sich die Desinvestitionsverpflichtungen inzwischen auf mehr als 40 Billionen US-Dollar.
Auch Calpers und Calstrs sollten sich von fossilen Brennstoffen trennen, fordert McKibben, für den das Engagement-Argument schon immer verdächtig gewesen sei, wie er betont. Die Zeit habe bewiesen, „dass es völlig falsch war“. Die Ölkonzerne setzten sich weiterhin „für eine Verzögerung der Klimaschutzmaßnahmen ein, auch wenn sie nach neuen Ölfeldern suchen, neue Pipelines bauen und allgemein politische und ökologische Verwüstungen anrichten. Die Desinvestitionsbewegung war eines der wenigen Hindernisse für diese Brandstiftung“.
Autoren: Tobias BürgerSchlagworte: Engagement | Klimapfade | Nachhaltigkeit/ESG-konformes Investieren | Weltspiegel
In Verbindung stehende Artikel:
Schreiben Sie einen Kommentar